Das letzte, was ein amerikanischer Showrunner tun würde, wäre, sich über seinen expansiven Wirkungskreis zu beschweren. Deren Aufgabengebiete nehmen zwar bisweilen, wie bei Vince Gilligan, groteske Züge an. Dennoch fühlen sich amerikanische, britische und auch dänische Fernsehautoren wohl in ihrer Vormachtstellung gegenüber meckernden und hier und da und überall mokierenden TV-Redakteuren. Sie wissen, dass sie sich im Grunde im Utopia der Fernsehschreiberei befinden. Sie erkennen, dass es ihnen woanders schlechter gehen würde, dass der Autor woanders, gar nicht weit weg, immer noch den Status eines Zuarbeiters hat. Sowie in Deutschland.
Kein Vertrauen, keine Gestaltungsmacht
Auf dem deutschen Fernsehmarkt herrscht Frustration. Nicht bei den
anspruchsvollen Serien-Schauern, den kühnen Netflix-Pionieren, die sich längst vom heimischen
Angebot abgewendet haben. Aber ein deutschsprachiger Autor oder Regisseur kann nicht einfach so nach Übersee flüchten. Um unter ihnen bis zum Rande der Erschöpfung ausgelastete
Geschöpfe wie Bill Prady zu finden, müssten wir ein
bisschen länger suchen – und wahrscheinlich erfolglos bleiben. Denn ein
mächtiger, vom Kompetenzen-Überschuss geplagter
Showrunner-Kollege ist hierzulande nicht beschäftigt. Fernseh-Autoren wie
Dominik Graf beklagen sich vor allem über zu wenig Mitspracherecht und zu
viele Köche am Serientopf.
„Die deutsche Horizontal-Serie“, wie Graf das amerikanische Quality-TV in einem Gespräch mit der TV-Spielfilm umschrieb, „ist schon überall unterwegs. Super wird sie allerdings nicht werden, weil bei uns zu viele Entscheider mit mauen Vorgaben mitreden.“ Es gebe tolle Autoren und fähige Darsteller, aber letztlich würde dann doch zu oft das Mittelmaß siegen. Der Showrunner muss hier erst noch etabliert, geformt und fortgebildet werden.
Deutschland geht in die Showrunner-Lehre
Dass sich anspruchsvolles Storytelling im Ausmaß des Serienklassikers Die Sopranos oder des dänischen Borgen - Gefährliche Seilschaften pauken lässt, daran glauben zumindest die mächtigen Institutionen der deutschen Filmlandschaft. Sie richten in den Film- und Kulturhochburgen der Republik, in Berlin und München, Seminare und Programme ein, die Autorentalente fördern und weiterbilden sollen. Mit Programmen wie Serial Eyes - Experiencing the Writers' Room sollen vorwiegend deutschsprachige Soap- und Vorabendschreiberlinge auf amerikanisches Showrunner-Niveau getrimmt werden. Gegründet und etabliert wurde Serial Eyes von solchen EU-weit wirkenden Anstalten wie MEDIA, dem Medienboard Berlin Brandenburg oder auch RTL.
Im Mittelpunkt der Kurse, die sie sich an TV-erfahrene Autoren zwischen 25 und 30 Jahren richten, steht „die Intensivierung der Teamarbeit von Regisseuren und Produzenten im Sinne amerikanischer Serienvorbilder“ (MEDIA ). Für das zehnmonatige Seminar müssen gewillte Teilnehmer 4500 Euro hinblättern. Aus fachlicher Sicht mag sich das lohnen. Vor den Showrunner-Studenten dozieren erfahrene Fernsehmacher wie Jeffrey Bell (Agents of S.H.I.E.L.D.) und fachlich überaus beschlagene Hintermänner wie Sven Claussen, verantwortlich für fiktionale Produkte beim dänischen Bezahl-Sender TV2. Aber gibt es in Deutschland überhaupt einen Markt für ausgebildete Showrunner mit Anspruch auf ein wenig erzählerische und künstlerische Freiheit?