alex023 - Kommentare

Alle Kommentare von alex023

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    alex023 27.03.2016, 13:53 Geändert 27.03.2016, 17:47

    Weshalb Musik so großartig ist

    In langen Sommernächten vertrieben wir uns die Zeit gerne auf den ohnehin nicht benutzten Straßen inmitten der Felder. Denn wenn man zwar tief im Westen, aber nicht direkt im Kohlestaub, aufwächst, schläft das Dorf erstaunlich früh ein. So kam es mir damals bei Reisen in größere Städte inklusive Übernachtungen immer so seltsam vor, die ganze Nacht über mit Lärm beschallt zu werden; aber man gewöhnt sich halt daran. Mit dem Rücken auf dem noch vom Tag warmen Asphalt liegend stießen wir mit lauwarmem, schlechtem Bier an und verfielen bald in lautes Singen (mehr: Grölen) von alten und neuen Kassenschlagern. Auf dem Land hört dich keiner schreien, aber auch nicht singen. Oft waren wir soweit vom nächsten Haus entfernt, dass es einfach niemand mitbekommen konnte. Deshalb drehten damals auch alle hin und wieder mal komplett durch und niemanden interessierte es. Unser Aufgebot an Recht und Ordnung bestand aus dem einen netten, dicklichen Herrn, der Donnerstagmittags immer über den Wochenmarkt schlenderte, mit dem ein oder anderen ein Plausch hielt und sich dann an seinem Fischbrötchen erfreute.

    Wir waren auch stets bemüht, beim allerersten warmen Sonnenstrahl den alten, verrosteten Grill von Papa in Beschlag zu nehmen und Billigfleisch vom Discounter draufzuschmeißen (shame; aber man hat eben nicht so viel Geld als junge Wilde und selbst das Bier im Angebot muss immer noch bezahlt werden.) Irgendjemand sorgt dann immer für die Musik und letztlich bleibt es immer an mir hängen, diese zu steuern. Denn wenn da anfänglich David Guetta und Avici dudeln, muss man doch eingreifen und dem Elend ein Ende setzen. Manche Leute müssen eben zu ihrem Glück gezwungen werden und auch wenn es nicht alle zugeben wollen: sie werden froh sein darüber, dass wir an diesen Abenden zu The Kinks, Simon & Garfunkel, Led Zeppelin und Co. lachten, tranken und mitwippten. Gegen The Smiths haben sie sich immer gewehrt, aber das ist auch immer eher eine private Unternehmung. So intim, der Morrissey. Die untergehende Sonne und schreiende Poesie in den Stimmen der Rockmusik versüßten die jugendliche Freiheit im gelösten Ambiente. Das erfährt man noch besser in den Momenten, in denen man am Feuer singt und gemeinsam zu Phil Collins das Luftschlagzeug bedient oder zur Melancholie von The Shins den Blick zum Horizont streifen lässt, während man am xten Bier nippt.

    Märchen einer malerischen Jugend, mag man meinen, aber die Songs, die wir hörten und die wir sangen, glorifizieren diese Momente im Nachhinein immer und immer mehr und immer weiter. Manche haben ihre Probleme mit der fehlenden Möglichkeit zur Rückkehr in diese Zeit, doch befinde ich mich immer noch darin; diese Momente sind die einzigen, in denen wir so nah wie möglich dran sind, echt zu sein. Denn das fällt, vor allem mir, einfach unfassbar schwierig. Man hangelt sich von Klischee zu Klischee und erfüllt oder erfüllt nicht die eigenen Erwartungen an das Leben, aber immer sind es irgendwie Konstruktionen aus der Breite der Popkultur, von Du-Musst-Jetzt-Floskeln bis zu Du-Sollst-Aber-Nicht-Phrasen. Diese Musik aber versprüht für den einen Augenblick so etwas wie Echtheit, in the great search for real feelings.
    Musik hat diese Fähigkeit. Sie gibt Halt, wo alles andere bricht und verschwindet. In den Tiefen der Nacht klammert man sich an gewohnte Töne und Melodien, weint ins Kissen voller Traurigkeit über alles und jeden, bis man sich zu den eingängigen Rhythmen wieder aufrappelt. Erwachsenwerden mit Musik ist auch Erinnerungenmachen und dem Niewiederentkommen.

    Wir haben nicht nur auf dem all-dreijährigen Schützenfest über zwei Stunden lang Hey Jude gesungen, gegrölt, geschrien – es ist in Mark und Bein übergegangen und gelegentlich wird es von uns mal wieder entfesselt. Man mag das immer so phrasendrescherisch von sich weg schleudern und meinen, dass Musik doch v e r b i n d e – aber ja, dem ist halt irgendwie so und das mag noch so cheesy klingen. Cheesy sind doch auch die Momente, in denen man sich bescheuert zu prostet und erst, nachdem man mit jedem angestoßen hat, trinken darf. Trotzdem machen das die Leute, weil sie irgendwie nach Halt suchen und sich an solchen Ritualen ergötzen können.

