Ich könnte jetzt ein Lied singen von den tollen Arthouse-Filmen, die ich als Jugendliche in dauer-bedrohten Kinos gesehen habe und wie schade es ist, wenn noch ein Lichtspieltheater für Filmkenner dahinscheidet. Doch ein echtes Arthouse-Kino gab es nicht in der Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Ein Kinosterben fand trotzdem statt. Gera heißt die Stadt und die Filme, die ich in den 90ern im Kino gesehen habe, trugen anspruchsvolle Titel wie Wilde Kreaturen und Der Dummschwätzer. Beide liefen im unspektakulären, aber gemütlichen Metropol-Theater, eröffnet 1919. Beide kamen 1997 ins Kino. Ein Jahr später machte dann nahezu zeitgleich mit der ersten Mall ein großes Multiplex von UCI auf. 1999 schloss das Metropol. Solche Geschichten können sicher viele von euch erzählen, egal ob ihr aus kleinen Großstädten oder Metropolen kommt. Machten in den 90ern die Multiplexe im Kampf gegen die VHS beiläufig auch ihrer kleinen Konkurrenz den Garaus, bringen die Filmfans nun selbst kleine und mittelgroße Kinos in Bedrängnis. Über sinkende Zuschauerzahlen habe ich letzte Woche geschrieben. Heute werden die Auswirkungen auf die Lichtspielhäuser unter die Lupe genommen.
Kinofans aller Länder vereinigt euch
Eine Krankheit geht um in Europa. Wöchentlich pfeifen Schreckensnachrichten durch den Äther. Es sind Nachrufe auf Traditionskinos wie der Kurbel in Berlin, dem Atlantis in München oder dem Kepler Kino in Wien. Die Bewohner der Metropolen jammern auf hohem Niveau, immerhin bleibt ihnen ein reichhaltiges Kulturangebot. Doch Geradeso-Großstädte mit rund 100.000 Einwohnern können sich glücklich schätzen, wenn sie überhaupt eine Alternative zum Multiplex zu bieten haben. Allein im Jahr 2010 verloren 22 Städte ihr letztes oder einziges Kino (Quelle: Die Zeit). Waren früher um die 1000 Kinostandorte in Deutschland der Normalzustand, begnügen wir uns seit einigen Jahren nur noch mit 950 und es werden stetig weniger. In den USA bereitet derweil ein faszinierender Trend ähnliche Sorgen. Immer mehr Kinoleinwände gibt es da, aber gleichzeitig immer weniger Kinos. Multiplexe verdrängen kleinere Lichspielhäuser und die Anfahrt wird in bestimmten Gegenden länger.
Gegen den VHS-Boom boten Multiplexe Ende der 80er und Anfang der 90er riesige Leinwände, Surround Sound und sogar lächerliche Lasershows. Das Kinosterben machte vor allem an der Grenze zwischen Independent und Mainstream halt. Es war ein Produkt der ungleichen Konkurrenz. Heute müssen sich auch die Multiplexe warm anziehen, wenn ihre Zuschauer lieber daheim bleiben, um die Raubkopie ihrer Wahl mit Freunden in bester Qualität zu genießen. Die ansteigenden Preise und lustlosen Themenabende, die die großen Ketten forcieren, sind schließlich nicht das Produkt der puren Gier. Zumindest manchmal. Doch nicht nur die wegbleibenden Zuschauer sind verantwortlich. Gerade die kleineren Kinos tragen mit dem Umstieg auf um die 70.000 Euro teure Digitalprojektoren eine schwere Last, die sie erst nach Jahren des Betriebs abbezahlen können. Deswegen unterstützen nun sogar Filmförderungsanstalten den digitalen Umstieg kleiner Kinos. Es ist ein Programm für die Artenvielfalt, die auch durch steigende Mieten in Ballungszentren in Gefahr gerät.
Was tun, wenn’s brennt?
Seit Jahren sorgt das Filesharing im Internet für Umsatzeinbußen an den Kinokassen. Aber hat sich seitdem etwas in den Kinos getan? Das ist die zentrale Frage, denn die Krise, in der die Branche steckt, ist nicht neu. Erstens, weil wir schon lange mitten drin stecken und zweitens, weil sie historische Vorbilder besitzt. Ein Spiegel-Artikel aus dem Jahr 1958 berichtet nüchtern von den Vorhaben der Kinobesitzer, um gegen zurückgehende Umsätze vorzugehen. Das Fernsehen hatte die Besucher weggelockt. CinemaScope und 3D sollten Abhilfe schaffen. Da heißt es dann “die Betonung wird auf dem teureren, wichtigeren Film liegen […], für wichtige Filme zahlt das Publikum gern.” Klingt bekannt? Diese bereits bestehende Entwicklung wurde seit der Jahrtausendwende forciert mit noch tolleren Special Effects und seit einer Weile noch tollerem 3D.
Höhere Preise und technische Gimmicks waren im Wesentlichen das Gegenmittel der großen Kinoketten in den letzten Jahren. Eine andere Lösung hält Cinemaxx-Gründer Hans-Joachim Flebbe bereit. Er setzt auf das Kino als Premiumerlebnis. Seine Astor Filmlounge in Berlin verleiht dem Filmegucken mit den hohen Preisen und dem Service das Theaterfeeling. Ein Platzanweiser zeigt den Weg, da werden Getränke an den Platz gebracht und an Beinfreiheit mangelt es nicht. In Zeiten, in denen zunehmend älteren Menschen ins Kino gehen, ist das eine Marktlücke. Die können sich nicht alle leisten, aber genug. Ansonsten zielen die aktuellen Maßnahmen der Kinobetreiber weniger auf die Veränderung des Kinoerlebnisses ab, als auf die Nutzung ihrer Häuser. Das können Tagungen sein, aber auch große Parties am Abend. Statt Kino alternatives Entertainment bieten, das gab’s auch im Metropol-Kino in Gera nach der Schließung und sogar der olle Spiegel-Artikel aus den 50ern spricht von Tanzhallen.
Das Kino als Erlebnis
Am Kinogang selbst ändert die anderweitige Nutzung freilich nichts. Fakt ist, dass der Kinogang ein soziales Erlebnis ist, nicht nur wegen den Freunden, sondern auch den nervenden, hustenden, plappernden, SMS-tippenden Leuten im Saal. Doch der selbe Saal kann ebenso angefüllt sein von lachenden Fremden, die für eine kurze Zeit gleichgesinnt scheinen, von andächtiger Stille und spontanem Applaus, von belustigenden Kommentaren – kurz: dem Stoff, aus dem Anekdoten gemacht sind. Ins Kino gehen, heißt eine Münze werfen, ob der Film gut oder schlecht ist, ob das Publikum mitgeht oder gegen die Sessel tritt, ob sich neue Gesprächspartner in der Dunkelheit finden oder ein Haufen 12-jährige sich durch den Film kichert. Im Kino können wir, anders als zu Hause, nicht alle Störfaktoren verbannen. Das haben solche (Massen-)Veranstaltungen so an sich, genau wie den Weg nach Hause, der Zeit zum Verdauen des Films lässt, für die Rekapitulation des Flops oder Hits, den wir gerade gesehen haben. Im Kinosaal selbst wurde etwas Unvorhersehbarbeit für unseren Alltag konserviert. Die Kinobetreiber stehen vor der Aufgabe, das drumherum wieder attraktiv zu gestalten.
Hat das Kino als Institution eine Zukunft?