Rainbow Six: Siege ist kein schlechtes Spiel — aber Door Kickers ist besser

01.12.2015 - 18:45 Uhr
Rainbow Six: Siege vs. Door Kickers
Ubisoft / KillHouse Games
Rainbow Six: Siege vs. Door Kickers
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Rainbow Six: Siege musste auf der Zielgeraden in den vergangenen Monaten mit vielen Problemen kämpfen. Ich habe den Titel seit der Alpha begleitet und will euch erklären, wieso ich von der Entwicklung des Shooters enttäuscht bin und mittlerweile ein anderes, aber ähnliches Spiel bevorzuge.

Vor fast acht Monaten befand ich mich an einem ganz ähnlichen Punkt wie jetzt: Statt allerdings wie damals ein Fazit der Alpha von Rainbow Six: Siege zu ziehen, habe ich nun einige Stunden mit der Beta des Spiels hinter mir, die die finale Version der spielbaren Geiselbefreiung in etwas abgespeckter Form präsentiert.

Nach einigen Spielstunden fraß sich schließlich mein Fazit in den Notizblock: Ich bin unterwältigt. Schlimmer noch: Das Rainbow Six-Team hat mich und meine knappe Freizeit nach langem Kampf um mein Interesse an ein anderes Spiel verloren. Das Entwickler-Team hat es in meinen Augen nicht geschafft, den traditionellen Reiz des Franchises in den Mittelpunkt zu rücken: Teamwork. Und an diesem so grundlegenden Problem wird auch die Vollversion nichts mehr ändern können. Daher will ich euch erklären, wie ich zu meinem Fazit kam, mit welch großer Vorsicht Reviews zu Rainbow Six: Siege momentan genossen werden müssen — und warum das mittlerweile zwei Jahre alte Door Kickers eine fantastische Alternative ist.

Aller Anfang ist schwer — und bleibt schwer?

Zu Beginn meines emotionalen Leidenswegs stand ein vielversprechende Auftakt: Im Rahmen der E3 2014 belebte die überraschende Ankündigung von Rainbow Six: Siege das Taktik-Shooter-Genre wieder, das seit 2006 und Tom Clancy's Rainbow Six Vegas keinen wirklichen Superstar mehr vorzeigen konnte. Als großer Fan der schleichenden Kimme-Korn-Kombination zählte ich die Tage bis zum Start der Alpha und schlug mit mir meinem Kollegen Phil Tag und Nacht um die Ohren. Diese erste Testphase endete schließlich — und wir kehrten mit langen Gesichtern in die Redaktion zurück.

Zumindest auf diesem Bild scheint das Teamwork zu funktionieren.

Meine Kritik an der Alpha  drehte sich um eine grundlegende Design-Entscheidung: Das Spiel war schnell, zu schnell für einen Taktik-Shooter.

So spielt nun im Gegensatz zu den Vorgängertiteln das sogenannte Run and Gun, also das schnelle, fast blinde Aufeinanderstürmen, eine wesentlich größere Rolle: Die größte Schuld an dieser grundlegenden Änderung des Spielgefühls trägt die deutlich größere Resistenz der Spieler gegen Feindbeschuss. Statt nach schon einem Schuss aus der Runde auszuscheiden, steckt mein Soldat nun so viele Treffer weg, dass ich mir einen offene Schießerei leisten kann. Durch die so erhöhte Geschwindigkeit in den einzelnen Runden wird der Sinn vieler Gadgets, die von jedem Mitstreiter zusätzlich zu den Waffen ins Feld geführt werden, ad absurdum geführt.

Vier Monate später durfte ich auf der gamescom erneut einen intensiven Blick auf eine fortgeschrittenere Version von Rainbow Six: Siege werfen und stellte angenehm überrascht fest, dass viele übermächtige oder verwirrende Gadgets der Alpha aus dem Spiel entfernt wurden, während an der allgemeinen Übersichtlichkeit sichtbar gefeilt wurde. Allerdings scheiterte Ubisoft auch in dieser neueren Version, die taktischen Kämpfe der Geiselbefreiung von ihren Konzept-Blättern auf den Bildschirm zu übertragen. Einsame Wölfe hatten hier immer die Nase vorn. Der Anreiz für die versammelte Presse, tatsächlich ihr Headset zu benutzen und im Team zu arbeiten, war nicht groß genug.

Eine neue Taktik

Ubisoft musste das Ruder in die Hand nehmen, um die Wogen zu glätten und die zunehmend kritischen Stimmen wieder verstummen zu lassen. Der Publisher verschob also den Release des Spiels um sechs Wochen nach hinten und füllte den so entstandenen Freiraum mit einer neuerlichen Beta, die den Teilnehmern in einem umfangreichen Tutorial  die Grundzüge des taktischen Spielens beibringen sollten.

Rainbow Six: Siege hat sich im Laufe seiner Entwicklung stark gewandelt.

Doch auf die Effekte dieser spielmechanischen Umschulung der Community wollte sich der Publisher offenbar nicht alleine verlassen: Auch die Presse sollte davon überzeugt werden, dass die Entwickler die Probleme des Spiels endlich in den Griff bekommen und korrigiert haben.