    Musik ist Lebensgefühl und jeder Song steht für eigene Strömungen und Erinnerungen und Momente und Tage und vergangene Jahre. Da passiert es auch gerne mal, dass man sich schwelgend an die schönen Tage im Sommer erinnert, die nicht wiederkommen; vielleicht nicht mal, weil man zu alt ist, was man nicht ist, sondern, weil man andere Wege eingeschlagen hat. Wenn der eine Freund, den man seit dem Kindergarten kannte, sich plötzlich nicht mehr meldete – und dann jahrelang von der Bildfläche verschwindet; man immer noch auf die Rückkehr wartet, vermutlich vergebens. Man verdrängt’s irgendwie. Da gibt’s auch die weniger harten Fälle, aber schon die neue Freundin kann die Freundschaft ruinieren – wenn er auf einmal sooft „keine Zeit“ mehr hat. Es passiert eben und man sollte nicht allzu lange in negativer Nostalgie schwelgen. Man kann sich auch erinnern an diesen einen Song, der alles besser macht; der die Träume verwirklicht für den Moment, selbst wenn er nicht zu hören ist. In meinem Kopf lief dieser alle Sehnsucht ausdrückende Song in der Nacht, als wir auf der Brücke saßen, mit dem billigen Dosenbier. Die Momentaufnahme, die nie verschwindet, auch wenn alles danach ganz und gar nicht rosig war, sondern immer mehr eher bedrückend und deine Gefühle schwindlig macht.

    Es ist das sanfte Knacken der Schallplatte, weil man ein Staubkorn übersehen hat. Dieser Charme, der vom Analogen letztlich ausgeht. Da wünscht man sich selbst manchmal zurück in eine Zeit, die man nur aus Erzählungen kennt. Ohne Internet, ohne Computer, CDs, Smartphones und unablässige Beschleunigung. Man möchte in die Romantisierung einer analogen, haptischen Zeit einkehren und dort in warmen Sommern die Einfachheit der jugendlichen Welt genießen. Manchmal mach ich mir einfach vor, als wäre ich dort. Das geht aber immer nur so lange gut, bis der nächste wieder sein Handy rauskramen muss, um zu checken, was gegen halb eins auf Facebook los ist. Mega wichtig.

    ALMOST FAMOUS ist ein Film, der die Fähigkeit besitzt, ähnlich wie die Musik, von der eher handelt, den Zuschauer in eine bestimmte Gefühlslage zu versetzen. Der Durst nach Freiheit, nach Jugendlichkeit, nach Sommer, nach Arme ausbreiten im milden Wind und das lautstarke Mitsingen der Lieblingssongs. Die Liebe zur Musik wird hier auf Zelluloid gebrannt. So, wie es selten ein Film schafft. Er ist selbst für sich das bestimmte Lebensgefühl, nachdem ich suche. Über all die Qualitäten, die schon mehrfach besprochen wurden, ist er imstande, die Unschuld und Freude einer Zeit zu zeigen, die nie wiederkommt. Fun Fact: ich hab den Film damals einfach mal angemacht gehabt, durch vermehrte Lobeshymnen angeregt, und war durch diesen Effekt des Films so gefangen, dass ich gar nicht realisiert habe, wie lang der doch eigentlich geht. Bis zu diesem Mal, als ich die Laufzeit auf der Hülle entdeckte. Und er hätte für mich auch noch viel länger gehen können.

    What d'you like 'bout music? - First of all: everything.

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    • Du hast erst diese Filme von Hitchcock gesehen?

      Psycho? The Birds? Vertigo?

      • Hab gestern mal reingeschaut. Ziemlich furchtbar.

