Fargo - Staffel 2, Episode 10: Das Finale im Recap

17.12.2015 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Fargo
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Mit einem unglaublichen Selbstbewusstsein bringen die Macher die 2. Staffel von Fargo zu ihrem Ende und bestätigen trotz teils weit hergeholter Bezüge, dass wir es hier mit einer der besten Serien des Jahres zu tun haben.

Selbst wenn wir bis 2017 auf die 3. Staffel von Fargo warten müssen, liefern Palindrome und die neun vorangegangenen Episoden hinreichend Motivation, um durch das sommerliche Serienödland in den Winter von North Dakota zu marschieren. Und das mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht. Fargos 2. Staffel ist diese Woche zu Ende gegangen. Selten gelang es einer Serie, sich qualitativ dermaßen zu steigern, ohne das Grundkonzept über den Haufen zu werfen. Immer noch die Coen-Hommage, immer noch die Kriminalserie mit überlebensgroßen Gangsterfiguren im kuscheligen Kleinstadtrahmen, haben Noah Hawley und Kollegen ihre erzählerischen Ambitionen erweitert und - wichtiger noch - sich diesen von Anfang bis zur letzten Minute gestellt. Entsprechend selbstbewusst geht es auch im Staffelfinale von Fargo zu, das prophetische Traumsequenzen, psychotische Einbildungen und ruhige Gespräche beim Kaffeetisch dem großen Knall am Schluss vorzieht.

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Im Schluss verbirgt sich wiederum das Absurde an der ganzen Sache/Serie/Existenz. Wie der Titel Palindrome vormacht, können wir die 2. Staffel von vorne bis hinten und wieder zurück verfolgen und landen im Grunde doch immer an der selben Stelle: im Ehebett von Betsy (Cristin Milioti) und Lou (Patrick Wilson). Der warme, weiche, wohlige Kern dieser Fargo-Staffel widersteht dem Frost so beharrlich wie Sisyphos' Stein immer wieder den Berg hinabrollt. Insofern müssen die großen Pläne der rücksichtslosen Gangster und frustrierten Hausfrauen im Rückblick klein und schlussendlich vergebens aussehen. Denn was Noah Hawleys Kreation auch in der 2. Staffel vom erzählerischen Tenor des Goldenen Serienzeitalters zwischen Die Sopranos und Mad Men abhebt, ist ihr unbedingter Glaube an das Gute. Nicht nur das Gute in der faustischen Koexistenz innerhalb eines Charakters, sondern das Gute als Charakteranlage von der Zehen- zur Haarspitze. Fargo fehlt es auch in der 2. Staffel nicht an Figuren, die sich durch eine Grauzone bewegen. Allen voran Peggy (Kirsten Dunst) und Ed (Jesse Plemons), die schlechte Dinge tun, sich vom Sadismus eines Dodd Gerhardt (Jeffrey Donovan) indes fernhalten. Doch Lou, Betsy und Hank sind gut, durch und durch gut, was zur Zeit regelrecht zum Alleinstellungsmerkmal unter den Überlebenden eines Prestige-Krimis erwächst.

Lester (Martin Freeman) kam zu Beginn der 1. Staffel daher wie ein weiterer Antiheld, der Einlass zu einer überlaufenen Serienparty verlangt. Erst mit der Zeit wurde ersichtlich, wie er und vor allem Lorne Malvo (Billy Bob Thornton) eingesetzt wurden, um das Böse in die Welt prinzipiell guter Figuren zu tragen. Staffel 2 präsentiert mit Peggy, Hanzee (Zahn McClarnon) und Mike Milligan (Bokeem Woodbine) zwar ähnlich schillernde Figuren. Doch ein Malvo wäre innerhalb dieser semi-fiktiven Version des Mittleren Westens im Jahr 1979 redundant. Zufall oder Chaos, je nachdem wie optimistisch man es deuten will, sind dieser Serienwelt in jede Faser eingeschrieben, sodass sich ausnahmslos alle Figuren in einer absurden Situation wiederfinden. Was Hawley und Co. uns mit den Episodentiteln und ganz offenen Diskussionen über zur Hälfte gelesene Werke von Albert Camus zehn Episoden lang unter die Nase reiben. Vielleicht ist Lou Solverson also ein Seelenverwandter von Dr. Rieux. Jener Arzt aus Camus' Roman Die Pest setzt der tödlichen Seuche, welche die Stadt Oran dahinrafft, seine unermüdliche Arbeit für die Bürger entgegen. Bar jeder göttlichen oder rationalen Erklärung für die Tragödie widmet sich Rieux seiner Pflicht, stiftet durch die Solidarität Sinn, während um ihn herum seine Frau, Freunde und Helfer sinnlos sterben. Wie in den letzten Episoden von Fargo lässt die Pest bei Camus nach, verschwindet ohne wirklich befriedigende Erklärung, ihre Rückkehr stets die implizite Drohung am Horizont. Rieux entpuppt sich im letzten Abschnitt des Romans als Erzähler. Und auch Lou darf in dieser Geschichte durch seine Version der "wahren Geschichte" Ordnung schaffen.

