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Ein Löwe unter Wölfen in Pulp-Fiction-Hommage

21.02.2015 - 15:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
UGRAMM
Inkfinite Pictures
UGRAMM
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7
Der in der IMDB mit 8,3 bewertete Film UGRAMM ist ein kleiner Geniestreich und hat in meinem Cineasten-Herzen einen besonderen Platz eingenommen. UGRAMM ist ehrliches Werk, das die Liebe zum Medium Film auf sämtlichen Ebenen offenbart. Laut, dreist, blutig und selbstsicher entfaltet der Film eine spannende Geschichte in einem intertextuellen Universum. Hätte Quentin Tarantino jemals einen Film über einen kanaresischen Gangster gedreht, er hätte es wahrscheinlich genauso gemacht.

Nach der Veröffentlichung des Trailers waren die Erwartungen an das in der Sprache Kannada gedrehte Erstlingswerk von Regisseur Prashanth Neel enorm hoch. Doch weder die Kritiker, noch das Publikum wurden enttäuscht. Im Gegenteil, der Film war der Überraschungserfolg des Kinojahres 2014. UGRAMM ist ein temporeicher Thriller, ein brutales Gangster-Drama und ein pulsierender Action-Film zugleich.

Der Original-Trailer:

Acht verschiedene Kameras kamen zum Einsatz, um den Anforderungen an die verschiedenen Situationen und Locations gerecht zu werden und das Beste aus dem Drehbuch herauszuholen. Während Nityas (Haripriya) Reise nach Indien gerät sie zwischen die Fronten einer blutigen Fehde. Der introvertierte Agastya (Sri Murali) rettet sie, doch die beauftragten Gangster geben so schnell nicht auf und heften sich an ihre Fersen. An Agastya beißen sie sich allerdings die Zähne aus, denn er ist stets zur Stelle, wenn es brenzlig wird. Die ortsansässigen Rowdys fallen wie die Fliegen und die importierten Schläger nehmen panisch Reißaus. Schnell wird klar: Agastya hat eine Vergangenheit. Und nun geht es im Flashback nach Mughor, einen düsteren Ort, um dessen Vorherrschaft blutige Bandenkriege ausgetragen werden. Mughor ist eine offizielle Dead Zone, deren Geschichte mit Blut geschrieben wird ... und Agastyas Kapitel ist das umfangreichste.

Eine Orgie des Tötens

UGRAMM ist eine wilde Achterbahnfahrt für jeden Action-Liebhaber. Einmal eingestiegen gibt es kein Zurück mehr. Langsam beginnt die Fahrt, der Wagen wird kontinuierlich in die Höhe gezogen, der Puls steigt, noch einmal durchatmen und dann geht es hinab in die Tiefe - donnernd und unaufhaltsam. So ergeht es dem Zuschauer von UGRAMM, der mit dem ersten Teil des Films langsam, aber stetig auf den Thrill vorbereitet wird, der ihn im zweiten Teil erwartet. Denn schon hier lauert nach jeder Verschnaufpause aus ein wenig Romantik oder Comedy schon die nächste Action-Szene, die den Zuschauer unsanft aus der Leichtigkeit herausreißt.

Im zweiten Teil ist dann gänzlich Schluss mit lustig. Die komplexe Handlung, die gnadenlose Darstellung von Gewalt und Tod, die rasante Montage, die kurzen, aber messerscharfen Dialoge, die gewaltigen Bilder und der kraftvolle Background Score entfachen eine atemberaubende Energie, einen apokalyptischen Schwung, der den Zuschauer bis zum Ende des Films mitreißt und ihn noch während der End Credits nach Atem ringen lässt. Mindfuck? Nein. Mindrace!

