ChristianGe - Kommentare

Alle Kommentare von ChristianGe

  • 7 .5

    Wenn es um Trauerbewältigung in Spielfilmen geht, bedarf es eines zurückhaltenden Gestus. Zu viele Regisseure tappen allzu gerne in die Esoterik-Kitsch-Falle. Zuletzt der große Peter Jackson mit seinem Flop "The Lovely Bones“ (2009) oder einige Jahre zuvor Vincent Ward mit seinem Rührstück "What Dreams may come" (Hinter dem Horizont, 1998). Für ihren zweiten Spielfilm hat sich die Französin Julie Bertucelli ausgerechnet den Judy Pascoe Bestseller "Our Father who Art in the Tree", der auf Deutsch den banalen Titel "Erzähl mir, großer Baum" trägt, ausgesucht. Es ist die Erzählung einer Achtjährigen, die den Tod ihres Vaters betrauert. Eine mutige Wahl. Schließlich liegt die Gefahr, auch hier unter der Last der Symbolik zu zerbrechen oder unter einem animistischen Furor zwischen Pathos, Fantasy und Kinderaugen-Kitsch den Faden zu verlieren auf der Hand. Siehe Peter Jackson, Vincent Ward und Co.

    Hätte, wäre, wenn ..... So viel darf man vorweg nehmen: Nichts dergleichen passiert.

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    • 7

      Eine Doku im Zeitalter der Sozialen Netzwerke

      Als der in Deutschland aufgewachsene iranische Regisseur Ali Samadi Ahadi im August 2009 seine Komödie "Salami Aleikum" vorstellte, hatte sich in seinem Heimatland der beim Volk unbeliebte konservative Populist Mahmud Ahmadineschad für weitere Jahre im Amt bestätigen lassen. In zahlreichen Interviews, auch mit mehrfilm.de, spürte man die Sorgen des sympathischen Filmemachers über die möglichen Folgen dieser Wahlfälschungen. Seine Sorgen galten vor allem den Symathisanten der Gegner von Ahmadineschad. Und diese Sorgen waren berechtig, wie sein neuer Film beweist.

      Aktueller denn je, vor dem Hintergrund der Aufstände in der nordafrikanischen Welt (Tunesien, Ägypten etc), bringt Ali Samadi Ahadi passend dazu einen Film über die Entwicklungen der so genannten "grünen Revolution" in die Kinos, die mit den Wahl-Veranstaltungen der Ahmadinedschad-Gegner ihren Anfang nahm und bis heute andauert. Stellvertretend für die vielen Demonstranten hat sich Ahadi für zwei junge Protagonisten entschieden, die in einer gezeichneten Live-Atmosphäre, unterstützt von Live-Aufnahmen, die Vorgänge im Iran des Sommers 2009 nacherzählen.

      • 7

        Jede Zeit hat ihre passende (Film)Figur. Als sich Ende der 90er Jahre die Dot.Com-Blase aufblähte, ließ Hollywood mit „Cast Away“ Everybodies Darling Tom Hanks auf einer einsamen Insel stranden. Nur wenig später entschied sich Nicolas Cage in „Family Man“ für die Familie anstatt für die steile Karriere. Und als Gier und Machthunger den Finanzmarkt kollabieren ließen, erkannte Vielflieger Ryan Bingham, überzeugend verkörpert von George Clooney in „Up in the Air“, dass er als Verkörperung des globalen und flexiblen Kapitalismus am Ende ganz allein dastehen könnte.

        Zwei Jahre zuvor. Mitte der sog. „Nuller-Jahre“. Aron Ralston steht für die Generation „Ego“. Er ist ein Gesellschaftsverweigerer. Ein Abenteurer. Im Frühsommer 2003 stürzte der damals 27-jährige bei einer Solo-Tour im Bluejohn Canyon in Utah in eine Felsspalte. Dabei wurde sein Arm von einem gelösten Felsbrocken eingeklemmt. In seinem Buch „Im Canyon“ („Between a Rock and a Hard Place“) hat er seine Erlebnisse genauestens beschrieben. Inklusive seiner „Rettungsaktion“, in dem er sich den eingeklemmten Arm abtrennte.

        Der britische Regisseur Danny Boyle, der für seinen letzten Film "Slumdog Millionär" acht Oscars erhielt, setzt sich allzu gerne mit derlei Zeitfiguren auseinander. Oft geht es bei ihm zudem um die Frage, wozu Menschen in der Lage sind, wenn sie über sich selbst hinauswachsen. Die Herausforderung, diese wahre Geschichte von Aron Ralston filmisch umzusetzen, lag im Hinblick auf Boyles Oeuvre also nahe. Und nicht nur im Hinblick auf sein Oeuvre. Auch die Herausforderung, die Einsamkeit, Langeweile und Verzweiflung Ralstons in einem dennoch unterhaltsamen Spielfilm unterzubringen, erwies sich für Boyle als große Herausforderung.

        Zusammen mit seinem Drehbuchautor Simon Beaufoy entschied sich der Engländer dafür, sich auf seine Markenzeichen und auf die eigene Handschrift zu besinnen. Und die besteht bzw. bestehen in allen Danny Boyle Filmen aus seinen atemberaubenden Bildern, aus schnellen Schnitten und einer „treíbenden“ Musik. Auch „127 Hours“ dreht von der ersten Einstellung an erbarmungslos auf: Hohe Schnittfrequenz, laute Musik und sogar Splitscreens – Boyle macht Tempo, solange es irgendwie geht. Das passt durchaus zu seiner Hauptfigur (James Franco), die gleich mit den ersten Szenen, noch tief in der Nacht, raus aus der Stadt, hinein in den Canyonlands National Park will.
        Die Sonne geht auf. Die Musik dröhnt. James Franco verkörpert diese Leidenschaft, die Berge, die der junge Ralston bereits mit seinem Vater erkundete, abermals neu erforschen zu wollen, wie kein zweiter. Bei Anbruch des Tages rast der erfahrene Bergwanderer mit seinem Mountainbike durch die Felslandschaft. Irgendwann steigt er ab, um zu Fuß in den Schluchten des Canyons zu verschwinden. Nach einem kurzen gemeinsamen Weg mit zwei Studentinnen, stürzt er schließlich in einen Felsspalt und bleibt gefangen. Jetzt beginnt die Uhr in Danny Boyles Film zu ticken: T minus „127 Hours“. 127 Stunden, in denen er alles versucht, sich zu befreien, und dabei eine Besonnenheit zeigt, die sein Scheitern umso niederschmetternder macht.

        Zunächst sind es kleine Hoffnungsschimmer, dass eine Befreiung vielleicht doch möglich sein könnte. Dann fasziniert die für einen erfahrenen Bergwanderer hochnotpeinliche Lage des tief in der Felsspalte Eingeschlossenen. Boyle findet für diese Situation nicht nur klaustrophobische Bilder, er mischt die Bilder von Rastons Videokamera mit Bildern einschlägiger Abenteuerfilme, von in der Wüste verdurstenden oder auf einsame Inseln verschlagenen Leidensgenossen. Die Kameramänner Anthony Dod Mantle und Enrique Chediak verwandeln das Martyrium in ein farbgestättigtes Halluzinosum. Hinreißende Schwenks über die unbeschreiblich schöne, aber gnadenlose Landschaft der Canyons, am Computer per CGI arrangierte Schluchtenfahrten, kreisende Raubvögel aus der Luft und vom Boden, aufdringliche Ameisen und die brutalen Wassermassen eines plötzlichen Gewitters evozieren atemberaubende Bilder und zwingen den Zuschauer mehr und mehr in die Rolle des Mitleidenden.

        Und James Franco, der herausragende Hauptdarsteller, gibt Danny Boyles Ode an das Leben und an die Freiheit das dringend benötigte menschliche Gesicht. Ihm gehört unsere Sympathie, unser Mitleid und auch unsere respektvolle Zustimmung, wenn er am Ende, und das ist bekannt, in einem Schwimmbecken seinen Freunden entgegen schwimmt. Wieder einmal ist es Danny Boyle gelungen, auch auf der Basis dieser Novelle, seinen selbstverliebten Eklektizismus und die erzählte Geschichte nahtlos zusammen zu fügen. Und wie alle Figuren ihrer Zeit in ihren Filmen hat uns auch in diesen mitreißenden 90 Minuten die Figur Aron Rolstan etwas mit auf den Weg gegeben.

        • 8

          Dies ist sein Buch, es ist sein Film und sein Leben. Das Buch zu seiner Geschichte schrieb er mit 16, den Film drehte er mit 19. Und wer sich allein die ersten Szenen, ein Zwiegespräch mit der Mutter (Anne Dorval) im Auto anschaut, wird staunen über dieses kleine Meisterwerk. In seinem halb-biografischen Beziehungsporträt inszeniert der Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Xavier Dolan seinen persönlichen Familienkonflikt als herausforderndes Pubertätsdrama. Der 17-jährige Hubert (Xavier Dolan) verabscheut seine Mutter für ihre Geschmacklosigkeit, ihr Unverständnis, ihre Krümel am Mund (in Großaufnahme!) und aus vielen anderen Gründen, aus denen ein pubertierender Jugendlicher seine Eltern ablehnt. Und doch, irgendwie liebt Hubert seine Mutter auch, die ihn, seit der Vater früh die Familie verlassen hat, alleine groß zieht. Sein Traum ist es, mit seinem Freund Antonin ein Künstlerleben zu führen. Doch seine Mutter hat andere Pläne. Sie steckt ihn in ein Internat.

