Es ist noch gar nicht so lange her, da wurden VHS-Kassetten regelrecht ehrfürchtig unter der Schulbank weitergereicht, vielleicht gemopst vom großen Bruder, oder auf zwielichtigen Wegen erstanden. Denn abgerissene Körperteile, diverse Gegenstände, die ihren Weg in und aus Körpern finden, viel zu explizite (und nicht selten anatomisch unmögliche) Blicke in das Innere der Opfer, waren... nun, vielleicht nicht allesamt verboten. Aber es kam uns so vor!
Viel haben wir damals vielleicht nicht davon mitbekommen, aber was Größen wie Lucio Fulci geleistet haben, ist mehr als nur Ekel, Schrecken und auch ein bisschen Trash. Ihre Filme gehen nicht selten viel tiefer, ihr Horror ist viel bedeutsamer als nur die visuell eindrucksvolle Zerstückelung der Opfer. Betretet mit shortybuster den Keller vom Haus an der Friedhofsmauer - denn wahres, wirklich gutes Grauen ist immer und ohne Ausnahme mehr als abgetrennte Körperteile und die einfallsreiche Verwendung von Gedärm.
Der Kommentar der Woche von shortybuster zu Das Haus an der Friedhofsmauer
Der italienische Regisseur Lucio
Fulci hat sich in Fankreisen durch gewaltreißerische Streifen wie den New York Ripper oder diverse Zombi(e)-Streifen den Titel „Godfather of
Gore“ in Nachfolge des vorherigen Würdenträgers Herschell Gordon Lewis verdient. Mit seinem Haus an der Friedhofsmauer (1981) ging Fulci jedoch einen anderen Weg und beschränkte die Goreszenen zumindest auf
einige wenige, exaltierte Höhepunkte. Dennoch wird dieser Teil unter Fans
inoffiziell als dritter Teil einer Trilogie gesehen, die zusammen mit
The Beyond (Geisterstadt the Zombies/Über dem Jenseits) und City of the
Living Dead (Ein Zombie hing am Glockenseil) wahlweise mal als „Gates of
Hell“ oder „Doors of Death“ bezeichnet wird.
Alle drei Filme erschienen
relativ kurz aufeinander im Übergang von den 1970ern zu den 1980ern.
Entgegen der typischen Fulci-Filme aus dem Giallo-Bereich in den
70er-Jahren, oder den aus der Begeisterung für Romeros Dawn of the Dead entspringenden Zombiestoffen der 80er-Jahre ist Das Haus an der
Friedhofsmauer, trotz kleinerer Anleihen aus diesen Bereichen, eigentlich
als Haunted-House-Movie zu betrachten, was diesen Film sowohl
genrespezifisch, als auch chronologisch in die Nähe von Platzhirschen wie Amityville Horror (1979) und The Shining (1980) rückt.
Denn es ist ein besonderes Haus in Boston, das uns Fulci unzählige Male in voller Größe zeigt, in dem zu Beginn ein Doppelmord geschieht, und in das dann die kleine Familie Boyle aus New York einzieht. Natürlich allen Warnungen zum Trotz, die die Eltern allerdings nicht vernehmen, sondern nur Bob, der kleine Sohn der Familie, der in der Stadt einem rothaarigen Mädchen begegnet, das ihn immer wieder darauf hinweist, nicht ins Haus zu gehen. Und so zeigt sich auch bald, dass im dunklen, verschlossenen und mit Brettern versperrten Keller ein Monster haust....
Mit Haus an der Friedhofsmauer ist Lucio Fulci, trotz der üblichen narrativen Schwächen und Unzulänglichkeiten, die nicht nur seinen Werken, sondern generell vielen italienischen Horrorfilmen der 70er und 80er – zumindest aus amerikanisch geprägtem Filmverständnis heraus – regelmäßig wiederkehrend anhaften, ein furios inszenierter und dabei intelligenter und den Geist anregender Film gelungen. Dies begründet sich vor allem in der psychoanalytischen Lesart des Films, die sich regelrecht aufdrängt und daher gar als Absicht des Regisseurs verstanden werden kann.
