Bloodborne — Das schrecklichste Spiel, das ich je gespielt habe

28.10.2015 - 09:00 Uhr
Bloodborne
Sony Computer Entertainment
Bloodborne
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From Softwares Bloodborne gilt nicht als klassischer Horror-Titel. Dennoch stellte sich meine Reise durch Yharnam als fürchterlicher Horror-Trip heraus, der mich bis in meine Träume verfolgte. Aber was macht das Action-RPG eigentlich so gruselig?

Zu meinen Lieblingsspielen gehören Pokémon Rot, Final Fantasy IX und The Legend of Zelda : Link's Awakening – allesamt buntblumige RPGs oder Action-Adventures, in denen es um Freundschaft, Liebe, große Träume und anderes Süßholzsgeraspel geht. Horrorspiele hingegen rühre in der Regel überhaupt nicht an.

Titel wie Slender - The Eight Pages oder Dead Space spiele ich allenfalls nur zusammen mit einer anderen Person, die einen Großteil des Geschehens kontrolliert, während ich mich wie eine übermüdete Katze zusammenkauere und jämmerlich vor mich hin wimmere. Wenn ich nachts durch die Wohnung laufe, fürchte ich mich vor meinem eigenen Schatten. Und bei Filmen wie Blair Witch Project, Conjuring - Die Heimsuchung oder [REC] brauche ich eine mollig warme Decke, um mein Gesicht darin zu vergraben, und die Schulter eines anderen, in die ich meine vor Angst erstarrten Finger krallen kann.

Viktorianischer Horror

Ja, ich bin wohl ein Angsthase und dessen bin ich mir vollkommen bewusst. Dass ich mich einmal auf ein Spiel wie Bloodborne einlasse, hätte ich vor einigen Jahren noch für die Pointe eines schlechten Witzes gehalten. Im Nachhinein klopfe ich mir selbst auf die Schulter. Ich habe Bloodborne von Anfang bis Ende durchgestanden, und das ist ein riesiger Erfolg, für den man sich ruhig einmal loben darf.

Dabei ist Bloodborne kein Horrorspiel in dem Sinne, sondern ein verdammt hartnäckiges Action-RPG, welches ich trotz all meiner Begegnungen mit dem Horror-Genre als eine der wohl fürchterlichsten Erfahrungen bezeichne, die ich jemals machte. Lasst mich euch erklären, warum.

Eigentlich ist der Grund offensichtlich: Bloodborne kleidet sich in ein Dark Fantasy-Gewand, welches noch düsterer ist, als das seiner spirituellen Vorgänger Dark Souls und Dark Souls II: Viktorianisch-gotisch verzierte Häuserdächer, Kirchtürme, Hinterhöfe und Straßen liegen im blau-schwarzen Schleier einer schier unendlich fortdauernden Dämmerung. Unzählige Pfade, schmale Passagen und Abkürzungen verweben sich zu einem irreführenden Labyrinth, in dem Werwölfe, tollwütige Hunde, zu Kolossen mutierte Menschenwesen und noch weitaus grässlichere Kreaturen walten.

Man könnte meinen, dass sowohl das Setting als auch das Monster-Design ausreichen würden, um einem Weichei wie mir albtraumhafte Nächte zu bescheren. Doch ausschlaggebend für meine intensive Erfahrung mit Bloodborne war nie das Visuelle sondern das, was während meiner Zeit in Yharnam und Umland mit mir selbst geschah.

Reine Kopfsache

Die ersten Spielstunden von Bloodborne ähneln jener Mutprobe, die mir vor vielen Jahren auf einer Klassenfahrt in den Harz aufgedrückt wurde: Während einer Nachtwanderung durch ein Waldstück sollte ich etwa hundert Meter des Weges alleine bestreiten, ganz ohne Taschenlampe und ohne beste Freundin an meiner Seite, die mich mit ihrem fröhlichen Geplapper von der Umgebung ablenkt. Stattdessen war ich in dieser Situation ganz auf mich selbst fixiert und scheinbar von allen guten Geistern verlassen.

Gesellschaft leisteten mir nur die Flausen im Kopf, die frech in meinen Gedanken-Kanälen umherwirbelten und die sonderbarsten Dinge zum Leben erweckten: Zwischen turmhohen Kiefern und Fichten, hinter Wacholderbüschen und dichtem Dornengestrüpp lauerten plötzlich abscheulich grinsende Missgestalten, die drohten, mich ins ewige Dunkel zu ziehen. Jegliche Muskelkraft in den Beinen schien sich in diesem Moment verflüchtigt zu haben. Aus hundert Metern Gehweg wurden tausend; Aus den angedachten fünf Minuten wurden sechzig. Der Wald gab mir eine Schablone vor und mein Hirn malte sie aus. Für all das Übel um mich herum war allein ich selbst verantwortlich.

