Der Oscar gilt seit Jahrzehnten als wichtigster Filmpreis der Welt. Sage und schreibe 800 Millionen Zuschauer verfolgen weltweit die Verleihung der Academy Awards live an ihrem Fernsehgerät zu Hause. Für Menschen, die sich nicht intensiver mit dem Medium Film beschäftigen, ist es vielleicht sogar der einzige Filmpreis, den sie kennen. Steht auf dem Plakat “Nominiert für X Oscars” wird dies auch vom Berghüttenbeewohner in Tibet als Qualitätsmerkmal erkannt. Aber warum gilt eigentlich heute ausgerechnet ein amerikanischer Filmpreis immer noch als Maß aller Dinge? Hat der Oscar diese breite internationle Akzeptanz überhaupt verdient oder müsste in einer Zeit, in der Filme leichter als je zuvor Ländergrenzen überschreiten, nicht einmal über einen neuen Preis nachgedacht werden – einen Weltfilmpreis?
Warum der Oscar nicht reicht
Der Oscar ist zwar der wichtigste Filmpreis weltweit, aber er ist trotz Fremdsprachenkategorie durch und durch amerikanisch. Dies soll gar kein Vorwurf an die Academy sein, die sich im Jahre 1927 ja hauptsächlich zur Stabilierung des Hollywood’schen Studiosystems sowie zur Aufpolierung des angeschlagenen Images der amerikanischen Filmindustrie gegründet hat. Es soll an dieser Stelle nur ins Bewusstsein gerückt werden, dass bei den Oscars eben hauptsächlich US-amerikanische Filme geehrt werden. Nicht weil diese die besten Filme der Welt sind, sondern ganz einfach weil der Oscar ein amerikanischer Filmpreis ist. Auf der anderen Seite werden die Academy Awards von vielen Menschen auf der Welt doch als wichtigste existierende Auszeichnung für das Medium Film wahrgenommen. Und das obwohl der größte Teil der weltweit produzierten Filme auf Grund der strengen Nominierungsregeln gar nicht für eine Auszeichnung durch die Academy in Frage kommt. An dieser allgemeinen Wahrnehmung lässt sich schnell erkennen, dass Hollywood als Filmindustrie noch den größten Einfluss auf die Menschen der verschiedensten Länder und Kulturen ausübt. Schließlich sind Filme wie beispielsweise Avatar – Aufbruch nach Pandora von James Cameron speziell darauf ausgelegt, ein weltweites Publikum zu begeistern.
Auf der anderen Seite erweitern auch andere Filmindustrien in der Zeit der Globalisierung ihren Einflussradius erheblich. Bollywood produziert schon heute zahlenmäßg mehr Filme als das amerikanische Pendant und mittlerweile weiß auch der europäische Filmfan, wer Shah Rukh Khan ist. Aber China, Ägypten oder Nigeria besitzen ebenso einen großen Output an Filmen, die sich auch qualitativ nicht hinter amerikanischen oder europäischen Produktionen verstecken müssen. Und da es bei einem Filmpreis ja um eben jene Qualität gehen sollte, lässt sich eigentlich kein Land der Welt von solch einer Aufzählung ausschließen. Bedenken wir, dass jeder Staat abseits der USA nur einen einzigen Film für eine eventuelle Oscar-Nominierung ins Rennen schicken darf, wundert es nicht, dass momentan noch jeder sein eigenes Süppchen kocht, was die Vergabe von Filmpreisen angeht. Zum einen gibt es die nationalen Preisverleihungen, wie beispielsweise die BAFTAs oder die Lolas, und zum anderen exisitieren natürlich zahllose mehr oder weniger bekannte Filmfestivals weltweit, die noch einmal Trophäen an die besten Filme des jeweiligen Wettbewerbs verleihen. Hier gibt es nun auch wieder inoffizielle Abstufungen der “Wichtigkeit” (z.B. Cannes > Venedig > Berlin), die im Endeffekt aber trotz ihrer größeren Internationalität im Vergleich zum Oscar einzeln nur wenig mehr über die weltweite Filmlandschaft aussagen.
Wie ein Weltfilmpreis aussehen könnte
Auch wenn es logistisch sicherlich sehr schwer umsetzbar ist und eine Jury ein enormes filmisches Wissen in sich versammeln müsste, wäre es eigentlich fairer, die Sieger der jeweiligen nationalen Filmpreise und Festivals noch einmal gegeneinander antreten zu lassen. Vielleicht besteht zu diesem Zeitpunkt, an dem Hollywood eine klare Überhand besitzt, wenn es um die Beeinflussung der weltweiten Kinozuschauer geht, aber einfach noch kein Interesse an einem solchen “Weltaward”; von der Möglichkeit der praktischen Umsetzung eines solchen Mammuth-Events einmal ganz zu schweigen.
Betrachten wir allerdings einen namenhaften Preis in Bezug auf ein anderes beliebtes Medium, sehen wir, dass es durchaus auch Möglichkeiten gibt, Werke zu ehren, ohne dass Sprache oder Herstellungsort eine allzu tragende Rolle spielen müssen. Der Literaturnobelpreis besitzt im Gegensatz zum Oscar den Vorteil, dass er erst in Retrospektive verliehen wird. Das heißt, die Jury hat die Möglichkeit, den Einfluss, den ein bestimmtes Werk oder ein bestimmter Autor auf die Kunst und die Gesellschaft hat, im Nachhinein objektiver zu evaluieren. Durch dieses Verfahren ergeben sich interessantere Auszeichnungen, die Werke oder Autoren zwar nicht so zeitnah ehren, wie das goldene Männchen, aber dafür die Aufmerksamkeit von Millionen von Menschen auf Künstler und deren Erzeugnisse lenken, auf die sie sonst niemals gestoßen wären.
Wer weiß: Vielleicht könnte eine ähnliche Vorgehensweis im Bezug auf den Film dafür sorgen, dass plötzlich ein afrikanischer Actionthriller Kassenrekorde in deutschen Multiplexen bricht.
Was denkt ihr: Brauchen wir einen Weltfilmpreis? Und wenn ja, wie könnte ein solcher Preis aussehen?