          • 4 .5

            Die Vorstadtkrokodile 3, nicht weil ich wollte, sondern weil ich musste. Vorweg: Ich mag Kinderfilme. Oftmals gelingt es den Autoren und Regisseuren mit viel Liebe zum Detail eine ehrliche, spannende und klischeefreie Geschichte umzusetzen (die in vielen Fällen, wie auch in Ansätzen hier, auf einem Kinderbuch basiert). Im besten Fall gehen nach dem Abspann dann auch die Eltern gut unterhalten nach Hause und müssen ihrem oder ihrer Kleinsten nicht das Verhalten ihrer Leinwandidole erklären.

            Und welch wohltuende Ablenkung kann es manchmal sein, wenn alles so einfach ist. Zumindest wenn man 13 Jahre alt wird. Das Wetter ist schön, die Eltern sind nett, die Freunde auch und Probleme gibt es keine. Wäre da nicht dieser dramatische Unfall: Frank (David Hürten) wird nach einem Kart-Crash mit Blaulicht ins Krankenhaus transportiert und schwebt in Lebensgefahr: Wenn nicht bald eine Spenderleber gefunden wird, muss Frank sterben. Helfen könnte ihm sein Bruder Dennis. Der sitzt aber seit Teil eins (nebst Kevin, Axel Stein mit Perücke) im Knast. Drehbuchautor Christian Ditter und Regisseur Wolfgang Gross verlagern deshalb den Jules Dassin Ein- bzw. Ausbruchsthriller Rififi ins Ruhrgebiet, was Spannung verspricht aber auch Längen und reichlich unfreiwillige Komik bietet. `Boah, schau mal, was ich vor der Kamera alles machen darf`. Die Jungmimen gehen die Rollen viel zu (nach-)lässig an. Ernsthaftigkeit? Fehlanzeige. Der dritte Teil der Krokodil-Reihe, der nur noch sehr wenig mit den Büchern von Max von der Grün zu tun hat, ist zwar der erwachsenste aber mit Abstand der schlechteste aller Krokodile-Teile.

            • 8 .5

              Eine moderne Deflorations-Phantasie von Darren Aronofsky

              Mit seinem letzten Film "The Wrestler“ hat er uns einen Blick hinter die Kulissen des Wrestlings-Sports werfen lassen. Jetzt zeigt er uns die Brutalität der schönen Künste – des klassischen Balletts. Darren Aronofsky, der Intellektuelle aus New York, wie er oft in Schauspielerkreisen genannt wird, liebt es anscheinend, Dinge offen zu legen. In den meisten Fällen bilden dazu die Arronofsky´schen Grundpfeiler Leidenschaft, Versuchung und Selbstaufopferung das Korsett seiner Inszenierungen. Hier geht es ihm aber nicht um die Selbstaufopferung aus dem Imperativ des Ideals im Hauptmann´schen Sinne, sondern um eine Selbstaufopferung ohne des Sich-Selbst-Bewußtwerdens.
              Tanz, Ehrgeiz und Selbstaufopferung als Droge, die high macht und gleichzeitig alles ruiniert. "Black Swan" ist ein weiteres, beeindruckendes Meisterwerk von Darren Aronofsky.

              • 4

                `Wenn die Leute nicht mehr ins Konzert gehen, kommt das Konzert eben zu ihnen`. Immer mehr Künstler, Theater und Orchester bedienen sich im sog. "Digitalen Zeitalter" der neuen Medien. Web-TV für die Homepage, Twitter, eigene Facebook-Seite und Szenen einer Aufführung bei Youtube. Das ist wichtig und gut so. Wer Glück hat, der arbeitet mit einem guten Dokumentaristen (siehe Simon Rattle) zusammen. Auch die deutsche Filmemacherin Bettina Ehrhardt ist ein großer Fan der klassischen Musik und vor allem ein Fan des Montréal Symphonie Orchesters (OSM) (und nicht zuletzt von dessen Dirigenten Kent Nagano). Sie findet tolle, ehrliche und eindringliche Bilder ohne verquasten Off-Begleitkommentar für ihre Dokumentation. Am Ende der viel zu langen 97 Filmminuten jedoch wird man das Gefühl nicht los, eher einer Heldenanbetung beizuwohnen als einer objektiven Berichterstattung. Schade.

                • 3

                  Kein Grund zur Unruhe

                  Anita und Fred, seit fast 50 Jahren glücklich verheiratet, sitzen in der ersten Szene am gemeinsamen Frühstückstisch - und schweigen. Er bestreicht ein knuspriges Toast, sie rollt die Augen und liest die Zeitung. Es scheint ihnen an nichts zu fehlen. Das Ehepaar bewohnt ein großes Haus, Sohn und Tochter sind erwachsen und die Enkeltochter steht kurz vor dem Abitur. Die Kamera beobachtet die beiden - minutenlang. Obwohl sich Fred nur schwer aus seiner beruflichen Verantwortung lösen kann, hat er sich eine eigene Wohnung ganz in der Nähe seines Büros geleistet und freut sich auf seine einsamen Stunden. Gelegentlich schaut er noch einmal im Büro vorbei und hält einen Plausch mit den neuen Verantwortlichen.

                  Senta Berger und Bruno Ganz sind Anita und Fred. Zwei Lichtgestalten in der deutschen Filmlandschaft. Obwohl beide jeweils in weit über 50 Filmen mitwirkten, hat man sie noch nie gemeinsam, geschweige denn als Ehepaar, vor der Kamera gesehen. Ein Novum. Ein Novum in der deutschen Filmlandschaft ist auch, dass eine junge Filmhochschul-Absolventin mit zwei so herausragenden, erfahrenen Darstellern ein derart heikles Thema umsetzen kann. Denn, und das merkt der Zuschauer sehr viel später, es wird keine Geschichte erzählt, sondern in der Betrachtung wird es darum gehen, im Alter eine Option zu haben. Und es wird um das Gefühl gehen, am Ende eines Lebens "satt" zu sein. In den kurzen 85 Minuten geht es also um die Option, im Alter eine eigene Entscheidung treffen zu können.

                  Um Anita und Fred geht es nicht, wie vielfach geschrieben wird, ihre Geschichte, ihre Vorgeschichte, oder gar an ihrem Leben ist die junge Regisseurin Sophie Heldmann weniger interessiert. Auf Gespräche, Regungen, Leidenschaften wird man vergeblich warten, sie werden der guten Erziehung der Protagonisten untergeordnet. Aus diesem Grund wird der Zuschauer nie erfahren, ob ihre Ehe glücklich ist oder war, ob es Schicksalschläge gab oder sonstige besondere Vorkommnisse im fast 50jährigen Zusammensein. Kleine Regungen der weit unterforderten Darsteller müssen reichen.

                  Mit den Mitteln des "Direct Cinema", mit sekundenlangen Einstellungen, nur ganz spärlich eingesetzter Filmmusik und wenigen Dialogen beschreibt Heldmann eine Situation. "Wir wollten den Alltag eines älteren Ehepaares so authentisch wie möglich beschreiben" wird Hauptdarstellerin Senta Berger in einem Interview zitiert. Im Rückblick auf das Ggezeigte kann man diese Vorgehensweise auch darstellerisches Füllen von Leerstellen und Überbrückung eines unvollständigen Drehbuchs nennen. Nebendarsteller wie Barnaby Metschurat oder Leonie Benesch (aus "Das weiße Band", die hier die naive Enkelin darstellt) betreten wie Fremdkörper die Szenerie und verschwinden wieder. Warum die Regisseurin auf die Randfiguren nicht verzichten wollte, bleibt nicht die einzige unbeantwortete Frage. Oder ist das (wenig) Gezeigte doch eine gelungene Umsetzung der Ambivalenz zwischen Zurückhaltung und Entscheidungskraft?

                  Mit "Wir haben oft zu festgefahrene Vorstellungen darüber, was eine Emotion zu sein hat und welcher Gestus mit einer Emotion verbunden ist" versuchte die 37jährige Regisseurin ihre Vorgehensweise zu erklären, "es gibt große Wärme, die manchmal mit einer gewissen Kälte verbunden ist und umgekehrt.". Nur, und die Frage muss an dieser Stelle erlaubt sein, was soll der Darsteller mit seinem Schauspiel vor der Kamera ausdrücken? Leere? Zufriedenheit? - Die inszenatorische Reduktion auf das Wesentliche ist vor dieser Thematik die große Schwäche des Films. Es fehlen die dunklen Momente, die Charakterisierungen, der Austausch und der Hintergrund für die finite Tat. So bleibt der Film eine schnöde Betrachtung. Mit einer fast dokumentarischen Herangehensweise an eben diese, für die es keine Berechtigung gibt. Und die unter einer lebensbejahenden Betrachtung schlichtweg als "feige" bezeichnet werden muss.

                  Am Ende wird sich die entschlussfreudige, resolute Anita (Senta Berger), die wenige Augenblicke zuvor ihren Ehemann verlassen hatte, um in einer Altersresidenz ihren Lebensabend zu verbringen, zu ihrem Fred aufs Sofa setzen und sie werden sich die Spritze geben. Nur warum?

