Meinen ersten kulturellen Schock bekam ich wohl, als ich mich in der siebten Klasse befand. Eine Mitschülerin, von mir durchaus gemocht, wenn auch nicht geliebt, obwohl sich Heranwachsende doch eigentlich in alles verlieben, was zwei weibliche Beine hat und bis zur nächsten Klassenfahrt nicht schnell genug auf die Bäume rauf kommt, gestand frei heraus, das sie Musik in ihrem Leben nicht benötige, ja eigentlich für überflüssig hielt. Ein Schockmoment den ich bis heute glasklar vor mir sehe. Zwar war mir zu diesem Zeitpunkt meines kurzen Lebens schon bewusst, das es Menschen gibt die Musik nur nebenbei, nur im Radio hören, was schon als gedankliche Nuss ziemlich hart für mich war, aber musikalisches Zölibat, komplettes Desinteresse, das war unerhört, gotteslästerlich. Musik musste mit vollem Bewusstsein gehört, die ersten zwanzig Male mit den Texten vor den Augen, bis man alle Lieder im Schlaf singen konnte, später mit Mikrofon-Kamm in der Hand, und vor dem Spiegel goutiert werden. Ich meine, hey, wenn selbst Alf das so machte, dann machten das alle so, oder nicht? Jedenfalls war besagte Mitschülerin damals damit mehr ein Alien für mich, als es der haarige Melmacaner je sein konnte.
Wenn man dann eine Weile länger auf diesem Planeten wandelt, dann gewöhnt man sich an diese kulturellen Schocks, die an jeder Ecke lauern, und irgendwann, wenn man nicht gerade mit zehn Meter hohen Scheuklappen durchs Leben wandert, muss man sich der Erkenntnis stellen, das selbst Menschen die Scooter zum Frühstück goutieren oder ihre Freizeit mit den Werken von Rosamunde Pilcher gestalten, durchaus vernünftige Zeitgenossen sein können. Ein Eingeständnis, das einem gerade in jungen Jahren oft unglaublich schwer fällt, in Zeiten in denen die eigentliche Identifikation noch hauptsächlich über die Dinge, die man hört, sieht und trägt stattfindet, in der man gemeinsame Feindbilder kultiviert, weniger um zu hassen, sondern um sich selbst mehr zu mögen, aber spätestens wenn man entdeckt, dass verdammt viele dieser „Arschlöcher“ die eigenen Lieblingsfilme mögen, oder man im Plattenschrank seines besten Freundes vermeintliche Kellerleichen findet, beginnt dieses Verständnis zu bröckeln.
Meines wurde pulverisiert, als ich Lieblingsmenschen traf, die die gleichen weltlichen und politischen Ansichten, den selben Humor, die gleichen Aktivitäten mit mir teilten, aber musikalisch und in der Kinowelt sich komplett gegensätzlich zu mir positionierten. Da war der Kellerkai, dessen Spitzname ich nicht weiter erläutern werde, der sich aber hier wiederfinden dürfte, der über meine verhassten Sitcoms lachte, sich generell für keine Hollywoodkomödie zu schade war, und seine Gehörgänge gerne stundenlang mit dem ewig monoton Klicken digitalisierter Stumpf-Beats malträtierte. Und dessen Anwesenheit dennoch das Angenehmste war, was ich an Zwischenmenschlichkeit und Lachkrämpfen bisher erleben durfte. Und dann ist da natürlich meine Frau, meine über alles geliebte Frau, die David Lynch hasst, Stanley Kubrick ziemlich einschläfernd findet, mehr als die Hälfte meines Plattenschrankes nur mit der Kneifzange anfassen würde, und trotzdem das beste Alien in meinem Universum ist.