Moment, das haben sie gerade nicht wirklich getan, oder? Sind da die Teletubbies ins endzeitliche Großbritannien gehüpft? Oder vielleicht doch die Power Rangers? In bunten Kostümen stürmt eine Horde blutrünstiger Zombie-Killer die letzten Minuten von 28 Years Later und sorgt für den letzten großen Jump-Scare des Films. Für viele Zuschauenden war das offenbar zu viel des Guten. Hier wurde der Bogen überspannt.
Seit dem Kinostart der Horror-Fortsetzung, auf die Fans seit über zwei Dekaden gewartet haben, steht der finale Paukenschlag in der Kritik. Grund dafür ist der vermeintliche Stilbruch: Was eben noch wie ein tonal sehr gut ausbalanciertes Survival-Abenteuer in der Zombie-Apokalypse wirkte, verwandelt sich plötzlich in einen Jahrmarkt des Wahnsinns. Die Wahrheit ist jedoch: Genau das ist die DNA des Films.
28 Years Later ist ein Punkrock-Blockbuster, von dem sich Hollywood einiges abschauen kann
In dem Augenblick, in dem sich Jimmy Crystal und seine Gang in den letzten Atemzügen von 28 Years Later zu Wort melden, beweist Regisseur Danny Boyle einmal mehr, warum er einer der aufregendsten Filmemacher Hollywoods ist. Denn selbst wenn er mit großen Studios zusammenarbeitet, wie es bei der unter dem Dach von Sony entstandenen Fortsetzung zu 28 Days Later der Fall ist, hält er sich an keine Regeln.
Diese Punkrock-Attitüde ist ihm zwar schon oft auf die Füße gefallen. Das prominenteste Beispiel dürfte sein gescheiterter James Bond-Film sein: Eigentlich sollte Boyle das Daniel Craig-Finale drehen, ehe das Projekt in der Vorproduktion auseinanderfiel und Cary Joji Fukunaga kurzfristig als Ersatzregisseur engagiert wurde. Wenn Boyle mit seinen Ideen durchkommt, kann man sich in der Regel auf etwas Ungewöhnliches freuen.
Obwohl 28 nicht die größte Marke im Portfolio von Sony ist, wäre es in der aktuellen Blockbuster-Landschaft deutlich naheliegender gewesen, die späte Fortsetzung komplett auf dem Vermächtnis des Originals aufzubauen und an die Fan-Nostalgie zu appellieren. In der vergangenen Dekade haben wir das im Grunde bei allen großen Franchises erlebt, von Star Wars und Jurassic Park über Marvel und DC bis zu Terminator und Rocky.
Alte Stars werden im Legacy-Kontext oder dank Multiversums-Tricks zurückgebracht, während hinter der Kamera Filmschaffende engagiert werden, die mit den Filmen, die sie nun fortsetzen, aufgewachsen sind. Boyle – und in Erweiterung auch Drehbuchautor Alex Garland – sind jedoch zu keiner Sekunde daran interessiert, ein Schlupfloch im 28 Days Later zu suchen, das ihnen eine Einstiegsmöglichkeit gewährt.
Unerschrockene Fortsetzung: 28 Years Later steckt weder in Nostalgie noch Erinnerungen fest
28 Years Later wurde entgegen der im Franchise-Kino derzeit sehr hochpriorisierten Kontinuität als Start einer neuen Trilogie erklärt, die jedes Cinematic Universe schaudern lässt und uns mit der Rückkehr von Hauptdarsteller Cillian Murphy einfach auf einen anderen Film vertröstet. Neue Figuren, neues Setting, neue Mythologie: Der große Zeitsprung im Titel macht alles möglich und wird entsprechend genutzt.
Es tut so gut, einen Franchise-Blockbuster zu sehen, der sich dermaßen frei bewegt und im Einklang mit den aktuellen Interessen der Filmschaffenden dahinter ist. Nicht das, was einmal war. 28 Days Later kam 2002 ins Kino. Seitdem haben wir eine Pandemie erlebt und Großbritannien ächzte unter dem Brexit. Das spürt man zu jeder Sekunde von 28 Years Later. Es geht nie darum, sorgfältig eine Erinnerung neu aufzubereiten.
Und das Beste ist: Boyle überträgt diesen stürmischen Drang im Inneren des Films mit ganzer Schaffenskraft auf die filmische Ebene. Mitunter wirkt es so, als würde nicht nur Protagonist Spike (Alfie Williams) zum ersten Mal die große Welt entdecken, sondern auch Boyle die Möglichkeiten eines entfesselten Filmemachens – inklusive 20 iPhones, die er auf eine ovale Apparatur schnallt, um die Bullet-Time aus Matrix neu zu erfinden.
28 Years Later ist ein unerschrockener Film, der anstelle einer Zeitlupenaufnahme auf zerfetzte Bildschnipsel setzt, die uns in einer schwindelerregenden Bewegung um Figuren rasen lassen. Kameramann Anthony Dod Mantle erweist sich als wichtigster Verbündeter bei diesem digitalen Grenzgang, wenn wir mit den Figuren durchs Unterholz hechten und sich Drohnenaufnahmen mit Infrarotbildern abwechseln.
Ein Film, der alles ausprobieren will: Danny Boyles Inszenierung ist der treibende Motor von 28 Years Later
Schon bei 28 Days Later leisteten die beiden bahnbrechende Arbeit: Der rasende Horror-Albtraum brachte den Zombie-Mythos ins 21. Jahrhundert und trieb durch die Nutzung der Canon XL-1, einer MiniDV-Videokamera, die digitale Revolution in Hollywood an. Noch mehr als die Geschichten, die auf narrativer Ebene erzählt werden, erweisen sich Boyles filmästhetische Wagnisse als roter Faden der 28-Reihe (und seiner Filmografie).
Natürlich steht bei 28 Years Later, der in seiner Produktion rund 60 Millionen US-Dollar gekostet hat und zu keinem A-Franchise gehört, weniger auf dem Spiel, als wenn das Marvel Cinematic Universe seinen nächsten 200-Millionen-Blockbuster ins Kino bringt. Nach 36 (!) Filmen, die bis auf ganz wenige Ausnahmen dem gleichen flachen, grauen Look hinterherjagen, fühlt sich Boyles Film dennoch wie ein Freiheitsschlag an.
Ein Freiheitsschlag, der sich bis zum Ende von 28 Years Later streckt und alles mitnimmt, was im abgesteckten Rahmen möglich ist: Ein Alpha-Zombie, der nackt durch die Gegend rennt und Schädel mitsamt Wirbelsäule herausreißt. Eine Zombie-Geburt, die unter den extremsten vorstellbaren Umständen stattfindet. Ein Arzt, der Knochentempel baut und Leben, Tod und Liebe in einem Atemzug zusammenführt.
- Zum Weiterlesen: Unser ausführlicher Film-Check zu 28 Years Later
Jimmy, der Teletubbies-Power-Rangers-Kultanführer, der kurz vor dem Abspann aus der Deckung gesprungen kommt, erweist sich als letzte Pointe in einem pulsierenden Film, der den Mut besitzt, zwei Stunden lang auf filmische Ebene auszurasten. Und einen Regisseur, der das gleichermaßen vulgär wie elegant durchziehen kann. Kaum ein dritter Teil in einem Franchise fühlt sich so lebendig an wie 28 Years Later.
28 Years Later läuft seit dem 19. Juni 2026 in den deutschen Kinos.