Interview mit Regisseur Lars Jessen

21.04.2009 - 13:00 Uhr
Pifflmedien
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Wie der Regisseur von Dorfpunks zum Punk kam und Rocko Schamoni kennenlernte

Im Interview erklärt Lars Jessen (Am Tag als Bobby Ewing starb) seine Motivation, einen Film über Dorfpunks in den 1980ern zu drehen. Euer Punkfilmwissen könnt ihr übrigens im Großen Quiz zum Kinostart von Dorfpunks testen.

Wie sind Sie zu den Dorfpunks gekommen?

Ich habe Rocko Schamoni vor 10 Jahren über unseren gemeinsamen Freund Heinz Strunk kennen gelernt. Über die Jahre sind die beiden und später auch ihr Studio-Braun-Kumpel Jacques Palminger in vielen Serienepisoden aufgetreten, die ich inszeniert habe. Über die Zeit hat sich ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt, wir sind nach wie vor neugierig auf die Arbeit des anderen und haben einen ähnlichen Humor. Den Roman Dorfpunks mochte ich von Anfang an wegen seiner Aufrichtigkeit. Ich habe gespürt, dass Rocko hier etwas sehr ernst meinte und sich gleichzeitig nicht besonders ernst nahm. Das hat mir unheimlich imponiert. Zufall ist das sicher nicht. Wir erzählen das, was uns nah ist, Dinge, die wir selbst erlebt haben. Und da ist einem diese heilige Phase der Jugend, wenn gleichzeitig alles genauso möglich wie unmöglich erscheint, bei Rocko wie bei mir schon so weit entfernt, dass man sich gerne in diese Zeit zurückversetzt. Wenn man dann die Möglichkeit dazu hat…

Welche Unterschiede sehen Sie zwischen den 80er Jahren und heute, gerade in bezug auf die Holsteinische Schweiz?

Oberflächlich betrachtet hat sich das Leben in der Holsteinischen Schweiz nicht wesentlich verändert, da laufen ähnliche Riten ab wie damals. Die Jugend hängt weiterhin am Busbahnhof ab, nur halt in Hip-Hop-Klamotten. Was die sonstige Gegenwarts-Jugendkultur angeht, hat sich schon eine Menge getan. Die große Demarkationslinie scheint 1989 zu verlaufen. Und so fühlen wir 80er Jahre-Typen uns ehrlicherweise unseren 68-Eltern doch näher als der Nuller-Generation.

Ist die Geschichte der Dorfpunks an die 80er Jahre gebunden?

Ich glaube fest an eine Provinz-Identität, die auch heute noch so existiert. Dieses Gefühl, nicht so richtig am Puls der Zeit zu sein, nicht zu den richtigen Top-Typen zu gehören, das ist immer noch aktuell, wenn man an der Peripherie lebt. Da kann das Internet auch nichts dran ändern. Rockos Gästebuch ist bis heute voll von Reaktionen auf das Buch, in denen Leute schreiben, dass es ihnen heute in Detmold oder Eckernförde exakt so geht, wie er es im Roman für die frühen 80er beschreibt. Insofern ist unsere Geschichte, der Drang unserer Hauptfigur, aus- und aufzubrechen, absolut universell und heutig. Mir war aber auch der kulturhistorische Rahmen wichtig. Die Attitüde der frühen Punkphase, die in Schmalenstedt einfach mit ein paar Jahren Verspätung angekommen ist, hat mir ungeheuer imponiert. Während der Drehbuchentwicklung, als wir uns mit Filmen und Büchern wie “Als wir unsterblich waren” oder “Verschwende Deine Jugend” beschäftigt haben und Rocko immer neue Songs aus seiner Sammlung geschickt hat, habe ich allmählich
verstanden, wo rum es ursprünglich beim Punk rock ging: Um Spaß, um Anders-Sein, aber auch um einen Aufbruchsversuch, der positiv, frei und neugierig war. Dieses Leidenschaftliche, Hedonistische und Lustige am Punk wollte ich gern zeigen. Und wir wollten die Mu sik der Zeit in den Film ho len: Buzzcocks, Stranglers, Slime, Fehlfarben und viele andere Sachen, die unwichtig waren.