                  • 7

                    „Salami Aleikum“ ist eine wunderbar unterhaltsame, bildgewaltige Culture-Clash-Komödie, in der sich Gegensätze anziehen, die gegensätzlicher kaum sein können. Im Vergleich mit anderen Komödien, die mit großem Werbe-Tamtam die Zuschauer in die klimatisierten Lichtspielhäuser locken, verhält sich Ali Samadi Ahadis Komödiendebüt wie ein schöner Koi-Karpfen im Sardinen-Teich. Bunter, vielfältiger und einfach eine Spur pfiffiger.

                    Dass Ahadis Film 2009 die Konkurrenz aus den USA („Selbst ist die Braut“, „Hangover“ und Co.) und aus dem eigenen Land („Maria, ihm schmeckt´s nicht“) locker abhing, lag nicht nur an den hervorragenden Darstellern, die hier nicht in (unzählige Male gesehene) Klischeerollen schlüpfen, sondern an der bildgewaltigen Umsetzung des hervorragenden, mutigen Drehbuchs. Der Multi-Kulti-Plot ist so scharf wie eine Rasierklinge. Wie gut, dass animierte Sequenzen den Lauf der Geschichte unterbrechen und kommentieren, vorgetragen von einer Erzählerin aus dem Off. Dazu gibt es Tanz- und Gesangseinlagen, die entfernt an Bollywood-Filme erinnern.

                    Gekonnt wie ein alter Hase spielt Ahadi dabei mit den Mitteln des Kinos, die an Filme von Michel Gondry oder Jean-Pierre Jeunet erinnern. Und der Regisseur und Drehbuchautor spannt den Bogen noch weiter: vom Animationsfilm über Klamauk und Provinzfabel bis hin zum Bollywoodmusical und zur Satire. Und die Spannung hält. Aber das Schöne ist: auch das Timing stimmt - und Ostdeutschland und mittlerer Osten finden in "Salami Aleikum" auf brutale und brutal ehrliche Weise zusammen.

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                    • 4

                      Als Kultur- und auch Opernfan war ich skeptisch. Eine Oper auf der Leinwand? Der Ausdruck der Emotionen auf das Kleinste reduziert? Nicht als Live-Übertragung, sondern als filmische Inszenierung? Zugegeben, ein gewagter Versuch. Was bei Robert Dornhelm und seiner `La Bohème` Inszenierung misslang, will Jens Neubert nun besser machen. Soll heißen, erstklassige Musiker (London Symphony Orchestra), erstklassige Stimmen (Staatsoper Dresden) und erstklassige Ausstattung (Per Hjorth). Die Handlung der Carl Maria von Weber Oper wurde in die Entstehungszeit verlegt und an Originalschauplätzen gedreht. Wenn also der junge Jäger Max, der die Tochter des Erbförsters Kuno liebt, in die Wolfsschlucht kommt, um dunkle Mächte herauf zu beschwören, kann das recht gruselig werden. Auch wenn die Sängerinnen und Sänger überzeugen, dieser punktgenauen Reproduktion fehlt es an Raum und Tiefe. Eine zweidimensionale Leinwand ist kein Opernhaus – Bildungsanspruch hin oder her. Unter 14 Jahren zudem keinesfalls zu empfehlen.

                      • 3

                        Auch ein schlechter Woody-Allen-Film ist ein guter Kinofilm, heißt es! Das kann ich nicht unterschreiben. (...) Dieses jüngste Werk des New Yorkers ist für mich eine große Enttäuschung. Eine lieblose Charakterzeichnung, hysterische Darsteller, die an allem verzweifeln, auch an ihrer lieblosen Rolle und vor allem ein Drehbuch, das wahrscheinlich um die bekannten Darsteller herum konzipiert wurde und nicht umgekehrt. Mann, ist das ein Flop. Kann passieren, Mr. Allen!

                        • 8

                          Mit der Low-Budget Produktion "Memento" hatte der Engländer Christopher Nolan Aufsehen erregt. Mit dem von der Kritik gefeierten "nsomnia" sein Können unter Beweis gestellt. Gelingt ihm mit seinem ersten Blockbuster nun der endgültige Durchbruch?

                          Zunächst einmal hat der 35-jährige ehemalige Student der englischen Literatur viel Mut bewiesen. Mit seinem dritten Film übernahm er ausgerechnet die Regiearbeit über ein Prequel der Leinwand-Ikonodulie Batman. "Ich schaute mir die unglaubliche Besetzung von Richard Donners `Superman` von 1978 an", ließ Nolan vor Drehbeginn verlauten, "er hatte Marlon Brando, Gene Hackman, Ned Beatty und jede Menge weiterer großartiger Schauspieler in den Nebenrollen. So sind wir auch vorgegangen". Und tatsächlich, die Liste der Darsteller von "Batman Begins" liest sich wie eine `Who is Who`-Liste erfahrener Leinwandikonen.

                          Regisseur und Drehbuchautor Nolan konnte für sein Batman-Prequel aus dem Vollen schöpfen. Zahlreiche Schauspieler waren neugierig auf den intelligenten Jung-Regisseur und wollten unbedingt mit ihm arbeiten. So sagten für die wichtigen Nebenrollen Darsteller wie Liam Neeson, Gary Oldman, Rutger Hauer, Tom Wilkinson oder sogar der jüngst Oscarprämierte Morgan Freeman zu. Diese Leinwandgrößen begleiten den Werdegang eines 8-jährigen Jungen, anfangs überzeugend verkörpert durch Gus Lewis, der sich von einem ängstlichen Waisenjungen zu einem furchteinflößend dunklen Ritter und Kämpfer für das Gute entwickelt. Nolan, der bereits mit „Memento“ und „Insomnia“ ein untrügliches Gespür für seine Figuren bewiesen hatte, wollte sich auch hier vor allem auf die Figuren konzentrieren. Ein schwieriges Unterfangen in einem Genre, in dem das Fehlen möglichst aufwändiger Abenteuer-Action-Elemente hart bestraft wird.

                          Diesen Fehler - die Verlagerung des Hauptaugenmerks auf eine intensive Figurenzeichnung zu Lasten der Action-Elemente - hatte schon dem asiatischen Regisseur Ang Lee mit seiner Comicverfilmung „Hulk“ viele Einspiel-Dollars gekostet. Nolan ist hier vorsichtiger. Zudem kann er sich mit Christian Bale auf einen Hauptdarsteller verlassen, der sämtliche Facetten, vom idealistischen Kämpfer für das Gute, über den verhätschelten Playboy bis hin zum furchteinflößenden Racheengel wie aus dem Effeff beherrscht. Zu keiner Sekunde kommt beim Zuschauer das Gefühl auf, Bale könnte ähnlich wie seine Batman-Vorgänger von den Nebenrollen an die Wand gespielt werden. Ein großer Verdienst dieses großartigen Schauspielers. Der Film ist folglich immer dann am besten, wenn sich Bale mit den zahlreichen Leinwandgrößen messen kann. So erinnert beispielsweise die Ausbildung des jungen, ungestümen Bruce Wayne durch einen überzeugend autoritären Liam Neeson im ersten Drittel des Films, der hier den undurchsichtigen Henri Ducard von der Untergrundorganisation „League of Shadows“ gibt, sehr an die Ausbildung eines Hayden Christensen als Anakin Skywalker in Star Wars Episode II.

                          Kameramann Wally Pfister, der auch schon bei „Memento“ und „Insomnia“ für Nolan hinter der Kamera stand, bleibt gerade in diesen Duellen sehr nah an den Darstellern ohne dabei den Blick für den Ort des Geschehens zu verlieren. Damit zollt er zum einen den herausragenden Leistungen aller Protagonisten Tribut, und lässt zum anderen die Entwicklung, die der junge Bruce Wayne vom ängstlichen Waisenjungen zum dunklen Ritter durchlebt, noch glaubhafter wirken.

                          Bei so viel darstellerischer Finesse, geführt vom Schauspieler-Regisseur Christopher Nolan, müssen an einigen Punkten Abstriche gemacht werden. Leider gingen dem Drehbuch-Dreamteam Nolan/David Goyer an manchen Stellen schlichtweg die Ideen aus. Gerade bei den Action-Elementen kommt dem Zuschauer mehr als einmal der Satz in den Sinn: „Oh, das habe ich doch irgendwo schon einmal gesehen?!“ Eine rasante Zugfahrt durch Gotham-City beispielsweise erinnert sehr stark an „Spider-Man 2“ oder eine eindrucksvoll bebilderte Auto-Verfolgungsjagd mit dem ebenso beeindruckenden Batmobil an eine Verfolgungsjagd in „Matrix-Reloaded“.

                          Regisseur und Drehbuchautor Christopher Nolan hatte viele Freiheiten, um seine Entwicklungsgeschichte des jungen Bruce Wayne hin zu einem furchteinflößenden Batman glaubhaft zu inszenieren. Er hat diese, getragen von einem herausragenden Ensemble, eindrucksvoll genutzt. Auch wenn ihm im Actionteil die Ideen ausgingen und einige wenige Dialogzeilen wie eine Aufzählung plumper Erziehungsweisheiten klingen, ist der Film in seiner atmosphärischen Dichte und düsteren Stimmung sehr sehenswert.

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                          • 5

                            Können Männer und Frauen Freunde sein? Mit dieser provokativen wie tiefgreifenden Grundfrage als Grundlage hatte Norah Ephron in den späten 80ern ein Drehbuchentwurf verfasst, indem sie die Geschichte eines seit College-Zeiten befreundeten Paares über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten skizzierte. Der Comedy-erfahrene Regisseur Rob Reiner wurde mit der Umsetzung beauftragt und brachte seinen Freund und Schauspieler Billy Crystal mit. 1989 wurde die Geschichte von Norah Ephron nur wenig geändert und es entstand eines der wichtigsten Meisterwerke der Filmgeschichte – Harry und Sally.

