Julie Delpy im Interview

15.05.2009 - 12:20 Uhr
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Wieso Die Gräfin kein feministischer Anti-Botox-Film ist, sondern eine Auseinandersetzung mit dem Schönheitswahn

Julie Delpy s zweites Regiewerk nach 2 Tage Paris verheißt Blutiges: In Die Gräfin spielt die Französin zugleich die Hauptrolle einer schönen Adligen, die sich durch das Blut von Jungfrauen ihre Jugend bewahren will.

Wie lange spielen Sie schon mit dem Gedanken, das Leben der Erzebet Bathory zu verfilmen?

Vor etwa acht Jahren fing ich an, mir erste Notizen zu machen im Hinblick auf einen möglichen Film. Die Figur selbst kannte ich natürlich schon länger, aber eher flüchtig. Je mehr ich über sie las, desto mehr faszinierten mich die Bathory und ihre ins Mythische übersteigerte Angst vor dem Älterwerden. Dieses Symbolhafte am Universum der Bathory hat mich begeistert. Und dass vieles von dem, was sich an Geschichten um sie herum rankt, eigentlich erst im 19. Jahrhundert erfunden wurde, lange nach ihrem Tod. Wie ihre Legende sich im Laufe der Zeit verändert hat und immer umfangreicher wurde, das
interessierte mich irgendwann fast noch mehr als ihre wirkliche Vita. Deshalb habe ich in meinem Film versucht, beides miteinander zu verbinden: die Legende und die wahre Geschichte dieser Frau.

Dient Ihnen die Geschichte der Bathory vielleicht auch als Vehikel für eine eigene Botschaft: als Abrechnung mit dem gegenwärtigen Schönheitswahn und Botox-Boom?

Ich will mich in diesem Film nicht über die Verwendung von Botox lustig machen, auch wenn ein zeitnahes Element in dem Umstand steckt, dass das Älterwerden bei Frauen mit Ängsten verbunden ist. Ich persönlich fürchte mich nicht vor dem Älterwerden, war aber schon als Kind von diesem Vorgang fasziniert. Es geht eigentlich auch mehr um das ’Verrotten’. Der Film dreht sich nicht um eine Frau, die älter wird und deshalb den Verstand verliert. Es ist der Verlust des Geliebtwerdens, der sie in den Wahnsinn treibt und dazu noch die Angst vor dem Tod, vor dem Verrotten. Das ist etwas, was ich schon
eher nachempfinden kann, diese Angst vor dem Tod und vor dem Verlust der Liebe. Ich glaube, ich genieße das Älterwerden, weil ich mir sage, älter auszuschauen bedeutet auch, dass man am Leben geblieben ist. Wenn ich alt bin, bin ich wenigstens noch nicht tot. Liebeskummer kann ich grundsätzlich nachvollziehen und auch verstehen, dass man deswegen durchdreht. An gebrochenem Herzen zu sterben mag aus der Mode sein, aber mir gefällt der Gedanke.

Ist die Bathory für Sie die erste Serienmörderin der Geschichte?

Zumindest glaube ich, dass es ihr, wie den meisten Adeligen ihrer Zeit, nicht besonders schwer fiel zu töten. Damals genügte schon der geringste Vorwand. Sie erscheint mir wie eine weibliche Version von Gilles de Rais, der die Sage von König Blaubart inspirierte und meines Erachtens, genau wie Erzebet, dämonisiert wurde. Was daran liegt, dass Geschichte in der Regel von den Siegern geschrieben wird und Sieger nicht unbedingt ein Interesse an der Wahrheit haben. In der Geschichte haben Männer immer wieder Frauen von der Macht ferngehalten, indem sie auf Beispiele wie die Bathory verwiesen, oder behaupteten, Frauen seien zu oberflächlich, zu verrückt, oder gar zu böse, um zu herrschen. Man denke nur an die Hexenverfolgungen. Die echte Bathory war wohl sehr rücksichtslos und hat vermutlich viele, die ihr nicht gehorchten, töten lassen. Einige Adelige könnten die Vorfälle aber auch aufgebauscht haben, um sie loszuwerden, damit einer ihrer entfernten Cousins den Besitz übernehmen konnte. Viele waren gegen sie, weil sie so mächtig war. Auch dieser Aspekt scheint mir interessant. Zur Vorbereitung las ich sehr viel über die Bathory, allerdings keine fiktiven Texte, sondern alte Dokumente und Prozessakten, die man zum Teil extra für mich übersetzt hat. Ich machte mich mit ihrer
Biografie vertraut und damit, auf welche Weise sie nachfolgenden Generationen als Inspiration diente, etwa Bram Stoker für seinen Roman Dracula. Auf den Gemälden, die es von ihr gibt, sieht sie sehr osteuropäisch aus, gekleidet im ungarischen Stil ihrer Zeit. Mein Kostümbildner und ich entschieden allerdings, uns nicht ganz so sklavisch an die Realität zu halten. Denn die Kleidung der Bathory wirkt nicht sehr dramatisch. Mir schwebte etwas vor, das mehr an den nordeuropäischen Stil erinnern sollte, strenge Kostüme mit protestantischem Look. Ob sie im Film genau die Art von Hut trägt, die man im Ungarn des 16. Jahrhunderts trug, interessierte mich weniger, als einen stimmigen visuellen Ausdruck zu finden.

