Vor 30 Jahren: Action-Neuling am engsten Ort der Welt

"Chuck Norris hat Jean-Claude Van Damme erschaffen." Was nach einem Witz klingt, ist im Endeffekt Wirklichkeit. Der 1982 in die USA eingereiste Jean-Claude Camille François Van Varenberg arbeitete dort zeitweilig als Türsteher in einem Nachtclub, der Dianne Hochelek  gehörte, damals Ehefrau des Actions-Stars Chuck Norris. Nachdem dieser den gebürtigen Belgier entdeckte, engagierte er ihn 1984 als Stuntman für Missing in Action. Seine erste größere Rolle folgte zwei Jahre später in Karate Tiger unter dem Künstlernamen Jean-Claude Van Damme. Darin gab er nur den Gegenspieler, trotzdem würde er auf späteren VHS-Kasseten einmal quer über das Cover prangen. Für die nächste nahende Antagonisten-Rolle als ein gewisser "Predator" fehlten ihm einige Dezimeter an Körpergröße und so sollte der große Durchbruch noch auf sich warten lassen. Das nächste Projekt Bloodsport brachte nicht nur besagten Weltruhm, es hält auch einen finsteren Teil der Geschichte Hongkongs auf wenigen Zelluloid-Bildern fest.

Menschlicher Bienenstock

99 Jahre lang pachtete Großbritannien das Gebiet Hongkongs. Nicht dazu gehörte ein kleiner chinesischer Außenposten auf der Halbinsel Kowloon, der somit weder dem Vereinigten Königreich gehörte, noch an China grenzte. Die Frage, wer dieses Gebiet verwalten darf, wich nach 1945 der Frage, wer es verwalten soll. Auf einmal befand sich inmitten von Hongkong ein Gebiet von 220 Metern Länge und 130 Metern Breite ohne Zuständigkeit, das geradezu als rechtsfreier Raum fungierte. Verschiedenste Interessen schielten auf jenen Ort, an dem nun immer mehr Häuserchen für Arme, sich Versteckende, für "Wen-auch-immer" entstanden. Die "Ummauerte Stadt" Hak Nam stampfte sich selbst aus dem Boden, würde bald Faszinosum und Slum zugleich sein. Die Gebäude wurden bis zu den 80ern auf teilweise 14 Etagen  aufgestockt; aus den vielen Bauten war 1 einziger, gigantischer Gebäudeklops geworden, ohne Straßen, ohne Licht, mit katastrophalen hygienischen Zuständen und - den "Triaden " im Inneren. Jene Untergrundorganisation kontrollierte das Leben in der "Stadt der Dunkelheit", führte viele der zahlreichen Bewohner an Heroin heran. "Zahlreiche Bewohner", das bedeutet 33.000 Menschen, die hier 1987 gelebt haben sollen, konzentriert auf einer Fläche von nicht einmal 3 Hektar. Doch neben Armut und Krankheit einerseits, florierten Handarbeit und Arztpraxen andererseits, gab es ein Gemeindezentrum und Kinder spielten auf den Dächern. Von dort sah man stündlich die Flugzeuge auf dem wenige Schritte entfernt liegenden Flughafen Kai Tak  starten und landen.

Besuch von den "Muscles from Brussels"

"Eine wahre Geschichte" lautet die Tagline zu Bloodsport, obwohl möglicherweise kaum ein Film diesen Titel weniger verdient hat. Ein gewisser Frank Dux war eines Tages auf den Hollywood-Drehbuchautoren Sheldon Lettich zugekommen und berichtete von einem geheimen Hongkonger Martial-Arts-Turnier namens "The Kumite ". Mehr noch, Dux sei der dickste Fisch dieser Szene, ungeschlagen und im Auftrag von CIA und US-Militär  unterwegs. Die selbst- oder eben nicht-selbsternannte Kampfsportlegende habe mit der Kumite-Teilnahme ursprünglich nur die Triaden infiltrieren wollen und wurde unverhofft Turniersieger. Es folgten noch mehr Stories - Lettich würde diese später als kompletten "Bullshit" identifizieren. Ein Freund Dux' bestätigte jedoch die Geschichte über das "Kumite". Ob die Heldenerzählung nun stimmte, war auch erstmal nicht so wichtig - Für einen unterhaltsamen Film wäre der Stoff allemal ausreichend und mit Jean-Claude Van Damme stand schon ein passender Hauptdarsteller bereit. Hinzu kamen Bolo Yeung (Der Mann mit der Todeskralle), der Basketballer Donald Gibb und Forest Whitaker. Bloodsport wurde in Angriff genommen, ein Film über das spektakulärste und geheimste Martial-Arts-Event der Welt! Der pfiffigste Einfall der Macher um Regisseur Newt Arnold war wohl die Platzierung des Geschehens hinein in die "Ummauerte Stadt". Im Herzen von Hak Nam - mit dieser Vorstellung spielt der Film - gäbe es eine geheime Kampfarena. Wurden spektakuläre Fights im Studio gedreht, so gibt es immerhin zwei Szenen, die Van Damme inmitten der realen, dreckigen Gänge zeigen, deren Dunkelheit nur durch einige lichtdurchflutete Geschäfte durchbrochen wird. Neben Bloodsport existiert nur ein Spielfilm, der Hak Nam leibhaftig zeigt. Bereits 1984 drehte Johnny Mak den Film Long Arm Of The Law an jenem Ort, dessen Bevölkerungsdichte je Quadratkilometer die Millionengrenze längst überschritten hatte. Fantasie-Städte in Computerspielen, Filmen und anderen Bereichen der Popkultur bezogen später ihre Inspiration aus Hak Nams eigenwilliger Architektur, mit dabei: Batman Begins von Christopher Nolan.

Unterschiedliche Schicksale

Tatsächlich war Frank Dux am Dreh von Bloodsport nicht unbeteiligt, choreographierte und vollführte Stunts. Hielten Dux und der inzwischen zum Star aufgestiegene Van Damme zunächst regen Kontakt, so gab es bald große Zerwürfnisse. Die gemeinsame Auflistung als Drehbuchautoren zum Film The Quest (1996) verschleiert ihren zähen Rechtsstreit um dessen Urheberschaft. Als Van Dammes Stern ab Mitte der 90er zu sinken begann, war von einem Frank Dux längst keine Rede mehr. Doch welche Rede überhaupt? 2012 postulierte Sheldon Lettich, neben den vielen unsinnigen Erzählungen des scheinbar dahergelaufenen Schaumschlägers Dux sei auch seine Teilnahme am Kumite-Turnier frei erfunden , so, wie das gesamte Kumite ein reines Hirngespinst  sei. Dem Renommee des Films tat das keinen Abbruch. Bloodsport mag die denkbar banale Geschichte eines inzwischen leicht angestaubten Auf-die-Mütze-Schinkens erzählen. Als klassischer Genre-Film beworben, konserviert er jedoch ein noch heute faszinierendes Stück asiatischer Geschichte. 1993 wurde die "Ummauerte Stadt" abgerissen.