Ich, Bei Anruf: Mord und Hitchcocks präzise Effizienz

15.04.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Dial M for Murder
Warner Bros.
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Hitchcock sprach gerne über seine Filme. Bei Anruf: Mord drehte er innerhalb von 36 Tagen und dazu noch in 3D. Aber das einzige, was Alfred Hitchcock zu Bei Anruf: Mord sagen will, ist, dass es nichts dazu zu sagen gibt. Ich sehe das ganz anders.

Bei Anruf: Mord ist einer der wenigen Hitchcock-Filme, in dem der Regisseur auf seinen Gag, seinen Cameo, verzichtete. Diese Cameos waren stets der Beweis, dass dieses Phantom, dieser Filmemacher, der mit Vertigo – Aus dem Reich der Toten so nah an der filmischen Perfektion war wie kaum ein anderer, wirklich existiert. Bei Anruf: Mord weist keinen solchen Cameo auf, den er, wie Alfred Hitchcock in einem der vielen und ausschweifenden Gespräche mit François Truffaut verriet, irgendwann einfach nur noch lästig fand. Ein unnötiges, aber leider obligatorisches Detail, sowas wie eine Signatur, die Hitchcock aber nicht, wie sich denken ließe, am Ende des Werkes unterbrachte, sondern am Anfang, damit die Leute in Ruhe den Film schauen können, ohne nach dem dicken Mann mit Hut und Jackett zu suchen, der sonst immer durchs Bild spazierte. Das tat er in einer Regelmäßigkeit, die ihm heute nur noch Stan Lee in den Marvel-Filmen nachmacht.

Ein Korn in einer Sandburg
Dass Hitch nun gerade in Bei Anruf: Mord auf diesen Gag verzichtete (er soll, wenn überhaupt, lediglich auf einem Foto zu sehen sein), muss doch etwas zu bedeuten haben. Nun, der Schatz bei den Hitchcock-Filmen ist deren Präzision und vor allem die Kohärenz. Kein Detail zu viel, keines zu wenig, ein Schnitt, eine Einstellung genau dort, wo sie hingehört und wann sie dort hingehört. Hitchcock erzählt konzis, eigentlich ohne Überflüssiges, ohne Schaulaufen, ohne Verschnaufpause, das, was danach aussieht, nach einem unnötigen Detail, einem Konzentrationsloch, etwa ein Essen in einem Restaurant und der prätentiös wirkende Close-Up-Schuss der Kamera auf die ein Glas umfassende Hand. Er zeigt ein wichtiges Detail, ein verrutschtes Armband, einen fehlenden Ehering oder nur den Schatten eines Eherings. Jede Einstellung bedeutet Zeit und in den Hitchcock-Filmen bedeutet jede verstrichene Minute eine Detailflut. Eine Einstellung ist wie ein Korn in einer Sandburg. Ein Hitchcock, sein Körper, bedeutet Platz. Vergeudeter Platz. Den ersten Cameoauftritt vollzog Hitchcock in Der Mieter. Rein zweckmäßig, wie er sagt, lediglich, um das Bild zu füllen.

Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?
In Bei Anruf: Mord gibt es keine Zeit und keinen Platz. Der Film ist so vollgestopft mit Details wie die Londoner Stadtwohnung der reichen Margot Mary Wendice – nur kommt die Handlung ohne schmückendes Dekor aus. Sie ist eine reiche Frau, die vom armen Mann um ihr Leben und ihr Geld gebracht werden soll. Er ist ein Feigling, der dafür einen alten Freund beauftragt. Das bleibt alles in der Wohnung, in den knackenden Telefonleitungen, hinter den rauschenden Vorhängen und den blankpolierten Buchenholzmöbeln. Ein Bild hängt nicht zufällig an der Wand. Bei Hitchcock gibt es keine Zufälle. So, mit totaler Rationalität, dreht Hitchcock mit Bei Anruf: Mord 1954 den nahezu perfekten Krimi. Bei einem Krimi, einem guten Krimi, muss alles stimmen. Erst daraus ergibt sich die im menschlichen Verhalten so schwer auffindbare Logik. Die Auflösung, die Demaskierung muss eine Pointe sein, auf eine Pointe müssen alle Stränge zulaufen, jedes Detail auf die Pointe verweisen, egal wie weit am Anfang es versteckt ist und wie unwichtig es scheint – vernachlässigt wird es ganz bestimmt nicht.

Die ökonomische Schablone
Denn Hitchcock dreht immer effizient. Eine Szene kostet Geld, kaum einer weiß das besser als er, der viele seiner Filme aus eigener Tasche finanzierte. Seine narrative Effizienz ist immer auch eine ökonomische Effizienz. Das Budget ist die Schablone der Genauigkeit. Aber vor allem ist es das Genie. Die Vision, die kognitive Kapazität eines Genies und die Begabung, ein komplexes Konstrukt vom Anfang bis zum Ende, von oben bis unten zu denken. Es fügt sich, dass er mit Grace Kelly eine Schauspielerin für die Hauptrolle engagierte, die mit Mimik geizte, sie in den richtigen Momenten fallen ließ, zustach. Eine, die eigentlich wegen Anmut Weltruhm erlangte und dem Adel anheim fiel. An der Anmut und der Schönheit gehen so viele Augenblicke des Filmes verloren. Hier scheint selbst die Anmut sich der Eitelkeit zu emanzipieren und der Effizienz zu dienen.

Das Kammerspiel, das auf ein Theaterstück zurückgeht, fordert wie keine andere Gattung diese Disziplin. Dort einen Krimi hineinzupressen, provoziert geradezu die filmische Implosion. Bei Anruf: Mord wuchs an dieser Herausforderung, fügte sich den äußeren Umständen, schmiegte sich ihnen an, verschmolz mit ihnen, ihrer Enge, ihrer Dichte. So dicht, der kleinste Fehler würde sofort ins Auge stechen. Mir mochte bislang keiner auffallen.

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