                            Die bis dato seit drei Jahrzehnten sanft entschlafene Screwball-Comedy war wieder belebt. Zahlreiche Epigonen und schwächere Nachahmer folgten. Diejenigen, die sich noch an das Ende von Harry und Sally erinnern, wissen, dass die beiden Protagonisten nach einem jahrelangen Katz- und Mausspiel am Ende gemeinsam auf dem Sofa sitzen und `ihre` Geschichte erzählen. Diese Situation ist der Beginn von "Der letzte schöne Herbsttag" von Ralf Westhoff. Nur heißen die beiden Protagonisten hier nicht Harry und Sally, sondern Leo und Claire.

                            Leo und Claire sind um die 30, sympathisch und seit einigen Jahren ein Paar. Im Gegensatz zu seinem Überraschungserfolg „Shoppen“, mit dem der Autor, Regisseur und Produzent Westhoff 2007 das Phänomen „Speeddating“ kritisch beleuchtete, bricht er in seinem zweiten Langspielfilm das allseits beliebte Thema des Geschlechterkampfes auf die älteste aller Formen herunter: ein Mann, eine Frau und die Liebe. Etwa 50 Minuten reden Westhoffs Protagonisten, nicht miteinander, sondern mit dem Zuschauer, also in die Kamera. Sie beantworten Fragen: Wie hat man sich kennen gelernt? Was stört den einen am anderen? Wie gut ist der Sex usw.. Was sie beruflich machen ist unwichtig, was vorher war, also vor dem Kennenlernen und nachher sein könnte auch.

                            Felix Hellmann und Julia Koschitz sind Leo und Claire, beide kommen vom Theater. Und beide waren schon in Westhoffs Debüt „Shoppen“ mit von der Partie. Doch trotz ihrer sympathischen Ausstrahlung und durchaus reichlich vorhandenen Telegenität, merkt man Ihnen die großen Mühen, in den meist engen Bildräumen verharren zu müssen, an. Zwar glaubt man Ihnen jedes Wort, auch die Tatsache, dass es sehr schwierig sein kann, die Sache mit der Liebe, doch bleiben beide bis zum Ende lediglich Projektionsflächen heterosexueller Fremdbilder.

                            Sicherlich wird der ein oder andere Zuschauer in den beiden Protagonisten Charaktereigenschaften des durchschnittlichen ThirtySomething-Nerds entdecken. Ein cleverer Schachzug des Drehbuchs von Ralpf Westhoff. Ehe er oder sie sich versieht, ist man den beiden Chaoten verfallen. Einerseits dem introvertierten, leicht unbeholfenen Leo. Andererseits der zuckersüßen, stets leicht weinerlichen Claire.

                            Doch mit ihren Anschuldigungen und Erklärungen haben beide nach etwa 50 Minuten das Thema Liebe „totgequatscht“. Will man das sehen? Reicht dieses mit spitzfindgen Dialogen angereicherte (Drehbuch)Skelett für einen abendfüllenden Spielfilm? Die Antwort ist nein. In anderen Filmen zum Thema („Harry und Sally“ „Alle anderen“, „Drei“), würden auf die Dialoge direkt im Anschluß Aktionen folgen. So auch bei Westhoffs Generationenporträt. Doch weit vor dem Showdown mit türenschlagender Verwechslungskomik ist der Zug längst abgefahren. Die schlussendlich logische Trennung will dann niemand mehr sehen. Wir drücken den beiden trotzdem die Daumen.

                            • 4

                              "Zusammen sind wir in Zukunft weniger allein"

                              Wer nach Meilensteinen des Science-Fiction-Films forscht, wird sicherlich über die Namen Fritz Lang (Metropolis, Frau im Mond), Paul Wegener (Der Golem, 1920) oder Georg Wilhelm Pabst (Die Herrin von Atlantis, 1932) stolpern. Vor dem zweiten Weltkrieg führte in Punkto Science-Fiction-Meisterwerk kein Weg an den gesellschaftskritischen Utopien aus Deutschland vorbei. Nach dem zweiten Weltkrieg, vor allem in den Jahren 1964 bis 1987, war das Genre allerdings fest in US-amerikanischer Hand. Produktionen aus Deutschland wurden so selten, je häufiger neue Filme aus Hollywood über den großen Teich schwappten. Erst recht mit der Entstehung der Archetypen Science Fiction, Horror und Fantasy, die das Genre bis heute prägen.

                              Lars Kraume versucht mit seinem Film, seiner gesellschaftspolitischen Utopie, an die großen Vorkriegsfilme aus Deutschland anzuknüpfen. Auch er bedient sich nicht eines veritablen Enteignungsrituals in Form einer fremden Bedrohung (Aliens, Wissenschaftler etc), um von den Ängsten einer Gesellschaft zu erzählen. Kraumes Bedrohung kommt von "innen". Bereits diesem Vorhaben gebührt großer Respekt.

                              Lars Kraumes deutsche Dystopie startet im Jahr 2012: Im Nahen Osten bricht erneut ein Ölkrieg aus. Europa verbarrikadiert sich südlich der Alpen, wo es einen martialischen Schutzwall errichtet und hinter dem es keine Gesetze und jede Menge afrikanische Flüchtlinge gibt. Im Land selbst werden die Lebensmittel knapp und die Unruhen immer lauter und heftiger. Eine neue Terrororganisation plant, die allgemeine Verunsicherung noch zu vergrößern und so das System endgültig zum Einsturz zu bringen.

                              Die gesellschaftspolitischen Entwicklungen werden anhand unterschiedlicher Lebenswege zweier Anwaltstöchter aus Berlin porträtiert. Laura Kuper (Bernadette Herrwagen) schreibt an ihrer Doktorarbeit im Fach Soziologie über Darwin. Sie träumt von der großen Liebe, einem Häuschen im Grünen und von vielen Kindern. Als sie auf den Anwalt und Hobby-Ornothologen Hans (Daniel Brühl) trifft, scheint ihr Glück zum Greifen nah. Eine diametral andere Vorstellung vom Leben hat Lauras Schwester Cecilia (Johanna Wokalek). Cecilias große (Studenten)Liebe Konstantin (August Diehl) treibt die politisch aktive Studentin in die Abgründe des neu aufkommenden Terrorismus. Sie schließt sich einer ausländischen Gruppierung mit dem wohlklingenden Namen „Schwarze Stürme“ an und nimmt nach außen hin nur noch oberflächlich am Leben teil. Als sich wenig später herausstellt, dass auch ihre kleine Schwester ein Verhältnis mit dem dandyhaften Konstantin hat, weil Hans keine Kinder zeugen kann, steht nicht nur die Schwesterbande, sondern auch die ganze Familie vor dem Zerfall.

                              Bereits zu diesem Zeitpunkt sind die Fragezeichen hinter den Fragen, die jedem Zuschauer und jeder Zuschauerin in den Sinn kommen müssen, so groß, dass diese sich wie Brandmale über den gekonnt schäbigen Look und das clevere Setting des Films legen. Warum beispielsweise verfallen diesem dandyhaften Konstantin, einer peinlichen Kopie der Hauptfigur Malcom McDowell aus Kubricks "Clockwork Orange" gleich zwei intelligente Frauen? Die Frage beantwortet das Drehbuch ebensowenig wie die Frage nach der Stellung der Frau zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Hier wird sie als willfährige Erfüllungsgehilfin skizziert? Er kämpft bzw forscht und Sie kümmert sich um Haus und die Familie? Diese Charakterzeichnungen werden in zwei unterschiedlichen Modellen untergebracht.

                              Kraumes (Drehbuch)Entwurf, sichtlich angelehnten an Viscontis dekadente Gesellschaftsporträts aus den 60ern, überzeugt weit mehr als dessen Figuren. Allzu deutlich handelt es sich bei Kraumes Figuren um Chiffren – hier der Revolutionär, dort der "Erhalter" des Lebens. Eine ganze Protestbewegung lässt er willenlos von diesen gelangweilten Bürgerkindern lenken.

                              Regisseur, Autor und Produzent Kraume spiegelt in seiner Dystopie das familiäre Melodram – und umgekehrt. Doch auch über den Terrorismus-Erzählstrang gelingt die Verknüpfung dieser beiden Erzählebenen nicht. Es läßt sich keine plausible Erklärung erkennen, warum die verschiedenen Topoi des Films in eine Geschichte gepresst wurden. Und wohin die Reise geht, lässt der Regisseur ebenso offen. Zwar gibt es ein paar Andeutungen, dass ein Zurück zur Natur vielleicht gut wäre. Doch bei ihm ist es wohl eher eine Natur, die ohne Menschen auskommt.

                              Auch wenn er sich kräftig bei der Creme der deutschsprachigen Film- und Theaterszene bedient - die Rollen sind allzu nahe liegend (und wenig herausfordernd) besetzt - bleibt sein Film ein Ärgernis. Und das liegt nicht nur an der Vorschlaghammer-Didaktik seiner Lebensentwürfe.

