Warum ich auf die neue Kinodimension gerne verzichte

09.04.2010 - 17:24 Uhr
Walking on walking on broken glass...
montage: moviepilot
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Batzman meint: 3D – der neue heilige Gral des Kinos – ist so überflüssig wie ein Schuss ins Knie

3D ist wie dieser gallertartige, puderzuckerbestäubte türkische Honig. Oder Wackelpudding mit Waldmeistergeschmack. Ich weiß genau, dass mir davon schlecht wird. Es ist nicht wirklich lecker, sondern eher auf interessante Art und Weise scheußlich. Es hat keinen Nährwert, macht dick und ich bedauere schon im Moment des Essens, dass ich das Zeug gefuttert habe – und doch, alle paar Jahre hab ich mal wieder Lust drauf.

Ich weiß nicht, woher die Neugierde kommt, denn letztlich hat sich 3D auch nicht wirklich weiterentwickelt. Klar, das alte anaglyphe 3D, welches in den 50er Jahren zum ersten Mal die Zuschauer weg vom Fernseher und zurück in die Kinosäle locken sollte, war ja ganz lustig. Genau wie seine Neuauflagen in den 60er, 70er und den 80er Jahren, in denen vor allem Sequels ausgenudelter Horrorfilme mit dem Versprechen der 3.Dimension nochmal wiederbelebt werden sollten. Ob Der weiße Hai 3, Amityville 3, Und wieder ist Freitag der 13. oder die letzten Minuten von Freddys Finale – Nightmare on Elmstreet 6 – 3D war das Gimmick der Wahl, wenn die Ideen langsam dünn wurden. Auch im TV sah das nicht anders aus. Zwar gaben sich die 3D-Testsendungen in den dritten Programmen Anfang der 80er Jahre noch wissenschaftlich bemüht (Ein kauziger Moderator entschuldigte sich, dass er das Wohnzimmer der Zuschauer mitbenutzte, als er einen Ausklapptisch gen Kamera schob), aber schon wenige Jahre später holte RTL das Format wieder auf den Boden der Tatsachen: Gegen die sinkenden Quoten der Hupen-Show Tutti-Frutti setzte der Kölner Sender das damals neue Pseudo-3D-Format, bei dem bewegende Hintergründe im Zusammenspiel mit einer Folienbrille ein gewisses Räumlichkeitsgefühl vorgaukelten. Wobei die spärlich bekleideten Tutti-Früchtchen jedoch trotz Doppel-D weiterhin recht flach daherkamen.

Same Shit, Different Day

Die 90er brachten dann zwar Magic-Eye-Bilder und Shutterbrillen für den PC, aber abgesehen von IMAX-Kurzfilmen war 3D ziemlich tot und niemand hat es wirklich vermisst.

Ab Mitte der Noughties begann dann die jüngste Welle des plastischen Kinos. Der ansonsten sehr geschätzte Robert Rodriguez pimpte den 3. Teil der Spy Kids und ließ quietschbunt Die Abenteuer von Shark Boy und Lava Girl in 3-D auf uns los und sorgte neuerlich für Kopfweh und tränende Augen. Und natürlich fabulierte James Cameron davon, dass Avatar – Aufbruch nach Pandora die Sahnetorte von innen aufrollen würde. Schon im Vorfeld dieser “Revolution” schwappten neben einigen wohltuend positiven Beispielen wie Oben und Coraline wieder hauptsächlich trashige Horrorfilme in den Zuschauerraum: My Bloody Valentine und Final Destination 4 machten das, was 3D-Filme seit Anbeginn der Zeit machten: dem Zuschauer irgendwas ins Gesicht schmeißen. Was ungefähr 10Minuten ganz lustig ist und dann ziemlich anstrengend wird. Und nach dem Erfolg von Avatar – der 3D auch ins Bewusstsein derjenigen brachte, die wohl bei Quax, der Bruchpilot oder Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders das letzte Mal im Kino waren, kochte die Hype-Machine endgültig über. Wurden Regisseure davor nur vereinzelt genötigt, in 3D zu drehen (wie das Finale von Harry Potter und der Orden des Phönix), galt für einigte Studios wie Warner ab sofort die Parole, dass kein großer Effektfilm mehr ohne die erfreulichen Mehreinnahmen die dank des 3D-Aufschlags möglichen sind, in die Lichtspielhäuser gelangen würde.

Was den ganzen Hype noch nerviger macht, denn nachdem selbst der bisher aufwendigste 3D-Film Avatar kein wirkliches Killerargument liefern konnte, warum 3D mehr als ein Gimmick ist, wird die notwendige Diskussion um den Sinn und Zweck von 3D-Filmen schon von einer anderen, wichtigeren verdrängt. Der um das neue Pseudo-3D, das nachträglich ermöglichen soll ursprünglich 2D gedrehte Filme in die 3. Dimension poppen zu lassen. Was nicht funktioniert. Jedes Beispiel eines nachträglich hochgerechneten Films, sieht käsig und billig aus. Selbst in Burtons Alice im Wunderland der ja nun wahrlich schöne Bilder anzubieten hat, irritiert der platte Pop-Up-Look, der dieses Fake-D (wie es ein US-Kollege taufte) auszeichnet. Objekte sehen nicht in sich dreidimensional aus, sondern wirken wie flache Ebenen, die hintereinander angeordnet werden. Was bei den tatsächlich stereoskopisch gedrehten Filmen wie wie dem Valentinstag oder dem dritten Final Destination-Sequel schon bisweilend stört, ist beim Fake-D der Normalfall. Selbst recht sorgfältig bearbeitete Filme wie Alice’ Wunderlandwelten verlieren an Wucht, weil die Figuren flach bleiben und 3D nur vortäuschen.