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            Zwischen Ruinen ehemaliger Zuhause und überwucherten Straßen vegetieren bloß nur noch verlorene Seelen mit leeren Augen, ausgeträumten Träumen, verwaschenen Wünschen und einer selten gesehenen Traurigkeit, die alles umgibt, wie ein Schleier, der alles umhüllt, aber durchsichtig daherkommt. Brave, eintönige Akzeptanz paart sich mit wild gewordener Anarchie; einer Willkürlichkeit des Daseins, so zerstört und beraubt um des eigenen Wertes, dass die bloße Existenz nur noch zum Selbstzweck verkommt, ziellos verirren sich die Herzen in der matten Dunkelheit. In LOST RIVER ist alles metaphorisch zu verstehen – und dann auch wieder nicht. Spätkapitalismus und Gier rauben jede Wertigkeit aus dem Leben (aber spekuliert ruhig weiter, all hail the profit!), der Bänker versteht nur „bla bla“, weil er auf einem Ohr taub ist. Städte, Wohngegenden, Gemeinden wurden errichtet und dann zugrunde gerichtet, because the money’s gotta flow, man! Flammen lodern hoch in den Himmel und zerstören die letzten Überbleibsel. They’ve gone mad, man. Niemand hält sie auf, sie tun, was sie wollen und damit verletzen sie nur noch alle anderen (also, ich spreche von Bully und seinen Untertanen – nicht von den Bänkern und ihren Freunden, definitiv nicht). Nicht nur metaphorisch, sondern vielmehr sogar allegorisch zu verstehen. Es gefällt, wie der Film eine alternative Realität konstruiert und präsentiert, dabei jedoch so viel von der unsrigen (der von uns akzeptierten und geteilten) reflektiert. It’s bloody fun, playing with the blood. Ryan Gosling ist ein toller Film gelungen; einer, der unter die Haut geht und erschreckend sein wird, wenn jemandem die zu sehenden Umstände nicht vertraut sind. Seine Inszenierung ist höchst ästhetisch, für ein Regiedebüt wirklich hervorragend und dabei auf eine Art, wie es selten zu sehen ist (zumindest heutzutage).
            Ein schickes, schön-unschönes Horrormärchen.

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            • Schöner Artikel. Besonders der letzte Absatz, denn das ist mir durchaus schon passiert. Hab mal nachts noch irgendwas nebenbei bei Netflix schauen wollen und bin dabei auf "Alles Erlaubt - eine Woche ohne Regeln" gestoßen (völlig unwichtiger Film) und darf trotz der völligen Gleichgültigkeit meinerseits gegenüber der Existenz dieses Films froh sein, mich dazu entschieden zu haben, da ich so die großartige Band DEER TICK kennen lernen durfte, da deren "Art isn't real" (City of Sin) beim Filmanfang spielt.

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              • Okay, passt dann soweit. Geh mir heute Abend "Spotlight" anschauen, Leo hat ihn, ich geh schlafen. Bis nächstes Jahr. Oder so.

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                    • Dieser Black History Month-Gag - kann mir da jmd weiterhelfen?

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                        • Hat schon jemand gesagt, dass The Revenant unter TOUGH CONDITIONS gemacht wurde? Danke, Leo!

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                          • Pizza! Richtig! Da hab ich ja noch was zu erledigen.

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                              alex023 22.02.2016, 21:56 Geändert 22.02.2016, 23:20

                              Es ist doch irgendwie ansteckend und gerade diese Begierde nach dem „mehr“ im Leben verunsichert uns. Liebe – was ist das eigentlich? Jagt man nicht einem schrecklichen Hirngespinst nach, einer utopischen Konstruktion von Gefühlsaufwühlungen, die wir irgendwie benennen wollen und uns die moderne Gesellschaft dafür mit einem Wort dient? Nein. Doch. Ohh. Wer kann darauf schon etwas von Gehalt antworten?

                              „Just ‘cause some cute girl likes the same bizarro crap you do, that doesn’t make her your soul mate.“

                              Das merkt man aber immer viel zu spät, wenn man schon bis über beide Ohren verzückt und innerlich zerrissen ist.
                              In all meinem Zynismus, im Alltag zwischen dem nächsten sarkastischen Kommentar und der nächsten Ironisierung des Moments und der eigenen oder einer fremden Gefühlswelt (mich spricht die epische Breite dieses Wortes an), vergesse ich oft, dass ich eigentlich ein ziemlich hoffnungsloser Romantiker auf ziemlich verlorenem Posten bin. Mit der Liebe will’s eben einfach nicht so klappen und das hat mit ganz schön vielen Dingen zu tun, die absolut den Rahmen sprengen würden. Long story short: die meisten problematischen Widerstände beruhen auf individuellen Fehlkonstruktionen, geprägt durch jahrelange, viel zu intensive Anteilnahme an der amerikanischen, Hollywood’schen Kulturindustrie (um es mal mit Adornos Worten zu umschreiben; wir können uns da sowieso nicht behelfen).
                              Das Hirngespinst ist die Idee von einem Leben in Glückseligkeit, vermutlich nur erreicht durch die einzig wahre Liebe. Natürlich ist das Unsinn, aber sag das mal meinem der vermeintlichen Feststellung widersetzenden Herzen. Es will einfach nicht aufgeben! Das ist der wahre Schrecken!

