HansNase - Kommentare
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Alle Kommentare von HansNase
Damien Chazelles "Aufbruch zum Mond" zeigt Vorgeschichte, Vorbereitung und Durchführung der Apollo-11-Mission und wird zum sehr persönlichen Neil-Armstrong-Porträt. Geschätzt 40 Prozent des Films schildern die Widrigkeiten der technischen Umsetzung und machen klar, was das Wort "Pionierleistung" bedeutet. So wirken NASA-Hightech und die metallenen Weltraum-Monstren rückblickend doch arg beisammengetackert. Gemini- und Apollo-Programm gingen wohl viel mehr mit Provisorien, Risiken und Unklarheiten einher, als es einem die schicken Raumanzüge und Raketen zunächst weismachen. Neil Armstrong (Ryan Gosling) weiß den Tod als ständigen Begleiter neben sich. So wird Armstrong in einer Szene zum fast hilflosen Insassen einer unkontrolliert rotierenden Raumkapsel - Der Drehrumbum beim Zuschauer ist hier inbegriffen. Die Kosmonauten und Astronauten der 60er Jahre dürfen wohl zu Recht in einer Reihe mit den Amundsens, den Hillarys und Norgays, mit den großen Pionieren des 20. Jahrhunderts, gesehen werden. Das ist vielleicht die Quintessenz von einem Teil des Films. Der Rest ist haarsträubend.
Da wird die persönliche und bisweilen tragische Familiengeschichte von Neil Armstrong geschildert. Hier tun sich also Abgründe auf. Und oha, die Erkenntnis: man kann auch den Widrigkeiten des Lebens zum Trotz immer noch Sachen und Dinge machen. Sogar in eine Rakete steigen. So weit, so langweilig und althergebracht, aber nicht weiter schlimm. Doch der Film verbreitet durchweg eine Stimmung, als sei ein kollektives Frustbesäufnis das Sinnvollste, das die Menschheit tun könne - Eben darauf aufbauend will Regisseur Chazelle nun klar machen, man solle auf den Mond fliegen. Die Ankunft auf dem Erdtrabanten wird dann lang und ausführlich auf der Leinwand ausgebreitet. Allerdings nicht mit der blumigen Bildsprache von Philip Kaufmans "Der Stoff, aus dem die Helden sind" und auch nicht mit dem ekstatischen James-Horner-Soundtrack von "Apollo 13". Stattdessen hören wir das immergleiche, narkoleptische 10-Sekunden-Thema von Justin Hurwitz und sehen Gosling über das grau-langweilige Anorthosit-Gestein der Mondoberfläche hopsen. Bei Georges Méliès' "Reise zum Mond" von 1902 sah das noch spannender aus und dauerte bloß eine Viertelstunde - statt indiskutablen 140 Minuten.
Die Geschichte von Zirkuspionier P. T. Barnum und seinem Kabinett "menschlicher Kuriositäten". Eine bärtige Frau, ein kleinwüchsiger Mann und siamesische Zwillinge besingen mit poppigen Liedern ihr Schicksal. Hugh Jackman und Zac Efron setzen zur Gruppenumarmung an.
So seien Musicals nun einmal, heißt es. Dass „Geschmacklosigkeit“ zu den inhärenten Eigenschaften des Genres gehört, dürfte Fans von Gene Kelly und Julie Andrews jedoch neu erscheinen. "Greatest Showman" fährt bei jedem Lied die volle Dröhnung aus tonhöhenkorrigiertem Gesang und Klavier und Gitarre und Streichern und Perkussion und elektronischen Elementen auf und wenn man dann auch noch auf die Leinwand schaut, sieht man schlecht gespielte Tränen und einen einfältig strahlenden Hugh Jackman. Am Ende des Tages lässt sich über Geschmack noch immer nicht streiten – Die Diabetes-Gefahr dieses Films herunterzuspielen, wäre allerdings gefährlich.
Da spielt einer der meistgehassten Schauspieler der Welt im sechsten Teil eines mittelmäßigen Franchise die Hauptrolle und das Ergebnis soll zu den besten Filmen des Jahres gehören? Erklärungsbedarf! "Mission: Impossible - Fallout" vermeidet zunächst einmal einen Fehler, den sonst viele Blockbuster begehen. Zwar ist es nicht schlimm, wenn ein Film keine gute Geschichte hat, jedoch ist es durchaus schlimm, wenn er sich zu lang mit einer schlechten Geschichte aufhält. Zweiteres unterläuft Regisseur Christopher McQuarrie nicht. Von den 139 Minuten, die bis zum Abspann vergehen, entfallen (ja, handgestoppte) 78 Minuten auf Szenen von wildem Drunter-und-Drüber. Nicht einmal die Hälfte der Laufzeit ist ruhig und von Dialog getragen - bei dieser Story wohl besser so.
Tom Cruise schlüpft also mal wieder in die Rolle von Ethan Hunt, dem Kopf der fiktiven Spezialeinheit "Impossible Missions Force" (IMF). Die Chefetage hat Wind bekommen von John Lark, einem ansonsten unbekannten Terroristen. Der möchte die Welt brennen sehen und trachtet nach waffenfähigem Plutonium. Die Terrorgruppe "Apostel" soll als Handlanger fungieren und das radioaktive Material beschaffen. Natürlich nicht ohne Gegenleistung: Der aus dem Vorgängerfilm bekannte Solomon Lane (Sean Harris) ist der Kopf der "Apostel" und sitzt dank Ethan Hunt im Knast. Nun soll Lark die illegale Freilassung bewerkstelligen. Das IMF ist also gefragt, den bösen Plänen einen Riegel vorzuschieben.
Die Verstrickungen, die Drehungen und Wendungen sind mitunter verwirrend. Wo kommt jetzt auf einmal Rebecca Ferguson her? Was hat es nochmal mit Henry Cavills Figur auf sich? Das ist aber auch nebensächlich. Denn allein was zwischen Minute 22 und 33 passiert, hat man in der Form selten erlebt. Cruise und Cavill springen aus einem Flugzeug hinein in den Pariser Abendhimmel. Dort gehen Dinge schief, die im freien Fall besser nicht schiefgehen sollten. Die Sequenz führt auf das Dach des Grand Palais, hinein in eine kunterbunte Disco-Veranstaltung und von dort in eine strahlend weiße Herrentoilette. Es folgt eine nette Klopperei. Und schließlich sehen wir einen güldenen Ballsall, der auch einer Rocher-Werbung entstammen könnte. Es ist einer von vielen Abschnitten, die kaum zum Luftholen Zeit lassen, die Action in einer selten erlebten Virtuosität zeigen und die an jeder Stelle was fürs Auge bieten. In seinen Worten mag es ein dummer Film sein. In seinen Bildern ist er voller Ideenreichtum und Scharfsinn. Wie "James Bond" und "Indiana Jones" ist auch die "Mission Impossible"-Reihe ein Kind von Hitchcocks "Der unsichtbare Dritte": Action-Kino, das auf Reisen geht. "Fallout" setzt seine Reiseziele - Paris, London und das Karakorum-Gebirge - dann perfekt in Szene. Hie und da blitzen auch Erinnerungen an große Klassiker auf. Tom Cruise wird im Kreisverkehr des Arc de Triomphe zum Geisterfahrer und prompt denkt man an Claude Lelouchs Kurzfilm "C'était un rendez-vous" von 1976. Damals gab es eine authentische Raserei zu sehen und Authentizität ist wohl auch das, was Tom Cruise umgetrieben hat. So schulterte der umstrittene Darsteller viele Stunts selbst, musste in London einen Knöchelbruch in Kauf nehmen. Und so ist man über die friedlicheren Szenen dann doch ganz dankbar. Da bleiben die Glieder auf jeden Fall heil, der Puls beruhigt sich und der famose Soundtrack von Lorne Balfe, einem Zögling aus Hans Zimmers Arbeitsgruppe, liefert den letzten Schliff. Danach geht's wieder ins Getümmel. "Mission: Impossible - Fallout" besinnt sich im Zeitalter der Serien auf die Stärken der Kinoleinwand.