Leichen pflastern die erste Hälfte der Episode, die uns an die Verstorbenen (u.a. Simone Gerhardt) erinnert und den Friedhöfen zwischen Fargo, Kansas City und Luverne noch ein paar Bewohner zuschustert. Mike Milligan und Kitchen-Bruder Gale (!) schalten den letzten Gerhardt-Henchman aus, der in der Nacht leider ohne seine gelb getönte Porno-Brille ins Haus in Fargo geschlichen ist. Milligan, cool und wortgewandt wie immer, sieht sich bereits als König vor den Paraden ehrfürchtiger Kollegen in Kansas City. Dabei nahm er in einem früheren Dialog sein Schicksal bereits vorweg: Seine ganz persönliche (astronomische) Revolution, die erzählerische Umdrehung, führte ihn von der Rolle des austauschbaren Helfershelfers zu jener der anonymen Bürodrohne in einem Gangster-Konzern, der die Reagonomics  der 80er Jahre wohl regelrecht herbeisehnt. Milligans "Ende" überzeugt zumindest mehr als der angedeutete Abschluss von Hanzees Handlungsstrang. Per Namensänderung und plastischer Chirurgie will sich der Sohn von Otto Gerhardt und einem Hausmädchen in den Gangsterboss Moses Tripoli verwandeln lassen, in jenen trägen Chef des Fargoer Syndikats, den Lorne Malvo in der 1. Staffel erschießt. Es mag ein feines Easter Egg für Fans sein, Mr. Wrench und Mr. Numbers als Kinder auf dem Sportplatz zu entdecken. Im Endeffekt wirkt der Tripoli-Verweis allerdings wie das Kurzschluss-Resultat einer anfänglich netten Idee: Zeigen wir hier das beliebte Killer-Duo im Jünglingsalter, müssen wir dort erklären, wie es zum Syndikat kommt.

Dem ist das offene Ende im geschlossenen Vollzug allemal vorzuziehen, das Peggy nach dem Tod von Ed wohl erwartet. Der erkennt noch in seinen letzten Atemzügen in der Kühlkammer, dass funktionierende Ehen anders aussehen. Also gleitet Peggy weiter in ihre Traumwelt ab. Ihr verbaler Schwall der Rechtfertigung in Lous Auto rückt sie später weiter in die Nähe von Hanzee und Milligan. Alle drei wurden in Rollen der Diskriminierung und Unterdrückung hineingeboren und finden sich am Ausgang zweier Jahrzehnte voller Umbrüche doch in Sackgassen wieder. Den Weg der Verschleierung scheinen Milligan mit seinem Western-Outfit sowie dem schwankenden Dialekt und Hanzee mit seinem Identitätswechsel dabei mit variierendem Erfolg zu gehen. Peggys Suche nach dem Selbst ist unweit tragischer. Ihr rant hat schließlich weniger etwas mit Feminismus zu tun als mit einer tiefsitzenden Leere, wo andere, insbesondere die Solversons, ihren warmen streuselteigigen Kern als Anker umklammern. Realität und Illusion prallen hier wie schon in der Toilettenszene mit dem zukünftigen US-Präsidenten zusammen: Lou erzählt von den kleinen menschlichen Wundern in den letzten Tagen des Vietnamkriegs, aber auf der Rückbank sitzt eine Frau, vor deren geistigem Auge Zelluloid und Realität längst nicht mehr voneinander getrennt werden können. Eine von einem haltlosen Optimismus getragene Reagan-Heldin par excellence sozusagen, die in etwa zwei Jahre zu früh kommt. Trotz der Träume und Einbildungen gehört diese letzte Folge der 2. Staffel von Fargo auch Cristin Milioti, deren Betsy daheim während der vielen Schießereien ihren eigenen Felsblock zu stemmen hatte. In leider wohl weiser Voraussicht ist sie nicht Teil des Traums aus der Zukunft, in dem wir Molly und Gus wiedersehen. Aber was zählen schon die Pläne für Episode 30 oder 40? Jetzt, genau in diesem Moment muss es heißen: Augen auf und durch!

Zitat der Folge: "Why did he have to do that?" - "You mean the victim?"

Anmerkungen am Rande:

  • "People of earth, I'm home."
  • "From this moment forward, I decree no more schnitzel or strudel."
  • "For, in the morning, we journey home to bathe in that warm champagne that is corporate praise."
  • "And cut your hair, okay? The '70s are over, for Christ's sake."
  • Eine Erst-, Zweit- oder Drittsichtung von Arizona Junior wird nach dieser Episode ausdrücklich empfohlen.
  • Danke fürs fleißige Lesen und bis zum nächsten Recap!

Alle Recaps zur 2. Staffel von Fargo:

Fargo Recap - Waiting for Dutch (S02E01)
Fargo Recap - Before The Law (S02E02)
Fargo Recap - The Myth of Sisyphus (S02E03)
Fargo Recap - Fear and Trembling (S02E04)
Fargo Recap - The Gift of the Magi (S02E05)
Fargo Recap - Rhinoceros (S02E06)
Fargo Recap - Did you do this? No, you did it! (S02E07)
Fargo Recap - Loplop (S02E08)

Fargo Recap - The Castle (S02E09)

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