The Leftovers - Wir schauen Staffel 3, Folge 4

09.05.2017 - 10:10 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
The Leftovers - Kevin Garvey (Justin Theroux) sieht wieder Tote.
HBO
The Leftovers - Kevin Garvey (Justin Theroux) sieht wieder Tote.
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Halbzeit bei der finalen Staffel von The Leftovers. Vier Episoden vor dem Ende der Serie reisen Nora und Kevin mit unterschiedlichen Zielen nach Australien. Das Unterfangen stellt sich für beide sowie für ihre Beziehung als katastrophal heraus.

Bereits die ersten Worte der Episode G'Day Melbourne rücken den zentralen Konflikt der Staffel direkt in den Vordergrund. "Are you two together?", fragt eine Mitarbeiterin des Flughafens Kevin und Nora. Diese alltägliche Frage ist für The Leftovers typisch bedeutungsschwanger. Natürlich reisen Kevin (Justin Theroux) und Nora, gegen den gesunden Menschenverstand, gemeinsam nach Australien. Aber wirklich zusammen sind die beiden Partner schon lange nicht mehr. Sie waren schon immer ein ungleiches Team, doch zu diesem Zeitpunkt sind beide eigentlich auf sich alleine gestellt. Sie, die kontinuierlich verhinderte Mutter, greift verzweifelt nach der letzten Chance, irgendwie erneut mit ihren Kindern vereint zu sein. Und er, der suizidale Mann mit einer gravierenden psychologischen Erkrankung, folgt der letzten Verbindung zum Leben, die er hat. Beide verbindet trotz dem Happy End im Finale der 2. Staffel außer einer körperlichen Anziehung nicht mehr viel. Da ist die Katastrophe natürlich vorprogrammiert.

Sobald das Paar in Melbourne im Hotel angekommen ist, trennen sich ihre Wege auch schon bis zum Ende der Episode. Kevins Psyche bricht auf sich allein gestellt sofort ein. Im Hintergrund einer Fernsehsendung entdeckt er Evie Murphy und sofort begibt er sich auf den Weg zu ihr. Tatsächlich kann er sie noch erreichen, doch die junge Frau spricht mit ausländischem Akzent und scheint zum Islam konvertiert. Doch es ist Evie Murphy. Oder ein Zwilling. Kevin drängt sich ihr auf und wird von einem anderen Mann zurückgehalten. Er muss mit einem blauen Auge davongehen, konnte zuvor jedoch ein Foto mit dem Handy schießen. Und siehe da, es ist tatsächlich Evie Murphy! Könnte dies ein Beweis für Kevins Hotelaufenthalt sein? Sofort ruft er seine Exfrau Laurie an, um so John vom magischen Überleben seiner Tochter zu berichten. Trotz Lauries Bitten sucht er Evie wieder auf, die unter dem Namen Daniah Moabizzi in der Stadtbibliothek arbeitet. Dort angekommen, offenbart sich zunächst Evie: Sie ist weggelaufen, weil sie nicht mehr an das Konzept der Familie glaubt. Auch Kevin fühlt in Wahrheit so, meint sie; wieso sonst hätte er sprunghaft sein ganzes Familienleben und seine Verantwortung in Jarden gelassen?

Doch dann kommt der Twist. Die Frau ist nicht Evie Murphy, sie ist tatsächlich Daniah Moabizzi. Kevin hat in ihr nur Evie gesehen, weil er ihre Beweggründe verstehen konnte. Laurie erklärt ihm am Telefon, dass er wieder eine Psychose durchleidet. Seine Krankheit ist wieder mit voller Kraft zurückgekehrt und nur das Mitspielen der anderen hat ihn teilweise retten können, nicht noch tiefer abzudriften. Kevin realisiert, dass er keinen Schritt weiter ist. Er sieht erneut tote Menschen, irrt durch fremde Gebiete, verletzt sich dabei und sucht verzweifelt nach Antworten, die ihm keiner geben kann. Eines der beständigsten und zutreffendsten Themen in The Leftovers ist, dass nichts im Leben einfach so beendet wird. Weder Trauer, noch Depression oder psychische Krankheiten. Niemand trauert nur bis zu einem gewissen Punkt oder beendet psychische Erkrankungen von jetzt auf gleich. Stattdessen kommen die Probleme in Wellen oft wieder. Es ergibt sich ein lebenslanges, perfides Spiel aus Ebbe und Flut und gerade jetzt herrscht bei Kevin Hochwasser.