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                                Nicht nur Bücherwürmer, auch Filmliebhaber wissen, dass Biographien sehr beliebt und erfolgreich sind. Sei es in Wort und Schrift oder als sog. „Biopic“ in bewegten Bildern, Filme wie "Gandhi" (USA, 1982), "Larry Flint“ (USA, 1996), "Frida“ (USA, 2002), "Ray“ (USA, 2004) oder vielleicht auch das (nur in Ansätzen den Kriterien eines Biopics entsprechende) Meisterwerk "Citizen Kane“ (USA, 1942) gehören in jede gut sortierte Sammlung.

                                Eine zwingende Voraussetzung für die Verfilmung eines Lebens ist die "Fallhöhe“ der Figur. Hier spielt es keine Rolle, ob die Figuren gesellschaftlich von "ganz unten“ kommen und es "nach ganz oben“ schaffen (häufig KünsterlerInnen- und Sportlerbiographien), den umgekehrten Weg gehen oder ihr Leben ein erwähenswertes und vielleicht unterhaltsames Auf-und-Ab ist. Eine steile, im besten Fall noch steinige Karriere ist jedoch das A und O eines guten Biopictures.

                                Basierend auf diesem filmischen Grundsatz müsste „The Social Network“ von David Fincher die Quintessenz eines guten Biopics zum Ausgangspunkt haben. Denn eine steilere Karriere als die des „Facebook“-Gründers Mark Zuckerberg hat es in den letzten Jahren im US-Business nicht gegeben. Mit gerade mal 26 Jahren ist der Programmier-Profi aus New York ganz oben angekommen. Sein Vermögen wird in 2010 auf 6,9 Milliarden US-Dollar geschätzt. Willkommen im 21. Jahrundert, willkommen im sog. „IT-Zeitalter“.

                                Der Fokus des Films über Mark Zuckerberg liegt vom Zeitpunkt kurz vor seiner Idee zur Gründung eines sozialen Netzwerkes bis zur Eine-Millionen-User-Schallmauer von Facebook. Regisseur David Fincher stellt seine Hauptfigur als modernen Raubritter und Nerd vor, als jungen Studenten, technisch höchst begabt, ehrgeizig aber persönlich ziemlich kalt und politisch desinteressiert.

                                Die Frage, die der Film nach wenigen Minuten in den Raum stellt: Ist Mark Zuckerberg wirklich so? Private Details über den Facebook-Gründer kann es nicht geben, weil Zuckerberg bis kurz vor Ausstrahlung des Films in den USA öffentliche Auftritte mied wie der Teufel das Weihwasser. Das Drehbuch von Aaron Sorkin, basierend auf Ben Mezrichs Roman „Milliardär per Zufall“ liefert mehr Fiktion als Wahrheit. Das hatten alle Verantwortliche immer wieder betont. Mit Bekanntwerden der Verfilmung des Buches von Mezrich ließ Zuckerberg verlauten, dass Mezrichs Ausführungen „nicht im geringsten der Realität entsprächen“. Jeder Versuch einer Werbeplatzierung von Finchers „The Social Network“ auf Facebook wurde unterbunden.

                                Da über sämtliche Vorgänge, wie auch im Film zu sehen, Stillschweigen vereinbart wurde, sind alle Ereignisse nicht nachprüfbar. Aaron Sorkins Filmfigur (überzeugend egozentrisch verkörpert von Jesse Eisenberg) kann also nur als ein Archetyp eines erfolgreichen Nerds gesehen werden. Nicht mehr und nicht weniger. Mit „Du bist ein Arschloch“ aus dem Mund von Zuckerbergs Uni-Freundin Erica (Rooney Mara) gibt Aaron Sorkin gleich mit der ersten Szene die emotionale Sumpftiefe, oder, ganz wie man will, die elitär dünne Lufthoheit vor, auf der sich der Zuschauer in den nächsten 120 Minuten bewegen wird. Alles was zählt ist Erfolg und Ansehen. Zuckerbergs Antrieb sei ausschließlich die Aufnahme in einem elitären Uni-Club gewesen, heißt es weiter; als wenig später seinem Freund und Zimmerkollegen Eduardo (herausragend: Andrew Garfield) die Aufnahme in diesem elitären Club gelingt, wird ihm Zuckerberg diese Niederlage am Ende bitter rächen.

                                Zum Filmstart gibt es allein in Deutschland über 10 Millionen volljährige Facebook-Nutzer, über 500 Millionen sollen es weltweit sein. Facebook ist dieser Tage an der Börse mit einem Wert von 25 Milliarden Dollar notiert, das erste Facebook-Telefon wird entwickelt und Facebook-User können neuerdings ihren aktuellen Aufenthaltsort auf ihrem Profil veröffentlichen. Eine sagenhafte Erfolgsgeschichte. Und was macht der Gründer Mark Zuckerberg auf dem Gipfel seines Erfolgs? Im Film zuckt er mit seinen Mundwinkeln, Anzeichen von Freude sollte der Zuschauer selbst in die Figur hineininterpretieren, Mark Zuckerberg sitzt an seinem Laptop. Fast 120 Minuten lang tut er nichts anderes.

                                David Fincher, mit Filmen wie "Sieben“, "Fight Club“ oder "Zodiac“ ein allseits anerkannter Meister seines Faches, zieht nicht, wie erwartet, alle Register seines Könnens. Vergeblich wartet man beispielsweise auf seine atemberaubenden Kamerafahrten („Fight Club“), auf die Split-Screens („Zodiac“) oder Licht- und Schattenspiele („Se7ven“). Fincher bebildert diese schnell erzählte College-Anekdote als Rückschau. Der inzwischen milliardenschwere Zuckerberg sitzt im legeren Outfit vor Gericht. Sein Freund Eduardo Saverin (im Anzug) hat ihn verklagt. Letzterer lieh Zuckerberg das Startkapital für Facebook, wurde später als Teilhaber aber ausgebootet. So viel zum Rachefeldzug und zur über 120 Minuten analysierten Egozentrik der Hauptfigur.

                                In der hohen, dünnen Luft oder emotionalen Tiefe des Geschehens, je nachdem wie man es sehen will, verkümmern sämtliche Rand- und Nebenfiguren zu Witzfiguren. Dazu gehört auch ein Brüderpaar namens Wankelvoss, elitär, schnöselig und hinterwäldlerisch. Alle Weggefährten wollen letztendlich am Erfolg partizipieren (Groupies, "Napster"-Gründer Sean Parker (Justin Timberlake). Am Ende werden sie großzügig entschädigt.

                                Der Countdown („schon 968 User, schon 1900 User,..“) dieser eindimensionalen Charakterstudie endet mit dem 1.000.000 User. Toll, sagt sich der Zuschauer und die Zuschauerin vor der Leinwand und später vielleicht zuhause vor dem Fernseher. Und jetzt? Ein packendes Biopic sieht anders aus, es fühlt sich irgendwie anders an. Und vielleicht wird der ein oder andere Zuschauer wenig später wieder zum User. Er wird sich möglicherweise an den PC setzen und nachschauen, was es neues bei Facebook gibt. „Der Film war gut“! – Gefällt mir! Klick! Eine Information, so wert-voll wie dieser Film.

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                                  1965 begann Filmregisseur Stanley Kubrick zusammen mit dem Schriftsteller Arthur C. Clarke (der mit seiner Kurzgeschichte „The Sentinel“ die Grundlage zu der Filmidee lieferte) die Arbeit an dem „endgültigen Science Fiction Film“ „Journey beyond the Stars“ (Arbeitstitel). Ihr Antrieb lag vor allem darin, mit den gängigen Klischees aufzuräumen, die in den 60ern vorherrschten. Weg von den unrealistischen Raumschiffen und martialischen Alienkämpfen, hin zu einer realen Geschichtsstunde. Bis die erste Klappe fiel waren über 2 Jahre Vorbereitungszeit vergangen. Etliche Wissenschaftler der NASA wurden befragt und junge (Film-) Talente engagiert. Es sollte ein möglichst realer (!) Science Fiction Film entstehen.

                                  Und, um es vorweg zu nehmen: Das gelang ihnen auch! Über lange 139 Minuten wanken die Raumschiffe/-stationen im Walzertakt durchs Weltall und bildgewaltige Sequenzen verlangen nach einem Erzähler aus dem OFF, der dem Betrachter die Aussage dieser Bilder näher bringen möge. „Wenn ein Zuschauer diesen Film nach einmaligem Ansehen versteht, haben wir versagt“ ließen Regisseur Kubrick und Drehbuchautor Clarke vor der Premiere im Jahre 1968 verlauten.

                                  Kubrick, der als ehemaliger Fotograph für seine Bildsprache mit den Werken „Wege zum Ruhm“ (1957) und Spartacus (1960) bekannt geworden war, leistet sich den Luxus, Zeit vorzuführen. Deshalb kann es dem Kinobesucher sehr leicht fallen, diesen Film zu hassen. Lange Einstellungen, Zeitlupe, der staunende Betrachter befindet sich auf einem Schleudersitz der Evolutionsgeschichte. Kein Film bietet so viel Stoff zur Interpretation. Es wimmelt vor Symbolizismen, Metaphern und skurilen Einfällen. Dem Zuschauer wird alles abverlangt, vor allem ein hochgradig intellektueller Anspruch. Betrachtet man einige Details genauer, hält man des öfteren den Atem an. Die Weitsicht Kubricks ist beängstigend. Der Film hat die Zeit noch längst nicht eingeholt. 2001 - Ein Kino-Abstraktum mit Sucht-Gefahr, so faszinierend, wie Kino nur sein kann.