                              Die wahre Stärke der Persönlichkeit (und natürlich bin ich mir all der Konstruktion von westlich-dualistischem Selbst vs. Außenwelt bewusst, aber wir leben in dieser geschaffenen Realität und müssen uns mit deren Strukturen auseinandersetzen, um nicht zu verzweifeln!) liegt in einer Fortsetzung des Glaubens an das, was wir so gerne mit Liebe umschreiben und daran, dass man irgendwann wieder erwischt wird, sich ehrfürchtig und sehnsüchtig dahinträumt und nicht will, dass es jemals aufhört. Wenn man auch nur irgendetwas anblickt, anhört oder bloß atmet und dort nur ihr Gesicht sieht, bis sie dich wieder mies behandelt und in deinen Gedanken nur noch kanalisierter Hass zurückbleibt.

                              Ach, diese Intensität von Emotionen in der Jugend ist dahingehend wieder so berauschend, dass man sich dagegen gar nicht wehren möchte. Wenn der Schmerz über Verlust oder Verpassen in versiffte Verzweiflung verfällt, wertschätzt man diesen starken Rausch natürlich mal so gar nicht. Aber dennoch: es ist immer wieder hinreißend zu erleben, wie jemand sich auf den ersten Metern einer zaghaften Verliebtheit mit funkelnden Augen gen Horizont wendet und von all den so komplexen, aber doch wunderschönen Gefühlen erzählt, die gerade so herumschwirren. Man realisiert als Außenstehender in diesem Moment, dass man irgendwie froh darüber ist, gerade nicht in dieser Situation zu sein, während man gleichzeitig von unheimlicher Traurigkeit erfasst wird, dass es man nicht in dieser Situation ist. Und natürlich flüchtet man sich dann wieder in den ach-so-geliebten Zynismus darüber, wie Liebe doch bloß ein von Menschen geschaffenes Konstrukt sei. Aber alles kommt und geht, nur die besondere Intensität bleibt. Ein Rausch, wie in einem Wimpernzucken ist alles wieder vorbei. Der Augenblick ist das ganze Leben. Die Gefühle, die man erlebt und hat, die sind nämlich (wie auch immer geartet) wirklich. Und ob das nun gut oder schlecht ist, muss man vielleicht gar nicht entscheiden, sondern es einfach tun. Die Konsequenzen kommen so oder so.

                              There is a light that never goes out.

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                                Aziz Ansari ist ein Kulturkenner. Er sieht und versteht Zusammenhänge und kritisiert in all seiner Subtilität (und ganz sanft) gesellschaftliche Zustände. Mit seiner Analyse des modernen urbanen Lebens junger Menschen besticht er vor allem durch seine überaus, kaum zu glaubende, unaufgeregte Aufmachung und Darstellung. Wo viele Serien eine bereits ausgebreitete Abzweigung nehmen, sich dem leichten Weg, dem bekannten und oberflächlich-witzigen (weil nur auf den plumpen Gag aus) Pfad hingeben, entdeckt MASTER OF NONE eine viel frischere, authentischere Möglichkeit. Die Frage nach dem „mehr“ in dem eigentlich so reichen und geschenkten Leben eines jedenfalls-nicht-finanziell-schwachen Menschen im sogenannten Westen der Zivilisation und die Sehnsucht nach dem subjektiv-persönlichen Sinngehalt in der eigenen Bedeutungslosigkeit. Ist dies das Ende? Ein Chaos von Fragen nach der Richtigkeit der eigenen Entscheidungen und darüber wie, wann, weshalb man diese trifft. Doch immer wieder zieht man sich aus der Verzweiflung, in dem man den Silberstreif am Horizont erkennt – ohne dass es dazu verkommt, nur auf so etwas hoffen zu müssen. Die Stärke der Serie liegt nicht bloß in seiner facettenreichen Kulturkritik (moderne Beziehungen/Liebe, Feminismus, Rassismus, Eltern und Großeltern, …; außerdem - Highlight: "Nashville"!), sondern vor allem in der Souveränität und dem Charme dieser Ausstrahlung; sowie der Kraft, sich so still, etwas heimlich und (wie erwähnt) so dermaßen unüblich unaufgeregt aus situativen Konstruktionen zu entwinden. Nichts wird zu heiß gekocht, alles bleibt auf einem gewissen Level – ohne in eine irgendwie geartete Seichtigkeit, Banalität oder Inhaltslosigkeit abzudriften. Ganz im Gegenteil weiß eben diese Simplizität und die klare, strukturierte Aussage eines Mannes in seinen 30ern gerade deshalb so unverhältnismäßig stark zu überzeugen. Sehr viel Humor, oft ein bisschen zynisch, aber das gefällt; diese Serie muss sich nicht anbiedern, sie weiß um ihre Qualität, ohne damit anzugeben. Es ist einfach angenehm und fordernd zu gleich. Ein Musterbeispiel der differenzierten Unterhaltung und Nachdenklichkeit.