Beim Durchschauen entsprechender Kommentarspalten fallen immer wieder einige typische Sätze auf.
"Warum schauen sich Marvel-Hater die Filme überhaupt an, obwohl sie wissen, dass es ihnen nicht gefällt?"
Diese Frage setzt ja erst einmal voraus, dass Der-/Diejenige tatsächlich Marvel-Filme prinzipiell mit Verachtung strafte. Dass "Guardians of the Galaxy", "Civil War", "Infinity War" aber auch dann missfallen können, wenn man beispielsweise "Thor", "Captain America 2", "Iron Man 3" und "Ant-Man" viel Positives abgewinnen konnte, wird gar nicht erst in Betracht gezogen. Ab gesehen davon wurde "Infinity War" zuletzt meist eben nicht als "Film für Fans der Comics" angepriesen, in aller Bescheidenheit, sondern mal wieder als das Nonplusultra der Kinokunst in den Himmel gehoben - Der Vergleich mit Meisterwerken aus der Filmgeschichte wird nicht gescheut.
"Wer hier shakespearesche Dramen erwartet, ist fehl am Platz. Auf die Story kommt es einfach nicht an."
Dieses Argument gilt sicherlich für Beispiele wie "The Raid" und "John Wick" - Die Einführung in die Geschichte wird kurz abgeklappert, die Handlung im Laufe des Films auf das Nötigste beschränkt und ansonsten geht es auf ins Getümmel. Bei "Infinity War" jedoch überwiegt das, deutsch gesprochen, "Gelaber" locker alle Action-Sequenzen und ist zudem von bedeutungsschweren Phrasen zu den "Infinity-Steinen", der Motivation des Bösewichts und den "zwischenheldischen" Konflikten gekennzeichnet. Da diese misslungene Erhebung banalster Handlungselemente, hinauf ins Mythische, schrecklich langweilt, kommt es nun einmal doch auf die Handlung an - Sie ist nur einfach nicht gut. Es kann nicht "nicht" auf etwas ankommen, dass so viel Raum bekommt. In ähnlicher Weise kann man nur schwer behaupten, es käme in einem Restaurant nicht auf die Deko an, wenn dort erwürgte Katzen an der Wand hängen.
"Der Film will bloß unterhalten."
Der vorhergehende Absatz deutet schon an, dass auch der Unterhaltungsfaktor von "Infinity War" krankt. Man hätte den Film ohne Qualitätsverlust um eine Stunde herunterkürzen können, sodass nur noch Kämpfe, Flugkünste und Schlachten übriggeblieben wären. Doch das Unterhaltungsproblem hat verschiedene Facetten. "Unterhaltung" bedeutet, dass bestimmte Emotionen angesprochen werden. Aber welche Emotionen sind das in diesem Fall? Romantische Momente werden durch albernen Witz gebrochen. Die lustigen Momente sind mitunter recht wirkungsvoll, doch in den meisten Fällen besteht der vielzitierte Marvel-Humor darin, die eigens geschriebenen ernsten Dialoge ironisch zu brechen, die eigens inszenierten Schlachten mit zwischenzeitlichem Smalltalk der Helden zu kontrastieren, die eigens gestalteten Bösewichte durch einen coolen Spruch des Helden bloßzustellen. Das ist keine Kunst und es ist redundant. Ist der Film wenigstens spannend? Im Falle der allermeisten Superheldenfilme ist das besonders knifflig. Damit es spannend ist, muss man mit den Figuren mitfiebern können. Als Zuschauer ist hier jedoch schwer zu erfassen, was Held und Bösewicht können und was nicht. Aus jeder noch so brenzligen Situation winden sie sich heraus. Kein Tod scheint endgültig zu sein, kein Zauber unübertrumpfbar. Irgendwann ist kaum noch etwas von dem, was auf der Leinwand geschieht, ernst zu nehmen. Es fehlt den Figuren eine physische oder charakterliche Achillesferse, dank der sie eine glaubwürdige Fallhöhe bekämen. Gute Gegenbeispiele wären die Figur des Hexenkönigs in "Der Herr der Ringe", der T-1000 in "Terminator 2" oder Robert De Niro in "Heat". Stattdessen ist jeder Kampf in "Infinity War" ein plattes Vor-Sich-Hin-Passieren bunter Stimulanzien für die Augen.
"Dafür, dass es so viele Charaktere gibt, haben die Macher eine gute Ballance gefunden."
Allerdings ist zu fragen, warum man den Film überhaupt mit so vielen Figuren ausstaffiert, schließlich ist es nicht irgendein "Hauptsatz des Filmemachens", ein Werk mit Figuren vollmüllen zu müssen. Überdies gelingt besagte Balance hier denkbar schlecht: Im Prinzip hätte man Chris Evans und Don Cheadle weglassen können; schlussendlich sind Scarlett Johansson und Anthony Mackie trotz allen Bemühungen um eine gute Aufteilung der Screentime nicht mal mehr als Stichwortgeber geeignet. Die Macher wären in der Position gewesen, auf Figuren zu verzichten, diese Hoheit wurde nicht genutzt. Offenbar soll hier schon das bloße Auftreten eines Gesichtes Endorphin-Ausstoß beim Zuschauer verursachen. "Guck mal, den da kenn ich!" Viele Auftritte folgen keiner handlungsspezifischen Notwendigkeit, sondern sind reiner Selbstzweck. Zwar kann es durchaus ein Qualitätskriterium sein, dass ein Film viele Stars hat, allerdings nur dann, wenn auch jeder davon etwas zum Film beitragen kann (James Foleys "Glengarry Glen Ross") oder wenn der bunte Reigen ein Stilmittel zugunsten der Botschaft des Films ist (Robert Altmans "The Player").
"Viele, die hier kritisieren, haben scheinbar keine Ahnung, was eine gute Comic-Verfilmung ausmacht."
Dieser Satz ist oft zu hören und war vor allem in Bezug auf "The First Avenger: Civil War" schwer zu verstehen. Schließlich würde man doch vor allem bei einer Comic-Verfilmung eine schrille Inszenierung, Überspitzungen und ein gewisses Augenzwinkern erwarten, wie in Warren Beattys "Dick Tracy", Frank Millers "Sin City" und Matthew Vaughns "Kick-Ass". Stattdessen sah man ein karges Grau-in-Grau und bierernste Dialoge zu einem dann leider doch völlig unzureichend behandelten Thema. In der Hinsicht hat es "Infinity War" schon deutlich besser gemacht. Immerhin ist der Film mal konsequent ein bisschen bunt, wenngleich die meisten Effekte so wirken, als habe man sie willkürlich in 5 Minuten auf dem Klo erdacht und dann in monatelanger Arbeit umgesetzt. Der Begriff "Comic-Verfilmung" sollte, unabhängig davon, vor allem einen guten Film bedeuten und nicht ein Festklammern an der Vorlage - wie schon im Falle von Buchverfilmungen. Wer eine Blaupause der Vorlage möchte, braucht dazu nicht das Kino. Wichtig ist, dass der Film mit den Mitteln des Filmemachens arbeitet und dass hierdurch ein gutes Gesamtwerk entsteht. Das bewegte Bild muss nämlich am Ende aus sich selbst heraus wirken und es nimmt wohl kaum jemand einen Comic als "Begleitheft" mit in die Vorstellung. Um einen Marvel-Film beurteilen zu können, muss man somit auch nicht zwangsläufig Comics gelesen haben - Ahnung von Filmen zu haben, sollte ausreichen, um einen guten Film zu erkennen.
"Also ich fand den Film gut!"
An diesem Satz ist nichts Verwerfliches, nichts Falsches, nichts Unreines. Allerdings wird er oft als Totschlagargument verwendet. "Ich fand den Film gut," ist der Präzedenzfall, wonach es anscheinend möglich ist, den Film gut zu finden und weswegen jede Kritik am Film als elitär, den Gegenüber-als-dumm-darstellend und deshalb unzulässig dargestellt wird. Warum viele Marvel-Fans, anders als im Falle anderer Genres, kein Interesse an einem gesunden Dissenz haben, bleibt schleierhaft.