Welche Rolle spielt die Holsteinische Schweiz in Ihrem Film?

Die Geschichte von Dorfpunks ist absolut an den Ort gebunden. Dorfpunks ist auch ein Heimatfilm. Die hüglige Endmoränenlandschaft, die Nähe zur seichten Ostsee, die Wälder und Wiesen – all das beschreibt Rocko im Roman mit großer Empathie. Wir haben darauf geachtet, dass diese recht unverstellte Liebe zur heimatlichen Scholle auch im Film zum Ausdruck kommt.

Welche Elemente des Romans, der ja eher episodenhaft angelegt ist, waren Ihnen für den Film wichtig?

Ich fand das im Roman beschriebene Setting immer sehr stark: Junge Punks mitten in schöner Landschaft zwischen Mähdrescher, Treckern und Strand körben.Das ist alles sehr filmisch. Die episodische Struktur der Vorlage war bei der Adaption dann sogar dienlich, weil wir verabredet hatten, dass der Autor Norbert Eberlein eine eigene Dramaturgie bauen sollte, und er sich dabei der Episoden steinbruchhaft bedienen konnte. Dadurch sind Sachen im Film gelandet, die nicht im Roman vorkommen, sich aber tatsächlich so oder so ähnlich ereignet haben. Es gibt auch vollkommen frei dazu erfundene Sequenzen. Rocko hat diesen Prozess begleitet, ohne aber irgendwie dirigierend einzugreifen. Wichtig war er für uns von Anfang an auch als Musik- und Styleberater.

Wir haben lange über einen Erzähler oder eine Rahmenhandlung nachgedacht, aber das dann letztendlich wieder verworfen, weil wir wollten, dass der Film selbst genug erzählerisches Potential entfaltet. Wir wollten, dass der Film ein Eigenleben entwickelt und sich auch ein Stück von Rocko Schamoni emanzipiert. Das einfach noch mal nachzupinnen, hätten wir alle, auch der Romanautor, langweilig gefunden. Trotzdem hoffe
ich, dass die Leser des Buches ihre Vorstellung von den Dorfpunks auch im Film wieder finden werden.

Wie haben Sie die Dorfpunks-Darsteller gefunden?

Wir wollten unbedingt Lemke und Buck nacheifern und unverbrauchte, frische Leute aus der Region haben. Schauspielerkataloge haben wir gar nicht erst aufgemacht, sondern auf Opencalls gesetzt. Das war eine wahnsinnige Fleißarbeit aller Beteiligter. Und irgendwann liefen uns diese Jungs in die Arme. Dabei hatten wir auch Glück. Denn sie hatten fast alle eine musikalische Vorbildung. Im Film mussten sie dann genau das Instrument übernehmen, was sie überhaupt nicht konnten. Das hat auf ihre Spielweise abgefärbt. Ein Bassist ist irgendwie immer ein Bassist und ein Drummer ein Drummer – das Instrument prägt.

Die Arbeit mit den Jungs war dann für mich eine echte Offenbarung und gleichzeitig ein großes Wagnis. Von ausgebildeten Schauspielern weiß man ungefähr, was man bekommt. Da kann natürlich auch viel schief gehen, aber es gibt eine gewisse Basis. Die mussten wir beim Ensemble von Dorfpunks erst selber legen. Unser Schauspielcoach Peter Jordan, der auch schon David Kross bei Knallhart gecoacht hatte, war mir eine Riesenhilfe. Dass bis
zum Schluss keiner schlapp gemacht hat, zeugt nicht nur vom Riesentalent des ganzen Ensembles, sondern auch vom großen Zusammenhalt unter den Jungs. Die Dreharbeiten waren für uns alle eine Erfahrung fürs Leben.

Wie hat sich Axel Prahl in das Ensemble eingefügt?

Axel Prahl hat mit Peter Marxen, dem Alter Ego seiner Figur Paul Mascher, eine ganze Nacht an dessen Tresen verbracht, und war am Ende dann doch ein ganz anderer Paul Mascher als das Vorbild. Auf Axel kann man sich einfach immer verlassen.