In Bloodborne ist das Übel real

Vom beinahe idyllischen Nexus-Gebiet mit dem bezeichnenden Namen Traum des Jägers zog es mich in jenes viktorianische Yharnam. Vor mir türmten sich keine Bäume auf, sondern die imposante Kulisse einer zwielichtigen Stadt. Auch hier wurde ich allein gelassen. Und trotzdem hatte ich Gesellschaft. Diese Erkenntnis war Grauen erregend, terrorisierte mich sogar. Bewaffnet mit Sägehackbeil und Donnerbüchse wagte ich meine ersten Schritte durch die scheinbar menschenleeren Gassen Yharnams. Die ersten Gegner, die ich auf meinem Weg traf, zottelige, von jedweder Menschlichkeit verlassene Scheusale, erledigte ich ohne Probleme. Fast schon hochnäsig schritt ich weiter voran, bis ich überrascht wurde von einem Wahnsinnigen, der hinter einer Ecke hervorsprang und mir mit einem Axthieb den Kopf spaltete.

Das war ein Schlüsselmoment. Von da an entwickelte ich eine hartnäckige Paranoia, die sich in Verbindung mit dem gnadenlosen Schwierigkeitsgrad zu einer unsäglichen Quälerei entwickelte: Immerzu folterte mich die Angst, vor dem Versagen; Immerzu begleitete mich die Furcht, die mühselig gesammelten Blutechoes, die überlebensnotwendige Währung des Spiels, zu verlieren und noch einmal von Null beginnen zu müssen. Bis zum Ende hin achtete ich auf jedes Rascheln, Grunzen und Klappern, stets vom zwickenden Gedanken begleitet, dass irgendwo zwischen Häusernischen, in Felswänden und hinter brennenden Scheiterhaufen etwas lauern könnte, das meine Lebensleiste leert und mich anschließend für eine gefühlte Ewigkeit auf einen schwarzen Ladebildschirm starren lässt.

Was will diese Welt nur von mir?

Hinzu kommt diese Unsicherheit, oh dieser gottverdammte Zweifel, dieses Unwissen darüber, ob das, was man gerade tut, richtig ist. Was mit dieser Welt um mich herum gerade geschieht und lange vor meiner Existenz einmal geschehen ist, vermochte ich nicht zu erklären. Keine Mutter, kein Vater, kein Dorfältester oder langjähriger Freund aus Kindheitstagen — niemand nahm mich an die Hand, gab mir nützliche Tipps oder zeigte mir den richtigen Weg. Niemand war ein meiner Seite, der atmet, denkt, kommuniziert. Niemand wiegte mich in Sicherheit. Die wenigen Personen, auf die ich traf, waren allesamt schleierhaft, redeten in Rätseln oder schickten mich fluchend fort. Jede Entscheidung, die ich treffen musste, fühlte sich an wie ein Sprung in einen trüben Tümpel, dessen Tiefe man nicht einschätzen kann.

Ein Beispiel, welches dies wohl am besten beschreibt, ist eine Gegend namens Unsichtbares Dorf Yahar'gul. An keinem anderen Ort fühlte ich mich je so beklommen. Gegner niederzuschlagen, brachte mir nichts. Eine undefinierbare Kraft hauchte ihnen nach einiger Zeit neues Leben ein. Sie verfolgten, saßen mir dicht auf den abgelaufenen Fersen. Zeit, in den Winkeln und Räumen nach Schätzen zu suchen, hatte ich keine. Der Gang durch dieses Gebiet verkam zu einem unermüdlichen Wegrennen vor dem Tod. Ich drängelte mich durch Durchgänge, sprang von Dächern, sprintete durch Hallen. Stets wurde ich beobachtet von einem kolossalen, Gottesanbeterinnen-artigen Wesen namens Amygdala, das sich mit seinen vielen Beinen an eine große Kathedrale krallte. Das Geheimnis dieses Dorfes lüftete ich nie. Ich wollte nicht wissen, was mit den Bewohnern passiert ist, wollte nur weg, irgendwie heil herauskommen. Nachdem ich das Dorf wieder verlassen hatte, erschien mir das Startgebiet Yharnam wie ein behagliches Stück Heimat.

Meine Reise durch Bloodborne mag zwar ungeheuerlich gewesen sein, doch das macht sie nicht minder fantastisch. Ja, ich bin stolz auf mich, nicht nur weil ich zahlreiche Feinde, Fallen und Bossgegner habe, sondern vor allem weil ich es vollbracht habe, die um Erlösung winselnden Stimmen in meinen Ohren stumm zu schalten und bis zum Ablauf der Credits hartnäckig zu bleiben. Einsamkeit, Ungewissheit und das immerwährende Gefühl der Bedrohung haben mich beinahe selbst in den Wahnsinn getrieben. Vielleicht verfiel ich sogar wirklich in einen Wahn.

Und dennoch würde ich Bloodborne jederzeit neu erleben wollen.

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