"Man sollte über so einen Film nicht so viel nachdenken."
Die ausufernden Gedankengänge vieler Kritiker sind manchmal viel eher der Versuch, die bereits während der Vorführung empfundene Langeweile nachträglich in Worte zu fassen.
"episch", "bombastisch", "düster"
Auffällig an den meisten Pro-Marvel-Beiträgen ist die übermäßige Verwendung an Adjektiven gegenüber spärlicher Verwendung einleuchtender Erläuterungen. Manchmal wird erklärt, man wolle eben nicht spoilern. Allerdings ist das schon etwas merkwürdig. Bisher war es noch bei jedem Film-Genre, auch dem albernsten aller Unterhaltungsfilme, möglich, das Positive halbwegs analytisch herauszuarbeiten - Seien es "Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug" "The Rock" oder "300". So wenig sich anscheinend die Quintessenz eines Streifens wie "Infinity War", ob in moralischer oder formal-filmischer Hinsicht, benennen lässt, so sehr drängt sich das Urteil auf, dass diese Filme nicht nur Massenware sind, sondern dass sie auch keinem anderen Zweck dienten. Sie sind ein Rohstoff, homogen, ohne Anfang, ohne Ende, ein Limbus des Nichts. Sie werden konsumiert wie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", wie Energy Drinks, Pornos und Schokolade. Doch wo wir schon bei positiven Gesichtspunkten sind, so möchte ich diesen Beitrag zumindest positiv enden lassen. Zwei Dinge haben mir am dritten Avengers-Film doch gut gefallen: Ein zwischenzeitliches Interagieren, dass ich nicht näher erläutern werde, zwischen dem Baum Groot und Chris Hemsworth in der Rolle des Thor, entbehrte nicht einem gewissen Witz. Der Verzicht auf Musik in einer (in Hinblick auf Kommendes eher vermeintlich) entscheidenden Szene, war so dezent, wie ich es mir häufiger in diesem Blockbuster gewünscht hätte.
Ein wiederkehrendes Motiv von Hayao Miyazakis Filmen ist das Verhältnis vom Mensch zur Natur. Umweltzerstörung ist in "Nausicaä", dem zweiten Kinolangfilm des Regisseurs, das zentrale Thema - nichts Unübliches für diese Zeit, immerhin stammt der virale Schlagerhit "Fichtls Lied" von den Woodys ebenfalls aus dem Jahr 1984. Miyazaki verpackt seine Kritik dann aber doch ein wenig geschickter. "Nausicaä" benutzt kluge Metaphern, um Zustandekommen und Folgen von Umweltzerstörung zu erörtern. Riesenasseln, einem Piratenschiff ähnelnde Flugzeuge, ein an die Atombombe mahnender Gigant tragen diese Geschichte. Vor allem erkennt der Anime die Komplexität der Ursachen für Umweltmissachtung an. Während viele ähnliche Filme nur die Konstellation Mensch gegen Natur zugrundelegen, führt Miyazaki mehrere sich bekriegende Parteien auf Seiten der Menschen ins Feld. Die Natur wird dadurch eher als weinender Dritter zum Geschädigten und fällt der zwischenmenschlichen Machtkonkurrenz zum Opfer. Komplex wird auch die Reaktion der Natur auf den Menschen betrachtet. Manche Folge, die zunächst bedrohlich wirkt, stellt sich als reinigende Maßnahme heraus, ähnlich einem Fieber, Schnupfen oder Husten.
"Nausicaä", ein seinerzeit noch unterhalb des westlichen Radars laufender Animationsfilm, lässt bereits unzweifelhaft die Größe des Regisseurs Miyazaki erkennen und war zudem seine erste Zusammenarbeit mit Joe Hisaishi, dem famosen Komponisten epischster Orchestrationen späterer Studio-Ghibli-Meisterwerke.
Der experimentelle Kurzfilm "C'etait un rendez-vous" soll kurz nach seiner Uraufführung 1976 beschlagnahmt worden sein, immerhin ist darauf eine authentische Rasersequenz von der Stoßstange aus durch das wunderschöne Paris an einem frühen Morgen zu sehen. Die Odyssee wurde darüber hinaus spontan bewerkstelligt - Ob es Straßensperren à la "Achtung, Dreharbeiten" gegeben habe? - Haha, der war gut.
Das klingt nach einem sinnlos, verantwortungslos und halsbrecherisch entstandenen Film, aber nur die letzten beiden Adjektive treffen zu. "C'était un rendez-vous" ist ein Lehrstück dafür, wie man durch einen einzigen Moment einem Film Bedeutung geben kann. Gemeint ist damit das, was in den letzten Sekunden des knapp neunminütigen Himmelfahrtskommandos zu sehen ist. Nachdem der Mercedes 450 SEL 6.9 vom Arc de Triomphe aus über die Tuilerien und den Louvre schließlich auf den Montmartre gelangt, hält er am Fuß der Kirche Sacré-Cœur. Hinter der Kamera verlässt ein Mann den Wagen und läuft auf eine Frau zu, welche soeben die Treppe zum Vorplatz der Kirche hinaufsteigt - Umarmung, Ende. Die plumpe Raserei, der verlängerte Penis auf dem Asphalt, die kulturlose Radkappen-Masturbation entpuppt sich als eine still angedeutete, heißblütige Geschichte von Leidenschaft. Und das in einem für die Ewigkeit festgehaltenen Paris der 70er-Jahre.
"Andrej Rubljow", das sind fast drei Stunden sowjetisches Kino, hierzulande meist verfügbar in Form angsteinflößend mieser DVD-Qualität. Und die ersten zwei Stunden lassen viele Zuschauer dann auch noch bald verzweifeln. "Was soll das?" "Wo bin ich hier?" "Lecko mio, Dynamo hat schon wieder drei Dinger kassiert!" Doch wenn von Andrej Rubljow die Rede ist, dann geht es zumeist um die "Glockengießer-Szene". Diese "Szene" - Und der Begriff hält hier einer näheren Betrachtung kaum stand - erstreckt sich gut und gerne über die gesamte letzte Stunde. Breit und ausführlich wird ein Arbeitsprozess gezeigt, die Herstellung einer Glocke. Das erinnert an so manche DDR-Literatur, etwa Romane von Eduard Claudius.
Wozu das alles? "Andrej Rubljow" war russischer Ikonenmaler im 14. und 15. Jahrhundert. Die Innenwände orthodoxer Kirchen waren also seine Leinwände, ein strenger Glaube seine Inspiration. Die geht ihm im Film abhanden, nachdem ihn Krieg, Korruption, Unmoral in Selbstzweifel stürzen. In der Stadt Wladimir legt er ein Schweigegelübde ab. Eines Tages soll das dortige Kloster ein neues Geläut erhalten - Ein junger Emporkömmling nimmt sich des Vorhabens an.
Die Kraft dieses Schlusskapitels geht von der Einfachheit und Klarheit seines Anliegens aus. Woran kann ein Glaube fixiert werden? Umso einschlagender ist die Antwort, nachdem sich der lange Anlauf des Films lohnt und in den Schlussminuten zu einer filmisch-transzendenten Erleuchtung kulminiert.
"Singin' in the Rain" gehört zu den Filmen, denen oft eine mangelnde Handlung vorgeworfen wird. Da ist er zu "The Raid", "Gravity" und "Son of Saul" gar nicht so verschieden. Diese Sichtweise sitzt einem üblen und verbreiteten Irrtum auf: Ein Film kann gut und gerne eine Handlung haben, ist aber in keinster Weise darauf angewiesen. "Film" ist ein audiovisuelles Medium: Es gibt mehr oder weniger bewegte Bilder zu sehen und vielleicht auch noch was zu hören. Niemand würde auf die Idee kommen, "Der Mann mit der Kamera", "Koyaanisqatsi" oder "Samsara" ein Defizit an Story vorzuwerfen. Dennoch sind diese Filme nicht nur einigermaßen wertvoll, sondern auch gut konsumierbar. Wo liegt also das Problem mit "Singin' in the Rain", wenn es bei noch weniger narrativen Filmen auch keines zu geben scheint? Eingepackt in ein farbenprächtiges Technicolor-Feuerwerk präsentieren Gene Kelly, Debbie Reynolds und Donald O'Connor die pure Freude an der Bewegung des menschlichen Körpers zum Rhythmus vergangener Klassiker. Es ist eine Ekstase an Kulissenbau, Kostümbild und Choreographie. Die Kunst liegt hier in den Momenten, in denen nicht erzählt, sondern nur gesungen und getanzt wird und erfreulicherweise werden diese Momente oft über mehrere Minuten ausgereizt. "Singin' in the Rain" vertritt die Ideologie der oberflächlichen Perfektion, aber er vertritt sie meisterhaft.