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                                    Zu Beginn dieses Jahrtausends war noch alles in bester Ordnung. Die New-Economy-Blase war nicht geplatzt, das World Trade Center noch nicht in Schutt und Asche gelegt und von Finanzkrise weit und breit keine Spur. Als hätten Drehbuchautoren schon damals eine Vorahnung gehabt, von dem was da noch kommen könnte, kümmerten sich Hollywood-Filme wieder ein bisschen um, wie es Oliver Stone genannt hat, "die Auswüchse des Kapitalismus". Ein kleiner Junge führt in "The Kid" den erfolgreichen Imageberater Bruce Willis aus dem geschäftigen Treiben ins kindliche Ich zurück, und in "Family Man" entdeckt Nicolas Cage als Börsenmakler und so genannte "Zierde des Kapitalismus" durch ein Wunder die bescheideneren Freuden des mittelständischen Familienlebens in der Vorstadt.

                                    Das sicherlich aufwändigste Projekt dieser Stoßrichtung in dieser Zeit handelt von einem schicksalhaften Ausstieg, der einem der ehemaligen Protagonisten des Yuppie-Films widerfährt. In `Cast Away – Verschollen` strandet Tom Hanks nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel. Ein von der Kritik unverständlicherweise gehyptes Robert Zemecki Epos, das in vier Kapiteln unentschlossen zwischen Bildungsroman und Abenteuernovelle schwankt.

                                    Nur vier Jahre später befindet sich die Welt im Krieg - auch um das versiegende Öl. Das „Digitale Zeitalter“ nimmt an Fahrt auf. Flughafen-Terminals sind inzwischen die Boxenstopps des zeitgenössischen Nomadentums. Riesige Wartesäle, die das Kino in früheren Jahren immer schon gerne mit Schicksalsschlägen, Romanzen oder langwierigen Nervenzusammenbrüchen aufzuheizen wusste. In Steven Spielbergs „The Terminal“ wuselt sich der knuffig naive Victor Navorski (Tom `Everybodies Darling` Hanks), angelehnt an das Schicksal des Iraners Merhan Nasserdie, gegen ein System, dass sich in der Gestalt des Flughafendirektors (Stanley Tucci) mit Paranoia vor Terrorangriffen verbarrikadiert und im Wahn um Wehrhaftigkeit seine ureigensten Prinzipien von Freiheit und individuellem Glücksversprechen verrät. Willkommen in der Bush-Ära.

                                    In der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts ist der Finanzmarkt zusammengebrochen, im reichen Deutschland gibt es so viele Aussteiger und –wanderer wie noch nie. Der globale Kapitalismus ist heute sehr schnell unterwegs. So schnell, dass er nur noch von wenigen überforderten Managern überblickt und gelenkt werden kann. Auch hier findet Hollywood natürlich die passende Geschichte - und die passende Figur: Ryan Bingham, überzeugend verkörpert von George Clooney, ist die Verkörperung des globalen und flexiblen Kapitalismus.

                                    Ryan Bingham ist die Schachfigur eines Drehbuchs, das den Zuschauern die alten Werte wie Bodenhaftung und Familiensinn wieder schmackhaft machen möchte. Zunächst als Überflieger unterwegs, der alles Ständische und Stehende hasst („Von 365 Tagen im Jahr bin ich nur 44 Tage in meinem Appartment – und ich hasse diese Tage“) hat der "Frequent Flyer" nur ein Ziel vor Augen: Das Sammeln von Bonusmeilen. Als überzeugter Junggeselle hat er den perfekten Job: Er übernimmt für Firmenchefs die Aufgabe, Mitarbeitern ihre Entlassung mitzuteilen. Wie viele andere Millionen Arbeitnehmer auf dieser globalisierten Welt hat er sich mit seinen Aufgaben arrangiert – schließlich kann er sich nach jedem erledigten Auftrag ins Flugzeug setzen und ein freier Mensch sein - über den Wolken, dort wo die Freiheit wohl grenzenlos ist.

                                    Aber halt, das Drehbuch hat noch etwas anderes mit Ryan Bingham vor: Kurz vor den heiß ersehnten 10 Millionen Flugmeilen, wird dem smarten Vielflieger die junge Natalie Keener (Anna Kendrick) vor die Nase gesetzt. Mit einem neuen Konzept will die Summa-cum-laude-Absolventin aus Kostengründen Mitarbeiter und auch Bingham zu mehr Bodenhaftung zwingen. Wenig später an der Seite von Bingham, an der sie die Vorteile aber auch die Nachteile der fliegenden Freiheit am eigene Leibe erfährt, gelingt es der unerfahrenen Neu-Managerin jedoch nicht, den Vielflieger auf den Boden der Tatsachen zu zwingen, nicht im Beruflichen und auch nicht im Privaten.

                                    Für diese Aufgabe hatte Drehbuchautor und Regisseur Jason Reitman (`Juno`) zuvor eine moderne Mischung aus Alekto und Nemesis – eine moderne Rachegöttin in Form eines weiblichen Pendants zum unsteten Geschäftsmann ins Spiel gebracht, die erfolgreiche Alex (überragend verkörpert durch die für diese Rolle mit dem Golden Globe nominierte Vera Farmiga). Sie ist vom aparten Bonusmeilen-Sammler zunächst so angetan, dass sie ihn zur Hochzeit seiner kleinbürgerlichen Schwester nach Wisconsin begleitet. Doch auch sie wird es nicht schaffen, den Überflieger an den Herd zu locken, denn, so viel darf man verraten, [Achtung Spoiler ----------- ]sie hat längst ihren Platz am Herd einer Familie gefunden - und bis dato die Freiheiten einer Businessfrau genossen – die Rache einer modernen Rachegöttin. [--------- Spoiler Ende]

                                    Und die Moral von der Geschicht´? Zum Glück sind die Drehbuchautoren Sheldon Turner und Jason Reitman klug genug, dass sie ihre Schachfigur des modernen Kapitalismus nicht auf den Boden zurückholen oder gar in den Abgrund stürzen lassen. Ihre Kritik am System, getarnt als luftige Screwball-Comedy, ist viel zu leicht, als dass für den Zuschauer etwas Verstörendes zurückbleiben dürfe. Da hatten andere Regisseure in den zurückliegenden Jahren wesentlich mehr Mut bewiesen. Und wie alle großen Figuren in einem Zeitspiegelbild (Nicholas Cage in „Familiy Man“, Bruce Willis in „The Kid“ oder Tom Hanks in „Terminal“) darf natürlich auch George Clooney am Ende selbst entscheiden, wie es für ihn weitergeht.

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                                      12 Jahre.... Wenn ein Regisseur zum Ende des zweiten Jahrtausends eine zwölfjährige freiwillige Pause von der Unterhaltung einlegt, ist ihm entweder die Lust auf den Beruf vergangen und er hat sich zwischenzeitlich neu orientiert oder er heißt James Cameron. Der Kanadier hatte zuletzt den erfolgreichsten Film der Kinogeschichte inszeniert. Sein Untergangs-Epos „Titanic“ hat bis heute inklusive Einnahmen aus dem DVD-Verkauf über 2 Milliarden Dollar eingespielt. Der selbsternannte König der Welt und Schöpfer von Meilensteinen der Filmgeschichte wie „Abyss“ (1989) oder „Terminator 2“ (1991) ist aber in dieser Zeit nicht untätig gewesen oder hat sich auf seinen verdienten Lorbeeren ausgeruht. Cameron hat „die größte Herausforderung angenommen“, so ließ er unlängst verkünden, der er sich je stellen musste. Große Worte, mit denen er die ohnehin große Erwartungshaltung bei seinen Fans noch steigern dürfte.

                                      Mit „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ erfüllte sich der Ausnahme-Regisseur einen Jugendtraum und arbeitete viereinhalb Jahre an seinem Projekt. „Ich habe immer von einem Film wie diesen geträumt. Ich träumte von einer anderen Welt, voller Gefahren und voller Schönheit. Mit Avatar hatte ich zu Beginn des dritten Jahrtausends, nach Filmen wie `Jurassic Park` oder `Der Herr der Ringe` und mit Robert Zemeckis Motion-Capture-Verfahren endlich die Möglichkeit, so eine Geschichte zu erzählen."

                                      „James Cameron´s Avatar“ (wie der Film zu Anfang hieß) erzählt die Geschichte des ehemaligen US-Marine Jake Sully (Sam Worthington). Der Soldat ist an einen Rollstuhl gefesselt und hat vor kurzem seinen Bruder auf einer geheimen Raumfahrt-Mission verloren. Wir schreiben das Jahr 2154. Die geheime Raumfahrt-Mission war eine Suche nach neuen Ressourcen zur Energiegewinnung. Auf dieser stieß das beauftragte Team auf den Planeten Pandora, der von den Na´vi bevölkert wird. Die Na´vi sind drei Meter große Lebewesen mit blauer Haut und besonderen Fähigkeiten. Da Menschen auf dem Planeten nicht atmen können, wurden von einem Experten-Team unter der Leitung von Dr. Grace Augustine (Cameron-Stammschauspielerin Sigourney Weaver) so genannte Avatare entwickelt, Ersatzlebewesen in Na´vi-Form, die von ihren Besitzern gesteuert werden. Jake Sully wird für das Avatar-Programm ausgewählt. Er lernt die Na´vi Neytiri (mit den Bewegungen und der Stimme von Zoe Saldana) kennen und lieben und findet sich nach einer herzlichen Aufnahme im Stamm wenig später im Kreuzfeuer eines Krieges zwischen Menschen und Na´vi wieder, die ihren Planeten verteidigen.

