Wie sind Sie zu dem Projekt gekommen? Eine Romanadaption und hier gerade das Thrillergenre ist ja nicht der typische Debütstoff?
Was ist denn ein typischer Debütstoff? Ich glaube, dass der richtige Stoff ganz unabhängig vom Status des Regisseurs sein sollte. Wenn man mit Leidenschaft und Freude versucht seine Geschichte zu erzählen, dann ist das meiner Meinung nach der richtige Stoff. Ich persönlich wollte eine Geschichte mit 3 Personen erzählen, die am Abgrund stehen und nun einen Weg von da herausfinden müssen.
Warum ich jedoch das Buch von Skagen ausgesucht habe, lag daran, dass ich eine Ferienlektüre im Buchladen (Orell Füesli) suchte und in der Krimiabteilung mich von Deckeltext zu Deckeltext durchlas. Im Sog der Nacht von Fredrik Skagen sprach mich am meisten an und ich kaufte das Buch. Am Strand begann ich es dann zu lesen und zum Erschrecken meiner Familie ließ es mich nicht mehr los. Als ich dann wieder in Zürich war und Simon Hesse davon berichtete war für uns klar, dass wir den Stoff weiter verfolgen wollten.
Wie haben sie den Roman in ihr Drehbuch adaptiert?
Skagens Buch ist viel umfangreicher als unsere Geschichte im Film. Die Gruppe begeht wiederholt die ähnlichen Fehler und treibt so die Geschichte in ein sehr düsteres Ende. Anfänglich haben wir bei der Adaptation versucht die ganze Geschichte ins Drehbuch zu packen, bis wir merkten, dass unser Drehbuch redundant wurde. Wir wendeten dann nur einen Teil der Geschichte an und setzten es in ein übliches Paradigma. Auch wollte ich den Focus der Geschichte gezielt auf das Spiel der Charaktere legen und nicht auf den Plot.
Wie schnell sind Sie auf den Cast gekommen? Stand die Besetzung der drei Hauptcharaktere mit Nils Althaus – „der“ Schweizer Shooting Star – Stipe Erceg und Lena Dörrie schon während des Drehbuchschreibens fest?
Die Vorbereitungen zu Im Sog der Nacht dauerten rund vier Jahre. Lange Lehrjahre, in denen ich und meine beiden Produzenten, Simon Hesse und Valentin Greutert, gemeinsam bei Förderern, Sendeanstalten und Geldgebern unsere Kreditwürdigkeit verdienen mussten. Über diese lange Zeit und den vielen Anträgen zur Förderung wird immer ein Vorschlag zum Cast gewünscht.
So waren viele Namen immer wieder im Gespräch. Zum Beispiel wurde für eine anfällige Co-Produktion mit Österreich die Rolle von Chris mit Xaver Hutter besetzt, in Deutschland dann mit Stipe Erceg. In der Schweiz war es Anatole Taubman, in Deutschland dann wieder August Diehl. Und so geht es dann mit allen Rollen und Positionen. Eine Co-Produktion beinhaltet genau diese Verwandlungen. Die sind nicht immer ganz einfach und fair. So konnte ich langjährige Weggefährten am Ende dann auch nicht mit auf die Produktion nehmen, weil die Position im Ausland besetzt werden musste.
Mit Nils Althaus war es Glück im Unglück. Wir mussten mitten in den Vorbereitungen die Produktion noch einmal 3 Monate verschieben und dadurch schloss sich das Zeitfenster von Dominique Jann, einem unserer langjährigen Weggefährten. Er war einer der wenigen Cast-Mitglieder die immer gesetzt war, aber er hatte am Züricher Schauspielhaus ein sicheres Engagement für „Clockwerk Orange“ unterschrieben und konnte daher nicht mehr mitmachen. Nils war dann sehr schnell im Gespräch und nach einigen wenigen Treffen war klar, dass er der Richtige für die Besetzung war.