Um zu lesen, man habe "das Zombie-Genre neu definiert" reichte es schon, "Braindead" 1:1 nachzudrehen, wenn man nur "Die Party ist vorbei" durch "Die Party ist zu Ende" ersetzte. Der koreanische Beitrag "Train to Busan" einverleibt dem Stoff jedoch tatsächlich einen frischen Fahrtwind. Hier findet die Apocalypse im Zug statt; dieses Szenario ist aber nicht das entscheidende Detail, das diesen Film so großartig macht, nein, es ist eine Szene gegen Ende des Films, die "Train to Busan" auf eine geradezu religiöse Ebene hebt. Da darf man nicht viel verraten, nur anreißen, was passiert: Eine der Figuren begeht eine scheinbar unverständliche Handlung, die das "jüngste Gericht" (der Katholizismus ist in Südkorea tatsächlich sehr präsent) über zahlreiche Mitstreiter hereinbrechen lässt. Dieser Schachzug ist allerdings die logische moralische Konsequenz aus dem Handeln der Gestraften, die jegliche Selbstlosigkeit ablehnen und dafür prompt die Quittung erhalten.
Nach dem etwas holprigen Beginn des Films darf man überrascht sein, wie routiniert und erfolgreich Spannung aufgebaut wird. Auch als die Helden das Reisegefährt verlassen, gleitet der Film nicht ins Beliebige ab, sondern erreicht ungeahnte Höhen des Schauderns.
Der Wahnsinn des schizoaffektiv gestörten Pianisten David Helfgott spiegelt sich in keinster Weise in der darauf aufbauenden Filmbiographie "Shine - Der Weg ins Licht" wider. Leider erweist sich Scott Hicks' Drama als denkbar klassisches Biopic nach britisch-amerikanischem Rezept, wenngleich hier eine australische Produktion vorliegt. In "Citizen Kane"-Manier wird mit einer im späteren Verlauf der Handlung angesiedelten Szene begonnen. Und dann: David Helfgott als Kind (Alex Rafalowicz), eine Reihe zu kämmender Igel, steiniger Wege, den Protagonisten auf ewig verfolgender Geister und schließlich David Helfgott als Erwachsener (Geoffrey Rush). Das ambivalente Verhältnis Helfgotts zu seiner Familie arbeitet Komponist David Hirschfelder mit einfühlsam gefiedelten Stimmungswechseln fabelhaft heraus. Armin Mueller-Stahl als innerlich zerrissener Vater zeigt die einzige schauspielerische Darbietung, die so etwas wie eine künstlerische Mitgestaltung erkennen lässt. Alex Rafalowicz und Geoffrey Rush bemühen sich in erster Linie, die Krankheit authentisch abzubilden.
Eine gute Bewertung verdient sich "Lion", wenn man Garth Davis' Film nicht als Film, sondern als ordentlich arrangierte Google-Werbung handelt. Die Zutaten sind alle da: Noch die größte Armut des indischen Subkontinents ist schick ausgeleuchtet und tänzerisch gefilmt. Schöne Menschen und runde Kinderaugen besetzen die Hauptfiguren. Im Hintergrund läuft die ultimative Trigger-Musik.
Die wahre Geschichte wird dann als etwas ganz Besonderes verkauft. Sie ist rührend und enthält einige kinotaugliche Überraschungen. Doch so besonders sind die wahren Begebenheiten hinter "Lion" eigentlich gar nicht und das aus zwei Gründen.
Bereits vor dem Film war zu befürchten, dass hier eine Dankeslaudatio an Google zu erwarten sei. Dann kommt es aber noch schlimmer und die digitalen Landkarten gelangen mehr und mehr in den Mittelpunkt des Dramas. Google Earth gehört zu den wichtigen Werkzeugen der Aktiengesellschaft aus Mountain View/Kalifornien, um sich für Internetkonsumenten unabdingbar zu machen. Der australische Held in "Lion", gespielt von Dev Patel, profitiert von dieser Erfindung, um zurück zu seiner indischen Familie zu finden. So zeigt "Lion" jedoch nicht, wie verrückt und unglaublich sich "Der lange Weg nach Hause" gestaltet, sondern nur, wie viel man mit den rot-gelb-grün-blauen Buchstaben anstellen kann. Auch in Steven Frears' "Philomena" half die Digitalisierung, um eine entzweite Familie wieder zusammenzubringen. Die reale Geschichte dahinter (und somit auch der Film) begegnen diesem Umstand jedoch mit einer gewissen Ironie, wenn man bedenkt, wo die Suche hinführt [SPOILER zu "Philomena"!] - Nämlich zurück vor die eigene Haustür. [SPOILER-Ende]
Der zweite Grund, weshalb diese wahre Geschichte gar nicht so unglaublich ist, beruht auf Stochastik. Natürlich ist es für ein Individuum wie den von Patel gemimten Saroo der schiere Wahnsinn, nach mehreren Jahrzehnten seine verloren geglaubte Heimat wiederzufinden. Doch man sollte sich auch überlegen, auf welche Weise die Drehbücher zu derartigen Geschichten zustandekommen. Da bestünde immer auch die Alternative, weniger versöhnliche Stories zu verfilmen. Statt einer Tragödie über die Tsunami-Katastrophe von 2004 fand sich jedoch "The Impossible" bei den Oscars wieder. Statt "40 Years a Slave" gewann "12 Years a Slave" als Bester Film. Und statt einer bitteren Waisengeschichte bekommt man nun "Lion" vorgesetzt. Dass zwischen all jenem Leid ein Funken Hoffnung entspringt, wird vom Filmemacher dann als großes Wunder verkauft. Doch das Gegenteil ist der Fall: Gerade w e i l es so viel Leid gibt, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass sich dazwischen auch mal die eine oder andere Begebenheit mit positivem Ausgang zuträgt. Jener Film sei gelobt, der diese Schere zwischen Tragik und Glück nicht vergisst. Jener Film ist "Lion" jedoch nicht.
Vergleicht man die recht schwache Moviepilot-Bewertung von Mel Gibsons Kriegsfilm "Hacksaw Ridge" mit dem derzeitigen Auftauchen in der All-Time-Bestenliste der amerikanischen Filmdatenbank IMDb, ohne den Film gesehen zu haben, dann macht es erstmal "Klick". Hier liegt offenbar wieder ein technisch perfekter US-Ballerschinken vor, der sich als Antikriegsfilm gibt und am Ende doch bloß heroisierende Werbung für die US-Armee macht. Im Kino stellt sich dann aber heraus, dass es sich ein bisschen anders verhält. Als Schwachpunkte erweisen sich vor allem Versäumnisse in den grundlegenden Dingen des Filmemachens: Billige Kulissen, Beleuchtung wie in einer Fernseh-Produktion, mieses Schauspiel (mit Ausnahme von Andrew Garfield) und sogar schlechte Spezialeffekte. Die oft beschriebene Brutalität des Streifens bleibt letztendlich doch eher Pillepalle.
