Mit The Cloverfield Paradox lässt Netflix die Muskeln spielen

06.02.2018 - 14:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
The Cloverfield ParadoxNetflix
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In der Super Bowl-Nacht zauberte Netflix The Cloverfield Paradox aus dem Hut. Nutzer und Journalisten staunten nicht schlecht über den Trick. Das steckt hinter dem weißen Rauch.

Film-Twitter explodierte nicht, wie Ava DuVernay in einem Tweet  prophezeit hatte. Aber die Bombe, die Netflix in der an Filmnachrichten ohnehin nicht armen Super Bowl-Nacht zündete, war schon eine gewaltige. Das in seinem Ton sonst so gefasste Branchenblatt The Hollywood Reporter  reagierte recht verwirrt auf die versteinernd plötzliche Veröffentlichung von The Cloverfield Paradox, der die üblichen Berichterstattungshürden ganz frech übersprungen hatte. Ein Zug, der die TV-Landschaft verändern könnte, befand THR in einem ersten Artikel, ohne zu wissen, was damit überhaupt gemeint sein könnte. Machtlosigkeitsvokabular schlich sich in die Berichtererstattung; der Launch von The Cloverfield Paradox sei "The biggest Shocker of the Super Bowl". Es fällt nicht schwer, sich den Netflix-Content-Strategen Ted Sarandos vorzustellen, genüsslich Popcorn mümmelnd, während sich sein Plan entfaltet. Netflix tauchte im Zusammenhang mit The Cloverfield Paradox erstmals vor kaum zwei Wochen auf. In kürzester Zeit also inszenierte der Streaming-Dienst einen Marketing-Stunt, der ihm weitere Skepsis einbringen wird - und sein enormes Disruptionspotential und seine Marktmacht unter Beweis stellt.

Der Marketing-Effekt: The Cloverfield Paradox ist ein großer Werbespot für Netflix

Für die Bekanntgabe, The Cloverfield Paradox werde ab sofort zum Streamen verfügbar sein, suchte sich Netflix einen der prominentesten und teuersten Werbeslots der prominentesten und teuersten Werbeveranstaltung im amerikanischen Fernsehen aus: Der Werbeblock nach dem Ende des Super Bowl, also dem Teil der Partie, den sich selbst die raren Football-Muffel geben. Für seinen Coup suchte sich Netflix die größtmögliche Reichweite und Bühne, die eben immer noch das gute alte Fernsehen bietet.

So bewirkte die Aktion zweierlei.

Mit der spontanen Aufnahme von The Cloverfield Paradox in sein Programm stürzte Netflix die Bestandskunden in einen Freudentaumel. Noch viel wichtiger waren aber die Zuschauer, die noch nicht bei Netflix untergekommen sind. Diesen hat Netflix seine Sexyness, seine Exklusivität und Attraktivität in einem Moment absoluter Wehrlosigkeit unter Beweis gestellt. Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive ist The Cloverfield Paradox ein leuchtender Köder für Noch-nicht-Netflix-Kunden, die von der coolen Seite des Unterhaltungskonsums noch nicht ganz überzeugt sind. In der andauernden Wachstumsphase sind Filme wie The Cloverfield Paradox für Netflix reiner Content, Pheromone für potentielle Netflix-Nutzer.

Auslöschung

Mit der Akquise von Filmen, die eigentlich ins Kino kommen sollten, fordert Netflix den TV-Markt noch aggressiver heraus. In Zeiten, in denen Vertriebsmodelle in Betracht gezogen werden, die Kinogänge komplett überflüssig machen würden, sie ablösen würden, ist Netflix mit seiner Content-Politik schon einen Schritt weiter. Netflix bringt das Kino (neben einer Unmenge an Serien) zum Stubenhocker. Gegen eine derartige Exklusivität und eine Finanzmacht von 8 Milliarden US-Dollar im jährlichen Produktionsbudget haben normale Networks keine Chance mehr. Netflix spielt in einer eigenen Liga, irgendwo zwischen großen traditionellen Networks wie CBS und Studiokonglomeraten wie Disney. Aber welche Filme holt sich Netflix da eigentlich? Es sind (noch) nicht die Filetstücke.