Mit welchen Vorgaben sind Sie an den Look des Films gegangen, Kostüm, Maske, Frisuren?

Wir wollten, dass alles im Film selbst gemacht aussehen sollte. Dementsprechend konnten die Kostüme nicht einfach ausgeliehen und nach dem Dreh zurückgebracht werden. Da wurden Second-Hand-Shops durchforstet und Lederjacken nächtelang von Ingken Benesch und ihrem
Team mit der Drahtbürste bearbeitet. Das war alles Handarbeit. Ursprünglich wollten wir,
dass die Schauspieler sich jeden Morgen selbst die Haare machen. In der Probenphase hat
das auch halbwegs geklappt, mit Kernseife und ähnlichem. Während der Dreharbeiten hat unser Maskenbildner das Ganze aber hut im Auge gehabt und mit sehr wenig Aufwand glaubwürdige Frisuren und Schrammen hingekriegt.

Gedreht haben wir weitgehend an den Original-Locations des Romans, in Lütjenburg, auch auf dem Hessenstein, in der Hohwachter Bucht. Die Ausstatterin Dorle Bahlburg kennt die Gegend sehr gut und hat unglaublich detailliert und genau gearbeitet. Sehr hilfreich war auch die Mitarbeit von Stephan ‚Partyschaum’ Cay, dem Alter Ego von Fliegevogel im Roman. Er ist wahrscheinlich der älteste Freund von Rocko und lebt immer noch da oben. Er war als Locationscout, Baubühnenarbeiter und Schauspieler abteilungsübergreifender Fachberater.

Welche Überlegungen hatten Sie bei der Bildgestaltung?

Gemeinsam mit meinem langjährigen Kameramann Michael Tötter habe ich ein einfaches Lichtkonzept besprochen, das den Schauspielern viel Raum geben sollte. Die Kamera sollte sich wie ein weiteres Bandmitglied in die Gruppe einnisten und auf Augenhöhe mit den Protagonisten sein. Gleichzeitig war uns wichtig, den Übergang der Jahreszeiten vom Hochsommer bis in den beginnenden Herbst hinein zu erzählen. Dafür brauchten wir bei den schlechten Wetterverhältnissen letztes Jahr im September viel Glück und vor allem Geduld.

Wie haben Sie den Soundtrack zusammengestellt und welchen Einfluss hatte diese Auswahl auf die Filmmusik von Jakob Ilja?

Die Entstehung des Soundtracks begann schon mit der ersten Drehbuchfassung von Norbert Elterlein und verdichtete sich dann immer mehr. Rocko hat viele Vorschläge gemacht und mir Sachen vorgespielt, von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Charlotte Goltermann und Tina Funk haben Rockos Vorschläge ergänzt und bei der Lizensierung einen Wahnsinnsjob gemacht. Ich bin sehr stolz auf den Soundtrack … Mit Jakob Ilja habe ich schon mehrfach zusammen gearbeitet, aber diesmal war alles anders. Wir haben von Anfang an sein Hauptinstrument, die Gitarre, aus dem Score verbannt. Ich wollte eine Filmmusik haben, die ganz einfach ist und nicht mit den Songs konkurrieren will. Lange Zeit darf Jakobs Musik den Film nur begleiten und sich erst bei der Strandkorbszene richtig entfalten, wobei sie auf den simplen Arrangements vom Anfang aufbauen musste. Das ist Jakob, finde ich, wunderbar gelungen.

Was war Ihnen persönlich bei der Geschichte der Dorfpunks vor allem wichtig?

Mein persönlichster Zugang zu dem Roman war das Thema Freundschaft. Was bedeutet es, wenn man jung ist und gemeinsam aufbricht? Und irgendwann nach diesem einen großen Sommer merkt, dass die anderen gar nicht weiterwollen, dass sie es sich bequem machen, sich um ihre Freundin, die Lehre oder eine Drogenkarriere kümmern? Roddy will weiter und gibt sich nicht mit Altbewährtem ab. Er ist viel zu neugierig. Aber dafür muss er Opfer bringen und sogar seine Freunde zurücklassen. Das ist für mich das zentrale Thema des Films.

Mit Material von Pifflmedien

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