Die Kunst lustig zu sein

22.11.2010 - 08:50 Uhr
Jonah Hill, Marisa Tomei und John C. Reilly
Twentieth Century Fox
Jonah Hill, Marisa Tomei und John C. Reilly
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Am 25.11. startet Cyrus – meine Freundin ihr Sohn und ich in den Kinos. John C. Reilly spielt den sympathischen Unglücksraben John, der seine neue Freundin mit deren erwachsenem Sohn Cyrus teilen muss. Wir haben ihn in Locarno zum Interview getroffen.

Auf dem Filmfestival in Locarno haben wir Schauspieler John C. Reilly getroffen, um mit ihm über seinen neuen Film Cyrus zu reden.

John (John C. Reilly), der sieben Jahre nach seiner Scheidung sein Leben immer noch im Griff hat, lernt auf einer Party die warmherzige Molly (Marisa Tomei) kennen. Die beiden verstehen sich auf Anhieb und alles könnte perfekt sein, wäre da nicht Cyrus (Jonah Hill), Mollys erwachsener Sohn, der gar nicht daran denkt seine Mutter zu teilen. Es beginnt ein aberwitziger Kampf zwischen den beiden unterschiedlichen Konkurrenten, denn weder John noch Cyrus wollen freiwillig von Mollys Seite weichen.

Im Interview erzählt Hauptdarsteller John C. Reilly von der Arbeit mit den Regie führenden Brüdern Mark und Jay Duplass, seiner Liebe zur Musik und warum es so schwer ist lustig zu sein.

Es ist unglaublich, mit wie vielen großen Regisseuren du in deiner Karriere zusammen gearbeitet hast. Wie ist die Arbeit mit diesen berühmten Menschen?
John C. Reilly: Das Interessante ist, man ist fast so etwas wie ein Geheimagent. Martin Scorsese besucht zum Beispiel nicht Terrence Malicks Set. Daher ist ihm nicht bewusst wie die verschiedenen Regisseure arbeiten. Aber ich kann die Unterschiede ganz genau sehen.

Was ist anders daran, mit den Duplass-Brüdern zu arbeiten?
John C. Reilly: Sie haben einen sehr spezifischen Filmstil, haben sich alles selbst beigebracht und hatten vorher überhaupt keine Erfahrung in der Filmwelt. Sie haben ein paar Gemeinsamkeiten mit Leuten, mit denen ich schon zusammengearbeitet habe, wie zum Beispiel Robert Altman. Sie suchen die Wahrheit des Moments suchen. Egal, was im Drehbuch steht, sie wollen die Wahrheit vor der Kamera sehen.
Was sie unterscheidet, ist, dass sie wirklich bereit sind, alles zu verwerfen. Sie drehen in der richtigen Reihenfolge, was sehr selten ist. Ich weiß nicht, ob ich jemals einen ganzen Film in der richtigen Reihenfolge gedreht habe. Aber sie bestehen darauf.
Sie arbeiten sehr hart am Drehbuch und wenn man dann ans Set kommt, sagen sie: „Wirf das weg, benutz nicht diese Worte, du wirst schon sehen, was hier passiert“.
Die schlimmste Sache, die den Duplass-Brüdern passieren kann, ist, dass ihr Film aussieht wie ein Film. Sie sind mehr daran interessiert, dass er einfach aussieht wie das Leben. Er muss sich wahr für sie anfühlen.

Macht es für dich für einen Unterschied in der richtigen Reihenfolge zu drehen?
John C. Reilly: Es machte einen riesigen Unterschied. In mancher Hinsicht ist es viel leichter, die Geschichte zu erzählen, weil man nichts erraten muss. Wenn man zum Beispiel das Ende eines Films am Anfang dreht, muss man sich entscheiden wie der Charakter in dieser Szene sein wird und wie man das umsetzen will. Das ist eine wohldurchdachte Entscheidung. Wenn man aber in der richtigen Reihenfolge dreht, dann kommt man von selbst an diesen Ort. Wenn man am Ende ankommt, dann ist es einfach, wie es ist. Es formt sich aus dem, was man vorher getan hat. Die gemeinsame Vergangenheit mit den anderen Charakteren, den anderen Schauspielern, ist real.

Du hast also die Möglichkeit, dich während der Dreharbeiten zu verändern?
John C. Reilly: Ja und das ist der Grund, warum Mark und Jay so arbeiten. Sie sagen: „Folge nicht nur deinem Instinkt, wenn es darum geht den Dialog in deine eigenen Worte zu fassen, sondern folge deinem Instinkt und wenn sich die ganze Geschichte verändert, ist das ok. Wir drehen die nächste Szene morgen, also können wir heute noch alles ändern." Totaler Freiraum. Egal ob wir das tatsächlich ausgenutzt haben oder nicht, gaben sie uns das Gefühl, dass alles möglich ist. Das war gleichzeitig wundervoll und furchteinflößend war.

