Immer, wenn es in Spielwelten ein Moralsystem gibt, bin ich eigentlich immer ziemlich nett zu allen – zumindest im ersten Durchlauf. Ich bin die Person, die einen halben Kontinent überquert, um das verloren gegangene Schaf einzufangen und zu seinem Besitzer zurückzubringen und die keine Mühen scheut, um verzweifelten NPCs jeden noch so belanglosen Wunsch zu erfüllen. Kurz: Ich bin die Art Person, für die Fetch-Quests gemacht wurden, auch wenn sie sie eher zähneknirschend erledigt.
Ich würde gerne behaupten, dass diese spielerische Gutherzigkeit mit Black & White begonnen hat, aber leider wäre das gelogen. Oder vielleicht hat sie das und es mussten erst unzählige Inselbewohner ihr Leben lassen, um meinen Sanftmut endlich hervorzulocken. Für sie war ich alles andere als eine gnädige Göttin. Dabei wollte ich doch so gerne eine sein.
Die Technik-Sterne standen allerdings nicht gut für mich und die Göttersimulation des kürzlich geschlossenen Entwicklerstudios Lionhead. Wie ich bereits in meinem Herz für Die Sims erklärte, war ich zur damaligen Zeit nicht gerade mit einem Hochleistungsrechner gesegnet. Schon bei Spielen wie Solitär war das Gerät der Überforderung ebenso nahe wie ich einem Nervenzusammenbruch. Dieser verhängnisvolle Zustand brachte solche Probleme mit sich, dass ich gezwungen war, Black & White eine ganze Zeit lang aus der Ferne zu bewundern.
Erst Jahre später, kurz nachdem der zweite Teil erschien, kam ich in den Genuss, selbst zur Gottheit in der ambitionierten Simulation zu werden, die ich damals leider nicht wirklich zu schätzen wusste. Nicht, dass sie mir keinen Spaß bereitet hätte — sonst würde ich ihr schließlich kein Herz für Klassiker widmen. All die Dinge, die Black & White besonders machten, beeindruckten mich auf dieselbe Art wie quasi alles andere auch, weil ich mir in den pre-Steam Sale-Zeiten so wenige Spiele leisten konnte, dass alles irgendwie neu und originell wirkte.
Dennoch hatte es etwas erhabenes, als neu geborener Gott in einer Welt dafür sorgen zu müssen, von möglichst vielen der kleinen NPC-Menschlein angebetet zu werden und über ihr Schicksal zu bestimmen. Besonders großartig fand ich dabei die Kreatur, die mir zur Seite gestellt wurde. Zu Beginn hatte ich die Qual der Wahl zwischen einem gigantischen Affen, einer Kuh und einem Tiger. Ich entschied mich nach langem Hin und Her für den Tiger, der nicht nur mein Begleiter, sondern vor allem ein verlängerter Arm meiner eigenen Moral werden sollte. Die Betonung liegt dabei auf "sollte", denn so richtig klappen wollte das nicht.
Eine Mischung aus Unbeholfenheit und technischen Hürden, die nicht zwangsläufig immer Hand in Hand gingen, sorgte dafür, dass ich aus Versehen meine Kreatur in die Fänge des Bösen trieb: Anstatt sie zu streicheln sorgten Lags dafür, dass ich ihr häufiger eine Ohrfeige verpasste. So verlor sie nach und nach ihre Gutherzigkeit und wurde zu einer Repräsentation meiner Grausamkeit. Es dauerte eine Zeit lang bis ich diesen Wechsel bemerkte und erkannte, dass ich ihm schlecht entgegenwirken konnte. Während ich versuchte, Probleme zu lösen und den Inselbewohnern ein gnädiger Gott zu sein, beschloss meine Kreatur sie zu verspeisen, durch die Gegend zu schleudern oder mit Steinen zu bombardieren. Das Resultat war eine Zerrissenheit, die das Spiel unglaublich schwierig, wenn nicht fast unspielbar für mich machte. Das Verhalten meiner Kreatur trieb mich in den Wahnsinn und sie immer wieder in die Boshaftigkeit.
Im Nachhinein betrachtet ist es faszinierend, was Lionhead mit dem anthropomorphen Wesen erreichte, denn die künstliche Intelligenz war ihrer Zeit durchaus voraus und wirkte natürlich und lebendig. Das überdimensionale Haustier war neugierig und zeigte eine ganze Bandbreite an Emotionen, die sich den Umständen und meinem Verhalten ihr gegenüber anpassten. Diese eigentlich großartige Entwicklung machte mir das Leben so schwer, dass meine Zeit in Black & White von Frustration geprägt war. Das sorgte dafür, dass ich das Spiel eher früher als später ins Regal wandern lies und aufhörte, mit dem Kauf von Black & White 2 zu liebäugeln.
Trotz meiner Probleme mit Black & White erinnere ich mich doch gern an die (frustrierenden) Stunden mit meiner armen, misshandelten Kreatur und meinen bemitleidenswerten Inselbewohnern zurück, die leider nicht begriffen, dass ich doch eigentlich nur ihr Bestes wollte. Vielleicht könnte ich nun darüber philosophieren, was diese Gegensätzlichkeit zu bedeuten hat. Vielleicht sogar darüber, wie die Art und Weise unseres Umgangs mit anderen wiederum deren Umwelt beeinflusst. Vielleicht wäre das zu weit hergeholt, vielleicht aber auch nicht.
Was ich mit Sicherheit sagen kann ist, dass ich auch heute noch ein schlechtes Gewissen gegenüber meiner Kreatur und meinen Anhängern habe. Und dass ich mich bis heute nicht getraut habe, einen neuen Versuch zu starten. Vielleicht tauge ich einfach nicht als Gottheit. Oder vielleicht sollte ich mein Schicksal einfach akzeptieren und eine bösartige Göttin der Rache sein, die mit Angst und Schrecken regiert. Das scheint mir offenbar zu liegen. Wenn auch nur aus Versehen.