Overwatch im Test — "Danke, Blizzard."

27.05.2016 - 18:05 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Overwatch ist erste Shooter von Blizzard und konnte schon eine gigantische Community um sich scharen. Die Fans sind zahlreich, die Kritiker begeistert — und je länger ich mich mit dem Spiel beschäftige, desto mehr verstehe ich auch, warum.

Es ist Montagabend: Ich sitze in einem ausverkauften Kinosaal und sehe die Kurzfilme, die Blizzard im Laufe der letzten Wochen für ihr neues Spiel Overwatch veröffentlicht hat, auf der großen Leinwand. Ein riesiger Affe mit wohliger Bass-Stimme kämpft gegen einen maskierten Attentäter, der elegant durch die Luft schwebt.


Das Publikum lacht, flucht und applaudiert, obwohl die meisten von ihnen die Filme bereits kennen. Nach der Vorführung erzählen uns die Entwickler, wie viele Hinweise auf das tatsächliche Gameplay der Charaktere in den animierten Kurzfilmen steckt. Sie sparen nicht mit blumigen Superlativen, doch trotz der vielen schmeichelnden Worthülsen wird deutlich, wie viele kluge Ideen, Talent und Potenzial in Blizzards neuem Shooter steckt. Es ist ein erster Eindruck, den das Spiel nachträglich bestätigt: Overwatch ist eine Wucht.

Wenn MOBAs und Shooter Händchen halten

Hero-Shooter ist die wohl treffendste Beschreibung, um Blizzards neustes Multiplayer-Spiel zu beschreiben: 21 Helden kämpfen auf zwölf Karten in verschiedenen Spielmodi um den Sieg. So unspektakulär diese Zusammenfassung auch klingen mag, so viele innovative Ideen und liebenswerte Besonderheiten stecken hier im Detail.

Jeder der Helden ist höchst individuell konzipiert. Zwar lassen sich alle Figuren in eine von vier traditionellen Genre-Klassen wie Unterstützer oder Heiler einordnen, doch gleichen sich die Charaktere innerhalb ihres Aufgabengebietes kaum. Möchte ich beispielsweise als Tank spielen, der den größtmöglichen Schaden schlucken soll, so könnte ich mich zum einen für Winston, den riesigen Wissenschaftler-Affen, entscheiden. Mit ihm springe ich in die gegnerischen Reihen, verteile großzügig Stromstöße, während mich mein Schild vor Beschuss schützt: Chaos und Unordnung schaffen, das ist meine Aufgabe.

Auch DVA unterscheidet sich von ihren "Klassenkameraden" sehr.

Ich könnte mich allerdings auch für DVA entscheiden: Eine junge Frau, die in einem Mech sitzt, der mich ein bisschen an Dragonball Z erinnert. Mit diesem Gefährt bewegt sie sich langsam und durch Abwehrsysteme geschützt dem Feind entgegen, während sie Gegner mit einem beständigen Patronenschwall eindeckt. Alternativ kann sie ihren Mech explodieren lassen und spielt vorübergehend auf den eigenen Füßen weiter.

Das ist nur ein Beispiel, das zeigt, wie groß die Unterschiede zwischen den charmanten und abwechslungsreichen Helden geraten sind. Zwar fehlt ihnen im Spiel selbst eine gewisse Charaktertiefe, doch leidet darunter in keinster Weise der Spielspaß. Blizzard hat die Hintergrundgeschichten, Konflikte und Motivationen der Helden in Minifilme ausgelagert und zumindest für mich funktioniert diese Lösung sehr gut.

Alle Figuren haben eine spannende Vergangenheit, von der wir im Spiel allerdings nichts erfahren.

Selten beenden wir allerdings eine der recht kurzen Spielrunden mit dem Champion, den wir zu Beginn ausgewählt haben: Die taktische Tiefe von Overwatch fußt auf der Möglichkeit, nach jedem Ableben einen neuen Helden zu wählen, der für die aktuelle Situation besser geeignet ist. Damit sind Spieler der Teamzusammensetzung des Gegners nie hilflos ausgesetzt. Jeder Held kann gekontert werden und das sorgt für das überaus gelungene Balancing, welches enorm zum Spielspaß beiträgt.

Der ewige Kampf gegen den Frust

Spielspaß ist ein gutes Stichwort, um auf eine weitere Besonderheit von Overwatch hinzuweisen, die ich so in bisher keinem anderen Spiel erleben durfte: Blizzard bedient sich einer Vielzahl von Systemen und Mechanismen, um den Frust unter den Spielern während und nach einer Partie so gering wie möglich zu halten.