Ist Ihnen die Bathory eigentlich sympathisch, oder macht sie Ihnen womöglich gar Angst?

Ich muss zugeben, dass sie keine besonders sympathische Figur ist. Aber beim Drehbuchschreiben neige ich grundsätzlich dazu, eher unsympathische Figuren zu entwerfen. Ich bin mit den Filmen der 60er und 70er Jahre aufgewachsen, als selbst Hollywood es wagte, Helden zu präsentieren, die nicht unbedingt nette Menschen sind. Etwa in Der Pate oder Taxi Driver, oder nehmen wir all die Kerle
aus den Filmen der Nouvelle Vague oder den jungen Mann aus Kieslowskis 20.13 – Du sollst nicht töten, der grundlos einen Taxifahrer ermordet und den man trotzdem bis zum Ende des Films begleitet. Das war ein bisschen meine Absicht bei Die Gräfin : Der Zuschauer soll sehen, was für schreckliche Dinge die Bathory tut, aber auch Verständnis und Mitgefühl für sie aufbringen. Immerhin ist sie trotz allem Horror, den sie verbreitet, ein Mensch. Ich will überhaupt nicht entschuldigen, was sie
Entsetzliches getan hat, aber es war mir wichtig, ihre menschlichen Seiten zu erforschen und zu zeigen. Für mich besitzt die Bathory in ihrem Wahnsinn und ihrer ganzen Boshaftigkeit etwas zutiefst Humanes. Man könnte sie mit Medea vergleichen, die ihre Kinder tötet. Jedenfalls wollte ich kein eindimensionales Monster aus ihr machen.

Ist Die Gräfin ein feministischer Film?

Ich wuchs mit zwei Feministen auf – meine Mutter bekannte sich dazu und noch mehr mein Vater – und ich stehe aus irgendeinem Grund definitiv auf Frauengeschichten aus weiblicher Sicht. Frauenfiguren werden oft nur eindimensional oder mit ein paar wenigen Charakterzügen dargestellt. Mit Die Gräfin wollte ich eine Person schaffen, die vielschichtiger ist. Sie ist wahnsinnig, aber auch zurechnungsfähig und intelligent. Sie denkt logisch und ist doch konfus, manchmal ist sie gutherzig, aber auch haarsträubend grausam. Ich finde komplexe Verhaltensmuster überaus interessant und wollte dieses Thema an der Geschichte dieser Frau ausloten. Der Film zeigt auch eine Männerwelt mit nur einer mächtigen Frau unter ihnen, die von diesen Männern zum Opfer gemacht wird, mit den Mitteln der Liebe und mit Machtspielchen. Selbst wenn sie stark zu sein scheint, ist sie doch auch sehr zerbrechlich. Ich habe mit einer bestimmten Richtung des Feminismus Probleme, für die Frauen grundsätzlich bessere Menschen sind als Männer. Ich bin der Meinung, das hängt ganz von der Person ab. Einige Frauen sind ganz und gar nicht besser. Immerhin sind es Frauen, die in einigen Ländern kleine Mädchen genital verstümmeln. Und doch bin ich sehr für die Gleichberechtigung und für
Chancengleichheit, von der wir aber fast überall auf der Welt und selbst in unseren Ländern noch weit entfernt sind. Als ich zu schreiben begann, litt ich sehr unter der Vorstellung, man könnte mich auslachen, weil ich eine Frau und eine Schauspielerin und irgendwie hübsch bin. Viele vermuten bei einer Frau auch nicht meine Art von Humor, vorlaut und politisch völlig unkorrekt.

Sie zeigen nicht viel Blut in Die Gräfin.

