Warum ihr bei einem Kinofilm niemals mittendrin rausgehen solltet

25.09.2018 - 08:25 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Dramatisierung: Die Autorin schwadroniert über die Kino-Etikette
Warner Bros.
Dramatisierung: Die Autorin schwadroniert über die Kino-Etikette
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Egal wie langweilig, egal wie schlecht, egal wie beleidigend der Film, ihr solltet nicht mittendrin rausgehen. Ein Plädoyer für das unterschätzte Sitzfleisch im Kino.

Gleich hinter den größten Monstern der Geschichte und Leuten, die auf Rolltreppen links stehen, rangieren Kinobesucher, die während des Films rausgehen. Während ihre Sitznachbarn Zeit und Geld investiert haben, um ungestört von der Außenwelt ins Geschehen auf der Leinwand eingesaugt zu werden, drängen sich diese Besucher rücksichtslos in die wunderbare Intimität hinein. Sie treten einem auf die Füße, während Ryan Gosling und Emma Stone zum ersten Mal gemeinsam tanzen oder verstellen den Blick, wenn in einem Christopher Nolan-Thriller ein entscheidendes Details der Geschichte erklärt wird. Ein absolutes No-Ähem-Go! Anlässlich der Suche nach Deutschlands Lieblingskino 2018, für das ihr weiter unten abstimmen könnt, möchte ich eine Lanze fürs Sitzenbleiben im Kino brechen.

Denkt im Kino an eure Mitmenschen!

Um was für ein Rausgehen geht es hier eigentlich? Um so gut wie jede Art davon! Sicherlich, wenn euer Mittagessen bei der Landungssequenz von Der Soldat James Ryan in die Freiheit drängt oder eure Blase drauf und dran ist, eine Michael Bay-Explosion zu imitieren, dann solltet ihr das Wohl eurer Sitznachbarn abwägen: eine körperliche Entgleisung in aller Öffentlichkeit vs. eine möglichst kurze Störung - Ausnahmen können gemacht werden, keine Frage. Aber nur in Extremfällen. Ansonsten gilt für potenzielle biologische Bedrängnisse im Kinosaal: Plant voraus! Managt euren Wasserhaushalt! Verteilt euren halben Liter Süßgetränk über die 100 Minuten Laufzeit, anstatt alles während den Trailern wegzuschlürfen. Seid altruistisch, teilt mit euren Freunden! Und wenn eure Blase notorisch die weiße Fahne reckt, dann lernt aus der Geschichte: Zieht einen Sitzplatz im Gang oder am Rand in Betracht, anstatt den Stör-Radius noch zu vergrößern, in dem ihr euch genau in die Mitte einer Reihe setzt.

Visualisierung: Der gefesselte Zuschauer, kurz bevor jemand auf dem Weg zur Toilette vorbeistolpert.

Wenn euch das Leid der anderen nicht aus eurer rücksichtslosen Trance weckt, dann denkt an euch selbst und die Euros, die ihr für dieses Kinoticket bezahlt habt. Ich habe es schon so oft erlebt, das Mitbesucher wenige Sekunden vor den entscheidenden Wendungen in die Toilettenpause gestolpert sind. Nur weil es so aussieht, als würde ein längerer Dialog seinen Lauf nehmen, ist noch nicht ausgeschlossen, dass sich unvermittelt die beste Actionszene des Films anschließt oder eine Offenbarung, die alles auf den Kopf stellt, oder eine bewegende Liebesbekundung. Eine sonderbare, aber hilfreiche Empfehlung: Lasst euch von der Angst leiten: der Angst was zu verpassen!

Der Film wird vielleicht nicht besser - aber wenigstens könnt ihr was dazu sagen

Bislang drehten sich diese eminent wichtigen Ausführungen vor allem um körperliche Bedrängnisse, die disziplinlose Seelen dazu bringen könnten, einen Kinosaal mitten im Film zu verlassen. Es gibt jedoch auch den Sonderfall: Besucher, die auf Dauer aus einem Film gehen. Vielleicht weil sie ein Notfall in die Ferne zieht (wie gesagt, Ausnahmen sind durchaus akzeptabel), im schlimmsten Fall aber, weil sie den Film furchtbar finden. Bei Festivals, wo man per Akkreditierung quasi eine Kino-Flatrate hat, ist das besonders schlimm, doch auch bei normalen Vorstellungen kann es passieren.

Kino: Wertvoll verbrachte Lebenszeit selbst bei einem schrecklichen Film

An dieser Stelle ein Geständnis: Auch ich habe mal einen Film mittendrin verlassen, weil er mich angewidert hat. Es begab sich im März 2001 in einem Multiplex in Gera, Thüringen. Ich war vierzehn, es war ein Kinderfilmfestival, der Film hieß Die grüne Wolke. Ich bereue diesen Schandfleck in meiner Biografie noch immer, aber immerhin saß ich am Rand auf der Treppe. Ja, daran erinnere ich mich. Es ist der seidene Faden meiner Selbstachtung.

Jeder Film kann sich nämlich zu jedem Zeitpunkt um 180 Grad wenden. Er kann unsere Erwartungen unterlaufen oder nach Hundert Minuten Langeweile in Minute 101 zu überraschender Größe, Spannung, Witz finden. Freier Wille des Menschen hin oder her, ins Kino gehen, heißt einen Vertrag abschließen. Es heißt sich ausliefern für ein paar Stunden, es heißt aufnehmen, verarbeiten, positionieren zu dem, was sich da auf der Leinwand abspielt. Und selbst wenn es bei 121 Minuten unglaubwürdiger Twists, einschläfernder Exposition und einfallsloser Inszenierung bleibt, selbst wenn die Darsteller in einem Musical weder vernünftig singen noch tanzen können: Ihr habt es durchgestanden, ihr könnt davon künden. Wer mittendrin rausgeht, dem bleibt das verwehrt.

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Seid ihr schon mal aus einem Kinofilm geflüchtet und wenn ja, wie könnt ihr nur!?

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