                                Aziz Ansari wird morgen 33. Alles Gute. Einfach mal so.

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                                • Ein unfassbares Risiko, welches "Deadpool" da geht: Blasser, gesichtsloser Antagonist, CGI-Gedöns zuhauf, stereotypische Lovestory ohne Impact auf emotionaler Ebene, Narration aus dem 08/15-Kochbuch für derzeitige Superheldencomicverfilmungen - man könnte ihn ja fast mit einem Film aus dem MCU verwechseln. Riskant!

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                                  • Ich hatte einen spontanen Einfall: "500 Days of Summer"

                                    Nach meiner Wahrnehmung eigentlich der perfekte Filme für Leute wie uns, aber dir scheint er "bloß" gut gefallen zu haben und nicht komplett umgehauen. Da ist doch Potenzial! :)

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                                      • So ein zärtlich verspielter, wunderschöner Artikel, dessen Worte mir beim Aussprechen in den Ohren klingen.

                                        Ich hätte eine Songempfehlung dazu: https://www.youtube.com/watch?v=YzJiFFEqbPA

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                                        • Meine neu entdeckte Hymne der Jugend: https://www.youtube.com/watch?v=oQHTea6fVh0

                                          (bessere Version konnte ich nicht finden, auf Spotify findet man das in schön und Studio :) )

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                                            Gerade hier wird wieder die Frage aufgeworfen, wann die Menschen verstehen, wie kontextgebunden Wahrheiten sind und in welchem Ausmaß die subjektive, interaktionistische Wirklichkeitskonstruktion die Wahrnehmung eines jeden schafft, beeinflusst und dann wieder davon betroffen ist. Im Auge dieses Feuers der Unsicherheit mag die stabile Aufrechterhaltung eines Strafrechtsystems erst einmal unmöglich erscheinen; doch niemand sollte so schnell verzweifeln. Man sollte vielmehr die Konsequenzen bedenken, die von Entscheidungen ausgehen. Jeder Beschluss, jedes Urteil hat - egal welcher Sorte - (fatale) Folgen für die Beteiligten und die Ursachen liegen bei den Akteuren selbst verborgen. Viel schlimmer ist aber wohl, dass es letztlich etwas tief im Menschen verborgenes, etwas ursächliches, sein könnte, was ihn zu dem macht, was er ausstrahlt. Und nicht die unaufhaltsame, beschleunigende Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens; nur auf Profit aus, aber längst nicht nur wirtschaftlichen, sondern ausgestattet mit der Gier nach Macht und der Dominanz über den, der sich unter einem selbst zu platzieren scheint. Wenn er dies nicht tut, wird er eben mit Gewaltanwendung dort festgesetzt. Alles "legitim", alles "richtig"; wie sagte Obi-Wan Kenobi: "Ich habe dir die Wahrheit erzählt, von einem gewissen Standpunkt aus."; und da hat der hat der weise, dahin geschiedene Jedi-Meister auch gar nicht unrecht. Denn hier eine Grenze zu ziehen, ist schon fast ein Ding der Unmöglichkeit. Aber wieso prangere ich jetzt hier doch an, dass ein, wie mir aufgezeigt, Unschuldiger zwei (!) Mal ins Gefängnis wandert?
                                            Das begründet sich auf der Übereinkunft, die unsere Zivilisation getroffen hat: es beherrschen und bestimmte Gerechtigkeits- und Moraldiskurse, welche ein Rechtssystem (oder besser: Rechtssysteme, denn unterscheiden tun sie sich auch in ähnlichen kulturellen Hintergründen schon, teilweise gravierend) konstituiert haben. Das darf man diskutieren, aber letztlich ergibt sich daraus doch schon das Recht (!) auf eine Gleichbehandlung und vor allem (!), dass man als Unschuldiger nicht bestraft werden darf. Auch wenn wir nicht final klären können, ob das hier der Fall ist - auch wenn mir die Dokumentationsserie MAKING A MURDERER dies als offensichtlich zeigen möchte - könnte man doch daran arbeiten, einen Grad der Selbstreflexion zu erreichen, dass "Fehler" (so geartet: Produkte aus dem Umgang mit der vorgegebenen Struktur, welche dieser nicht gerecht werden) minimiert werden können. Doch dazu muss man erst mal anzweifeln, dass die eigene Meinung nicht die Wahrheit bedeuten muss - und wenn, dann nur kontextuell gebunden. Aber wahrscheinlich spielen die Machtinteressen von Polizisten, Anwälten und womöglich Politikern in dem Fall (sei es Systemerhaltung, Abwehr von fataler Medienberichterstattung oder sonstiges) eine viel zu tragende Rolle, als dass Steven Avery jemals eine Chance hatte, nachdem man sich einmal auf ihn als Täter und dieser "Tatsache" als WAHRHEIT geeinigt hatte. Wie so oft.