Nein, ich wollte ja auch keinen Horrorfilm drehen. Dazu muss man schon eine perfide Lust am Zeigen von Blut und Schmerz haben, das geht heutzutage ja schon fast ins Pornografische, zum Beispiel in Filmen wie Saw. In meinem Film benutze ich Blut immer sinnbildlich, wenn es fließt, muss es etwas aussagen, wie beispielsweise in der Szene, in der die Bathory sich die Haare ihres Geliebten unter die Haut näht. Für mich symbolisiert diese Szene die ganze Schmerzhaftigkeit ihrer Liebe. Sie sollte auch an Jesus erinnern, wie er seine Finger in die Wunden legt, an religiöse Ikonen.

Hat sich das Drehbuch von der ersten bis zur endgültigen Version sehr verändert?

Ja. Meine erste Version war viel zu konzeptuell. Ursprünglich wollte ich ohne Kulissen drehen, aber dann kam Dogville von Lars von Trier, und damit hatte sich das erledigt. Das Buch ist durch viele Hände gegangen, und das hat automatisch Änderungen zur Folge. Einiges ging verloren, aber mit Sicherheit hat das Buch auch gewonnen. Andererseits kann es gefährlich sein, wenn man im Laufe eines kreativen Prozesses zu viel ändert, dann droht Beliebigkeit. Schreiben und sofort drehen, ohne
viel Aufwand oder riesiges Budget, das ist meine Idealvorstellung vom Filmemachen. Bei einem historischen Kostümfilm lässt sich das aber kaum machen. Da muss man Kompromisse eingehen.

Warum haben Sie neben Drehbuchschreiben und Regieführen auch noch die Hauptrolle
übernommen?

In einem ganz frühen Stadium des Projekts wollte ich die Gräfin unbedingt selbst spielen, doch nach einer Weile sagte ich mir, es wäre vielleicht besser, nur zu inszenieren. Und fing an, mich nach einer geeigneten Darstellerin umzusehen. Die Frauen, die einigermaßen prominent waren, hatten jedoch Berührungsängste mit der Rolle. Und die, die Interesse hatten, waren leider nicht bekannt genug, um die Finanzierung des Projekts zu erleichtern. Dass ich die Rolle schließlich selbst übernahm, bedauere ich nicht. Aber bei jedem Film muss ich das nicht haben – denn es war manchmal ganz schön anstrengend. Im Ernst, während des Drehs sind mir die ersten grauen Haare gewachsen.

Wie kam die Besetzung zustande?

William Hurt ist ein Schauspieler, den ich immer sehr bewundert habe. Ich brauchte für die Rolle des Grafen Thurzo einen Darsteller mit starkem Charisma, der gleichzeitig sehr ruhig wirkt. Einen echten Männer-Mann, kalt, sehr germanisch, emotionslos, getrieben, nicht unbedingt ein Freund der Frauen. Um diese Aspekte zu betonen, habe ich Daniel Brühl für die Rolle des Sohns gewählt, denn er ist das Gegenteil des Grafen: sensibel, fast schon schwach, ein wenig kindlich, auf jeden Fall kein Playboy und
durch und durch gut. Vor dem Dreh habe ich zu Daniel gesagt: Treib bloß nicht zu viel Sport! Vom Typ her finde ich ihn einmalig. Die meisten Schauspieler in seinem Alter wirken auf mich viel zu selbstsicher und eitel, Daniel überhaupt nicht! Was die übrigen Schauspieler angeht, so fand ich sie bei Castings. Als ich Anamaria Marinca traf, konnte ich kaum glauben, dass sie die Heldin aus 4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage ist, weil sie darin ganz anders aussah. Dafür wusste ich sofort, dass sie Erzebets
Vertraute Darvulia spielen würde. Denn sie strahlt eine natürliche Empathie aus, die mir für diese Rolle wichtig erschien.

Auch Anna Maria Mühe habe ich vom Fleck weg engagiert. Sie besitzt eine
unvergleichlich reine, zerbrechliche Aura, und ihr Gesicht ist einzigartig, manchmal erinnerte sie mich an eine Porzellanpuppe. Ich mag sie sehr. Sie ist nicht sehr lange zu sehen und hat kaum Dialoge, aber sie spielt eine der Schlüsselfiguren des Films: das erste Opfer der Gräfin.

Liegt es Ihnen, am Set zu improvisieren? Ist das bei einem Dreh wie Die Gräfin überhaupt
möglich?