Intertextueller Overkill

Die tarantinoeske Vorliebe für Intertextualität und Zitationen aus unterschiedlichen Bereichen der Popkultur kann auch Regisseur Prashanth Neel nicht leugnen. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und bedient sich zusätzlich aus dem Fundus der umfangreichen hinduistischen Mythologie. Die zahlreichen Zitate auf der Bild- und Ton-Ebene sind für den unkundigen westlichen Zuschauer sicherlich schwierig zu erkennen, doch für das indische Publikum ist UGRAMM nahezu ein Overkill an Intertextualität, die eine komplexe Narrationsebene zusätzlich zum Filmgeschehen entfaltet und UGRAMM zu einem ganz besonderen Filmerlebnis emporhebt.

Es ist unmöglich, all die umfangreichen visuellen und auditiven Querverweise und diversen Bedeutungsebenen aufzuzeigen, die aus den unterschiedlichsten Quellen stammen. Das würde den Rahmen dieses Artikels bei weitem sprengen. Deshalb werde ich im Folgenden beispielhaft einige sehr signifikante und für das Verstehen des Films relevante inszenatorische Motive darstellen, die quasi das Fundament des Films bilden.

Allein das Wissen um die Bedeutung des Filmtitels gibt Aufschluss über die Rollen-Performanz des Protagonisten Agastya und den Hergang der Geschichte. Ugramm bzw. ugraṁ ist ein Wort aus dem Sanskrit, das soviel bedeutet wie „folgenschwerer/ungezügelter Zorn bedingt durch eine lange Zeit der Duldung“. Der Protagonist Agastya ist kein HB-Männchen, das sofort in die Luft geht, wenn man es ärgert. Sein Geduldsfaden ist zäh, nahezu reißfest, aber es kommt der Punkt, an dem er die Tyrannei nicht mehr dulden kann und seine ungezügelte Wut wie eine Urgewalt aus ihm herausbricht. Dann ist es besser, ihm nicht im Wege zu stehen. Bala (Tilak Shekar), Agastyas Brother in Crime, beschreibt ihn wie folgt: „Agastya is like a piece of coal. Difficult to ignite coal, but once it‘s on fire, it will not stop ‘till it turns to ashes.“

Sri Murali brilliert in der Rolle des Agastya und feierte mit UGRAMM ein furioses Comeback. Er ist der Bad Ass Gangster schlechthin und rockt seine Fights dermaßen, dass einem die Kinnlade auf die Knie klatscht. Es ist unmöglich, Antipathie für den brutalen Rowdy und gnadenlosen Mörder zu entwickeln und sich seinem intensiven Blick zu entziehen. Selten hatte ein Killer solch eine dämonische Anziehungskraft.

Avinash, Atul Kulkarni, Tilak Shekar, Haripriya, Jai Jagadish und die unzähligen weiteren Nebendarsteller werden ihren Rollen ebenfalls gerecht. Besonders bemerkenswert sind die Scharen von skrupellosen Schlägern und Gangstern die Mughor bevölkern. Einige besonders Furcht einflößende Exemplare sorgen schon bei ihrem Anblick für Gänsehaut. Diesen düsteren Gestalten möchte man wirklich nicht Dunkeln begegnen.

Pulp Fiction, Comics und Mythologie

UGRAMM beginnt mit einer Rezitation aus dem Off, einer Hymne auf Gott Narasimha aus der hinduistischen Mythologie, dem Narasiṁha Mahā-Mantra:

oṁ hrīṁ kṣauṁ
ugraṁ viraṁ mahāviṣṇuṁ
jvalantaṁ sarvatomukham
nṛsiṁhaṁ bhīṣaṇaṁ bhadraṁ

mṛtyor mṛtyuṁ namāmyaham

[Eine der zahlreichen Übersetzungen: O' Angry and brave Mahā-Viṣṇu, your heat and fire permeate everywhere. O Lord Narasiṁha, you are everywhere. You are the death of death and I surrender to You. Anmerkung: Auch hier ist das Wort ugraṁ nicht nur als Zorn/zornig zu verstehen, sondern wie oben beschrieben.]