Wer Bastion spielt, ist oft dem Hass der Gegner ausgesetzt. Die fluten dann den Chat.

Haben wir eine unausgewogene Kombination verschiedener Helden im Team, weist uns das Spiel darauf hin und macht auch beratungsresistente Spieler auf andere Strategien aufmerksam. Kills, Abschüsse und damit die Einzelleistung sind dabei grundsätzlich nicht relevant. Um zu gewinnen, müssen wir in jedem Modus gemeinsam mit dem Team Ziele erreichen, nicht die meisten Spieler aufs Korn nehmen. Am Ende einer Runde lobt Overwatch schließlich die fünf besten Spieler und ihre besten Leistungen, während beide Teams für besonders beeindruckende Aktionen abstimmen können.

Ein Vergleich mit anderen Spielen zeigt noch deutlicher, wie eigen die Philosophie von Overwatch ist: In Call of Duty: Black Ops 3 dürfen die drei besten Spieler der Runde einige Sekunden lange Spottgesten ausführen, nachdem eine Punktetafel eingeblendet wurde. Alle anderen müssen dabei zusehen, überspringen dürfen wir die Szene nicht. Auch in Battleborn, dem jüngst erschienenen Overwatch-Konkurrenten, fordert uns das Spiel nach einem Abschuss zu einem Spott-Tanz auf, der dem Opfer dann eingeblendet wird. All diese klassischen "Ich Sieger, du Verlierer!"-Zuspitzungen suchen wir in Overwatch vergeblich — und das ist verdammt gut so.

Overwatch ist bunt — aber nie unübersichtlich.

Blizzard versucht wirklich alles, was in der Macht der Spielmechanismen steht, um ein frustfreies Erlebnis zu ermöglich. Und dennoch findet der Zorn mancher Spieler immer wieder ein Flämmchen, an dem er sich entzünden kann. Je weiter der Release zurückliegt und je mehr Spieler auf die Server strömen, desto häufiger muss ich mehr oder weniger kreative Schimpf-Tiraden im Chat mitlesen. Bisher kommuniziert Overwatch allerdings nicht eindeutig, wie diese Spieler gemeldet werden können, doch sicherlich wird dieses Versäumnis in naher Zukunft nachgeholt. Blizzard hat in den letzten Dekaden bewiesen, wie gut sie sich um ihre Spiele auch lange nach Release kümmern und Overwatch wird hier keine Ausnahme bilden. Das Spiel hat sich schon längst zu einem vielversprechenden Anwärter auf den besten Shooter des Jahres gemausert — ihn jetzt so einfach in die Hände eines kleinen, toxischen Teils der Community fallen zu lassen, wird sich das Team nicht erlauben.

Fazit

Overwatch macht Spaß. Mehr noch: Overwatch macht auch noch nach zehn Niederlagen in Folge Spaß! Grund dafür ist das durchdachte Spieldesign, das Frustmomente auszuschließen versucht und stattdessen Höchstleistungen belohnt. Blizzards Shooter verteilt nur Sieger- und Teilnehmer-Urkunden, wirkliche Verlierer scheint es nicht zu geben. Und diese fast durchweg positive Grundstimmung wird von dem fantastischen Design der Helden weitergetragen: Die 21 Charaktere spielen sich nicht nur höchst unterschiedlich, sondern bieten auch eine so vielfältige Auswahl an Spielfiguren an, wie wir sie in anderen Titeln nur selten zu sehen bekommen. Ganz großes Lob!

Gekrönt wird dieser positive Eindruck von der Tatsache, dass Mikrotransaktionen nur eine sehr hintergründige Rolle spielen: Pro Levelaufstieg erhalten wir gratis Lootpacks, die zufällige kosmetische Upgrades beinhalten. Geht uns das nicht schnell genug, können wir mit Echtgeld neue Lootpacks kaufen, der Überraschungsfaktor allerdings — und davon abgesehen das Balancing im Spiel selbst — bleibt erhalten.


Ich wiederhole mich: Overwatch macht Spaß, nahezu uneingeschränkt. Es zeigt, dass ein Shooter im Jahr 2016 jenseits von klischeebehafteten Spielfiguren, kopflosen Mikrotransaktionen und Gewaltorgien hervorragend funktionieren kann. Dem vielfältigen Lob schließlich, das Overwatch zu hören bekommt, will ich mich mit vielen Spielstunden im Rücken – und noch vielen weiteren vor mir – anschließen: Danke, Blizzard. Leb wohl, Freizeit.

Dieses Review wurde mit einem PC-Key erstellt, der uns vom Publisher zur Verfügung gestellt wurde.

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