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Armageddon – Lektionen in manipulativer Meisterklasse

14.10.2014 - 12:00 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
"Mom, that salesman's on TV!"
Buena Vista
"Mom, that salesman's on TV!"
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Meine Lieblingsszene:

Das Tor hebt sich und entschleiert eine Reihe gewöhnlicher Rücken von gewöhnlichen Männern (bald: Helden), deren Körper in diesem Augenblick zu Silhouetten erschwarzen. Vor ihnen stehen zwei Hubschrauber in der Luft, rechts und links erhebt sich ein Blitzlichtgewitter, welches auf ihre Gesichter ausstrahlt und sie für Sekundenbruchteile erhellt. Nichts von dieser Aufregung kann ihnen etwas anhaben. Dann treten die Ölbohrer (jetzt: Astronauten) hinaus aus dem Schatten und voran in eine knifflige (man möchte sagen: unmögliche) Mission, von deren Gelingen unser aller Schicksal abhängt. "Leaving on a jet plane" hallt noch in meinen Ohren und begleitet irgendwie auch sie, während der Präsident der Vereinigten Staaten an sein Pult tritt und zu einer salbungsvollen Rede ansetzt, die niemand missen darf - vor den Radios, vor den Fernsehgeräten, im Straßencafé wie auf einer Schafweide. Menschen in allen Herren Ländern sammeln sich, viele Blicke sind gen Himmel gerichtet, voller Hoffnung, voller Ungewissheit, voller Vertrauen. Es ist Weltuntergang. Es ist Michael Bay.

Selten war Blockbuster-Kino so einfältig, so pathetisch, so überladen, so patriotisch. Noch seltener aber war es – und dieser Widerspruch kann nur unaufgelöst bleiben - vergleichbar effektiv: Sind es wirklich jene Misstöne, die diese - zugestanden - etwas andere Sinfonie durchweg dominieren, oder kommt hier nicht noch etwas Weiteres zum Vorschein - beispielsweise die Gelegenheit zu einem kollektiven, eben nicht lediglich auf eine Nation beschränkten Zusammenfinden im Angesicht eines nahenden Desasters? Dieser wunscherfüllte Ausblick mag umso utopischer erscheinen, als wir Erdbewohner – auch ohne auswärtige Bedrohungen aus dem All - über Jahrhunderte hinweg darin erprobt sind, uns hauseigene Tragödien zu bereiten. Doch macht es die Suche nach Trost verwerflich, oder nicht vielmehr unbedingt menschlich? Die Durchschlagskraft des Werbeclips im Film überzeugt mich von Letzterem, und damit von allen kleinen und großen Wundern, die es unter Rückbesinnung auf ein Miteinander mit Licht erfüllen kann:

Liv Tyler streicht über ihren Verlobungsring, bevor sie ihrem künftigen Ehemann ein letztes Mal zuwinkt, Bruce Willis und Ben Affleck überwinden später ihre Fehde, die sich in der Gewichtung der Ereignisse auf einmal als bedeutungslos entpuppt, woanders wird mit beinahe zärtlicher Gewissheit aus einem "Vertreter" ein Vater. Natürlich bleibt die Beiläufigkeit der Vorgänge reine Behauptung, ihre Naivität jedoch berührt. So, als wäre dort, hinter den kalten Mauern seines Kalküls und Getöses, noch eine zweite Schicht von Unschuld, derer das Werk sich nicht einmal bewusst ist. Ob Steven Spielberg wohl hin und wieder ein Tränchen des Wehmuts aus seinem Auge wischt, weil er ein bisschen neidisch ist?

Müsste ich die Szene auf ein einziges Wort beschränken, wäre dieses wohl "Aufbruch" – mit allen Ängsten, Chancen und (manchmal närrischen) Zweckoptimismen, die an dem Begriff kleben wie Michael Bay an seinen prahlerischen Manierismen. Fühlbar macht dies auch der freigiebige Verzicht auf eine Überbeanspruchung des US-Präsidenten, dessen individuelle Wichtigkeit mit einer kurzen Einblendung ausgedient hat und sich damit ganz der universellen Schwebe unterordnet. Es ist nicht – wie in so vielen anderen Katastrophen-Filmen aus Hollywood, die an irgendeinem Punkt notwendig auf politische Entscheidungsträger rekurrieren müssen - die Souveränität seiner Person, die eine Sicherheit vermitteln (oder ebenso vereiteln) könnte, es sind allein Worte eines - wenn man so möchte - Weltbürgers, welche auf die Präsenz eines menschlichen Vertreters schließen lassen, gleichzeitig aber zu verstehen geben, dass alles Kommende in den Händen einer dritten Macht liegt – verteilt auf 14 Schulterpaare, deren Besitzern nun Gott beistehen möge.

Zwar kann der Kopf nicht mitziehen, doch das Herz gibt den Takt vor. Trash und Kunst als schmuddeliges Liebespaar? Armageddon - Das jüngste Gericht brauchen - wenn es nach mir geht - derlei Fragen nicht zu interessieren. Ich möchte mit den zwei Händen, die ich habe, laut applaudieren, leise vor mich hin kichern und dabei nach einem Taschentuch greifen. Den Zauber des Moments entschlüsselt mir meine Reaktion nicht, wohl aber beschreibt sie ihn... und das muss allemal genug sein. Vielleicht verlieren gewisse Sternstunden wertvolle Sekunden, wenn man zu lange über sie redet. Oder auch nur nachdenkt. Zeit, die Erde zu retten.


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