Ich, die Zeitmaschine & eine Reise in die Ewigkeit

20.05.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Die Zeitmaschine.
Metro Goldwyn Mayer
Die Zeitmaschine.
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Wir sprechen von der Ewigkeit als einem endlosen Zustand. Orwells Zeitmaschine reizt Ewigkeit aus, macht sie zu einem bereisbaren Ort, an dem wir ihr bemerkenswert nahe kommen. Das macht nachdenklich und erhält ein Herz für Klassiker.

Mit dem mentalen Gedankenkonstrukt der Zukunft befasste Die Zeitmaschine sich als einer der ersten Filme überhaupt. Dass die lineare Reise in die Zukunft möglich ist, setzt ja voraus, dass diese überhaupt existiert, was sie eigentlich nur in dem Moment tut, in dem sie gedacht, sich ausgemalt wird. Die Zeitmaschine denkt hier in einem enormen Ausmaß, obwohl zum Beispiel die These des Präsentismus sowohl die Existenz der Vergangenheit als auch der Zukunft verneint. Was real ist, ist demnach nur der kleinste Ausschnitt der Gegenwart: der momentane Augenblick. Der Präsentismus, der ebenfalls nichts weiter als eine Denkhilfe ist, verneint in gewisser Weise die Erinnerung und die Fantasie. Beiderlei besteht lediglich im gedachten Zustand. Aber wenn die Zukunft doch existiert und gedacht wird, dann ist in ihr alles möglich. Und umso weiter wir in die Zukunft sehen, umso weiter fächern die Möglichkeiten einer potentiellen künftigen Realität sich aus. Das nennt sich dann Possilibismus. Und in die Zukunft sehen, das funktioniert nur mit Fantasie.

Jeglichen Zeitreise-Filmen liegt das Konzept des Possibilismus zugrunde. Die meisten der Zeitreise-Filme nutzen dieses, nun ja, Gedankenspiel intellektuell deutlich aufwändiger und weniger linear als es Die Zeitmaschine tut. Was nicht heißt, dass Die Zeitmaschine nicht ebenso wie etwa Source Code drauf und dran ist, die Grenzen des Vorstellungsvermögens zu sprengen. Denn am Silvester-Abend des Jahres 1899 reist George (Rod Taylor) unvorstellbare 800.802 Jahre in die Zukunft.

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Ließen die ersten Jahrzehnte, in denen George Abstecher im Ersten und Zweiten Weltkrieg macht, sich noch durch die wechselnden Gewänder einer Schaufensterpuppe veranschaulichen, wird es unheimlich, beklemmend, stellt sich eine Angst vor dem Unbekannten ein – ähnlich der vor der Dunkelheit – als George nicht genug bekommen kann und die Zeitanzeige heißläuft und Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt, Jahrhundert um Jahrhundert und schließlich Jahrtausend um Jahrtausend dahinschwindet. Davor wird es wahrhaftig dunkel. Ein Vulkan bricht aus und legt einen dicken Berg auf George und seine Zeitmaschine – Gestein, das nur die Zeit wieder abtragen kann, nur die Flucht in die Zukunft bedeutet Freiheit.

Wir selber denken ja kaum mal weiter zurück als ins sogenannte Jahr Null und schon gar nicht weiter vor als ein paar Jahrzehnte in die Zukunft. Im Jahr 802.701 am 12. Oktober dann bricht Licht durch die Decke und George hält die Zeit an. Die Milliarden Jahre alte Erde, die im Ganzen nur den Bruchteil eines Prozentes gealtert ist, ist wieder in einen vorbiblischen Zustand zurückversetzt. Bewohnt ist das ehemalige Areal der Stadt London, wo George seine Zeitreise startete, nun von den Eloi, einer Bande hoffnungsloser Hedonisten, denen das Phlegma die Fähigkeit zum Denken erdrosselt hat. Aber das in über knapp 2000 Jahren angesammelte Wissen existiert da ohnehin nicht mehr, wie Staub zerfallen die letzten Bücher in Georges Händen, das Wissen rinnt symbolisch durch seine Finger. Nur das wichtigste Medium, die Sprache, existiert im Jahr 802.701 noch. Immerhin.

H.G. Wells’ Vorstellungskraft, sein Denken um einen derart gigantischen Zeitraum voraus, mündet in geistiger Leere und prähistorischer Flora. In einem grünen, unerschöpflichen Dschungel, in dem die Menschen sich von den Früchten des Waldes ernähren und selber nur (unmittelbare) Ressourcen sind. Seiner dynamischen Vision widerfährt so was wie Starrheit. Was George in der Zukunft, die in dem Moment seine Gegenwart ist, erwartet, ist das Nichts. Er erhaschte bei seiner Reise durch das 20. Jahrhundert im Jahr 1966 einen Blick auf einen blitzenden Atomkrieg, der Film selbst stammt aus dem Jahr 1960. Zeit heilt wohl alle Wunden. Im Großen betrachtet erscheint sie als ein Auf und Ab. Wer entscheidet, was die Aufs und was die Abs sind? Eine Zivilisation, wie George sie kannte, das viktorianische London? Oder der zurückgesetzte Zivilisationsentwurf, den Weena (Yvette Mimieux) kennt, mit Menschen als Morlock-Mahlzeit? Ein Zustand kurz vor dem nächsten Reboot.

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Im Possilbismus ist alles möglich, aber das Alles hat eben auch das Nichts in petto. Orwell, seine Zeitmaschine war ja mitunter noch optimistisch, davon auszugehen, dass die Welt 800.000 Jahre später überhaupt noch da ist und die Zeitmaschine nicht in einem vollkommen leeren, dunklen Raum, nicht nur ohne Vitalität und Wissen, sondern auch ohne jegliche Gedanken schwebt. Weiter in die Ewigkeit ist nur Futurama vorgedrungen, in der Episode The Late Philip J. Fry, die die Realität und die Ewigkeit als Endlosschleife entwarf, die ja eigentlich erst in diesem Zustand zur Ewigkeit verflucht ist. Aber die ist wohl immer noch besser als der starre Präsentismus, also ein fantasielose Welt, die dann ziemlich grau wäre.

Die Zeitmaschine ist all das nicht. Sie bildet eine Utopie ab, die gleichermaßen naiv und ambitioniert ist. Die meisten Utopien trauen sich nicht weiter als ein paar Jahrzehnte in die Zukunft. Ihre Prognosen wirken im Gegensatz zu denen Der Zeitmaschine wie Wetterberichte. Der Zeitsprung in die unendliche Ewigkeit touchiert historische Ereignisse, ist dabei für seine Zeit durchaus visuell clever, das eigentliche Geheimnis des Films liegt aber in seiner Vision und einer von allem losgelösten Fantasie.

Was haltet ihr von dem Klassiker Die Zeitmaschine?

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