Snow: Interview mit Aida Begic

08.04.2009 - 08:46 UhrVor 13 Jahren aktualisiert
Aida Begic
Mitosfilm
Aida Begic
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Die bosnische Filmemacherin über ihren Debüt-Film und ihre Heimat.

Die Regisseurin Aida Begic wurde 1976 in Sarajevo geboren und setzt sich in ihrem Kino-Debüt Snow mit der Nachkriegsrealität Bosniens auseinander. Hier spricht sie über ihren Film und über das Land in dem er spielt.

Wir haben während zwei Jahren gesucht, haben uns in ganz Bosnien umgesehen. Wir hatten nicht genügend Geld, um ein Dorf nachzubauen und die meisten bosnischen Dorfruinen sind vermint, es ist extrem gefährlich und also unmöglich, dort zu drehen. Schliesslich wurden wir im Osten fündig, in einer Gegend, die die schlimmste ethnische Säuberung und einen brutalen Genozid erlebt hat. Wir fanden dieses Dorf, das eine ähnliche Geschichte hatte wie die unsrige im Film, es war unglaublich, und dieser Realitätsbezug hat das Team getragen.

Es gibt nicht eine einzige und richtige Erklärung der Nachkriegssituation in Bosnien. Die Situation ruft viele Fragen hervor und hat wenig Antworten parat. Unser Ziel war es also, die Probleme aufzuzeigen und die Möglichkeiten, in Bosnien zu leben. An einem einzigen Tag kann man durch völlige gegensätzliche Gefühle gehen. Am Morgen denkt man, man müsse dieses Land verlassen, weil alles so schrecklich ist, am Nachmittag realisiert man, dass man so stark verwurzelt ist, dass man nirgendwo anders leben könnte. Es ist sehr komplex und sehr kontrastreich. Diese Zerrissenheit trägt zu einer allgemeinen Anspannung bei. Jede Person in Bosnien könnte Thema des Filmes sein. Deshalb haben wir versucht, uns ernsthaft mit den Figuren auseinanderzusetzen und ihnen nicht nur eine Dimension zu geben.

Snow ist auch eine Geschichte über die Globalisierung, weil wir alle, die wir in Europa leben, diesem Dilemma tagtäglich ausgesetzt sind. Sollen Sie ein Angebot annehmen, um die materielle Seite Ihres Lebens zu stabilisieren, dabei aber Ihre Seele verkaufen? Sollen Sie Ihre eigenen Träume leben, ganz im Wissen, dass sie sich in Albträume verwandeln könnten? Das sind Fragen, die sich heute jeder Europäer, ja jeder Weltbewohner stellt. In diesem Sinn bietet Almas Reaktion auf das Angebot der Männer eine mögliche Antwort auf die Frage, wie man seine Identität in der kapitalistischen, materialistischen und unerbittlichen Welt, in der wir leben, bewahren kann. Wenn wir dem nichts entgegenzusetzen haben, werden wir nur noch ein lächerliches Rädchen sein in einer stumpfen Maschine, die uns und alles, was dem Leben Sinn gibt, zerstören wird.

Bosnien ist ein idealer Ort, um europäisches oder internationales Geld zu waschen. Es gibt einen Schwarzmarkt, enorme Korruption und viele Ausländer, die in solche Machenschaften verwickelt sind. Andererseits weiss der Serbe, dass die Frauen Zeuginnen der Verbrechen im Dorf wurden. Selbst wenn niemand je entdeckt, dass er im Krieg mit Morden zu tun hatte, werden ihn diese Frauen immer daran erinnern. Seine versteckte Absicht ist also, sie loszuwerden. Das Programm der Rückführung der Einwohner in der heutigen Republik Srpska im Osten Bosniens, das vorsieht, im Krieg verjagte Moslems und Kroaten zu repatriieren, ist ein totaler Misserfolg. Sobald sie kommen, werden sie beschimpft, bedroht und verfolgt. Niemand will, dass sie zurückkehren.

Snow ist der einzige Film, der letztes Jahr in Bosnien produziert wurde. Es entstehen zwar nur wenige Filme, aber darunter sind sehr schöne und erfolgreiche. Der Erfolg meiner KollegInnen hilft mir viel bei der Präsentation in Cannes und der Grosse Preis der Kritikerwoche hilft wiederum ihnen. Wir sind eine kleine Gemeinschaft in Sarajevo und funktionieren eigentlich sehr gut. Es wird sehr wenig staatliches Geld für die verschiedenen Projekte gesprochen. Wir kennen uns, unterhalten uns über unsere Projekte, arbeiten zusammen. Mein erster Assistent war ein Studienkollege, er dreht jetzt einen Kurzfilm. Ich kenne auch kroatische und serbische FilmemacherInnen, deren Arbeit ich sehr schätze. Wir sprechen von denselben regionalen Herausforderungen und wir machen auch Koproduktionen. Die Laborarbeiten zu meinem letzten Kurzfilm beispielsweise wurden in Kroatien gemacht. In den Drehteams sind auch Serben, in meinem Film war die Kostümbildnerin Slowenin. Wir kooperieren alle.

(Quelle: Mitosfilm)

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