Inhaltlich gestaltet sich der Film über den realen Sanitäter Desmond Doss, der sich des Tragens einer Waffe weigert und doch in den Krieg will, erst einmal interessant. Zunächst einmal ist "Hacksaw Ridge" kein pazifistischer Film und behauptet das eigentlich auch nicht - Desmond Doss muss sich aufgrund seiner Einstellung vor einem Kriegsgericht verantworten und argumentiert, er wolle ja in den Krieg ziehen, denn der Angriff Japans auf Pearl Harbor habe ihn "beleidigt". Neben dieser typisch patriotischen Pro-Kriegs-Rhetorik berichtet er sogar von 2 Bekannten, die sich das Leben nahmen, nachdem sie für kriegsuntauglich befunden wurden. Nicht aus Pazifismus verweigert Doss den Dienst an der Waffe, sondern aus privaten Gründen, die im Film ausführlich erläutert werden. Wie es bei Mel Gibson erwartbar ist, spielt dabei Religion bzw. seine Idee von Religion eine zentrale Rolle. Wöllte man diesen Film dennoch als Plädoyer für Frieden betrachten, dann stolpert man vor allem über eine Szene. [SPOILER!] Andrew Garfield als Desmond Doss zieht ein Tuch hinter sich her, um einen darauf sitzenden verletzten Soldaten zu retten. Dieser schießt währenddessen auf die inzwischen vorrückenden Japaner. [SPOILERENDE] Doss ist in diesem Moment indirekt mit dem Abfeuern der Waffe verbunden - Nicht nur, weil er den ballernden Soldaten hinter sich herzieht, sondern auch, weil er auf dessen abgefeuerte Schüsse zu seinem eigenen Schutz angewiesen ist. Doss' Haltung verliert in diesem Moment ihre friedensstiftende Komponente und erhält eher etwas Neurotisches. Positiv zu vermerken: Mel Gibson will mit "Hacksaw Ridge" gar nicht unbedingt die Absurdität des gesamten Kriegs aufzeigen, doch er tut dies dennoch, unfreiwillig, dank dieser Szene.
Schrecklich heroisierend ist "Hacksaw Ridge" in der Tat. So wie in den Schlusszenen exzessiv Zeitlupen, sabbernd vorgetragene Geigenmusik und zähnefletschende Bösewichte vom Feind aus Fernost zum Einsatz kommen, erscheinen viele Szenen aus Ben Stillers Kriegsfilm-Satirefilm "Tropic Thunder" gar nicht mehr so übertrieben.
Als auf dem Raumschiff "Avalon" die Lichter ausgehen, muss man doch prompt an Camerons "Titanic" und die Mär vom unsinkbaren Schiff denken. Das Schiffsunglück von 1912 dürfte noch in 100 Jahren ein Symbol für den fragwürdigen Verlass auf die Technik sein und genau von diesem Verlass erzählt auch Morten Tyldums "Passengers". Genau genommen erzählt das darin umherschwebende Raumschiff diese Geschichte. Die "Avalon" ist der eigentliche Hauptdarsteller, da können sich Jennifer Lawrence und der tatsächlich recht passable Chris Pratt noch so sehr anstrengen. Nach einer 120-jährigen Reise im Kälteschlaf sollen sie mit 5000 anderen Passagieren einen neuen Planeten beziehen. Doch die von Pratt und Lawrence gespielten Figuren (die im Film James und Aurora heißen) erwachen vorzeitig. Viel zu vorzeitig. Die Einsamkeit der zwei drückt sich vor allem über die sterilen Hallen, das immergleiche Freizeitangebot und die gefühlskalte Sprache der surrenden Service-Roboter aus. Ein echter Hingucker und insofern ist die Academy-Award-Nominierung für die beste Kulisse absolut gerechtfertigt. Die zweite Nominierung verärgert eher, Thomas Newmans mittelmäßiger, generischer Soundtrack vereinigt nur typische Versatzstücke seiner besseren Kompositionen. Immerhin: Es ist seine 14. Nominierung und die 91. für die Musiker-Dynastie der Newmans!
Dass schlechte Kritiken zu "Passengers" die Erwartungen gesenkt oder - besser gesagt - angepasst haben, kam dem Film zugute.
Familien-Dramen haben eine große Tradition bei den Oscars. So ist auch "Manchester by the Sea" für sechs der begehrten Preise nominiert. Der im gleichnamigen Hafenort von Massachusetts spielende Film hat den wirklich guten Vertretern seines Genres gegenüber jedoch einen großen Nachteil. "Kramer gegen Kramer" und das Duo Hoffman/Streep erzählten 1979 von der Diskriminierung von Vätern in Sorgerechtsfragen. Robert Redfords "Eine ganz normale Familie" machte im Jahr darauf auf die große Bedeutung des Psychologenberufs aufmerksam. Das Thema des scheinheiligen Familienidylls griff Sam Mendes mit "American Beauty" 1999 noch einmal auf, in eindringlicher Weise. "Manchester by the Sea" jedoch hat eigentlich kein Thema von gesellschaftlicher Relevanz, Kenneth Lonergan erzählt letztlich bloß von den Aufs und Abs der brutalen Realität, von einem drastischen "Wie das Leben so spielt". Von weiter weg betrachtet ist lediglich ein Aspekt interessant: Nach einem Schicksalsschlag befindet sich die von Casey Affleck gespielte Hauptfigur in einem stagnierenden Zustand. Wenngleich er nicht fröhlich ist, so ist er wenigstens nicht verzweifelt. Erst ein weiterer Schicksalsschlag drängt ihn dazu, doch wieder etwas vom Leben zu erwarten. Das ist der Plot. Doch Moment - Tauschen wir doch einmal den zweiten Schicksalsschlag, das "plötzliche Sorgerecht für den verwaisten Neffen", gegen "alles vernichtender Weltraummüll" ein. So wird deutlich, dass "Manchester by the Sea" nahezu die gleiche Geschichte erzählt wie "Gravity".
Lonergan verlässt sich vor allem auf das schauspielerische Talent von Casey Affleck, Michelle Williams und dem noch jungen Lucas Hedges. Der Regisseur ist bei weitem nicht der erste, der einem Familienfilm auf diese profane Weise Tiefgang verleiht. Schon James L. Brooks' "Zeit der Zärtlichkeit" von 1983 setzte diese Verantwortung allein auf die Schultern von Debra Winger, Jack Nicholson und Shirley MacLaine, was zurecht einen Oscar für den "Besten Film" bescherte. Die beste Szene in "Manchester by the Sea" ist folglich auch ein Moment, in dem Affleck und Williams mit gegenläufigen Gefühlsausbrüchen aufeinanderprallen und sich dabei gegenseitig an die Wand spielen. Was zum Staunen.
Man mag "La La Land" vorwerfen, dass nichts in diesem Film nicht schon einmal da gewesen wäre. Doch Damien Chazelles großer Oscar-Favorit verfährt mit dem Musical-Genre analog zu dem, was James Wan in Form von "Conjuring" mit dem Horrorkino vollbracht hat. Ein paar Jahrzehnte Filmgeschichte durchforsten, zusammennehmen und als große Explosionswolke auf die rot bezogenen Kinositze loslassen. Im privaten Austausch nach dem Film erfolgte die Feststellung: "La La Land" macht bei Jung und Alt Lust auf verstaubt geglaubte Filmklassiker.
Und während hie und da über Gene Kelly, Ginger Rogers und James Dean gesprochen wird, zitiert "La La Land" längst auch jüngere Meisterwerke der Kinogeschichte. Eine Silhouettenszene im Planetarium winkt in Richtung Woody Allen und bei einer Pool-Party darf der 90er-Hit "Boogie Nights" wiederaufleben. Chazelles Interpretation von Hollywood als Ort von naiver Unbekümmertheit wird deutlich in einer Szene, deren Beginn an Robert Redfords "Eine ganz normale Familie" erinnert. In beiden Filmen sitzt ein Pärchen im Auto, ist auf dem Weg zu einer langweiligen Party und die Kamera sitzt über der Kühlerhaube. [SPOILER!] In beiden Fällen erfolgt nun der Vorschlag, doch auf die blöde Feier zu verzichten und stattdessen den Abend zu zweit zu verbringen. Während die "Ordinary People" von Robert Redford das lediglich als Witz verstehen (denn im Spießbürgertum sei solch eine Abweichung vom Terminkalender völlig undenkbar), setzen die Figuren in "La La Land" ihren Plan ganz einfach in die Tat um. [SPOILER-ENDE]
Entsprechend süß und spontan ist demnach das ganze Leben im "La La Land" Los Angeles: Menschen tanzen auf dem Auto, die Verwirklichung der kühnsten Träume wird in Angriff genommen und die zwei Helden, gespielt von Ryan Gosling und Emma Stone, mieten sich direkt neben einer Leuchtreklame ein, so wie Hitchcocks Figuren in "Vertigo". Doch wie spontan und fern vom Mainstream kann ein Hollywood-Leben im 21. Jahrhundert sein? Schließlich spielt der Film in der heutigen Zeit, wenngleich das in den 2 Stunden hin und wieder in Vergessenheit gerät. Besonders zum Schluss, denn wie schon in "Whiplash" haut Damien Chazelle da noch einmal so richtig auf die Trommel.