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                                              alex023 07.02.2016, 15:33 Geändert 07.02.2016, 15:50

                                              Eine schwierige Angelegenheit. Einfach schon aus dem Grund, weil man direkt nach dem Kinobesuch wie wild auf dieses Werk einprügeln will, da man – ausgelöst durch Enttäuschung – nun endlich den Punkt gefunden haben will, wo man den lieben (und meistens eher gar nicht so lieben, eher als selbstverliebtes, arrogantes Arschloch auftretenden) Quentin als Heuchler entlarven kann.

                                              Zum Teil kann man das sogar: THE HATEFUL EIGHT ist selbstreferentielles Gewäsch, was sich in seiner Genialität nur ganz entfalten kann, wenn man die – sagen wir mal – „Inspirationen“ für sein Werk vorher kennt. Ebenso verliert sich Tarantino in Selbstzitat über Selbstzitat, wenn man die Ausgangssituation von „Reservoir Dogs“ mit ausufernder Gewaltorgie, einem Dialog-Exzess (und dem inflationären Gebrauch der Wörter wie „fuck“ und „nigger“ dazu), Charakteren mit verborgenen Motiven, der klassischen Hans Landa-Figur (wo war eigentlich Christoph Waltz? Oder wieso hat Tim Roth ihn imitiert?) und dem allgegenwärtigen Samuel L. Jackson als Samuel L. Jackson vermischt. Die Fanboys und –girls schreien jetzt: Das ist sein Stil! Jawohl, sehe ich ein. Ich komme aber nicht umhin, hier besonders starke Tendenzen der Selbstkopie zu erkennen. Inhaltlich und in diesem Bereich der Inszenierung erkenne ich kaum etwas, was ich nicht schon bei ihm gesehen habe. Aber es sei ihm natürlich verziehen, er ist eben selbst zu sehr Fan von sich und seiner Art, Filme zu machen. Künstler sind Exzentriker und die sind in sich selbst verliebt. Lassen wir sie mal!

                                              Positiv stechen dann aber einige Sachen heraus, die man teilweise erst im weiteren Nachdenken darüber erkennt: die ganze Kammerspiel-Situation, welche ganz konträr der ansonsten immer aufgefahrenen Hektik und ununterbrochenen Dynamik eines Tarantino-Films mit andauernden Szenen-Wechseln und anachronistischer Narration entgegensteht. Hier kehrt eine nötige Ruhe ein, welche den Figuren den nötigen Freiraum zur Verfügung stellt. Mich hat – im Gegensatz zu vielen, wenn man mal querliest – die Laufzeit überhaupt nicht gestört, Längen konnte ich nicht erkennen. (Ist ja sowieso immer so eine Phrasendrescherei.) Vielleicht bin ich aus jahrelanger Filmerfahrung aber auch einfach daran gewöhnt. Das mag ich nicht final zu beurteilen.
                                              Ruhige Kamerafahrten, Leone’eske Aufnahmen, atemberaubender Score – die Breite, in welcher die Hütte als Hauptspielplatz gezeigt wird, ist phänomenal und lässt dem Filmfan das Herz aufgehen. Mir war das teilweise etwas zu arg auf retro getrimmt, aber das muss man dem Film nun auch nicht negativ auslegen.
                                              Inhaltlich bin ich aber ziemlich unzufrieden: grundsätzlich sehe ich den Ansatz, verstehe ihn und mag ihn auch – klassische Dramen enden ungefähr auch immer so und das ist letztlich gar nicht so schlimm, dass man nach ungefähr der Hälfte weiß, wie es ausgehen wird.

                                              Es kommt letztlich immer auf die Art der Umsetzung und des Transports von Aussagen an. Ich hege die Vermutung, dass Tarantino hier wieder die Geschichte des unterdrückten schwarzen Mannes erzählen wollte, welcher nur durch Zufall (Schneesturm, gestorbenes Pferd, falsche Kutsche zum falschen Ziel zur falschen Zeit) in diese tödliche Geschichte gezogen wird. Die Motive der übrigen Akteure sind simpel wie ebenso verstehbar, jedoch für mich nicht ausreichend genug. Der Film will von Menschen und ihren Antrieben erzählen, von politisch motivierten Taten, die über allem anderen stehen, weil sie zum Zentrum unserer Gedanken werden und die Moral (auf welcher Seite auch immer) von Hass auf „den anderen“ und Leid über persönliche und ideelle Verluste geprägt ist. Dazwischen stehen Menschen wie der neue Sheriff von Red Rock, sofern er denn der solche ist, der in einer von Über-Autorität strotzenden Erziehung in Hoffnungslosigkeit zerfällt, weil er nicht rebellisch sein kann, da er so ein Weichei ist, aber auch nicht dem Bild des Vaters, den er vorgibt, zu vergöttern, folgen kann. Innerlich zerrissen und die Opportunität in Person.