Es gibt eine Szene im Film, wo du auf einer Party bist und dir einfach eine Flasche Bier nimmst und Karaoke singst. Ist das etwas, was du auch privat machst?
John C. Reilly: Vielleicht nicht dieser Song [Human League – Don’t you want me]… Glücklicherweise hatte ich etwas mehr Glück in der Liebe als mein Charakter im Film. Mit mir hat nie jemand Schluss gemacht. Ich bin jetzt seit langer Zeit verheiratet, aber in meiner Vergangenheit war immer ich derjenige, der bemerkt hat, dass es nicht funktioniert und ich war der erste, der es gesagt hat, vielleicht auch weil ich Angst hatte.
Generell hatte ich also mehr Kontrolle über mein Leben als mein Charakter in dieser Szene hat, aber gerade deshalb war ihn zu spielen sehr befreiend, denn er hat nichts zu verlieren. Er ist ein total verzweifelter Mann, aber er ist auch ein Mann ohne Last. Er ist bereit, einen kompletten Idioten aus sich zu machen, denn wie viel schlimmer kann es noch werden? Es ist immer aufregend, solche Charaktere zu beobachten und solche Charaktere zu spielen, denn alles ist möglich.

Ich habe The Extra Man von Shari Springer Berman und Robert Pulcini gesehen und ich bin sehr neugierig, wie du deine Stimme in deiner Karriere benutzt hast. Es ist unglaublich, wenn man die ganzen Sachen sieht, die du mit deiner Stimme gemacht hast.
John C. Reilly: Ich liebe das Singen und ich liebe Musik. Wahrscheinlich teilweise deshalb, weil ich damit gelernt habe ein Schauspieler zu sein. Als Kind habe ich Musicals gespielt. In Chicago, wo ich aufgewachsen bin, ist das alles. Wenn man Theater spielen wollte, wenn man jemand war, der Schauspieler sein wollte, dann ist das alles. Ich glaube, so ist das für viele Kinder auf der ganzen Welt. Man hat die Möglichkeit West Side Story, Guys and Dolls oder Brigadoon zu spielen. So habe ich gelernt, ein Schauspieler zu sein. Für mich sind Singen und Musik sehr reine Formen der Schauspielerei. Jeder gute Song ist eine Geschichte, die direkt ins Herz geht. Wenn man einen Sänger einen wunderschönen Song singen hört, dann trifft es einen zuerst emotional und erst später überlegt man: „Was war nochmal der Text? Was hat er gesagt? Ich erinnere mich nur daran in diesem Moment wirklich bewegt gewesen zu sein“. Ich liebe die Geschwindigkeit, mit der Musik auf einem emotionalen Level mit dem Hörer kommuniziert!

Wonach suchst du in einem Drehbuch für eine Komödie? Was lässt dich denken, dass diese Komödie funktionieren könnte?
John C. Reilly: Man lacht.

Du hast eben erwähnt, dass ein Charakter in seinem Verhalten ein bisschen unvorhersehbar sein muss. Ist das ein Schlüsselelement?
John C. Reilly: Als mir Talladega Nights angeboten wurde, habe ich es mir angeschaut und dachte ok, das ist der beste Freund von diesem Charakter und ich habe schon viele beste Freunde gespielt. Ich habe dann darüber mit Will Ferrell und Adam McKay gesprochen und wir haben viel improvisiert. Ich habe viel hinzugefügt und gesagt „Seht mal, ich habe schon viele beste Freunde gespielt. Wenn ich das mache, dann muss es der ultimative beste Freund sein!"
Eine Komödie ist sehr persönlich, es ist fast wie Sex. Man fühlt sich angezogen zu jemandem oder nicht. Bei einer Komödie lacht man oder man lacht nicht. Wenn du nicht lachst, dann ist es einfach nichts für dich.
Das ist etwas wirklich Erfreuliches bei Komödien: Man bringt jemanden zum Lachen. Das ist vielleicht nicht die seriöseste Sache, die man machen kann, aber ich finde Seriosität wird überbewertet.

Und es ist vielleicht die schwierigste Sache.
John C. Reilly: Komödien-Schauspieler kriegen keine angesehenen Auszeichnungen, aber es gibt jede Menge Respekt unter Schauspielern, auch Drama-Schauspielern, für Leute, die lustig sind, weil sie alle wissen, wie schwer das ist. Es gibt nichts Schlimmeres als beim Lustigsein zu scheitern.
Wenn man eine dramatische Szene dreht, dann denkt man am Ende des Tages: Wenn die Leute sich mit der Situation auseinander setzen können, dann werden sie bewegt sein. Wenn sie es für wahr halten, dann finden sie es auch interessant. Aber wenn man eine komödiantische Szene dreht, dann weiß man das sofort. Es hängt nicht vom Publikum ab, man kann schon an der Filmcrew, ablesen ob die Leute lachen werden oder nicht. Dadurch ist es auch auf manche Art ein schwierigerer Arbeitstag. Es ist so anspruchsvoll. Man muss jeden Tag in Bestform sein.