Aber auch er hatte noch ein zweites Engagement bei „Die Räuberinnen“, und er wollte auch beide Filme machen und so wurde unser Drehplan um ihn herum gebaut. Nils drehte also zwei Filme zur gleichen Zeit. Mir war es egal wenn er müde und kaputt war, denn genau das spielt er auch im Film.
Wie haben Sie mit den Darstellern gearbeitet? Wie viel der Charaktere war bereits im Drehbuch angelegt? Oder haben Sie den Darstellern eher viel Freiheit gelassen sich in ihrer Rolle zu entwickeln?
Es war eine sehr intensive Zusammenarbeit, denn jeder in diesem Ensemble suchte anfänglich seine Position. Roger, respektive Nils Althaus, war immer die Hauptfigur unserer Geschichte. Roger ist im Film sehr passiv und Chris,
Stipe Erceg, läuft ständig Gefahr die Führung zu übernehmen. Mittendrin sitzt dann noch Lisa, Lena Dörrie, die immer in diesem Gefüge ihren Platz behaupten musste.
Dieses Problem war mir aber von Anfang an her bewusst und ich wollte diese Positionen im Vorfeld klären. Vor den Dreharbeiten konnten wir eine ganze Woche zusammenarbeiten und proben. Jeder der Schauspieler brachte seine Vision der Rolle ein, ich wog ihre Vorschläge ab und entschied dann wie sie es spielen sollten. Durch diesen offenen Dialog erreichte ich, dass sich Lena, Nils und Stipe mit ihren Figuren voll identifizierten. Lena rief mich sogar nach den Proben aus dem Zug an und rezitierte Textpassage die sie anders sprechen wollte oder kam mit der Idee hervor Roger im Film zu küssen. Stipe hinterfragte jeden seiner Sätze und brachte auch immer wieder Gegenvorschläge um seine Figur noch besser zu gestalten.
Das waren magische Momente. Um die Dialoge so authentisch wie möglich zu gestalten, haben wir jeden Satz vom Film noch einmal zusammen überarbeitet. Ich wusste was die Dialoge aussagen sollten, aber Lena, Nils und Stipe wussten am besten wie sie es in ihren Worten sagen würden. Hinzu kam auch der Mix aus Schweizer Dialekt und Hochdeutsch.
Wir hielten alle Details genau fest und konnten am Set dann gezielt am Schauspiel feilen. Meine Drehzeit war sehr eingeschränkt und in den Proben haben wir versucht alle Fragen im Vorfeld zu beantworten. Natürlich hätte ich sehr gerne mehr mit meinen Schauspielern improvisiert, aber das liess sich nicht mit unserem Budget vereinbaren. Durch diese engen Vorgaben, sehr schnell arbeiten zu müssen, waren die Schauspieler immer direkt parat. Tatsache war, dass sie nicht erst zwei Takes zum aufwärmen bekamen, sondern wir drehten häufig nur zwei Takes. Ihre Leistung wäre nie abgefragt worden, wenn sie nicht bereit gewesen wären und das hätten sich diese guten Schauspieler nicht nehmen lassen wollen.
Wie würden Sie Roger im Vergleich zu Chris charakterisieren?
Roger ist der verlassene illusionslose Loner. Chris ist der charismatische Hassadeur. Roger wird von Chris anfänglich mitgerissen und dadurch wieder ins Leben geführt, das Chris gerade verliert.
Was war für Sie die größte Herausforderung bei den Dreharbeiten?
Die größte Herausforderung beim Drehen war die sehr kurze Drehzeit und die vielen Locations. Wir mussten sehr gut vorbereitet an die Drehorte kommen um schnell zum Ziel zu kommen. Am Drehtag an dem wir den Jaguar verschrotteten, mussten wir noch die Schlussszene und den Förster im Wald drehen. Der Unfall wurde mit vier Kameras gedreht und die Vorbereitungen dauerten viel länger als kalkuliert.