                                              Ich kann hier stundenlang Dinge in kleinen Bewegungen und Aussagen lesen, was aber nicht bedeutet, dass die inhaltliche Performance des Drehbuchs dafür verantwortlich ist. Vielmehr, dass ich mich schon eine ganze Zeit mit Filmtheorie, soziologischer Theorie und Einflüssen von Kultur auseinandersetze und ebenso Geschichtskenntnisse mit einbringe. Für mich schafft es „The Hateful Eight“ nicht, seiner inhaltlichen Ausgangssituation (äußerst vielversprechend) gerecht zu werden, weil mir das wieder zu einfach in einer plumpen Orgie von Schüssen und Blut endet. Das ist konsequent, wenn der Vorbau derart konstruiert wurde, was er nicht wird.
                                              Für mich ist die Entwicklung zu flach; in mir fühle ich eine Schwierigkeit, eloquent darzulegen, weshalb das letztlich w i r k l i c h so für mich ist. Für mich konstituiert sich die Geschichte auf Momenten, die aber nicht ausreichen. Zu schmal ist die Motivation der Auflösung. Deshalb bin ich ein wenig enttäuscht. Aber für ein Gebashe gegenüber QT reicht das bei weitem nicht. Denn wir stöhnen hier auf hohem Niveau. Er hat schon ein paar schlechtere Filme gemacht (mal nur so erwähnt: der unsägliche „Death Proof“). Ich steh auch immer irgendwie zwischen den Stühlen, weil ich kein Tarantino-Fan(boy) bin, ihn aber auch niemals haten würde. Vielleicht aus Gründen der Polemik. Aber zumindest drei seiner Filme mag ich dafür viel zu sehr. Deshalb kann man das so stehen lassen. Es wär mehr drin gewesen, aber meine Güte, das passiert auch mal.

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                                              • So, Herr Iam, ich habe doch gesagt, dass es bei mir wieder mal nur der typische Jahresanfangs-Höhenflug war. Und schon bist du mir weit voraus. (Zum Glück sind bald Ferien.)

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                                                  Oh, capitalism, baby.

                                                  Ich könnte jetzt mit diesem viel bemühten Einstein-Zitat beginnen, aber es ist doch letztlich nicht nur die Dummheit der Menschen, die so unendlich zu sein scheint. Gier, Leichtfertigkeit, Ignoranz und ein sensationell inhumanes Verständnis von gesellschaftlichem Leben. Aber ich glaube nicht, dass es den Menschen innewohnt. Wir haben nur ein Wissen angehäuft und den Glauben an die vermeintlich richtige Art und Weise zu wirtschaften und zu leben konstruiert, dass wir nicht sehen, was es mit uns macht.

                                                  Geld, Geld, Geld.
                                                  Um uns herum, ständig, dauerhaft, jetzt, weiter, immer schneller schneller schneller. Los, mehr, mehr, mehr. HEILIGER KAPITALISMUS, oh, du bist so heilig. Das ist alles grundsolide, da kann gar nichts schiefgehen. Aber wir werden zerstört, erst ganz langsam, dann immer mehr, bis nichts mehr übrigbleibt. Das fängt nicht mit unserem bestehenden Wirtschaftssystem an und hört da auch nicht auf. Aber vielleicht wäre eine Änderung dieses fundamental-bedeutenden (in der vorherrschenden Struktur) Subsystems, welches längst alle anderen vereinnahmt hat (Ökonomisierung von allen Bereichen: Politik, Gesundheit, Privatsphäre, Bildung, Kunst, …), ein Schritt in eine Zukunft, die wir nicht mit geschlossenen Augen betrachten müssen. Man könnte mal überlegen, ob es nicht doch auch ohne ständige Profitgier, übermäßigen Konsum und dekadente Anhäufung von Eigentum und Kapital funktionieren könnte. Ohne unmenschlichen Stress und Druck, mit Vernunft, Nachsicht und Liebe. Aber das wird ein sozialistischer Traum bleiben, schließlich können wir das wahrscheinlich gar nicht – weil wir es nicht wollen. Wir wollen halt was haben und dann immer mehr als der andere und eine Änderung an diesem Punkt ist schwer vorstellbar. Vielleicht bin ich dann aber auch wieder zu sehr Zyniker.

