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Liebesakt mit Capri.

11.11.2017 - 09:00 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Sicario
Studiocanal
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Dieser Artikel ist ein Community-Beitrag, der im Rahmen unseres Schreibwettbewerbs Mein liebster Kinomoment entstanden ist.

Es war ein diesiger Oktobertag. Der Herbst kündigte zum ersten Mal und mit voller Wucht an, was er so aufzubieten haben werde. Kalt und ungemütlich war es.


Umso mehr hab’ ich mich auf ein warmes Plätzchen in meinem Ersatzwohnzimmer gefreut. Ich war mit einem Freund zur Primetime-Vorstellung im Odeon-Kino verabredet. Wir wollten uns Villeneuves neuen Streifen Sicario anschauen.

Ich war ein bisschen zu früh da, kaufte mir ein Ticket und eine obligatorische Cola ohne Eis, setze mich ins Foyer und musterte die Personen, mit denen ich gleich zwei Stunden am selben Ort abhängen werden würde. Nach und nach füllte sich der Vorraum mit Besuchern. Sofort fiel mir ein Paar ins Auge. Sie redeten nicht viel. Jedenfalls nicht miteinander. Sie wirkten auch eigentlich gar nicht wie ein Paar. Ich will mich nicht festlegen, ob es ein routiniertes mitvierziger Ehepaar war, bei dem der allmonatliche Kinobesuch auf dem Plan stand, oder doch vielleicht ein Blind Date, bei dem einer der beiden zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wollte und einen Film aussuchte, der das Potential besaß, so gut zu sein, dass er über das vermeintlich schlechte Date hinwegtrösten könnte.

Weil die Ansammlung der ticketkaufenden Menschen immer größer wurde, beschloss ich, schon mal in den Saal zu gehen und zwei gute Plätze zu sichern.

Wenig später setzte sich meine Begleitung dazu – ebenfalls eine Cola in der Hand haltend. Wir stießen an. Während wir über unser Tagesgeschehen, Denis’ frühere Werke und das neuste Grünkohl-Rezept plauschten, fielen – unbewusst – unsere Blicke auf den Mann jenen scheinbaren Paares, das eine Reihe schräg vor uns saß. Er hatte sich ein Capri-Eis am Stiel gekauft und aß es in einer zutiefst skurrilen unnachahmlichen Manier. Ich hatte noch nie jemanden gesehen, der sein Eis vollen Ernstes auf solch bizarre Art in den Mund nahm.

Wir waren geschockt, perplex, wir wollten einfach nur weg. Aber irgendetwas hielt uns davon ab wegzuschauen. Ein Anflug von Voyeurismus. Während wir versuchten, uns weiter auf unser Gespräch zu konzentrieren, konnten wir unsere Blicke nicht vom Geschehen wenden. Wir verloren den Faden. Unsere Sätze ergaben am Ende keinen Sinn mehr und endeten im Nirgendwo. Er ließ sich von nichts und niemandem davon abbringen, das Eis auf eine dem Eis so unwürdige Weise zu essen. Er schluckte es so tief, dass nur noch das kleine Stück Stielende zu sehen war, das er in der Hand hielt. Zog es ruckartig raus, drehte es und schob es wieder in Richtung Rachen runter. Schnell wie ein Torpedo. Wieder und wieder. Und wieder. Sein Ess-Verhalten glich einer Notzucht. Wir konnten unser Lachen kaum noch halten, drehten uns propellerartig zu anderen Besuchern hin, die aber übersahen unsere entsetzten Gesichter und das sondergleiche „Liebes-Spektakel“, das eine Reihe schräg vor uns stattfand. Die Frau neben ihm - kühler Blick und unbeeindruckt von ihrem Partner, der wohl oder übel gerade sein Eis vor ihren Augen vergenussferkelt hatte - vereinfachte die ganze Situation nicht gerade. Es soll Partner geben, die darauf stehen.
Wir hatten Tränen in den Augen, und versuchten, dem lauthalsen Lachen standzuhalten. Wir konnten aber auch nicht von diesem einmaligen Liebesakt mit diesem Capri-Eis ablassen. Ein Teufelskreis. Mich überkam die Übelkeit. Ich bekam nur beim bloßen Anblick des zu tiefen Schluckens das unwillkürliche Bedürfnis, meinen Mageninhalt reflexartig durch die Speiseröhre und den Mund aus dem Körper zu befördern. Wenn es doch bloß nicht so witzig wäre. Der gequälte Blick meines Kumpels traf meinen – wir kommunizierten zum ersten und zum letzten Mal telepathisch miteinander. In diesem Moment prusteten wir all unsere angestauten Lacher explosionsartig hinaus. Wir beschallten den kompletten Saal mit unserem ohrenbetäubenden Lärm. Wir schossen ein zweiminütiges Lachfeuerwerk zuungunsten des Publikums ab.

Nach der Katharsis kam die Besinnung und damit einher die Scham. Jetzt waren wir dran, jetzt sollten uns die Blicke treffen. Aber bevor wir vor den spießbürgerlichen Trailerguckern in Erklärungsnot gerieten, dimmte sich das Saallicht, der Vorhang ging auf. Wir waren erlöst.




***

Wir bedanken uns ganz herzlich bei unseren Sponsoren. Hier erfährst du alles zum Prozedere des Schreibwettbewerbs und den Preisen. Eine Übersicht aller Texte des Schreibwettbewerbs findest du hier.

Denk daran: Stimme ab für Deutschlands Lieblingskino 2017!

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