Auch wenn viele denken, 2 Tage Paris wäre vollständig improvisiert worden, muss ich sagen, dass ich mir bei Die Gräfin mehr Freiheiten erlaubt habe. Was nicht heißen soll, dass ich nicht vorbereitet war. Aber manche Szenen konnten wir im Vorfeld nicht bis ins letzte Detail ausfeilen. Ich wünschte, ich wäre Alfred Hitchcock, der in dieser Hinsicht geradezu manisch war. Je besser man vorbereitet ist, desto stressloser läuft es am Set. Das ist eine Erfahrung, die ich in all den Jahren gemacht habe. Wenn es unerwartete Probleme gibt, diese kleinen Dramen, die bei keinem Dreh ausbleiben – eine Kulisse, die doch nicht so ausfällt, wie man gehofft hatte, oder Statisten, die weniger zahlreich erscheinen als geplant – reagiert man einfach gelassener. Für mich ist das Geheimnis eines guten Films, dass man genügend Zeit hat, sich intensiv vorzubereiten.

Für Hitchcock war die Vorbereitung eines Films die interessanteste Phase. Das Drehen an sich mochte er weniger. Wie ist das bei Ihnen?

Jeder Dreh bedeutet Ärger und Aufregung, das stimmt. Ich glaube, ich habe nicht einen Film gemacht, bei dem es total entspannt zuging. Nie hat man genug Zeit, nie reicht das Geld! Offen gestanden empfand ich die Tage am Set von Die Gräfin, an denen ich nur inszeniert habe und nicht auch noch spielen musste, als extrem angenehm. Vielleicht sollte ich mal einen Film schreiben, in dem es nur Männerrollen gibt. Damit entfiele immerhin die Versuchung, selbst mitzuspielen. Wenn man Regie führt und zugleich eine Rolle spielt, mangelt es einem hin und wieder am nötigen Abstand, die Dinge objektiv
zu beurteilen. Grundsätzlich würde ich mir jedoch ein gutes Gespür dafür bescheinigen, ob eine Szene funktioniert, ob sie so geworden ist, wie ich mir das vorgestellt hatte.

Beim Schnitt stellt man dann natürlich häufiger fest, dass Szenen, die für sich genommen gut funktionieren, trotzdem nicht so recht ins Gesamtbild passen. Das ist die Phase, in der man das Beste aus dem Material zu machen versucht, das einem zur Verfügung steht. Es fällt mir nicht schwer, Szenen, die mich nicht restlos überzeugen, rauszuschmeißen – es sei denn, sie sind für das Verständnis der Handlung unabdingbar. Hitchcock hatte den Schnitt seiner Filme praktisch schon vor Drehbeginn im Kopf, aber er war auch ein Genie. Davon bin ich leider weit entfernt. Viele Schauspieler sagen, es sei angenehmer, unter Regisseuren zu arbeiten, die selbst Schauspieler sind oder waren. Ob das auch für mich gilt, müssen Sie die Schauspieler meines Films selbst fragen. Ich kann nur sagen,
dass ich sehr gut mit meinen Schauspielerinnen auskomme. Da gibt es seltsamerweise überhaupt kein Konkurrenzdenken und -gehabe. Ich bin eine Frau, die Schauspielerinnen wirklich mag und im besten Licht zeigen möchte. Wenn es mal Konflikte gibt, dann eher mit den Kerlen am Set. Männliche Darsteller sind zwar auch fragile Wesen, aber damit umzugehen, fällt mir deutlich schwerer. Letztlich lasse ich allen meinen Schauspielern die Zeit, die sie brauchen, und schenke ihnen viel Aufmerksamkeit. Denn was unterm Strich zählt, sind das Gesicht eines Darstellers dort oben auf der Leinwand und sein Spiel. Ob das Licht perfekt ist oder die Kamerabewegungen besonders toll, empfinde ich als zweitrangig.

Was haben Sie von den Regisseuren gelernt, unter denen Sie in den letzten 25 Jahren gearbeitet haben?

Dass man gut vorbereitet sein muss. Dass man sich seiner Schwächen bewusst sein sollte. Barbet Schroeder, der ein guter Freund von mir ist, hat mal zu mir gesagt: “Ein guter Regisseur zeichnet sich dadurch aus, dass er anderen zuhören kann. Denn die Menschen an einem Filmset sind in der Regel kreative Menschen. Borniertheit bringt einen da nicht weiter.”

Mit Material von X Verleih

Die Gräfin startet am 25. Juni 2009.

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