"Schon komisch, dass das Bantamgewicht leichter ist als das Federgewicht." Da spricht die finnische Boxerbiographie "Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki" mal offen die Verwunderung des Laien aus. Bantame sind putzige Zwerghühnchen aus Indonesien; den Boxkämpfer Olli Mäki brauchte das 1962 aber nicht weiter zu interessieren - Für ihn reichte eine Hungerkur hin zum Federgewicht und damit auf unter 57 kg aus, um einen Weltmeistertitelkampf bestreiten zu dürfen. Sein Gegner: Davey Moore, amtierender Weltmeister aus Springfield, Ohio.
Dieser kommt nun ins kalte Finnland, welches dem Kampf mit Vorfreude entgegenfiebert. Juho Kuosmanen führte Regie und lässt jeden Freund von Boxerfilmen dank glanzvoller Schwarzweißbilder sofort an Martin Scorseses "Wie ein wilder Stier" denken. Olli Mäki ist jedoch mal so gar nicht der Choleriker, wie ihn Robert De Niro damals mimte, sondern bescheiden, schüchtern, arm an Worten. Ist der Titelkampf wirklich sein persönliches Nonplusultra? Während des Trainings muss er immerzu eine seine neue Liebe Raija denken.
"Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki" wird, wie zu erwarten war, zu einem Film über die Mechanik des einfachen Glücks, welches längst nicht immer mit Erfolg korreliert. Im Abspann wird man diesbezüglich über einen herzallerliebsten Kurzauftritt aus der Schlusssequenz aufgeklärt.
Und der Verlauf des großen Kampfes? Darüber gibt natürlich der Film selbst Auskunft. Was nicht erzählt wird: Davey Moore, Mäkis Gegner, hätte bereits im Monat davor einen Titelkampf gegen Sugar Ramos in L.A. bestreiten sollen. Wetterbedingt wurde der Fight verschoben und im März 1963 nachgeholt. Moore ging mit schweren Verletzungen k. o. und starb drei Tage später an den Folgen.
im Herbst 1998 strömten teilweise Salven von Amerikanern in "Rendezvous mit Joe Black"-Vorstellungen - Nur, um den Kinosaal noch vor Filmbeginn wieder zu verlassen. Das Ticket hatten diejenigen nur erstanden, um den ersten Trailer zu "Star Wars: Episode I" zu sehen.
Wer etwas länger wartete und die nun folgenden drei Stunden durchhielt, bekam wirkungsvollen, wenngleich sinnfreien Herzschmerz vom Allerfeinsten geboten. Edelkitsch, wie er im Lexikon steht und damit bestens in die Zeit kurz vor Weihnachten passte. Anthony Hopkins in der Rolle des Unternehmers William Parrish wird bald tot sein, Brad Pitt als "Tod höchstpersönlich" soll ihn noch etwas begleiten und schließlich abholen, doch verliebt er sich in Parrishs Tochter Susan (Claire Forlani). Der "Tod höchstpersönlich" wandelt nun in unserer Welt umher, der "Tod höchstpersönlich" kostet Erdnussbutter, [SPOILER!] der "Tod höchstpersönlich" hat Sex. [SPOILERENDE] Das alles weiß jedoch nur mäßig zu beeindrucken, wenn der Tod höchstpersönlich am Ende ja doch bloß die Visage eines Brad Pitt trägt, der von sich behauptet, der "Tod höchstpersönlich" zu sein. Positiv zu vermerken: Der Film von Martin Brest ("Beverly Hills Cop") läuft auf - einen - wirklich toll konzipierten Witz hinaus. Außerdem stellen Hopkins und Pitt das obskure Nebeneinander von einem Menschen und seinem "letzten Weggefährten" überzeugend dar.
Thomas Newmans Musikstück "Whisper of a Thrill" ist bei erstmaligem Hören ganz schön, beim zweiten Mal auch, doch dann wird es noch zwei oder dreimal gespielt, schließlich mit Steigerung in ungeahnte Tonhöhen. Bei diesen Klängen fragt man sich, ob Brad Pitt wirklich Anthony Hopkins abholen soll oder ob er nicht gerade ein halbes Dutzend Streicher an ihrem Instrument krepieren lässt.
Spannend an "Nocturnal Animals" ist, dass 3 Erzählebenen miteinander verwoben sind, die allesamt in sich klar zu verstehen sind - Nur ihre Verbindung zueinander bedarf eines gewissen Deutungsaufwands. Das macht Tom Fords neues Werk zu einem Film, den man so nehmen kann, wie man gerade Lust darauf hat. "Abschaltern" sei vor allem mit der Roman-im-Film-Ebene ein spannender Thriller versprochen. Wer etwas tiefer hineinblicken möchte, stolpert zunächst darüber, dass die Parallelen zwischen den Erzählniveaus nicht ganz sauber nebeneinander liegen. Die Rahmenhandlung: Amy Adams mimt die Ex-Frau von Edward Sheffield - gespielt von Jake Gyllenhall - und erhält ein Krimi-Manuskript von diesem. Von da aus werden eine rückblickende Ebene und eine Ebene zur Romanhandlung aufgespannt. Modedesigner Tom Ford verbindet hierbei gekonnt die Begriffe "Traum" und "Trauma" und arbeitet passenderweise mit dem Offen-Lassen von Fragen. "Nocturnal Animals" wartet nebenher mit saftiger Streichermusik, detailgenauer Fotografie und feinem Schauspiel auf.
Clint Eastwoods "Sully" über die geglückte Notwasserlandung im Hudson River vom 15. Januar 2009 ist deshalb so gut, weil er sowohl von Menschlichkeit im allgemeinen Sinne erzählt, als auch seine Figuren menschlich agieren lässt. Zweiteres äußert sich insofern, als dass die Trennung zwischen Helden (Captain Chesley "Sully" Sullenberger/Tom Hanks sowie Copilot Jeffrey Skiles/Aaron Eckhardt) und Antagonisten (die Flugsicherheitsbehörde) zum Ende hin überraschend aufgebrochen wird. Spannend ist sein Flugzeug-Film zudem, da er im Sinne von Kurosawas "Rashomon" das Geschehen dieses turbulenten Winternachmittags aus mehreren Blickwinkeln wieder und wieder zeigt und sich daraus nach und nach neue Details ergeben. Am verblüffendsten ist dabei die Sichtweise der Büroarbeiter in umliegenden Hochhäusern, die an die Bilder der Gebrüder Naudet vom 11. September 2001 erinnert. Die emotionale Verbindung zwischen Zuschauer und den unmittelbar betroffenen Passagieren wird von Eastwood erfolgreich mit kleinen Momenten aufgeladen, sodass das Geschehen dem Betrachter tatsächlich nahe geht. Die Regie-Legende zeigt eine präzise Beobachtung einfacher Menschen und tut gut daran, nichts zu überdramatisieren. So endet "Sully" auch nicht mit großer Musik, wortlosen Blicken und peinlichen Applaus-Orgien, sondern einfach mit einem netten Satz und einer Abblende zu Schwarz.
