Kriegsfilme mag es zwar allerhand geben, in Videospielen ist die Thematik allerdings noch häufiger vertreten. Ob Call of Duty, Battlefield oder Destiny: In einem großen und teuren Franchise der heutigen Zeit sind bewaffnete Konflikte der Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Über die Zeit etablierten sich im Genre einige Mechaniken, die mittlerweile teils störend wirken und die Ernsthaftigkeit des Krieges abschwächen.
In unserer Top 7 präsentieren wir euch deshalb die häufigsten Klischees in Kriegsspielen. Viele davon haben sich im Laufe der Genre-Entwicklung manifestiert und werden kaum noch hinterfragt, eben weil sie zum Standard geworden sind. Dass es auch anders gehen kann, hat Rae vor Langem und vor Kurzem mit einigen interessanten Beispielen erklärt.
7. Health-Packs und Lebensregeneration (von Hannes)
Zu den größten Schrecken des Krieges gehört der allgegenwärtige Tod, der keinen Unterschied zwischen Frontsoldaten, Offizieren oder Zivilisten macht. Jede abgefeuerte Kugel hat das furchteinflößende Potenzial, ein Leben plötzlich und unwideruflich zu beenden. Im digitalen Krieg verkommt der Tod hingegen zu einem Ärgernis, das uns bloß signalisieren soll, dass wir zu langsam oder ungenau gehandelt haben. Hier ist das Ableben eine Bestrafung, die sich mit fast magisch anmutenden Health Packs abschwächen lässt. Jede Form von Todesangst, wie sie beispielsweise im Survival Horror anzutreffen ist, wird dadurch mechanisch untergraben. Das Ziel des Krieges ist nicht das eigene Überleben, sondern der taktische Sieg über den Feind. Health Packs sind die ausgestellten Wasserbecher im Marathon der Kriegsführung. Die modernere Variante, in Form der automatischen Regeneration, hebt den Spieler noch weiter aus der Gefahr des Krieges heraus und macht aus der Gewahrwerdung der eigenen Endlichkeit den Zwang zur Feuerpause.
6. Übermenschliche Fähigkeiten des Charakters (von Phil)
Wer eine realistische Darstellung von Krieg in Spielen sucht, wird sich nicht nur an der vermeintlichen Unsterblichkeit, sondern auch an den übermenschlichen Fähigkeiten der Protagonisten stoßen. Die Pixel-Soldaten verfügen zum Teil über beachtliche Ausdauer, sodass sprinten über gefühlt mehrere Kilometer kein Problem zu sein scheint. In der Crysis-Reihe mag das begründet sein – die Technologie ist in diesem Universum schlicht bereits soweit vorangeschritten, dass Menschen auf Knopdruck besonders stark werden können – andere Franchises stecken euch allerdings in die Rolle von normalen Soldaten, die oftmals austauschbar sind und gesichtslos bleiben. Warum sollten also genau sie besondere Fähigkeiten haben und auf dem Schlachtfeld besonders zäh sein?
5. Der Krieg als Erfolgsgeschichte (von Hannes)
Für die klassische Präsentation in einem Videospiel wird das Kriegsgeschehen oftmals auf Momente reduziert, die im Nachhinein als geschichtlicher Erfolg verbucht wurden. Sei es nun die Landung der Alliierten in der Normandie oder die Verteidigung von Stalingrad. In kurzen Episoden lässt sich somit ein heroischer Abschluss finden, der in simplen Erzählstrukturen aufbereitet werden kann. Die unzähligen Materialschlachten, die sinnlos Leben fordern, ohne dass sich die eigentliche Auseinandersetzung zwischen den Kriegsparteien davon beeinflussen lässt, wird in Videospielen ausgespart. Stets gibt es ein erreichbares Ziel, mit dem das entstandene Leid aufgewogen werden kann. Der Alltag von kriegerischen Auseinandersetzungen wird nicht thematisiert oder als Aneinanderreihung von Heldentaten markiert. Das größte Tabu stellt aber die Niederlage dar. Es scheint unvereinbar mit der Mechanik von Videospielen, dass der Spieler sich mit dem Scheitern auseinandersetzt. In den wenigen Fällen, in denen das doch kurz angesprochen wird, tritt die Niederlage als notwendiger Stolperstein auf, der die letztlich obligatorische Überhand des Spielers nur noch befriedigender machen soll.
4. Kaum Darstellung von Leid (von Rae)
Krieg ist gleichtbedeutend mit Leid. Zumindest ist das in der echten Welt so, in Videospielen fnden wir davon allerdings reichlich wenig. Hier zählt die ausgeklügelte Mechanik versteckt in bombastischen Inszenierungen, deren Hauptaufgabe es ist, uns Nervenkitzel zu verschaffen und zu beeindrucken. Leid hingegen ist nicht viel mehr als ein flüchtiger Gedanke, ein leicht zu vergessender Hintergrund, der im Schutt der Polygon-Explosionen begraben wird. Nur selten wird der Schmerz derer gezeigt, die ein Krieg am meisten beeinflusst und die nichts dagegen zu können: der Zivilisten. Aber nicht nur das Leiden derjenigen, die unfreiwillig ins Kreuzfeuer gelangt sind, wird ignoriert, auch das der Soldaten beider Fronten. Ab und zu versuchen ein paar auf Hochglanz polierte Cutscenes herüberzubringen, wie schlimm die Situation eigentlich ist, wenn ein Kamerad schwer verletzt ist oder stirbt. Die wirkliche Tragweite des Leides, die ein Krieg verursacht, die vielen persönlichen Elendsgeschichten, werden gern ignoriert. Sie passen nicht in das Bild von epischen Heldenfantasien und Spaß, weil sie zu viel Realismus in einen Krieg bringen, der seinen Realismus lieber auf die Textur von Steinen beschränkt als auf die seines Themas.
