Legion - Der X-Men-Spin-off im Pilot-Check

10.02.2017 - 09:30 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
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Fargo-Showrunner Noah Hawley zeigt mit der neuen Serie Legion, welches Potenzial Marvel-Adaptionen innewohnt, wenn man nur anfängt zu suchen.

Legion ist die perfekte Serie gegen die Superhelden-Müdigkeit. Ausgehend von der 68-minütigen Pilotfolge verschneidet Noah Hawley (Fargo) die Elemente aus den X-Men-Comics mit den wertvollsten Exemplaren seiner LP-Sammlung zu einem psychedelischen Cocktail, der die Konkurrenz ästhetisch belanglos und derart plotversessen aussehen lässt, dass man manchem Showrunner die Visitenkarte eines Therapeuten zuschieben möchte. Neben Fargo, The Americans, Atlanta, Baskets und American Crime Story bildet Legion ein weiteres Beweisstück dafür, dass das spannendste und kontinuierlich aufregendste Fernsehen in den USA derzeit weder bei HBO noch bei Netflix, sondern beim Basic Cable-Sender FX produziert wird.

Legion

Frühzeitig den feinen Herrschaften von Downton Abbey entflohen, wirft sich Dan "The Guest" Stevens in die Rolle des David Haller, der in den Comics von Marvel als Sohn von Charles Xavier gewaltige Kräfte entwickelt. Im Pilot von Legion lässt die Kakophonie der Stimmen und Töne in Davids Kopf glücklicherweise kaum Zeit für entsprechenden Fan-Service. Davids Leidensgeschichte von der Krippe bis zum Clockworks Hospital wird unter Mithilfe von The Whos "Happy Jack" in einer Art Prolog angedeutet, der in einer simplen wie vieldeutigen Überblendung in die Gegenwart übergeht: Ein süßlich rotes Kabel, mit dem sich der leidende David das Leben nehmen will, geht über in Dunkel, Funken schlagen, als hätten wir uns in den Vorspann von Kobra, übernehmen Sie! verlaufen, doch die Lunte transformiert sich im Schnitt von Regis Kimble in eine Wunderkerze. Noah Hawley hat dieses "Kapitel 1" geschrieben und inszeniert. In Sekundenschnelle fasst er bereits die Extreme von Davids Kräften und vor allem deren Auswirkungen auf seine Psyche in ein Bild. Paranoide Schizophrenie lautet nämlich die Diagnose im Clockworks Hospital. David lebt so dahin in der retrofuturistischen Heilanstalt mit Sechziger Jahre-Einschlag. Wobei: Wie viel Style das Hospital, wie viel Davids Kopf beiträgt, lässt sich erstmal nur spekulieren. Die Monotonie aus Gesprächsrunden und Medikamentenfrühstück wird aufgebrochen, als David die Patientin Syd (Rachel Keller aus Fargo Staffel 2) kennenlernt, die einen simplen Gedanken in Davids Hirn pflanzt: Was, wenn Davids Visionen ein Teil seiner Persönlichkeit sind, wenn sie ihn ausmachen? Was also, wenn nicht er die Anomalie ist, die Abweichung, sondern die Versuche von außen, seine Kräfte zu unterdrücken? "Do you wanna be my girlfriend", lautet Davids logische Reaktion. Doch als Syd entlassen werden soll, kommt es zu einem folgenschweren Zwischenfall.

Syd heißt eigentlich Sydney Barrett, so ähnlich also wie der erste Frontmann von Pink Floyd, der den The Piper at the Gates of Dawn besang. Ob auch Legion von einer psychedelischen Frühphase in den kontrollierteren Art-Rock-Mainstream aufsteigen wird, müssen die kommenden Folgen zeigen. Zunächst entführt uns die Serie in den Kaninchenbau von Davids Geist. In dem gehen von Serge Gainsbourg besungene Tanzeinlagen (Pauvre Lola) über in Verhörszenen mit einer sinistren Regierungsorganisation. Es liegt am Zuschauer, Traum, Vision und Wirklichkeit zu unterscheiden. Auf sich allein gestellt ist er nicht. Wie übrigens auch David, der dem Verschwinden seiner Freundin auf die Spur kommen will und dabei auch mal einen Pep Talk von Aubrey Plaza alias Lenny erhält. Als geneigter Parks and Recreation-Fan steigt einem der Neid in die Ohrenspitzen. Die Verhöre mit Hamish Linklaters geheimnisvoller Figur bieten eine strukturelle Rettungsleine im Tohuwabohu der knallig-surrealen Halluzinationen und des wabernden Gemurmels auf der Tonspur. Es geht um was in Legion, wenn die Kamera den Verhörraum verlässt und eine Horde Maschinengewehr tragender Spezialeinheitenheinis zum Vorschein kommt. Wie viel wir allerdings auf Davids Vision und Version der Geschichte vertrauen können, bleibt auch hier unklar. Immerhin tragen Linklaters Henchmen blaue Overalls und rosa Wollmützen.

Was nun nicht bedeuten soll, dass sich Legion ohne Rücksicht auf Verluste dem psychedelischen Exzess ergibt. Noah Hawley ist ein Geschichtenerzähler. Sollte all das, was im Pilot geschieht, einem chemischen Ungleichgewicht in Davids Hirn entspringen, dann ist wenig auszusetzen gegen weitere sieben Episoden, die von Synapsenende zu Synapsenende hopsen. Denn Davids Bemühen um Klarheit im Chaos, um Verständnis für seinen zermarternden Zustand, den mancher als Krankheit und mancher als Talent auffasst, bietet mehr emotionale Zugkraft als die gängigen Rache- und Daddie-Issues-Plots des Superheldengenres. Im Kino verlor die X-Men-Reihe zuletzt vor lauter Größenwahn ihre eigentlichen Stärken aus den Augen. Legion liegt trotz aufwendiger Set-Pieces nun wieder näher bei den Außenseitergeschichten aus X-Men - Der Film oder X-Men 2. Und könnte dem Franchise dringend nötige originelle Facetten hinzufügen.

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