Narasimha (nara, Sanskrit: Mann, Mensch; siṃha, Sanskrit: Löwe) ist eine der wohl beängstigendsten und mächtigsten Erscheinungsformen des Hindu-Gottes Vishnu, die in den Puranas und den Veden (heilige hinduistische Schriften) Erwähnung findet. Halb Mensch, halb Löwe gilt er als Beschützer und Verteidiger in der Not. Der Legende nach erschien Gott Vishnu als Narasimha, nachdem er lange Zeit mit ansehen musste, wie der Dämonenkönig Hiranyakashipu immer wieder versuchte, seinen eigenen Sohn Prahlada zu töten, weil dieser ein hingebungsvoller Anhänger Vishnus war. In wildem Zorn zerfetzte Narasimha den Leib des Dämonenkönigs und rettete so - blutverschmiert von Kopf bis Fuß - den unschuldigen Prahlada. Diese Legende wird im Film durch comicartige Bilder während der Rezitation der Hymne visualisiert und gibt dem kundigen Zuschauer gleich zu Beginn den Hinweis, dass Narasimha und sein unbändiger Zorn im Film auf irgendeine Weise eine Rolle spielen werden.

Die Hintergrundgeschichte um die blutige Fehde erzählt UGRAMM ebenfalls anhand eines kurzen Comics und bildet so einen intertextuellen Bezug zur Tradition der indischen Graphic Novels (bekannt als Chitrakatha). Zusätzlich bilden die Ereignisse im Film eine Hommage auf die sehr umfangreiche indische Pulp-Fiction-Literatur, die düstere, zum Teil blutrünstige Geschichten erzählt, in denen ruchlose Verbrecher und ambivalente Antihelden auftreten.

Der Film spiegelt diese beiden Literatur-Gattungen auf unterschiedliche Weise wider. Die temporeiche Narration, die Bildsprache, die Dialoge, die Charakterzeichnung der Figuren und nicht zuletzt die Story finden eindeutig ihre Wurzeln in den Erzählformen und Inhalten dieser beiden literarischen Traditionen. So realisierte der renommierte Kameramann Ravi Varman (Barfi!, Ram-Leela, Anniyan) beispielsweise viele Close-ups oder Detail-Aufnahmen, deren Frames und Perspektiven exakt so gewählt sind, wie man sie aus Comics kennt. Es fehlen eigentlich nur noch die Sprechblasen und Lautmalereien à la ka-boooom, ratta-bumm, bums und bang. Offenbart wird diese gestalterische Strategie am Ende des Films, indem Film-Bilder in Comic-Bilder gemorpht werden.

Ein Löwe unter Wölfen

Wie weitläufig und tiefgreifend die Intertextualität des Films ist und wie nachhaltig sie das Inszenierungsgefüge beeinflusst, wird an zwei weiteren Beispielen deutlich. So lässt sich Protagonist Agastya beispielsweise ein Tattoo stechen, das - so seine Anweisung an die Tätowiererin - widerspiegeln soll, was sie in seinen Augen sieht. Und was verewigt sie auf seinem Arm? Richtig, einen Löwen, der wiederum einen Hinweis auf den vor Wut rasenden Narasimha darstellt. Der zurückhaltende Agastya trägt das Tattoo unter einer Armbinde verborgen. Doch wenn er ausrastet, trägt er diese nicht, was darauf hinweist, dass er sich nun quasi im Narasimha-Modus befindet und ugraṁ-mäßig aufmischen wird.

An einer anderen Stelle des Films sieht man Agastya, wie er den Gangsterbossen von Mughor den Krieg erklärt, daraufhin ins Freie tritt und sich seinen Weg durch eine Gruppe von Rowdys bahnt. Die Stimme aus dem Off erklärt dazu (hier die englischen Untertitel): „Mughors den was full of wolves. In the path of the wolves walks ... the lion.“ Der Background Score dröhnt unheilvoll, das Löwen-Tattoo wird in Szene gesetzt, noch ein Zug aus der Marihuana-Pfeife und Agastya mischt sich unter eine Gruppe von jungen Leuten, die das Holi-Fest (auch bekannt als das Fest der Farben) feiern.