Es ist ehrenwert, dass sich Gareth Edwards in "Rogue One" den bisher unbesungenen Helden der Star-Wars-Welt annimmt. Auch darf nicht verschwiegen werden, dass dieser vorweihnachtliche Blockbuster d-a-s technische Highlight des Jahres ist mit Spezialeffekten von einem anderen Stern. Dieses Lob bezieht sich erst in zweiter Linie auf die spektakulär zerschellenden Sternzerstörer und havarierenden Planeten - Zuallererst ist die verblüffende Nachahmung altbekannter Gesichter gemeint.
Leider ist Edwards' allzu positive Grundhaltung gegenüber "Star Wars" diesem Spin-off abträglich. Wie so viele Fans betrachtet er die Saga als Quasi-Religion und vergisst, dass "Krieg der Sterne" in den 70ern nicht wegen vermeintlich unabänderlicher Story-Details, sondern dank des irrsinnigen Vorhabens, einen Krieg im Weltall zu veranstalten, zum erfolgreichsten Film des Jahrzehnts wurde. Der Erfolg wäre wohl auch eingetreten, wenn der Todesstern ein Würfel gewesen wäre und Luke Skywalker Peter Bratwurst geheißen hätte. Wichtig sind stattdessen die Verfolgungsjagden, die Geräusche, die Landschaften, die Musik, die Kulisse, der Sternenhimmel und der Überraschungsmoment aus Episode V. Nie zuvor war Kino so unterhaltsam gewesen und der Alltag so effektiv aus dem Vorführungssaal verschwunden wie damals. "Rogue One" beginnt dagegen erst einmal mit einer halben Stunde Gequatsche, dann erst gibt es zum ersten Mal so richtig Krach. Das Schlimmste, das einem "Star Wars"-Film widerfahren kann, tritt ein und nicht einmal die durchweg passablen Schauspieler mit einer fabelhaften Felicity Jones an der Spitze können es verhindern - "Rogue One" ist langweilig. Als dann doch alles drunter und drüber geht, ändert sich das und zum Ende hin wird das Kind sogar fast aus dem Brunnen gezogen.
Aber dann begehen die Macher den zweiten großen Schnitzer. In den abschließenden Kampfszenen wird keine Situation durchgehend gezeigt, sondern komplett zerschnitten. Unsere Helden sehen sich gleichzeitig im All und auf dem Boden großen Gefahren gegenüber. Spannung käme nun auf, ließe Gareth Edwards den Zuschauer mit jeweils ein bis zwei Figuren und ihren jeweiligen Widersachern für 5 oder 6 Minuten allein. Peter Jacksons Zuschauer durften auch nicht mit einem "Was machen eigentlich Frodo und Sam?"-Schnitt durchatmen, als im dritten Teil der "Herr der Ringe"-Reihe seine unheimlichen Riesenelefanten auftauchten und Pferde zertraten. "Rogue One" wechselt dagegen im Minutentakt von einer potentiell spannenden Szenerie zur anderen und dadurch weiß man meist schon im Voraus, dass erst einmal nichts Einschneidendes passieren wird. Das ist ein typisches Symptom vieler Blockbuster. Auch Marvel-Filme sind in vergleichbaren Situationen oft dröhnend laut, aber eben nichtssagend und selbst diverse Christopher-Nolan-Streifen leiden unter einem solchen Vorgehen. Einer, der es besser wusste, war im letzten Jahr übrigens J. J. Abrams mit "Star Wars: Das Erwachen der Macht".
Die deutsche Ausgabe von "Phantastische Tierwesen & wo sie zu finden sind" erschien 2001 im Carlsen Verlag mit rotem Einband, der zur Unterscheidung vom in grün gehaltenen "Quidditch im Wandel der Zeiten" diente. Diese Bücher landeten seither unter vielen Weihnachtsbäumen und gehörten zur Bibliothek aller (echten) Harry-Potter-Fans. Doch was möchte uns ein Film sagen, der nun auf Grundlage des erstgenannten Werkes geschaffen wurde? Eines fingierten Schulbuches vom leibhaftigen Newt Scamander aka J.K.R., das Tier für Tier alles auflistet, was im Hogwarts-Universum an unheimlichen Kreaturen erwähnenswert ist - samt Klassifizierungen des Zaubereiministeriums betreffs ihrer Gefährlichkeit ("5" für den Drachen, "1" für den Flubberwurm) - und inklusive vermeintlicher Originalkritzeleien, natürlich von Ron, Hermine und Harry höchstpersönlich. So heißt es u.a. "Harry liebt die Maulende Myrte," oder: "so stirbst Du, Weasley". Herrje.
Verantwortlich für die Verfilmung von "Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind", 15 Jahre später, waren einmal wieder Regisseur David Yates und zwecks Drehbuch Joanne K. Rowling. Natürlich ist die 132-minütige Zaubershow als Beginn eines Franchises ausgelegt; aller guten Dinge sind 3, doch aller besseren Dinge sind 5 und "Phantastische Tierwesen" somit der Auftakt einer "Pentalogie".
Dabei stellt sich die Frage, ob kommende Teile darauf ausgelegt sind, die in diesem Film aufgezogenen Konflikte zu lösen oder ob sich dann komplett neue Nebenkriegsschauplätze eröffnen werden. Ersteres spräche für diesen Film, denn er krankt daran, dass Yates und Rowling hier einen inhomogenen Mischmasch aus bunter Vierbeiner-Party, verbotener Liebe, Xenophobie und Metaphern zu Massenvernichtungswaffen erschaffen, der sich nicht zwischen Unterhaltung und Nachdenklichkeit entscheiden kann. Dann, wenn es um die titelgebenden Zauberkrabbler geht, hat dieser Blockbuster seine besten Momente. Dann ist "Phatastische Tierwesen" ein spaßiger Quatsch mit tollen Effekten, die nicht wegen ihrer technischen Reinheit, sondern dank pfiffiger Taschenspielereien entzücken. Ansonsten sorgen Schauspielerkünste wie aus einer schlechten Tatort-Folge für Verärgerung und Komponist James Newton Howard scheint diverse Male quer über das Notenblatt mit Edding "MÖÖÖÖÖP!!!" geschrieben zu haben.
Vor sieben, acht Jahren etwa hieß es oft: "Ich schaue DSDS, aber nur die Castings." Wenn im Angesicht Dieter Bohlens fleißig gequietscht, gekrächzt und geplärrt wurde, dann erzielte das nicht selten beachtliche Quoten. Der Mut, sich mittels begrenzter Möglichkeiten mit den Großen der Großen zu messen und dabei oft klägliche Ergebnisse einzufahren, hat in den letzten gut 100 Jahren überraschenderweise vielfach Begeisterung erfahren. Im Sport wurden Éric Moussambani (der Schwimmer, der nicht schwimmen konnte) und Eddie the Eagle (der Springer, der nicht springen konnte) weltberühmt und Ältere erinnern sich noch an die legendäre Bundesliga-Saison 65/66 des Berliner Fußballvereins SC Tasmania 1900 (2 Siege, 4 Unentschieden, 28 Niederlagen). Im Kino erfreut sich das Trash-Genre großer Beliebtheit, das Leben von "Ed" Wood, dem "schlechtesten Regisseur der Welt" wurde von Tim Burton legendär verfilmt und seine Werke sind inzwischen waschechte Klassiker. Gleiches gilt für Graupen wie "Troll 2" (1990) und "The Room" (2003). Am Bodensatz der Musikwelt weiß man heute oft nicht so recht zwischen Talentlosigkeit und Kalkül zu unterscheiden. Interpreten wie Hustensaft Jüngling oder Grup Tekkan profitierten so oder so von der Qualitätsabsenz ihres Schaffens. Spaß machender Dreck kann dieser Tage leicht zum lukrativen Geschäft werden und eine Übersättigung ist längst erreicht. Und unter diesem Gesichtspunkt könnte es kaum einen unnötigeren Film geben als "Florence Foster Jenkins", ein Porträt über die gleichnamige Sängerin der 1910er bis 1940er Jahre, welche mit ihren schiefen Tönen für Aufsehen sorgte.
