Meine Erfahrungen mit dem Konzept Haustier belaufen sich auf eine Reihe von Fehlschlägen, die oftmals schlimmer endeten als so manche Beziehung. Flecki das Kaninchen wurde von einem Fuchs gerissen, Hamster Ralf ist zum Nachbarhund gelaufen (selbst für einen Hamster etwas naiv) und eine fremde Katze hat mal zwei Tage in der Garage meiner Eltern übernachtet.
Aber obwohl ich nicht gerade derjenige bin, dem ihr eure Wüstenspringmaus geben solltet, wenn ihr in den Urlaub fahrt, haben mich stets die Spiele besonders fasziniert, in denen ich die Verantwortung für ein digitales Leben übernehmen durfte. Hierbei haben mich die Platzhirsche in diesem Sub-Genre aber meist nie wirklich fesseln können. Ich habe ein schwieriges Verhältnis zu Pokémon und mein damaliges Tamagotchi war mir extrem unsympathisch.
Eine sättigende Kostprobe
Wirklich geöffnet hat sich mein mit Tierliebe angefülltes Herz aber erst, als ich die Demo-CD eines damaligen PlayStation-Magazins in jugendlicher Ungeduld aus dem Heft rupfte und in die Konsole rammte. Die meisten Titel waren wenig interessant, nur ein Spiel konnte mich an den Fernseher fesseln: Jade Cocoon . Zugegeben, das lag in erster Linie daran, dass die Demo des japanischen Rollenspiels ziemlich umfangreich ausfiel. Das Taschengeld war knapp und ich wollte eben dennoch in fremde Welten versinken. Zum Glück sahen es die Publisher Ende der 90er Jahre noch etwas entspannter mit kostenfreien Vorabversionen.
Trotz der überaus schicken Grafik mag Jade Cocoon auf dem ersten Blick vielleicht etwas behäbig wirken und böse Zungen behaupten sogar, dass der Titel spielmechanisch mager daherkommt. Tatsächlich ist Jade Cocoon in seiner Machart aber einzigartig und sollte eigentlich weitaus mehr Einfluss ausüben, als es das Spiel heutzutage letztlich tut. Die Entwickler von Genki haben nämlich ein Spiel geschaffen, das es angehenden Kokon-Meister erlaubt, organisch und frei mit dem Breeding-System zu agieren. Die oft insektenartigen Monster, die wir uns mithilfe einer magischen Flöte Untertan machen können, besitzen keine levelabhängigen Evolutionen. Stattdessen vereinen wir die unterschiedlichen Biester miteinander und erhalten ein vollkommen neues Monster, inklusive Aussehen, Fähigkeiten und Statuswerte.
Wenn sich zwei tödliche Waldmonster ganz doll lieb haben..
Die digitale Genetik überträgt besonders prägnante Eigenschaften der Elterntiere auf das Ergebnis der Fusion und das gilt eben auch für ästhetische Aspekte. So kann es eben passieren, dass aus einer feuerspeienden Schlange und einem fliegenden Käfer ein geflügeltes Reptil entsteht, das weiterhin Feuerattacken besitzt aber auch mit dem Element Wind zurechtkommt. Durch dieses Ansatz verkommt der Züchtungsaspekt nicht zu einem Crafting-System, wie es in anderen Titeln oft der Fall ist. Somit sind alle tierischen Handlanger, die für uns in den Kampf ziehen, zwangsläufig einzigartig.
Und auch diese treuen Gefährten können miteinander fusioniert werden, wodurch dann hoffentlich Mr. Supermonster entsteht. Natürlich können wir uns hier aber auch verzetteln und einen Haufen schwachbrüstiger Schoßtierchen aufziehen. Dieser quasi-prozedurale Ansatz gilt heute als State of the Art und wird von progressiven roguelikes ebenso propagiert wie von großen Hoffnungen wie No Man's Sky . Nur war Jade Cocoon trotz schwächerer Technik eben schon Jahre zuvor auf dem richtigen Weg.
Abseits dieses Alleinstellungsmerkmals bietet Jade Cocoon zwar nur solide RPG-Kost und ist mit knappen 10 Stunden Spielzeit auch verdammt kurz (wobei ich aber allein in der Demo 8 Sunden lang meinen Spaß hatte), weiß aber dennoch zu unterhalten. Sowohl die Geschichte um den jungen Levant, dem Na'gi-Kult und der Onibubu-Plage als auch die abwechslungsarme Spielumgebung dienen nur als Rahmenkonzept für das außerordentlich motivierende Breeding-System. Es ist egal, was der Vogelmensch Kikinak zu sagen hat, am Ende zählt nur, wie sich das neue Wasser-Nashorn in meinem Team macht. Daher spielt sich Jade Cocoon auch am besten im ewigen Korridor, einem Endlos-Dungeon, dem wir einfach ewig folgen können, um auf dem Weg neue Fusionspartner zu finden.
Standard-Kost als Leibspeise
In Jade Cocoon konnte ich mich damals austoben und für unzählige Mutationen den Papa spielen. Mal habe ich mich auf besondere Fertigkeiten konzentriert, mal auf besonders starke Hinterbeine. Stets gab es einen Weg, mein Monster-Team zu verbessern und den Gen-Pool zu erweitern. Und selbst wenn ihr meinen Fetisch für die Mendelschen Regeln nicht nachvollziehen könnt, lasst euch gesagt sein, dass Jade Cocoon mit einem hochwertigen, handgezeichneten Intro aus dem Hause Studio Ghiblis aufwartet.
Ja, richtig gehört.
So, ich pfusche dann mal weiter mit Mutter Natur herum.