Schlimmer als 3D ist nur Fake-D

Dass es aber noch viel schlimmer geht, zeigt jetzt das Remake von Kampf der Titanen, das wohl tatsächlich die billigste, schäbigste, irritierenste und publikumsfeindlichste Fake-D-Bearbeitung bislang darstellt. Wer bisherige sog. Ghosting-Effekte und überanstrengte Augen durch schlecht konzipierte 3D-Szenen monierte, darf in Louis Leterrier s Werk eine ganze neue Dimension des misslungenen plastischen Kinos erleben. Warner glaubte den bereits fertig in 2D abgedrehten und konzipierten Film in gerade mal acht Wochen (wenn man James Cameron glauben darf) auf 3D umrüsten zu können und liefert ein absolutes Desaster ab. Hier stört nicht nur der Pop-Up-Effekt, sondern die komplette Bildgestaltung, die das Bild meist einfach nur unscharf, kraftlos und matschig wirken lässt. Nichtmal die aus dem Rechner stammenden Monster wurden in echtem 3D herausgerendert (wie man es bei Alice noch machte). Es fällt schwer, sich auf den eigentlichen Film zu konzentrieren, weil dieses Fake-D einen beständig aus der Handlung reißt, wenn die Helden plötzlich mehr nach plastinierten Scheibenmännchen von Günther von Hagen aussehen, im missratenem Versuch, ihnen etwas Tiefe zu verleihen. Noch viel mehr Freude bereitet die Ankündigung auf weitere Fake-D-Filme. Die beiden kommenden Harry Potter-Filme werden in jedem Fall künstlich aufgepoppt und auch diverse Klassiker stehen vor ihrem Rerelease in künstlichem 3D. The big 3D-Scam ist in vollem Gange und das, obwohl nicht mal echtes 3D wirklich überzeugen kann.

Nochmal ganz deutlich: Ich halte selbst heutiges State-of-the-Art 3D, wie es in Avatar zum Einsatz kam, für ein Gimmick, das wenig bis nichts zur Gesamtwirkung des Films beiträgt. Im Gegensatz zu Ton, Farbe, diversen Breitwandformaten, bei denen sich ihr Nutzwert und ihre Vorteile sofort offenbaren, warte ich immer noch auf den Moment, in dem mir ein Filmemacher zeigen kann: “Das funktioniert nur in 3D. Es gibt keine Möglichkeit, diese Geschichte mit genau derselben Wirkung in 2D zu erzählen.” Die unterschiedlichen Möglichkeiten von Stumm- und Tonfilm erschließen sich sofort. Genauso Farbe und Schwarz/Weiß, Standard und Cinemaskope. Alles gehört zum selbstverständlichen Fundus der filmischen Ausdrucksmittel, derer sich versierte Filmemacher je nach Erfordernis bedienen können. 3D soll – zumindest wird dies derzeit von den Apologeten der Technologie so proklamiert – ebenfalls nur eines dieser Ausdrucksmittel werden. Das Problem dabei ist, aus meiner Sicht allerdings, dass es seit den 50ern Jahren keine wirkliche Entwicklung gegeben hat, was 3D angeht. Die Technik wird besser, aber im Gegensatz zu den anderen Möglichkeiten fällt den Regisseuren anscheinend wenig neues ein. Noch immer bedeutet 3D in erster Linie in die Kamera deutende Finger, Waffen und überraschend hervorspringendes Buh-Material. Das zurückhaltendere Guckkasten 3D, wie es in den Pixar-Filmen oder Coraline zum Einsatz kommt, ist angenehmer und weniger plakativ, bietet letztlich aber auch nichts, das in 2D nicht funktionieren würde. Und selbst die modernste derzeitige Technik ändert nichts daran, dass die 3D-Brillen das Bild unglaublich dunkel machen und den Farben ihre Brillanz nehmen.

Wo sind die Ideen? Wo bleibt der Moment, an dem 3D sich vom Zwang emanzipiert auch 2D tauglich sein zu müssen? Wo bleibt eine originäre 3D-Erzählweise, die sich nicht auf platte Effekte beschränkt? Wo bleibt der wirkliche Nutzwert, der grandiose Unterschied, den frühere Fortschritte mit sich brachten? Kurz gesagt: Was hat 3D tatsächlich anzubieten, das es diesmal davor bewahrt, wieder in die Vergessenheit zu versinken?

Und wenn schon das echte 3D dank reduzierter Bildqualität immer noch nicht der Weisheit letzter Schuss ist, welche Entschuldigung gibt es dann für die unnötigen Fake-D-Versionen neuer und alter Filme? Wird das Publikum wirklich bereit sein, wenn sich der initiale Wow-Effekt gelegt hat, für diese Art von Kino mehr Kohle auf den Tisch zu legen? Wird es sich nicht irgendwann fragen, was der ganze Zauber soll?

Und wäre es wirklich so schlimm, wenn in 3-4 Jahren der Boom abflauen würde und sich die Filmemacher wieder drauf konzentrieren könnten, gute Filme zu drehen, ohne auf Biegen und Brechen mit den Einschränkungen des 3D-Formats kämpfen zu müssen?

Ich hab für den Moment nämlich schon wieder Bauchweh und ein bisschen schlecht ist mir nach den kämpfenden Titanen auch.

Aber in zehn Jahren… da würd ich das nochmal probieren.

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