Wäre da nicht das schicke Gewand dieses Films mit seinen wundervollen Frisuren und Kostümen, einem New York voller 40er-Jahre-Coupés, Swing und Litfaßsäulen. "Florence Foster Jenkins" von Stephen Frears ist ein Film der ganz alten Schule mit Rollblenden, warmem Licht und knuffiger Ausdrucksweise. Dies ist nun wirklich mal wieder ein Film, den man sich vor allem "wegen der Schauspieler" angucken kann. Meryl Streeps Darstellung der schillernden Jenkins stellt fantastisch ihre überhöhte Selbstwahrnehmung, aber auch ihren Kummer über vergangene Träume zur Schau (war nicht anders zu erwarten). Hugh Grant ist der zwischen Güte und Eigensinn taumelnde Ehemann, der sich nichts anmerken lässt, jede noch so schrille Stimmlage seiner Gattin herzallerliebst überlächelt und damit das zweite große Highlight dieser Filmbiographie darstellt (war nicht unbedingt zu erwarten). Simon Helberg (unabänderlich mit seiner Rolle des Wolowitz aus "The Big Bang Theory" assoziiert) vervollständigt das beeindruckende Trio als Pianist wider Willen, der mit statischem Lächeln einen einzigen Ausdruck von Fremdscham zum Besten gibt.
Der Satz "Freunde kann man sich aussuchen, seine Familie nicht," fand Platz in Harper Lees "Wer die Nachtigall stört", in der BRD machte Ex-Präsident Heinemann den Satz populär. Zu Zeiten von Frank Capras "Arsen und Spitzenhäubchen" kannte man einen entsprechenden Wortlaut vielleicht noch gar nicht, aber der Film treibt diesen Spruch auf die Spitze.
1944 spielte Cary Grant den frisch verheirateten Mortimer Brewster, der kurz vor der Hochzeitsreise im Haus seiner beiden Tanten Abby und Martha und seines schizophrenen Bruders Teddy vorbeischaut. Die niedlichen Tantchen sind im Viertel hochangesehen und auch Mortimer hat sie furchtbar lieb, doch sein spontaner Besuch führt ihn zu ihrem dunklen Geheimnis. Dem ist nicht genug. Jahre nach dem letzten Wiedersehen taucht der dritte Bruder Jonathan auf und macht seinem Furcht einflößenden Antlitz alle Ehre.
"Arsen und Spitzenhäubchen", Verfilmung eines Bühnenstücks, brennt ein Feuerwerk an schrulligen Witzen ab und überrumpelt mit brüllend komischer Situationskomik, sodass der eine oder andere bald aussteigen dürfte. Für einen 72 Jahre alten Film ist das aber verblüffend. Es ist zudem einer jener Filme mit dem perfekten "ersten Eindruck" und das gelingt Capra hier auf eine interessante Weise, die man oft in guten Unterhaltungsfilmen beobachtet. Der Film zeigt die Bedrohung in Form des zwielichtigen Bruders Jonathan. Das Maskenbild macht jedem Zuschauer von der ersten Sekunde an klar, dass hier Gefahr lauert - Im Prinzip ist Jonathan der klassischste aller Schurken. Doch zu diesem Zeitpunkt hat Mortimer bereits Dinge erlebt, die erschütternder und makabrer sind, als man es eigentlich ertragen kann; seine Tanten haben schon seinen "Bedarf" an Ärger gedeckt. Durch diese Konstellation erhält Mortimer einen unverhofften Vorteil gegenüber Jonathan. Er mag ihm zwar in Ruchlosigkeit und Entschlossenheit unterlegen sein, doch nichts kann ihn mehr schocken. Über die Kaltblütigkeit des Bruders muss Mortimer nun bloß noch müde lächeln. Und wünschte es sich nicht auch ein jeder Zuschauer, in solch einer Situation, statt ängstlich und unterwürfig, mit einem "Ach, lasst mich doch alle in Ruhe!" reagieren zu können?
Natürlich kommen später noch frustrierte Taxifahrer, die frischgebackene Ehefrau, der Leiter einer Nervenheilanstalt und, und, und hinzu, bis es immer verrückter wird. Mortimers Begegnung mit einem jungen Polizisten/Hobby-Dramatiker wird fast zu albern, jedoch führt auch diese Situation in eine umso witzigere Pointe. An manchen Stellen erinnert der Humor an Monty Pythons Sketch "People Falling Out of High Buildings". Und Peter Lorre beschert so etwas wie die Mutter aller Cameos.
"Arrival" ist der beste Film des Jahres. Es ist natürlich fragwürdig, in all der Diversität von Kinoerlebnissen nach Superlativen zu suchen, Fakt ist aber: Solch ein Urteil kann nur einem Film mit Alleinstellungsmerkmalen zuteil werden. "Das hat man so noch nie zuvor gesehen."
Denis Villeneuve stellt mit "Arrival" Sehgewohnheiten infrage. Im Laufe der bedächtigen 2 Stunden Laufzeit (und ich versuche mich, so vage wie möglich auszudrücken) verwandelt sich dieser Schon-jetzt-ein-Klassiker in einen überraschend interaktiven Science-Fiction-Film. Plötzlich stellen sich altbekannte Stilmittel, die spätestens seit "Spiel mir das Lied vom Tod" Gang und Gebe sind und noch nie hinterfragt wurden, als trügerisch heraus.
Amy Adams und Jeremy Renner agieren auf der Leinwand, doch die UFO's schweben im Kinosaal. Es ist kaum zu glauben, dass die (eigentlich recht passable) Gurke "Sicario" vom gleichen Regisseur stammt.
Die erstaunlichsten Geschichten schreibt die Realität. Ein auf wahren Begebenheiten basierender Spielfilm hat der Dokumentation dabei einiges voraus. Das Gezeigte ist nicht durch die Verfügbarkeit an Originalaufnahmen limitiert, Musik und tolle Sprüche nach Drehbuch hübschen das Endergebnis auf und kleine Story-Abänderungen verleihen der Dramaturgie meist den letzten Schliff. Alle sich daraus für das dokumentarische Gegenmodell ergebenden Nachteile kann Marcus Vetters und Karin Steinbergers knisternd spannende Doku "Das Versprechen" mit einer lockeren Wegwisch-Bewegung von sich weisen.
Am 30. März 1985 wurden Derek und Nancy Haysom in Lynchburg/Virginia brutal ermordet. Ihre 20-jährige Tochter Elizabeth floh anschließend mit ihrem deutschen Freund Jens Söring (damals 19) über Asien nach Europa. Einer Festnahme wegen Scheckbetrugs am 30. April 1986 folgten zwei US-weit übertragene Mordprozesse, bei denen Haysom und Söring jeweils lebenslange Haftstrafen erhielten. Doch: Söring, der einst als hochintelligenter Stipendiat nach Amerika gekommen war, meint noch vor dem Urteil, von der Tat nichts gewusst und ein anfängliches Geständnis nur seiner Liebe wegen gemacht zu haben.
Die beiden deutschen Filmemacher begaben sich für drei Jahre in die USA, sammelten Archivmaterial, Hinweise, interviewten Zeugen, Richter und vor allem Jens Söring selbst, der sich als beeindruckender Erzähler erweist. Detail für Detail wurden Ungereimtheiten zum Kopfschütteln aufgedeckt und ein umfassendes Bild von den Prozessen hergestellt. Steinberger und Vetter stellen sich dabei sichtbar auf die Seite des Diplomatensohns Söring, doch die Zweifel wirken objektiv betrachtet berechtigt. Mehr noch: "Das Versprechen" zeigt ein Justizsystem, das sich seiner Aufgabe gar nicht bewusst scheint und alles vermissen lässt, das Sidney Lumet vor knapp 60 Jahren in "12 Angry Men" einforderte.
Steinberger und Vetter beweisen mit einem zynischen Soundtrack Galgenhumor, für authentische Briefwechsel zwischen Söring und Haysom wurden die Stimmen von Daniel Brühl und Imogen Poots herangezogen. Vorgestern wurden neue DNA-Analysen bekannt, wonach sich 1985 neben Haysom und einem unbekannten Mann auch ein zweiter Unbekannter am Tatort aufgehalten habe. DNA von Jens Söring wurde dort nie gefunden.