Paramount wurde The Cloverfield Paradox zu teuer

Dass Netflix Filme kauft, nachdem sie fertig produziert sind, und sich einfach nur um die Vermarktung und den Vertrieb kümmert, ist nicht neu. Meist kauft Netflix aber eher Independent-Filme. Etwa solche wie Fremd in der Welt, die auf größeren Festivals Aufsehen erregten und anstelle einer kurzen regulären Kinoauswertung in Programmkinos still und leise im Netflix-Katalog landen. Ungewöhnlich im Fall The Cloverfield Paradox ist der Vertriebspartner. Netflix kauft eigentlich keine Filme von großen Studios wie Paramount, einem der großen sechs Major-Studios, das sich normalerweise nicht von einem dahergelaufenen Internet-Dienstleister die Butter vom Brot nehmen lassen würde.

Wie schon beim im Dezember von Paramount an Netflix verkauften Auslöschung bekam Paramount kalte Füße. Damals fürchtete man, der Film sei zu intellektuell für ein breites Kinopublikum.

Aber hier, bei Cloverfield 3, kam Paramount die Gelegenheit Netflix gerade recht. Die Produktionsbiographie von The Cloverfield Paradox war kompliziert. Die ersten beiden Cloverfield-Teile kosteten das Studio unter 25 Millionen US-Dollar, was sie überhaupt erst profitabel und für ein Studio wie Paramount attraktiv machte. Die Gewinnmarge des oft verschobenen The Cloverfield Paradox schrumpfte jedoch mit jedem weiteren (Post-)Produktionsmonat. Am Ende beliefen sich die Kosten (vor Marketing) auf 40 bis 45 Millionen US-Dollar. Paramount schob den Film gerade rechtzeitig ab. Ihnen war der Film schlicht zu teuer geworden . Bei Paramount galt The Cloverfield Paradox als Altlast, ein vorprogrammierter Flop.

Bright

The Cloverfield Paradox ist kein guter Film, aber gut genug zum Streamen

Wie Vox  glaubt, wäre Cloverfield 3 wohl eher mäßig von Zuschauern, Blogs, Kritikern und Kritikeraggregatoren wie Metacritic aufgenommen worden (was sich nach den ersten Reviews bestätigt ). Womit ein Überraschungserfolg mit Mundpropaganda-Boost, wie bei den Vorgängern, nahezu ausgeschlossen gewesen wäre. Höchstwahrscheinlich wäre der kleine Genre-Film bei seinem angedachten Start im engen Filmkalender im Frühling (in dem Han Solo und The Avengers 3 starten) hoffnungslos untergegangen. Ein praktischer Nebeneffekt des Schock-Releases: Ein für Zuschauer abschreckender Kritiker-Backlash kann umgangen werden. Aber wirklich wichtig ist das nicht.

Bright schauten in den ersten Tagen 11 Million Nutzer, obwohl die Kritiken im Vorfeld entsetzlich waren. Der Verkauf von The Cloverfield Paradox an Netflix zeigt nach Bright einmal mehr: Ein schlechter Film ist dann wertvoller, wenn ihn zu konsumieren keine körperliche und logistische Anstrengung erfordert und gefühlt auch keinen finanziellen Aufwand. Ein nicht unerheblicher Teil der Nutzer konsumiert Netflix parasitär (was Netflix jetzt noch duldet, sehr bald aber wahrscheinlich nicht mehr). Der Rest bezahlt die sehr günstigen Sammel-Abonnements im Voraus, also quasi fiktiv, was den selben Effekt hat, wie mit Kreditkarte einkaufen zu gehen. Vom Himmel gefallener Netflix-Content fühlt sich so an wie ein Geschenk, was die grenzenlose Euphorie einiger Netflix-Nutzer  nach der The Cloverfield Paradox-Niederkunft erklärt. Wie wichtig ist die Qualität eines Films schon, wenn der Netflix-Nutzer zum Film kommt wie die Jungfrau zum Kind. Er ist wie das Schnäppchen im Supermarkt, es geht gar nicht um den Gegenstand selbst, sondern die unverhoffte Erbeutung.

Netflix warf einen Film, der vorher ein großes Geheimnis war, Millionen Abonnenten einfach so in den Schoß und erzielte damit einen großen PR-Effekt. Der wird mit jeder Wiederholung nachlassen. Netflix erschütterte den Markt, weil so etwas noch niemand jemals zuvor getan hat. Aber was heute eine Überraschung ist, ist morgen eine Erwartung, so tickt der Konsument, den sich Netflix erschaffen hat und gerade schamlos umgarnt. Um diesen verwöhnten Nutzer zufrieden zu stellen, muss Netflix bald mehr liefern. Das sollte vor allem der Konkurrenz Sorgen bereiten. Denn an hohen Erwartungen ist das Unternehmen bislang nicht gescheitert.

Was haltet ihr von der wilden Netflix-Strategie?

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