                                      Dass Avatar tricktechnisch neue Maßstäbe setzen würde, dass konnte jeder Filmfan bereits vor dem Film den vielen Blogeinträgen, Gerüchten und News aus der Szene entnehmen. Auch die groß angekündigten Trailer ließen daran keinen Zweifel. Nach den visuellen Meisterwerken wie „Der Herr der Ringe“ oder auch „Fluch der Karibik“ trieb Cameron die Motion-Capture-Technologie weiter voran und entwickelte gemeinsam mit Peter Jacksons Trickschmiede WETA Digital eine 3D-Kamera, die es erlaubt, mit den CGI-Modellen so variabel wie mit herkömmlichen Modellen zu drehen. Das Ergebnis dieser immensen Bemühungen, die seit 2005 auf Hochtouren liefen, ist tricktechnisch sehr beeindruckend und lässt den Gerüchten sehenswerte und atemberaubende dreidimensionale Bilder folgen.

                                      Auch die Darsteller in ihren Na´vi Körpern wirken nicht wie Schaufensterpuppen oder Totenmasken, was noch in Zemeckis Motion-Capture-Filmen wie „Beowulf“ oder „Disneys Eine Weihnachtsgeschichte“ immer wieder zu beklagen war. Camerons Figuren sind absolut fotorealistisch. Diese neue Welt, die sich der Hauptfigur und damit auch dem Publikum eröffnet, bekommt so inhaltlich durch die neue beeindruckende Tricktechnik wesentlich mehr Gewicht. Cameron lässt das Publikum die Entdeckungsreise hautnah miterleben, das Kennenlernen der Kultur der eingeborenen Na´vi, die in perfekter Harmonie mit ihrer Umwelt leben in 3-D Optik.

                                      Dass aber eine technische Brillanz allein noch keinen guten Film verspricht, die Erfahrung haben schon viele Autorenfilmer machen müssen. Nicht zuletzt der Deutsche Filmemacher Roland Emmerich mit seinen technisch beeindruckenden aber inhaltlich schwachen Untergangszenarien wie „The Day after Tomorrow“ oder „2012“. Das Grundgerüst von Avatar ist ein Mix aus Öko-Thriller und Karl May-Indianerfilm. Ein Volk kämpft für den eigenen Lebensraum mit ausweglosen Mitteln. Die Geschichte des Jake Scully, überzeugend und vielseitig verkörpert von Sam Worthington, erinnert stark an die Indianer-Filme und Figuren in „Der mit dem Wolf tanzt“ von Kevin Costner oder auch an Michael Manns „Der letzte Mohikaner“ (1992).

                                      Ein Fremder muss sich finden in einem fremden Vok. Auch in Avatar bedarf es eines Anführers, eines Leaders, der von außen und damit nicht aus dem eigenen Volk kommt, um einen Krieg gegen einen übermächtigen Gegner zu kämpfen. `Ich zeige Euch, wie das funktioniert`. Dieser Kern der Geschichte ist ein Ärgernis!

                                      Obwohl James Cameron mit seinen Bildern im ersten Viertel seines fast dreistündigen Opus´ immer wieder seine politische Aussage deutlich macht, dass ein gewaltfreies Miteinander möglich sein muss, kann er es nicht lassen, durch ständige Nahaufnahmen und späteres Aufzoomen von militärischen Geräten (Kamera stets in Bodennähe) die Kraft des Militärs zu heroisieren. Mit den Zerstörungsorgien, die eine Suche nach Bodenschätzen mit sich bringt, spielt er immer wieder auf amerikanische Militäreinsatze und nicht zuletzt auch auf den 11. September 2001 an, indem er einen wichtigen Lebensraum der Bewohner in sich zusammenfallen lässt. Hier fallen die Blätter wie einst das Papier aus dem Wolkenkratzer in New York. Auch der letzte Zuschauer dürfte mit diesen Szenen verstanden haben, dass Raubbau an der Natur nicht gut ist. Nein, nein. Der Krieg als Geißel der Menschheit.

                                      Und die Geschichte bleibt so linear. Wer gut ist, bleibt gut, wer böse ist, bleibt böse. Die Story schlägt keine Haken. Cameron bleibt beim bekehrten Technokraten, die eigenen und fremden Augen von Jake Sully sind die Augen des Betrachters. Nicht nur Terrence Malick hatte hier mit seinem „The New World“ mehr Feingefühl bewiesen.

                                      Zahlreiche Motive und Themen aus den bisherigen Filmen Camerons werden zitiert und neu arrangiert. Die Erfahrungen eines der besten Actionregisseure der Welt fließen in das Indianer-Öko-Abenteuer mit ein und werden in rund 300 Millionen Dollar teure Bilder umgewandelt. Dass diese auch einmal haarscharf am Eso-Kitsch vorbeischrammen, das Militär heroisieren, die Kraft der Natur wie eine bunte Unterwasserwelt aussehen lassen, ist der Tatsache geschuldet, dass Cameron natürlich massentaugliche, allgemein verständliche Bilder und Aussagen vermitteln und auch sein Geld wieder hereinholen möchte. Er weiß, dass das Kino seit je her ein Ort für technische Innovationen ist. Doch leider baut er seine Geschichte und Überzeugungen um neue Technologien herum und nicht umgekehrt. Die Zukunft des Kinos liegt nicht in ausschließlich in dieser neuen 3-D Technik, auch wenn Cameron die Messlatte wieder einmal sehr hoch gelegt hat, sie liegt auch in der guten, überzeugenden und emotionalen Geschichte, die mit dieser Technik transportiert werden muss.

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                                        Knockout in Runde 1

                                        Ein deutscher Boxer spielt einen deutschen Boxer. In einem Film von Uwe Boll. Das könnte die kürzeste Rezension aller Zeiten werden, denn im Grunde genommen reicht hier ein weiterer Satz: Henry Maske ist kein Schauspieler, ist kein Schauspieler, ist kein Schauspieler.

                                        Doch der Reihe nach. Nach zahlreichen erfolgreichen Computerspiel-Verfilmungen („Schwerter des Königs“, „Far Cry“) ist "Max Schmeling" das erste Biopic des deutschen Regisseurs Dr. Uwe Boll. Von vielen Kritikern und großen Teilen des Publikums wird der aus dem schönen Wermelskirchen stammende Regisseur als Trash-Filmer bezeichnet. Das kann eine Auszeichnung sein. Allerdings nur von denen, die Low-Budget Produktionen am unteren Rand der Filmkultur mögen. Oder auch eine Beleidigung. Zweifellos ist Dr. Uwe Boll ein Actionfan. So wundert es nicht, dass seine Biographie über Max Schmeling (1905-2005) auf einem Kriegsschauplatz startet. „Basierend auf wahren Ereignissen“, auch wenn der inflationäre Gebrauch dieses Siegels mittlerweile eher abschreckt, leiten diese Worte die Geschichte eines Boxers ein, die für Uwe Boll auf der griechischen Insel Kreta beginnt.

                                        Wehrmachtssoldat Schmeling wird verwundet. Seine sportliche Karriere hat der Boxer aus Berlin hinter sich, die großen Kämpfe sind ausgefochten. Aber er ist ein weltbekannter Boxer und wird natürlich auch im Feldlazarett erkannt. Ein ranghoher Offizier gibt ihm den Auftrag, einen verwundeten englischen Soldaten zu überführen. Schmeling, mit einer schweren Verletzung am Knie nur bedingt einsatzfähig, zögert, nimmt den Auftrag aber an und erzählt dem fremden Soldaten seine Geschichte. Rückblende.

                                        Bolls Inszenierung bleibt naiv und oberflächlich. Der Besetzung-Coup, den ehemaligen Boxer Henry Maske sein großes Idol Max Schmeling spielen zu lassen, geht nicht auf. Selbst in den Boxszenen wirkt Maske wie in einem Käfig, angespannt, zurückhaltend. Ganz ähnlich seinem Auftreten als Box-Experte in der ARD, wo sich der großartige Boxer ein ums andere Mal in einem Labyrinth aus ratlosen Sätzen verirrt. Maske verhält sich als Schmeling eher lustlos, allein die Liebeszene mit seiner Frau Anny Ondra (mit viel Verve: Susanne Wuest), wirkt künstlich, fast aufgesetzt. Warum er nicht synchronisiert wurde, um wenigstens Schmelings sympathischen Berliner Dialekt adäquat zu transportieren, bleibt wohl ein großes Rätsel der finanzstarken Investoren des Projektes.

                                        Dazu sehen die Boxkämpfe aus, als wären sie in irgendeiner kleinen Sporthalle gefilmt. Die Kamera ist viel zu weit weg, um die Dramatik des Kampfes glaubhaft wiedergeben zu können. Die Fußstapfen, die beispielsweise ein Ron Howard mit seinem „Cinderella Man“ (USA, 2005) und natürlich auch Martin Scorsese mit seinem „Raging Bull“ (USA, 1980) hinterließen, sind viel zu groß, als dass sie Boll auch nur annähernd ausfüllen könnte. Sogar in der Boxarena hält sich Henry Maske - neben seinem emotionslosen Spiel abseits der Arena - sichtlich zurück. Seine Schläge wirken wie die eines Kleinkindes. Die aufgeklebten Augenbrauen machen ihn noch längst nicht zu einem Max Schmeling, der Vergleich hinkt so eklatant, wie Maskes Laufschritt zu Beginn des Films.

