Ist das noch ruhig oder schon Koma?

11.02.2011 - 09:00 Uhr
Berlinale Tagebuch - Hi-So
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Berlinale Tagebuch - Hi-So
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Das Forum zeigte am heutigen Eröffnungstag der Berlinale bereits einige Filme. Darunter auch die Forum-Filme Familiar Ground, Hi-So und Swans, die alle drei eines waren: sehr still.

Dieses Jahr machen Orlindo und ich gemeinsam die Berlinale unsicher und berichten euch in Windeseile von allen Wettberwerbsfilmen und den interessantesten Entdeckungen. Wer zu faul zum Lesen ist, der sollte übrigens unseren Berlinale Podcast verfolgen, in dem wir täglich von unseren Erlebnissen und Vorhaben berichten. So seid ihr immer Live dabei.

Während Orlindo heute auf den Spuren der Coen-Brüder wandelte, nahm ich an den ersten Pressevorführungen des Internationalen Forums teil. Hier werden vor allem Filme junger Talente gezeigt, welche durch ihren besonderen künstlerischen Anspruch auffallen.

Familiar Ground von Stephane Lafleur
Den Anfang machte heute der Film Familiar Ground, der zweite Langfilm des franco-kanadischen Regiseurs Stéphane Lafleur. Nach ca. 15 Minuten Spielzeit begegnet die Hauptfigur dem Loser Benoît, einem “Mann aus der Zukunft.” Die ist zwar nur ein paar Monate weit weg und es handelt sich auch nur um einen Gebrauchtwagenverkäufer, doch dieser warnt ihn vor dem Unfalltod seiner Schwester. Er müsse verhindern, dass sie sich auf die bevorstehende Fahrt zum Landhaus begibt. Ich wusste ebensowenig, was ich davon halten sollte wie Benoît und diese Ratlosigkeit setzte sich noch fort, als dieser statt zu warnen selbst mit ins Auto spring, um seine Schwester zu begleiten.

Familiar Ground, der übrigens wie alle drei Forumsfilme sehr stilvoll fotografiert und geschmackvoll musikalisch untermalt ist, lässt uns bis zum Schluss rätseln, was Benoît nun eigentlich vor hat. Die Spannung egibt sich in dem ansonsten sehr ruhigen Film allein durch die Zwischentitel, welche wie der Mann aus der Zukunft frecherweise drei Unfälle ankündigt. Ich saß also die ganze Zeit ein wenig auf Kohlen, zumal der Film mit zahlreichen vorhersehbaren Gefahrenquellen kokettiert, nur um sie dann doch zu umgehen. Durch diesen Kniff konnte sich Familiar Ground allerdings ganz der gleichzeitig traurigen und herzerwärmenden Annäherung zwischen den Geschwistern widmen, welche durch einen schrägen und eigenwilligen Humor elegant in einer Balance gehalten wird. Unterhaltsam, klug und bis zum Ende unvorhersehbar, ist dieser Film definitiv eine Empfehlung wert.

Hi-So von Aditya Assarat
Das Gleiche gilt für den hervorragenden Hi-So, der uns vom winterlichen Kanada ins warme Thailand entführt. Dreh-, aber nicht Mittelpunkt des Filmes ist Ananda, der nach einer Jugend in den USA nur zurück nach Thailand gekommen ist, um hier eine Karriere als Schauspieler anzutreten. Viel wichtiger sind aber seine Freundinnen. Hier ähnelt Hi-So sehr stark Lost in Translation, da ebenfalls die Hilflosigkeit gegenüber der fremden Kultur den Alltag der Mädchen bestimmt. Der Film ist entsprechend der beiden Beziehungen Anadas zweigeteilt und verfolgt zuerst die Geschichte seiner amerikanischen Freundin Zoe, welche sich im fremden Thailand verloren vorkommt. Nach ihrer Abreise widmet sich Hi-So dann ganz May, Anadas folgender Freundin, welche als gebürtige Thailänderin eher mit Anadas amerikanischen Macken zu kämpfen hat.

Hier zeigt der Film seine narrative Stärke, indem er kunstvoll Szenen doppelt arrangiert und uns so auf die dezenten Unterschiede aufmerksam macht. Denn zuerst fällt auf, dass beide Beziehungen sehr ähnlich sind, und junge Menschen in den USA und Thailand fast identische Vorstellungen von einem Zusammenleben haben. Doch Hi-So lässt uns durch das subtile Schauspiel der Figuren auch spüren, dass die Ähnlichkeit ihre Grenzen hat und lässt am Ende offen, für welche Art zu lieben sich Anada am Ende entscheidet. Bis dahin beeindruckt Hi-So aber durch seine ruhige, auch warme Bildsprache, die große Zärtlichkeit zwischen den Protagonisten sowie die Figuren, welche für 110 Minuten wirklich lebendig werden.

Swans – Hunger nach Leben von Hugo Vieira da Silva
Die einzige Enttäuschung des Tages kam aus Deutschland. Seltsamerweise war es auch der einzige der drei Filme, welcher bereits jetzt einen deutschen Kinoverleih vorweisen kann. Bevor er hierzulanden aber in den Kinos erscheint, hat er dringend eine Frischzellenkur am Schnittisch nötig, denn wo Familiar Grounds und Hi-So ruhig und poetisch sind, ist Swans einfach nur schreiend langweilig. Der Film handelt von … ja wenn ich das nur wüsste. Ein Vater kommt mit seinem Hip-Hop-Sohn nach vielen Jahren aus der portugisischen Wahlheimat nach Berlin, um dort die sterbende Mutter des Jungen zu besuchen, welche im Koma liegt. Sonst passiert in den folgenden zwei Stunden erschreckend wenig.

Die Annährung zwischen den Charakteren lässt sich nicht wirklich erkennen und wenn irgendjemand zur Abwechslung einmal irgendetwas macht, dann ist dies so unglaubwürdig und inkohärent, dass es auch gleich wieder vergessen ist. Vater und Sohn bleiben uns innerlich und äußerlich fremd, zumal vor allem Letzterer der Prototyp des Gangster-Rap hörenden Mittelstandbubis ist. Das Bild sieht zudem furchtbar nach Fernsehproduktion aus und nach zwei Stunden endloser und völlig unerklärlicher Kamerafahrten durch Heizungskeller und Autowaschanlagen konnte ich dankbar sein, dass ich selbst nicht in ein sanftes Koma weggenickt bin.

Der Berlinale-Podcast: Tag 1
Orlindo hat True Grit gesehen und Stefan hat sich ins Forum getraut. Er berichtet uns von den filmen Familiar Grounds, Hi-So und Swans.






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