3. Der böse, böse Feind (von Hannes)
Die Frage nach der ethischen Rechtfertigung rahmt jede politische Diskussion über den Sinn und Unsinn eines Krieges ein. Es gibt stets Gegenbewegungen und Oppositionen, die in dem vermeintlichen Retter einer unterdrückten Bevölkerung einen Aggressor sehen, aus notwendiger Härte werden plötzlich Kriegsverbrechen. Diese moralische Ambivalenz gibt es in Videospielen nur in Ausnahmefällen. In der Regel ist das Feindbild klar umrissen, Terroristen und Faschisten wechseln sich in ihrer Schreckensherrschaft ab und verlangen geradezu nach gerechtfertigter Auslöschung. Jeder niedergestreckte Feind ist als positive Handlung ausgelegt, die eigene Motivation entspricht stets dem Allgemeinwohl der Menschheit. Die Instrumentalisierung des Militärs findet, wenn überhaupt, nur beim Feind statt. Noch schlimmer wird es, wenn die Spielfigur nicht auf Befehle reagiert, sondern als alleiniger Racheengel gegen das comichaft überzeichnete Böse zu Felde zieht. In Videospielen ist der Krieg oftmals eine Notwendigkeit und nicht etwa das Scheitern der Diplomatie oder die rücksichtslose Folge von Gier und Größenwahn.
2. Wenn aus dem Krieg ein Wettbewerb wird (von Phil)
Sobald ich auf die großen Kriegsspiel-Serien wie Call of Duty und Battlefield schaue, fällt vor allem auf, dass die Singleplayer-Kampagne im Prinzip nur von Pathos durchzogenes Beiwerk ist, das von vielen Spielern oft nur kurz oder gar nicht angerührt wird. Das Herzstück der millionenschweren Franchises ist mittlerweile der Multiplayer-Part geworden, in dem es im Prinzip nur darum geht, das nächste Level zu erreichen und Fortschrittsbalken zu füllen. Krieg und das damit verbundene Leid wird als Plattform für Wettbewerbe verwendet und dadurch verharmlost. Wenn ich regelmäßig Pixel-Gegner erschieße, hinter denen andere Menschen stecken, und das einzige Feedback das Wachsen meines Punkte-Kontos ist, setze ich mich nicht mit der Thematik Krieg auseinander, sondern nehme sie schlicht als Schauplatz des Rennens auf Platz 1 hin. Hinzu kommt, dass die zwei sich bekämpfenden Fraktionen im Mehrspieler-Modus meist völlig ausbalanciert sind, Unterschiede gibt es kaum. Der Sieg wird schlicht dem Team zuteil, das über die besseren Spieler verfügt.
1. Wir spielen nur Soldaten (von Rae)
Im Kern sind Kriegsspiele nichts anderes als Heldenfantasien. Sie stecken uns in die Rolle von heroischen Soldaten, die tapfer in eine Schlacht ziehen, um für Ehre/Freiheit/die Rettung der westlichen Welt/patriotische Ausrede X hier einfügen, zu kämpfen und wenn nötig sogar dafür zu sterben. Gern wird dabei vergessen, dass es ja noch andere Menschen gibt, die am Krieg beteiligt sind. Diejenigen, deren Rettung und Leben gerne als Ausrede für eine Auseinandersetzung verwendet werden oder die ins Kreuzfeuer geraten. Diejenigen, die wir in Kriegsspielen nie spielen dürfen. Journalisten, Fotografen, Sanitäter, Menschenrechtler, Zivilisten oder gar Kinder. Sie alle sind ein Teil jedes Krieges, freiwillig oder unfreiwillig, und trotzdem gibt es kaum Spiele, in denen wir in diese Rollen schlüpfen dürfen. Stattdessen spielen wir immer wieder Soldaten oder Söldner, die bewusst die Auseinandersetzung gesucht haben und mit Waffengewalt dazu beitragen (sie zu beenden). Schön und gut, aber wie wäre es mal mit einem anderen Ansatz? Einer, der sich nicht auf der doch sehr vereinfachten Idee des Bilderbuchsoldaten ausruht und stattdessen einen anderen Weg geht. Einer, der keine heldenhaft verklärte und auf gewisse Weise weichgespülte Version des Krieges präsentiert. Wie wäre es mit einer Hauptfigur, die eben keine Waffe hat, keine Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen und die andere Mittel anwenden muss, um zu überleben? Was in Horrorspielen funktioniert, könnte auch in Kriegsspielen eine interessante Mechanik sein, um etwas Abwechslung in das digitale Kampfgeschehen zu bringen. Schließlich ist das auch nur eine andere Art von Horror. Möglichkeiten für Hauptfiguren abseits des Militärs gibt es viele, dafür müssten sich Kriegsspiele aber von ihrer Liebe für die Shooter-Mechanik lösen. Und das scheint genauso wahrscheinlich zu sein wie der Weltfrieden.
Welche weiteren Klischees stören euch?