Braucht man gewissen Charakterzüge, um ein guter Komödien-Schauspieler zu sein sein?
John C. Reilly: Man muss bereit sein würdelos zu sein. Man muss bereit sein, dem Witz zu folgen, wohin er einen auch führt. Man kann nicht sagen: „Nein, das kann ich nicht tun“. Es ist die Rolle des Idioten, man muss bereit sein, auszusehen wie ein Idiot, um die Leute zum Lachen zu bringen. Aber wie ich schon sagte: Ich finde Seriosität wird überbewertet.

Du arbeitest auch im Fernsehen, wenn ich richtig gelesen habe. Aber darüber weiß ich gar nichts.
John C. Reilly: Ich hab nicht wirklich viel im Fernsehen gemacht, aber es gibt zwei wundervolle komödiantische Schauspieler namens Tim Heidecker und Eric Wareheim, die meisten Leute in Europa kennen sie wahrscheinlich nicht, aber ich glaube, in zehn Jahren werden sie wie Monty Python sein, denn sie sind ihrer Zeit sehr voraus und sehr absurd.
Ich habe einen kleinen wiederkehrenden Charakter in ihrer Sendung, die Tim and Eric Awesome Show, Great Job! heißt gespielt. Die Leute haben dann plötzlich angefangen es ins Internet zu stellen und es wurde zu einer Art Internet-Sensation. Junge Leute in Amerika, die unter 20 Jahren alt sind, kennen mich eigentlich nur als diesen Charakter: Dr. Steve Brule. Das ist verrückt, ich hab nicht mal Geld damit gemacht, es war mehr ein Witz mit meinen Freunden, den wir vor einem Green Screen gedreht haben und dann stand es plötzlich auf Youtube und jetzt gibt es ein Spin-Off wo mein Charakter seine eigene 15-Minuten-Sendung hat. Und bei den jüngeren Leuten ist es bekannter als alles, was ich jemals gemacht habe.

Eine letzte Frage: Wie war die Arbeit mit Terrence Malick?
John C. Reilly: Er ist anders als alle Regisseure, mit denen ich je gearbeitet habe. Ich gebe dir ein Beispiel: Wir haben Der Schmale Grat gedreht und gerade die Szene in der Armeebasis umgesetzt, die auf Guadacanal sein soll. Es waren ungefähr 400 als Soldaten verkleidete Komparsen da, ein riesiges Grundstück, das als Armee-Camp gestaltet wurde, es gab hunderte von Lastwagen, Soldaten, Waffen, alte Flugzeuge, die starteten und landeten, ein gewaltiges Set. Es war ein riesiges Unterfangen, alle sollten bereit sein, in die LKWs steigen, die Flugzeuge flogen umher, alle waren auf Standby und Terry sagte plötzlich: „Oh mein Gott! John [Toll], Schau, da ist ein Rotschwanzbussard! Siehst du ihn? Dreh die Kamera! Film den Bussard!“ und ich saß da und konnte gar nicht glauben, dass wir diesen Bussard filmen. Wir warteten alle darauf, dass er damit fertig sein würde den Vogel zu filmen.

Ihm sind in seinen Filmen das Drehbuch und die Handlung nicht wichtig, ihm ist es wichtig, echte Momente zu finden. Egal ob es ein Statist ist – es gibt viele Aufnahmen von Statisten in Der Schmale Grat – der zu weinen anfängt oder gar nicht weiß, dass die Kamera an ist und gerade einen traurigen Moment hat oder der Hauptdarsteller oder die Blume, die sie gesehen haben oder ein Rotschwanzbussard… Er sammelt diese Sachen und fügt dann aus ihnen etwas zusammen, was seinen Standpunkt reflektiert.
Einmal sagte er zu mir in der Mitte einer langen Szene, in der ich zwei Seiten Dialog hatte, von denen am Ende nichts im Film zu sehen war: „Weißt du John, ich bin immer leicht enttäuscht, wenn ihr den Mund zum Sprechen auf macht. Ich wünschte fast, der Film könnte ein Stummfilm sein.“ Und das nach einem ganzen Tag voll Dialog. Und ich sagte: „Oh, ok, Ich hoffe du hast, was du brauchst.“ Und so ist es, mit Terrence Malick zu arbeiten.

Cyrus kommt in Deutschland am 25.11. in die Kinos.
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