Dann kam die emotionale Schlussszene am Autowrack und wir handelten uns noch eine weitere Stunde Verspätung ein. Es begann einzudunkeln und wir hatten die ganze Szene mit dem Förster noch zu drehen. Sieben Set-Ups, etwa zwei Stunden Zeitaufwand und wir hatten vielleicht noch 20 Minuten Licht. Mit Pascal Rémond hatte ich einen Kameramann, der sehr erfahren war und ein Spezialist in Autowerbung ist. Wir entschieden uns die ganze Szene aus dem Kofferraum unseres Crewbusses zu drehen, alles in einem Take in Schleichfahrt durch den Wald. Es hat geklappt, drei Takes und einen weiteren magischen Moment.
Haben Sie sich bei Ihrer Inszenierung an bestimmten Vorbildern orientiert?
Ich habe mich bei der Inszenierung nicht bewusst an Vorbildern orientiert. Vielmehr habe ich meine Erfahrungen als Editor genutzt und im Kopf die Szene schon einmal vorgeschnitten. Dann gebe ich den Raum für die Schauspieler frei und sie spielen die Szene am Set vor. Anschließend gehe ich mit meiner Auflösung an die Szene heran und diskutiere diese mit meinem Kameramann.
Dann beginnen wir zu drehen und wenn mich etwas vom Monitor ablenkt weiß ich, dass spätestens an dieser Stelle der Schnitt fallen wird. Es kommt natürlich vor, dass mich das Spiel so bannt, dass ich den Take länger laufen lasse als ursprünglich angedacht und dann entsteht Magie. Ich liebe auch Outtakes, auf die ich dann gerne im weiteren Verlauf der Szene Rücksicht nehme. Wenn diese Arbeitsweise nun nach einem bestimmten Vorbild ist, dann ist es mir nicht bewusst.
Was für ein Publikum möchten Sie mit Im Sog der Nacht erreichen?
Im Sog der Nacht ist ein dunkler Film, mit dem ich die Zuschauer emotional auf eine Reise mitnehmen möchte. Roger ist ein Symbol für die illusionslose Gesellschaft, die nahe am Abgrund steht. Viele Menschen warten auf einen Chris, der sie mitreißt und dazu bewegt, aus ihrer Lethargie aufzuwachen. Wenn sich diese Figur nun als Drache entpuppt, dann ist das Drama unabwendbar. Im Sog der Nacht ist also eine Momentaufnahme einer hoffnungslosen Situation und auch Generation. Diese Geschichte spricht genauso junge Erwachsene an, wie auch ein Arthaus angehauchtes Publikum zwischen 30 und 45 Jahren.
Sie sind in Bonn geboren, leben aber nun seit vielen Jahren in der Schweiz – würden Sie sagen, das reflektiert sich auch in Ihrer Arbeit als Regisseur? Und Im Sog der Nacht im Besonderen?
Als ich in die Schweiz kam waren wir Deutschen noch eine Minderheit, heute sind wir die größte Ausländergruppe, noch vor den Italienern, Türken und Portugiesen. Ich bin in Bad Godesberg geboren, in der früheren Bundeshauptstadt der BRD. Wir lebten mitten zwischen den Diplomaten und Polizisten. Wir waren es von Kindesbeinen an gewohnt mit fremden Kulturen und Religionen zusammenzuleben. Es war ein kleiner Mikrokosmos, indem wir aufwuchsen.
In der Schweiz oute ich mich allein durch meine Sprache als Ausländer. Das in so einem kleinen Land vier Sprachen gesprochen werden und es allein im Deutschschweizer Dialekt über 70 Unterdialekte gibt, war mir bei meiner Übersiedlung nicht bewusst. Das Schweizerdeutsch ist eine lebendige, aktive Sprache und keine „Almöhi Sprache.“ Diese Tatsache fließt in die Originalfassung von Im Sog der Nacht ein. Die Dialekte werden gemischt und natürlich miteinander kombiniert.
Markus Welter, im Januar 2009
Quelle: Mit Material von Falcom