30 Dinge, die einen Kinobesuch zum Albtraum machen

08.01.2014 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Frankenweenie
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Kino ist schön. Zumindest so lange, wie es dank technischer und menschlicher Schwächen nicht manchmal auch ziemlich unschön ist. 30 Beschwerdepunkte, warum ein Besuch im Filmtheater gelegentlich zur Tortur werden kann.

Montagnacht, ein mir bis dato unbekanntes Programmkino, die letzte Vorstellung an diesem Tag. Eine Dreiviertelstunde Fahrtzeit, um die noch laufende Originalfassung sehen zu können, nicht die deutsche Synchronisation (1). Ich schaue Prisoners, auf eine dringende Empfehlung hin. Guter Film, mit Einschränkungen. Nicht gut, ohne Einschränkungen: der Kinobesuch. Ein Publikum zwischen Arthauskultiviertheit (2) und Feierabend-Cinephilie (3). Schon mal der erste Dämpfer, aber vergleichsweise egal. Die Werbung (4) startet, die Trailer (5) starten, der Film beginnt. Ich bin genervt. Die Digitalprojektion (6) ist schon in den ersten Szenen wieder einmal besonders hässlich, viel zu hell, viel zu undifferenziert, satte Schwarzwerte Fehlanzeige. So kann Kameravirtuose Roger Deakins sich das, trotz Umstiegs von 35mm auf seine neue Liebe ARRI Alexa, ja wohl kaum vorgestellt haben. Der Hörgenuss – ebenfalls beeinträchtigt. Erheblich zu leise (7) eingestellter Ton, dumpf und dröge obendrein. Ein Zuschauer verlässt den Saal, kommt aber wenige Minuten später wieder. Ob er sich beschwert hat? Der Ton geht minimal rauf.

Ich bleibe noch sitzen, bin aber längst unruhig. Vielleicht ist das die Form filmpedantischen Verhaltens, die Kinofreund von Kinofreak trennt, aber es hilft eben alles nichts: Filme müssen nun einmal in der Regel unter satisfaktionsfähigen Umständen gesehen werden. Und die Bild- und Tonwiedergabe in diesem Neuköllner Programmkinomultiplex (8) ist nicht satisfaktionsfähig, sondern entsetzlich. Aber es kommt noch schlimmer. Zum schlechten Sound, das merke ich erst jetzt, gesellt sich der fies-unterschwellige, ratternde Ton einer Saal-Belüftungsanlage (9). Dieses Geräusch (10) ist zumindest in den nicht gerade spärlich gesäten Ruhemomenten derart penetrant zu vernehmen, dass die herbstlich-unheilvolle Stimmung des Films Gefahr läuft, von den (Un-)Möglichkeiten gegenwärtiger Kinopräsentation kontaminiert zu werden. Mich reißt es aus dem Sitz, ich suche den Vorführer. Im Wissen, dass das sehr kleinlich (11) und nerdig (12) und vermutlich auch deutsch (13) wirken könnte, aber das ist mir in diesem Moment ziemlich egal. Ich habe neun Euro bezahlt, Überlänge (14) und Pauschalbeitrag für die Falschheit in der Filmförderung (15) inklusive.

Der Vorführer sagt, ich sei nicht der erste, der den Ton zu leisen finden würde. Aha! Also ist wohl was dran, nicht wahr? Nicht wahr??? „NOCH lauter also?“, fragt er ungläubig und damit eigentlich frech. Ich sage freundlich ja und denke unfreundlich Böses. Ob er außerdem den Bass rausnehmen und die Höhen regeln könne, füge ich (mutmaßlich naiv) hinzu. Nein, es handele sich um Digitalton (16), da könne er nichts machen. So, so. Zu guter Letzt, wo ich gerade schon am Rummosern bin, frage ich nach der Lüftungsanlage. „Die kann ich nicht ausstellen, die hängt mit allen Kinos zusammen, das geht nicht“. Ich stampfe zurück in den Saal. Und denke etwas sehr Elitäres (17), nämlich, dass ich Filme doch viel lieber in Pressevorführungen schaue, wo sie für gewöhnlich relativ optimal, mindestens aber zufrieden stellend präsentiert werden. Womit nicht, das wird Til Schweiger vermutlich überraschen, irgendwelche gereichten Häppchen (18) oder Gratiswein (19) gemeint sind. So etwas gibt es nämlich gar nicht. Das ist lediglich Teil einer bizarren Fantasievorstellung vom dekadenten Kritikerleben. Also Unsinn.

Ein anderer Abend, wenige Wochen später. Ich schaue Paranormal Activity: Die Gezeichneten. Es ist die erste reguläre Vorstellung des Films in ganz Berlin, eine Pressevorführung gab es nicht. Manche Filme sind eben so gut, dass es keine Kritiken mehr braucht, die das noch einmal hervorheben. Jeder Film, so denke ich mir manchmal, bekommt dann auch das Publikum, das er verdient. Und sollte dies der Wahrheit entsprechen, so ist bei Paranormal Activity mit dem Schlimmsten zu rechnen! Das Kino ist voll. Popcorn (20) raschelt (21) und Nachos (22) stinken (23). Handys (24) leuchten (25) und Köpfe quasseln (26). Dann betritt eine Proleten-Armada (27) das Kino, obwohl der Film längst begonnen hat. Sie setzen sich zu zehnt (28) demonstrativ laut (29) nebeneinander. Müsste ich zu dem Film keine Kritik schreiben, würde ich aufstehen und gehen. Aber, ganz ehrlich: Ich fange auch ein bisschen pervers belustigt an, das alles seltsam interessant zu finden. Diese Rahmenbedingungen, dieses Verhalten, die Tatsache, dass das offenbar keinen wirklich stört, oder zumindest keiner etwas dazu sagt, und dass alles irgendwie funktioniert und intakt bleibt. Und dieser Irrsinn, so viel Geld für Kinotickets zu bezahlen, nur um dann nicht aufmerksam einen Film zu sehen, sondern im Saal Stammkneipe (30) zu spielen.

Auf dem Heimweg frage ich meine Begleitung, ob sie der schlechte Ton, die surrende Belüftungsanlage, das hyperaktive Publikum auch gestört habe. DIe Zuschauer seien schon etwas nervig gewesen, zum Rest aber könne sie nichts sagen, heißt es. Und ich stelle mir wieder die Nerd-Frage. Aber eigentlich denke ich: So lange sich ein breites Publikum an inadäquater Filmvorführung nicht stört, ist wohl eigentlich alles in Ordnung. Oder? 2012 sagte Quentin Tarantino im THR-Roundtable, er verlasse das Filmgeschäft unter anderem wegen der neuerlichen Digitalumstellung, denn dafür habe er nicht „unterzeichnet“. Weil Filme, die in Kinos nur noch von Festplatten abgespielt würden, nichts anderes als „Fernsehen in der Öffentlichkeit“ seien. Darüber lässt sich natürlich streiten. Aber ich verstehe das. Und am Kino selbst liegt es ja sowieso nicht. Das Kino würde ich nie missen wollen. Nur so wie der bekannte Slogan, laut dem Filme fürs Kino gemacht seien, eine pathetische Lüge ist (weil er all die Filme leugnet, die eben nicht fürs Kino gemacht sind), so muss auch die Frage nach der angemessenen Qualität des Kinos wirklich von vielen Seiten neu gedacht werden. Bis zum nächsten Besuch im Lichtspielhaus unserer Wahl.

(Einflussnahme: John Waters, Hatchet Piece – 101 Things I Hate, 1985)

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