Da wäre vordergründig zum einen natürlich die Figur des im Keller hausenden Dr. Freudsteins, dessen Name bereits auf den berühmten Begründer der Psychoanalyse verweist. Dazu passt zum anderen die Bedeutung des dunklen, und auf alle erdenklichen Weisen verrammelten Kellers, der ähnlich wie andere unterirdische Lokalitäten eine gängige Metapher für das Unbewusste, Undefinierte und Unverständliche im Menschen darstellt. Der Weg ins Unbewusste des eigenen Selbst ist beschwerlich und hindernisreich, denn die Kellertür als Barriere dorthin ist nicht nur mit Brettern vernagelt, auch das Schloss ist dermaßen widerspenstig, dass der Vater der Familie Boyle es nur sehr langsam, mit äußerster Hebelwirkung und Kraftanstrengung aufschließen kann.
Umso
stimmiger für den Film insgesamt erweist sich mit dieser Lesart auch
Fulcis eigenwilliger Inszenierungsstil, der episodenhaft und assoziativ
die Handlung um Kelleröffnung und -begehung vorantreibt, und damit der
diffusen Angst des Menschen vor sich selbst und seinem Inneren eine
angemessene Darstellungsweise gibt. Denn wie auch für Kant der Mensch
nicht nur die Welt um sich herum, sondern auch sich selbst nur
wahrnehmen kann, wie sie ihm bzw. er sich erscheint, so war auch Freud
der Ansicht, dass der Mensch sich selbst fremd sei.
Aus diesem
Fremdheitsgefühl erwächst eine diffuse Angst vor dem eigenen
Unterbewussten und Triebhaften als einem dunklen Keller des Selbst.
Diese Angst entsteht auch aus dem, was Freud unheimlich nennt – im
Unheimlichen steckt das Vertraute und Unvertraute zugleich, wenn eine
kindliche Vorstellung oder Wunsch (z.B. Kastrationsangst) einst
verdrängt wurde und nun wiederzukehren droht.
Eine derartige verdrängte Wiederkehr deutet auch der Film an, als Dr. Boyle von einem Bostoner Kollegen unvermittelt gefragt wird, ob sie sich kennen würden, weil er doch schon im letzten Jahr mit seiner Tochter in der Stadt war. Dr. Boyle verneint dies entschlossen und der Film scheint vordergründig nicht mehr darauf einzugehen. Der Begriff heimlich ist nun interessanterweise etymologisch gleichermaßen das beglückende Zuhause, wie das Verborgene, und so erweist sich das neue Haus der Familie Boyle als bedrohliches Un-Heim, in dem das Unvertraute im Verborgenen wechselweise unaufhaltsam an die Oberfläche tritt, bzw. dem sich die Figuren durch Abstieg in die Tiefe selbst nähern wollen.
Außerdem findet in Haus an der Friedhofsmauer, wie auch in den anderen, oben genannten Haunted-House-Filmen, notwendigerweise eine Übertragung des Unbewussten, Triebhaften oder schlechthin Bösen auf eine Person (Dr. Freudstein) statt, der dem unbeweglichen Haus und Keller als Agens dient. Fulci vermeidet es hier jedoch, im Stile von Kings Es individuell angepasste Figurationen abstrakter Ängste zu präsentieren, die jede Figur ganz eigen befallen. Denn er realisiert in der sozusagen deformiert-formierten Gestalt und gesichtslosen Gesichtigkeit des Dr. Freudstein eine schlichtweg unheimliche irrationale Macht, die für jeden qua Menschsein gleich und gleich wirkmächtig erscheint.
In diesem
Zusammenhang erscheint auch das Verhalten des Kindes der Familie Boyle,
das mehrmals in den Keller hinuntergeht, als schlüssig, insofern Kinder
allgemein noch deutlich unbefangener und unverstellter durch
gesellschaftlich auferlegte Normen, Regeln und Werte im Über-Ich
konditioniert und gemaßregelt sind.
Mit dem provokant und seltsam
zugleich anmutenden Schlusszitat, das Fulci Henry James in den Mund
legt, schließt sich der Kreis um das Kind, das seinem inneren Begehren
und der Abgründigkeit des Es, kurzum dem Monster in sich, (noch)
nähersteht als die Erwachsenen.
Den Originalkommentar findet ihr hier.