Parallelgeschichten - Schwulen-, Lesben-, Transporno

20.11.2013 - 09:20 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Die Harten und die Zarten
National General Pictures
Die Harten und die Zarten
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In Teil 5 der Reihe “Geschichte der Pornografie” geht es um Parallelgeschichten, die sich in den Schwulen-, Lesben- und Transpornos spiegeln. Hier werden Gegenbilder zur heterosexuellen Mainstream-Pornoproduktion entwickelt.

Im Grunde hat die Parallelgeschichte zum goldenen Zeitalter des heterosexuellen Pornofilms schon begonnen, bevor dieses selbst mit der Erkämpfung der Legalität infolge von Gerard Damianos Deep Throat so richtig Fahrt aufnahm. Und ganz am Anfang dieser Parallelgeschichte stand mit Wakefield Poole ein ehemaliger Balletttänzer aus Jacksonville, Florida. Oder nein – ganz am Anfang stand im Grunde William Friedkins Meisterwerk Die Harten und die Zarten (1970), das – seinerseits schon umstritten – Die Möglichkeit eines bürgerlichen, schwulen Lebens erstmals auf die amerikanischen Kinoleinwände brachte. Angesichts des durchaus selbstzerfleischenden Panoramas aus Marginalisierung und Selbsthass, das sich dort entfaltete, wurde es freilich auch bald Zeit für ein Gegenbild, und das lieferte Poole 1971 mit seiner dezidiert hedonistischen Variation auf Friedkins revolutionären Film: Boys in the Sand.

Im titelgebenden Sand wälzen sich die Jungs und Männer am Strand von Fire Island, einer Insel vor Long Island, die bis heute als eisntmaliges, paradiesisches Cruising-Areal für die schwulen Männer New Yorks berühmt ist. Poole braucht dafür keine Worte, keine Geschichten – seine Filme zählen nicht zu jenen Pornofilmen in der Peripherie des Goldenen Zeitalters, die sich über komplexe Dramaturgien dem narrativen Spielfilm anzunähern versuchen. Wakefield Poole ist stattdessen ein Poet und ein Humanist, denn in Boys in the Sand geht es, wie auch in späteren Großtaten, wie dem bedrückend schönen Bijou (1972), einzig um die rückhaltlose Zelebration von Schönheit, Genuss und Sexualität.

Die gefühlte Freiheit der Cruising-Spots, die auch Alain Guiraudie jüngst erst in seinem großen Wurf Der Fremde am See feierte, ist tief in die drei Sexszenen von Boys in the Sand eingeprägt: die noch von der Verwerfungen von AIDS unberührte, selbstbewusste und sich zunehmend emanzipierende schwule Sexualität der frühen 1970er Jahre hatte ja seit jeher viel mit der größtmöglichen Abwesenheit von Zweckgebundenheit zu tun: eine Sexualität, die nichts mehr mit der Bestandssicherung der Menschheit zu tun haben musste und wollte, eine Sexualität, die ohne Einschränkung nur noch für den Genuss ausgeübt wurde – jenseits der in historischer Perspektive von Grund auf heterosexuellen Konzepte von Familiengründung und/oder romantischer Zweierbeziehung.

Wie schon der Hetero-Pornofilm erlebte auch der schwule Porno in der Folge eine Blütezeit, die wesentliche und aufregende Auteurs hervorbrachte: Fred Halsted, der mit roh-ungeschliffenen, avantgardistischen SM-Pornos, wie (dem mittels der Integration einer Heteroszene die Grenzen sexueller Orientierungen überschreitenden) Sex Garage (1972) oder Sextool (1975), die Grenzen zwischen Porno und Experimentalfilm fortwährend ausweitete, oder Jack Deveau, der mit ausgefuchsten Narrativen in Filmen wie seinem (ebenfalls eine Heteroszene inkludierenden) Debüt Left-Handed, dem New Yorker Roadmovie Drive oder dem Meisterwerk A Night at the Adonis ambitioniertes, komplexes (Porno-)Kino inszenierte.

Später, im Laufe der 1980er Jahre, wurde der schwule Pornofilm zunächst noch wesentlich stärker als sein Hetero-Äquivalent von der AIDS-Krise gebeutelt und auch grundsätzlich in Frage gestellt. Die ewig schwelende Frage nach bareback oder safer sex schwebt bis heute als Damoklesschwert stetig darüber. Der schwule Pornofilm nahm im Grunde aber eine ähnliche Entwicklung und erfuhr, nach einer künstlerischen Hochphase, eine erbarmungslose Kommerzialisierung. Durch die selbstverständliche Präsenz von Pornografie in der schwulen Kultur stellte sich bald ein nennenswerter Bedarf entsprechender Bilder ein, der von einer ebenfalls größtenteils streng kommerziellen Prinzipien folgenden Produktionsindustrie erfüllt wurde, welche freilich heute, wie auch die heterosexuelle Mainstream-Pornoproduktion, unter der Allgegenwart der Pornografie im Internet ächzt.

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