                                        Dass sowohl Dr. Uwe Boll als auch Henry Maske ein ungebrochenes Verhältnis von Bewunderung und Sympathie ihrem großen Idol gegenüber hegen, steht außer Frage. Die Sympathie ist zu spüren, nur können beide es nicht im Geringsten auf der großen Leinwand umsetzen. Dazu fehlt dem Film die emotionale Tiefe. Die Hebel, um die für diesen Film wichtigen Elemente wie Trauer und Zorn, dem Empfinden der obszönen Gewalt des Faschismus glaubhaft zu transportieren, konnten alle Beteiligten hier nicht umlegen. Ein Trash-Film ist dies nicht aber von einem guten Biopic über ein deutsches Box-Idol ist Uwe Bolls Film weit entfernt.

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                                          Liverpool in den 50ern. Die Kamera auf dem Dolly rollt durch die Straßen. Weiße Gartentore, tiefe Fenster, alles sauber, alles clean. An einem unscheinbaren Hauseingang inkl. verklinkerter Fassade bleibt die Kamera stehen. Hier wohnt er also. DER Beatle, der Musiker, John Lennon. Doch zunächst lernt der Zuschauer nicht den titelgebenden "Nowhere Boy" kennen, sondern die eigentliche Hauptperson des Spielfilmdebüts von Sam Taylor-Wood, es ist John´s Tante Mimi, herausragend verkörpert von Kristin Scott Thomas.

                                          Nach den vielen Nacherzählungen und Biografien über Künstler und Band (es sind fast 40 an der Zahl, inkl. "Yellow Submarine", "Beatlemania" und "Backbeat"), soll es jetzt also um die Jugendjahre des John Winston Lennon gehen. Und in diesen Jahren (und auch in allen weiteren, so erfahren wir später) spielt Tante Mimi eine entscheidende Rolle. Wer dies noch nicht wusste, bekommt John´s schwierige Verhältnis zu seiner Tante dezidiert serviert, in allen Einzelheiten, Stück für Stück, Stein auf Stein. Jede Begegnung, jeder Dialog geht mit einem Konflikt schwanger, der sich wie ein dunkler Schatten auf die ansonsten rührselige Darstellung des Liverpooler-Arbeitermilieus Mitte der 50er Jahre legt. Denn da Lennons eigene Mutter als eine gespaltene Persönlichkeit irgendwo zwischen nymphoman-manisch-depressiv oder einfach nur etwas zu lebenslustig für ihre Zeit dargestellt wird (köstlich: Anne-Marie Duff), wächst Lennon bei seiner deutlich strengeren Tante auf.

                                          Ergo erzählt die von der Videokunst kommende Taylor-Wood streng genommen zwei Geschichten, zum einen die der jungen Jahre des ersten Beatle John Lennon zwischen Schulabbruch und Gründung seiner ersten Band und zum anderen ein familiäres Drama im strengen Schoß der Tante. Und genau darin liegt das Problem. Über jeder (Familien-)Szene liegt der schwere Beatle-Ballast der späteren Weltkarriere. Zielgenau zum 30ten Todestag in den deutschen Kinos, wurde das Leben und das kreative Schaffen Lennons im Vorfeld dieses Ereignisses bereits rauf und runter exerziert. Hier lernt der junge Lennon - zwar mit Aaron Johnson überzeugend aber zu Anfang deutlich zu alt (der 19jährige Johnson spielt den 15jährigen Lennon) besetzt - bei seiner Mutter, die Lennon im Alter von 15 ausfindig macht, das Banjo-Spiel kennen. Jeder Zuschauer wartet auf die ersten Takte von "Let it be", "Yesterday" und Co.. Doch Fehlanzeige.

                                          Zudem treten erst am Ende des Films die weiteren Bandmitglieder ins Geschehen ein. Thomas Brodie Sangster, der junge schwer verliebte Sohn von Liam Neeson in "Love Actually", der ursprünglich für die Hauptrolle vorgesehen war, versucht sich an der Figur Paul McCartney - und scheitert kläglich. Wie auch die Musikauswahl von Will Gregory, der die frühen Einflüsse in der Musik der Beatles mit zahlreichen Rock´Roll-Klassikern und ersten Blues-Crossover-Elementen zu unterstreichen versucht. Das ist jedoch zu viel des Guten und vor allem alles andere als inspirierend. Wer zudem Beatles-Songs hören will, wird enttäuscht.

                                          Und am Ende, nach dieser überzeugenden Verwandlung Lennons vom rotzfrechen Schulabbrecher zum gefügsamen Bandmitglied - eine Verwandlung, die zu Anfang nur stockend in Fahrt kommt, um an ihrem Höhepunkt, einer gemeinsamen Szene von Tante, Mutter, Sohn von Kristin Scott Thomas an die Wand gespielt zu werden - fragt man sich zu Recht, ist über den Beatle John Lennon und vor allem über die Beatles nicht schon alles erzählt?

                                          • 7

                                            Ihr Leben – eine Reise, eine Lebensreise. Doch nicht der Weg ist ihr Ziel. Auch das Ziel selbst hat nur eine geringe Bedeutung. Die Verbreitung einer Botschaft ist Weg, Ansporn und Ziel zugleich. Ihre Botschaft heißt Hoffnung. Und wer ein Porträt über die Tierschützerin und Aktivistin Jane Goodall machen wollte, sollte nicht die Schönheit des Naturschutzgebietes in Tansania einfangen, in dem sie selbst ihr halbes Leben verbracht hat, der Filmemacher sollte diese eine Botschaft vermitteln, mit der die mehrfach ausgezeichnete Aktivistin 300 Tage im Jahr um die Welt reist: Hoffnung. Hoffnung auf Erhalt und Hoffnung auf Verbesserung.

                                            Doch wie setzt man filmisch den Transport der Botschaft Hoffnung um? Abseits von pathetischen Pamphleten und industriell-finanzierten Werbefilmen a la „Home“ (Yann Arthus-Betrand, 2008) oder „Die 4. Revolution“ (Carl-A. Fechner, 2009)? Keinem Filmemacher hatte Jane Godall trotz zahlreicher Filmprojekte über ihre Arbeit in den letzten 50 Jahren ihr Vertrauen für eine Lebensbeichte schenken können. Über den Menschen Jane Goodall existiert deshalb zwar viel Buch- aber nur sehr wenig Filmmaterial. Es beschränkt sich auf selbst gedrehte Super-8-Filmaufnahmen, die auch in dieser Dokumentation zu sehen sind, oder Aufnahmen einiger Auszeichnungen oder von ihren zahlreichen Vorträgen.

                                            Dem Münchner Filmemacher Lorenz Knauer und der NEOS Filmproduktion war es 2005 gelungen, eine vertrauensvolle Beziehung zu der mittlerweile 71-jährigen Tierschützerin aufzubauen. Filmemacher und Produzenten wussten, dass ihr Porträt streng genommen zwei Filme werden müssen. Zum einen ein inspirierendes, menschliches Porträt und zum anderen ein Appell mit mahnenden und gleichzeitig wunderschönen Aufnahmen. Drei Jahre begleitete der Mit-Fünfziger Lorenz Knauer die unstete Aktivistin, begleitete sie zu zahlreichen Vorträgen und Auszeichnungen. Er interviewte Familienangehörige, wie beispielsweise ihren Sohn, mit dem Jane Goodall über Jahre nicht gesprochen hatte und sogar Hollywoodstars wie Angelina Jolie oder Pierce Brosnan, die Jane Godall bei persönlichen Gesprächen kennen lernten.

                                            Trotz der stetigen Nähe der Kamera, der musikalisch unterlegten Landschaftsaufnahmen, die manchmal am Rande des Postkarten-Kitsch kratzen und der teilweise allzu langen und tiefen Blicke in afrikanische Kinderaugen ist Lorenz Knauer ein beeindruckendes Porträt gelungen. Ein filmisches Porträt, das natürlich von der Präsenz und dem Charisma der Hauptdarstellerin lebt. Einer Grande Dame, einem Rockstar unter den Umweltaktivisten, wie sie im Film mal vorgestellt wird, die sehr persönlich und auch selbstkritisch über ihr Leben berichtet.

                                            Lorenz Knauer belegt die persönlichen Erzählungen mit alten Filmaufnahmen, die fast paradiesische, einfühlsame Szenen von Mensch und Tier zeigen. Am Ende jedoch werden nicht diese, sondern die weniger paradiesischen Szenen haften bleiben. Die Szenen, die Jane Goodall bei ihren Besuchen in den Flüchtlingscamps und Reservaten zeigen. Hier wird die heute 75-jährige mit ihrem Stoff-Schimpansen, den sie stets bei sich trägt, Hoffnung verbreiten. Im Gegensatz zu den vielen Stars und Sternchen, Moderatoren und Möchtegern-Prominenten, die in 3.-Welt-Länder reisen und Hoffnung verbreiten wollen, wird man ihr das schwierige Unterfangen ernst- und letztendlich auch abnehmen. Und damit wäre Lorenz Knauer genau das gelungen, was Dr. Jane Goodall wollte: Nicht die Person steht im Vordergrund, sondern der Transport einer Botschaft. Und diese Botschaft heißt Hoffnung. Hoffnung auf Erhalt, Hoffnung auf Besserung und Hoffnung in unsere Jugend, es besser zu machen. Ein inspirierender, ein bewegender Film.