                                                  THE BIG SHORT hat mich ein wenig überrascht, in seiner irgendwie lakonischen Art, die Geschichte rundum den Einsturz des Immobilienmarkts und all seine Folgen und vor allem über die Menschen, die es vorher erkannten, zu erzählen. Und gerade der manchmal schnelle Schnitt, dann wieder ein Close-Up – das eröffnete Dynamik und das tat dem Film sehr gut. Manche Kniffe im Drehbuch sind wirklich überragend, das Ende ist mir etwas zu sehr mit Text verbunden – jedoch soll die Ermüdung, als es dann zu Ende ist, vielleicht auch genau erreicht werden. Wir haben es zwar vielleicht mit einer Komödie zu tun, so ist diese aber nicht (nur) Unterhaltung: klar, man kann oft und viel lachen, aber das tut man eigentlich nur, weil alles so absurd wirkt.
                                                  Erst im vergangenen Semester haben wir in einer Vorlesung die Doku „Inside Job“ geschaut, thematisch verbrüdert und verschwestert, und der Hörsaal und seine Studierendenschaft verschiedener Geisteswissenschaften brach desöfteren in Gelächter aus – obwohl Sprecher Matt Damon nur Ereignisse und Fakten vortrug. Man reflektiert dann und überlegt, warum man eigentlich gelacht hat. Das ist hier genauso: Börsenaufsicht? Ach, wir beaufsichtigen da schon lange nichts mehr. Rating-Agenturen? Naja, wenn wir kein Triple-A veranschlagen, gehen sie halt zur Konkurrenz. Genau das ist doch der Erfolg des großen Kapitalismus, oder? Wettbewerb, freier Markt? Geil.

                                                  Diese Arroganz, die den ganzen Bereich von Banken und Börse umschwebt, wird phänomenal auf dem Silbertablett serviert und dann so herrlich vorgeführt. Der Film will nicht nur zeigen, was da so alles passiert ist, die Dinge so überspitzt darstellen (quasi sie so inszenieren, als könnten sie nicht wahr sein, obwohl sie das sind), sondern auch einfach mal die Wut darüber rauslassen. Denn wenn man neben dem betroffenen belustigt sein noch etwas anderes geschenkt bekommt, ist es ganz klar die Wut. Darüber, dass die Menschheit so verrückt sich in Irrglauben, Ignoranz und abstruser Gier nach dem Mehr in das wirtschaftliche Chaos stürzt. Dabei verrottet alles um die Elite herum – in Europa ist man vielleicht noch nicht so weit, aber gerade in Amerika sieht es da nicht so rosig aus. Dass dies dann dazu führt, dass sich aus finanziellen und EXISTENZIELLEN Sorgen die Menschen (vor allem bildungsferne, wie das so [un]schön gesagt wird, und eher gering gebildete, aber vielleicht auch die zu wenig aufgeklärten) radikalisieren, muss man nicht weiter erläutern. In dieser Dimension des gesellschaftlichen Diskurses über Humanität, Verteilung von Gütern und Leistungen befinden wir uns möglicherweise gerade in einer entscheidenden Phase. Wir müssen handeln, aufklären – politische Multiplikatoren sein, wie es mein Dozent heute so schön ausdrückte. Alle, die nur einen Funken von Verstand in sich tragen und für die eben all das, was der Kapitalismus in Gänze repräsentiert, nicht alles ist, nicht die Essenz des (Zusammen-)Lebens, der möge mithelfen. Es gibt so viel zu tun. Aber vermutlich hilft das nicht: ich hab einem anderen Dozenten heute seinen Pessimismus vorgeworfen; letztlich ist man als Teilzeitzyniker aber nicht viel besser, wenn man doch so besorgt auf das blickt, was derzeit passiert und womöglich zukünftig passieren wird. Aber was red‘ ich hier: das proklamierte Ende des großen K ist nicht gekommen und wir steuern vielleicht bald wieder auf sowas zu. Aber das wird uns dann wieder Margot Robbie erklären. Oder Selena Gomez.

                                                  Ich werf noch mal kurz ein paar Namen durch den Raum: Christian Bale, Ryan Gosling, Steve Carell (check); die abwechslungsreiche Musik ebenso top. Geht klar. Fesch inszeniert, dynamisch, variabel – mancher wird vielleicht sagen, das wirkt zusammengewürfelt, so viel Verschiedenes auf einmal – aber gerade hier macht es die Mischung sehr gut aus. Außerdem hatte Ryan Gosling nun mal coole Freunde.

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                                                  • Amazon? Dann hat der Film ja seinen Golden Globe schon sicher.

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