Nach Netflix-Hit: Dark-Star liefert in schmutzigem Kino-Exzess seine Meisterleistung ab

11.10.2020 - 10:00 UhrVor 3 Jahren aktualisiert
Enfant Terrible mit Katja Riemann und Oliver MasucciWeltkino Filmverleih
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Im Netflix-Erfolg Dark spielte Oliver Masucci zuletzt eine Hauptrolle. Seine Meisterleistung gibt's jetzt im Kino. In Enfant Terrible verkörpert er die Regie-Legende Rainer Werner Fassbinder überragend.

Oliver Masucci ist ein Mann der vielen Gesichter. Seine wohl bekannteste Kinorolle spielte der deutsche Schauspieler 2015 in Er ist wieder da, wo er als von den Toten auferstandener Adolf Hitler im Chaos der Gegenwart aufschlägt. Für die Rolle wurde er 2016 schließlich auch für den Deutschen Filmpreis nominiert. Schlussendlich musste er sich aber von Peter Kurth geschlagen geben.

In den vergangenen Jahren hat der auch viel am Theater tätige Schauspieler aber nochmal einen Volltreffer gelandet. In der beliebten deutschen Netflix-Serie Dark verkörpert Masucci den Polizisten, Familienvater und notorischen Fremdgänger Ulrich Nielsen, der als eine der ersten Figuren das Konzept von Zeitreisen versteht und in ein folgenschweres, tragisches Schicksal stürzt.

Die zurückhaltende Traurigkeit, mit der der Schauspieler seinen Dark-Charakter zum Leben erweckte, ist in Enfant Terrible nur noch hinter einer grellen Fassade des ausufernden Exzesses zu erkennen. Für Oskar Roehlers Biopic über den legendären deutschen Regisseur Rainer Werner Fassbinder, das momentan im Kino läuft, liefert Oliver Masucci seine Meisterleistung ab.

Schaut hier den Trailer zu Enfant Terrible!

Enfant Terrible - Trailer (Deutsch) HD
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Oliver Masucci bringt das Fassbinder-Biopic ständig zum Explodieren

In seinem Film vermischt Oskar Roehler biografische Fakten aus dem mehr als turbulenten Leben Fassbinders mit fiktiven Freiheiten, um die Karriere des berühmten Regisseurs nachzuzeichnen, der in 13 Jahren unglaubliche 44 Spielfilme gedreht hat.

Ein unvergleichlicher Arbeitseifer, der eng verbunden war mit der Privatperson Rainer Werner Fassbinder, der sich exzessiv in Drogen und Affären stürzte, während er seine engsten Vertrauten und Angestellten wie ein Diktator gefügig gemacht, ausgenutzt, schikaniert oder manipuliert hat.

In Roehlers Enfant Terrible ist Oliver Masucci zu sehen, der sich Fassbinder zunächst optisch so stark wie möglich angenähert hat. Im Playboy-Interview sprach der Star des Films laut dem Spiegel  darüber, wie er schon zum Frühstück Weißbier getrunken und mit Kuchen weitergemacht hat, bevor es zum üppigen Abendessen mit Rotwein ging.

Oliver Masucci als Rainer Werner Fassbinder

Das Resultat zieht einen schon ab der ersten Szene von Enfant Terrible in den Bann. Hier tritt Masucci als noch jüngerer Fassbinder auf, der eine experimentelle Theatergruppe im München der 60er an sich reißt. Wie der Schauspieler den exzentrischen Protagonisten mit einer Mischung aus stürmischem Charisma und vorlauter Durchtriebenheit spielt, gibt bereits eine grobe Richtung für Masuccis Interpretation der realen Persönlichkeit vor.

Es dauert nicht lange, bis der Fassbinder in Enfant Terrible seinen ersten Film als Regisseur drehen will, auch wenn er vom Handwerk selbst eigentlich gar nichts versteht. Masucci präsentiert seinen Protagonisten hier mehr als ebenso gewitzten wie aggressiven Dompteur, der seine ebenso unerfahrenen Schauspieler durch lange Einstellungen ohne Schnitte treibt, bis das ganze Set im lautstarken Chaos versinkt.

Dadurch entwickelt sich die erste halbe Stunde des episodenhaft durch verschiedene Stationen aus Fassbinders Leben springende Film zuerst zur witzigen Groteske, die holprige Filmdrehs am Rande des Wahnsinns zeigt. Gleichzeitig wird Enfant Terrible dadurch auch zur Zeitkapsel, die eine Einstellung gegenüber dem Filmemachen zeigt, die heutzutage kaum noch vorstellbar oder möglich ist.

Enfant Terrible gleitet mit Oliver Masucci immer tiefer in unangenehme Abgründe

Dabei ist die Trennlinie zwischen der Geschichte des Films und Enfant Terrible selbst immer dünner verlaufen. Wegen fehlenden Fördergeldern musste Oskar Rohler das ursprünglich geplante Budget von 8,5 auf 2,9 Millionen Euro kürzen, während plötzlich nur noch 24 statt 55 Drehtage blieben.

Indem der Regisseur sein Biopic überwiegend in minimalistisch gestalteten Studiokulissen gedreht hat, in denen die Einrichtung oftmals nur an die Wand gemalt wurde, und viele professionelle Schauspieler des Films zwischen laienhaft-hölzern und überdreht-schrill pendeln, atmet Enfant Terrible oft selbst den anarchischen Geist einer Rainer Werner Fassbinder-Produktion.

Enfant Terrible

Mit fortschreitender Laufzeit entfernt sich der Film aber zunehmend von einem schrillen Heldendenkmal. Durch die entfesselte Performance von Oliver Masucci, der regelmäßig in Wutausbrüchen explodiert, als schweißgebadetes Wrack auf den Boden sinkt und selbst seine intimsten Liebhaber hintergeht oder sogar in den Tod stürzt, stellt Roehler Fassbinder auch gekonnt als genialen Teufel in Menschengestalt dar, der dem Titel des Biopics mehr als gerecht wird.

Masucci ist eindeutig das unkontrollierbare Herzstück von Enfant Terrible und spielt seinen Rainer Werner Fassbinder in den unbequemsten Szenen als rasendes Monstrum, das im Drogenrausch alle Menschen um sich herum mit in den Abgrund reißt.

Dabei findet Oskar Roehler trotzdem noch Zeit für weitere Zwischentöne, die sein Star beeindruckend beherrscht. Kurze Momente, in denen Masucci Fassbinders große Einsamkeit herausschält und ein trotziges Kind erkennen lässt, das mit größter Verzweiflung geliebt werden will, finden sich in Enfant Terrible ebenso neben dem stürmischen Wesen des Films als brachialer Biopic-Orkan.

Und mittendrin ist da immer Oliver Masucci in seiner besten Schauspielleistung, der als Fassbinder irgendwann gedankenverloren zu Joachim Witts Neue Deutsche Welle-Hit Goldener Reiter tanzt, bis ihm das Herz aus dem Brustkorb springt.

Habt ihr Enfant Terrible schon gesehen oder interessiert euch das Fassbinder-Biopic noch?

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