Das Fest hat ebenfalls einen direkten Bezug zur Legende von Narasimha, denn Holika, die Schwester des Dämonenkönigs Hiranyakashipu, nach der das Fest benannt ist, hatte ebenfalls versucht, Prahlada zu töten. Dass Agastya im Laufe der Holi-Feierlichkeiten über und über mit roter Farbe besudelt wird, lässt unweigerlich an den blutverschmierten Narasimha erinnern. Der Song zur Holi-Szene heißt „Ugramm Veeram“ und im Text werden die Worte ugraṁ und viraṁ (zornig und furchtlos, heldenhaft) aus der Narasimha-Hymne immer wieder zitiert. Der kraftvolle Song, der in einem frenetischen Trommelwirbel mündet, die wilden Holi-Bilder und die eingebetteten Szenen, die den Bandenkrieg und brutale Morde zeigen, entfachen einen atemberaubenden, ekstatischen Rausch aus Gewalt und Tod, der den Zuschauer gnadenlos mitreißt. So ein kleiner Narasimha steckt schließlich in uns allen, oder nicht?

Seht selbst ...

Ein Tipp: Es lohnt sich, den Film mehrmals anzusehen, besonders wenn man ihn mit engl. Untertiteln schaut, um all die technischen Finessen sowie die visuellen und auditiven Leckerbissen aufnehmen zu können, die einem im Sog der Geschichte entgangen sind.

UGRAMM Sequel und diverse Remakes

UGRAMM ist ein Produkt des Kannada Cinemas und hob das hier sehr beliebte Action-Genre auf ein neues Level. Das Kannada Cinema ist eine der zwölf eigenständigen indischen Filmindustrien, die im südindischen Bundesstaat Karnataka angesiedelt ist und Filme in der Sprache Kannada produziert. Diese Filmindustrie ist auch bekannt als Sandalwood und hat nichts (!) mit Bollywood zu tun.

Der Film, der heute vor einem Jahr (21. Februar 2014) veröffentlicht wurde und fast 150 Tage erfolgreich in den Kinos Karnatakas lief und auch in den USA, Europa, Australien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Singapur und einigen weiteren Ländern die Kinos füllte, erweckte auch in den übrigen Filmindustrien des indischen Subkontinents viel Aufmerksamkeit. Produzenten aus nahezu allen indischen Film-Metropolen standen Schlange, um sich die Remake-Rechte zu sichern. Für die Rolle des Agastya waren bereits Salman Khan für das Remake im Hindi Cinema, NTR Jr., Allu Arjun oder Prabhas für das Telugu Cinema und Vijay oder Dhanush für das Tamil Cinema im Gespräch.

Doch die Remake-Rechte stehen nicht zum Verkauf. Vielmehr ließ die Produktionsfirma Inkfinite Pictures verlauten, dass - wenn überhaupt - Regisseur Prashanth Neel selbst Neuverfilmungen für diverse indische Filmindustrien mit den dort jeweils populären Stars drehen werde. Welcher indische Star im jeweiligen Remake die Hauptrolle spielen wird, ist noch unbekannt. Aber - und das ist sicher - es wird zudem einen zweiten Teil von UGRAMM geben, der den Titel UGRAMM VEERAM tragen und Sri Murali wieder in der Hauptrolle zeigen wird. Die Dreharbeiten sollen im November diesen Jahres beginnen. Bis dahin ist es noch lange hin und es ist sicherlich zu früh, sich jetzt schon auf den Film zu freuen, aber ich kann einfach nicht anders. Getting my happy dance on. Yeah!!!


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