Nora ergeht es derweil nicht besser. Sie vermag vielleicht äußerlich noch als emotional gefestigt erscheinen und sie kann sich auch durchringen, erleidet in dieser Folge jedoch den finalen Schlag, der sie auf den Boden schickt – K.O. Ihr Treffen mit den Wissenschaftlerinnen, die sie möglicherweise zum Ort der Verschwundenen bringen können, verläuft katastrophal. Nachdem sie mehrere Tests erfolgreich durchläuft, wird ihr eine uns bereits bekannte Frage stellt: Würde sie den Tod eines Babys billigen, wenn im Gegenzug der Zwilling des Opfers Krebs heilen wird. Nora zögert. Stirbt das Baby qualvoll oder eher schnell und human? Muss sie es selbst umbringen oder nur den Tod absegnen? Handelt es sich bei den Babys um ihre eigenen Kinder? Schlussendlich knickt sie ein. Ja, okay, das Baby soll sterben. Immerhin sterben täglich Babys und im Umkehrschluss wird Krebs geheilt? Eine für sie naheliegende Entscheidung. Doch auch ihre Antwort ist falsch. Oder zumindest nicht die richtige, immerhin wissen wir bereits aus Crazy Whitefella Thinking, dass auch die Rettung des Babys nicht zur Aufnahme in das Programm führt.

Das Dilemma wirft natürlich etliche moralische und philosophische Gedankenspiele sowie Fragen zum Auswahlprozess der Doktoren auf. Handelt und denkt die Person utilitaristisch oder nihilistisch? Kann es eine gute Antwort geben? Geht es eher um die Begründung, die Nora anbietet, oder um das Gespräch über die Frage selbst? Gibt es überhaupt eine Antwort, die zum nächsten Schritt führt, oder ist dies nur ein weiterer Test, um den Willen der Bewerber zu überprüfen? Es gibt einige Anzeichen dafür, dass Nora gewisse Sachen sagt, die womöglich ins Schwarze treffen, schließlich hört ab einem gewissen Zeitpunkt selbst die so distanzierte Zweiflerin des Doktorduos gespannt zu. Aber wie auch immer, die Wissenschaftler brechen das Gespräch direkt ab und verabschieden sich abrupt. Nora bricht zusammen und flüchtet in ihr Hotelzimmer.

The Leftovers treibt das Spiel hier auf die Spitze. Der Zuschauer soll die Frustration mit Nora mitfühlen können, doch Antworten wird er wie auch die Hauptfigur wohl nicht erhalten. Bisher war es nie die Intention der Serie, sich in die eine oder andere Richtung zu lehnen. Kevins Schusswunde aus dem Finale der 2. Staffel zum Beispiel könnte ein Todesurteil sein, doch er hätte die Verletzung auch auf natürlichem Weg überleben können. Dafür muss er gar nicht der neue Jesus sein. Damon Lindelof und Autoren sind in Interviews stets bemüht, darauf hinzuweisen, dass die Serie Indizien sowohl für die eine als auch die andere Richtung gibt, Wissenschaft oder Glaube, dann aber jedoch die Figuren entscheiden lässt. Diese erkennen im Chaos ihre eigenen Muster, die durchaus beliebig wirken können. Aber da dies so ein natürlich existenzieller, tief menschlicher Reflex ist, ruft dies Empathie hervor – selbst wenn wir uns anders entscheiden würden, wir (er)kennen das Leid nur zu gut. Und so spielt es keine wirkliche Rolle, wie und ob man die Frage beantwortet. Die Frustration, so nahe an der möglichen Lösung zu sein und trotzdem nicht weiterzukommen, steht im Vordergrund.

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