Im Rahmen der Weihnachtstour des Publishers präsentierte Ubisoft in einigen ausgewählten Städten der geladenen Presse noch einmal ihre Highlights des Jahres. Neben Assassin's Creed: Syndicate durften wir auch Rainbow Six: Siege spielen — allerdings nicht unter Realbedingungen im lokalen Multiplayer, sondern lediglich gemeinsam mit den Entwicklern offline gegen die KI. Ein wirkliches Austesten der Verbesserungen im Vergleich zur gamescom war damit nicht möglich.

Eine ganz andere Stimmung herrschte allerdings auf dem offiziellen Review-Event in London, wo ausgesuchte Magazine mehrere Stunden im lokalen Multiplayer mit anderen Anwesenden das Spiel intensiv antesten durften. Wie Kollegen berichten, wirkte das Event dort wie eine gigantische Teambuilding-Maßnahme, um so die Hemmschwelle, tatsächlich auch später an den Bildschirmen ins Headset zu sprechen, zu senken.

Das stundenlange gemeinsame Taktieren mit Kollegen spielte offenbar alle Stärken von Rainbow Six: Sieg aus, das auch auf der heimischen Couch in genau einer solchen Situation am unterhaltsamsten ist: Gemeinsam verbunden mit Freunden. Kein Wunder also, dass die in diesem Rahmen entstandenen Review-Texte den Teamplay-Faktor des Spiels endlich lobend erwähnten — Neugierige, die in ihren eigenen vier Wänden und auf das Matchmaking angewiesen nach Spielspaß suchten, erlebten ein völlig anderes Rainbow Six: Siege. Nicht wenig überraschend waren die Beta-Spieler in den Weiten des Internets alles andere als kooperativ und ausgesprochen sprechfaul. Im Sinne eines Tests waren das im Gegensatz zum Review-Event allerdings Realbedinungen — und in diesem Szenario scheiterte Rainbow Six: Siege erneut.

Rainbow Six: Siege ist nicht schlecht — aber auch nicht sonderlich gut

Wenn ihr nicht gerade fünf, noch besser aber neun Freunde für einige Runden zusammentrommeln könnt, müsst ihr euch auf euer Matchmaking-Glück verlassen, kooperative und kommunikative Team-Mitglieder zu finden — und die meisten von uns wissen, wie schwierig dieses Unterfangen sein kann. Die Aufgabe eines guten Multiplayer-Spiels wäre es hier, diesen natürlichen Mangel an Willen zur Zusammenarbeit mit spielmechanischen Belohnungen auszugleichen, die uns geradezu dazu zwingen, Pläne zu schmieden und gemeinsam zu spielen.

Teamwork funktioniert mit Frenuden am besten — aber das ist nur selten der Regelfall.

Das allerdings hat Rainbow Six: Siege nach Monaten nicht in den Griff bekommen. Der Spielspaß des Titels hängt deutlich von eurem Rest-Team ab. In nicht seltenen Fällen nutzen diese sogar das eingeschaltete Friendly Feuer zu eurem Nachteil aus. Zumindest scheint Ubisoft gegen diese gehäuften Schüsse in den Rücken ein Mittel gefunden zu haben — allerdings will der Publisher seine Lösung dieses neuen Problems noch nicht verraten.  Bis wir in dieses Geheimnis also eingeweiht werden, entscheidet unser Glück und das Matchmaking-System, ob wir sehr viel oder gar keinen Spaß mit Rainbow Six: Siege haben.

Ich persönlich habe an diesem Punkt Abschied von dem Spiel genommen — auch, da ich dank des zeitgleich stattfindenden Steam-Sales auf einen Ersatz gestoßen bin, den ich euch nicht unbedingt anstelle, aber für die Enttäuschung nach den ersten Runden von Rainbow Six: Siege ans Herz legen möchte: Door Kickers.

Door Kickers hat all das, was Rainbow Six: Siege fehlt

Door Kickers ist eine zweidimensionale Umformulierung des Spielgefühls, für das die Rainbow Six-Serie seit Jahren stand: Als Anführer eines taktischen Einsatzkommandos müsst ihr in unterschiedlichen Leveln Geiseln befreien und die Übeltäter festnehmen — oder eliminieren.

Der größte Unterschied zum AAA-Konkurrenten von Ubisoft ist die Vogelperspektive. Ihr müsst zwar auf die naturgemäß fesselndere Ego-Perspektive verzichten, erhaltet allerdings eine taktische Ansicht des Geschehens, die Door Kickers genau zu dem macht, was Rainbow Six: Siege trotz aller Versuche wohl nicht mehr sein wird: ein taktischer Shooter, in dem das Leben jedes einzelnen Soldaten schwer wiegt, Räume Schritt für Schritt gesäubert und jeder Schritt vorsichtig geplant werden muss. Zudem gibt es keinen Multiplayer-Modus. Jeder Einsatz wird alleine von euch geleitet, was die Schwierigkeit der Kommunikation durch die Herausforderung der Organisation ersetzt. Und bietet euch das Spiel keine Herausforderungen mehr, könnt ihr im Level-Editor eigene Kampagnen und Szenarien basteln.

Door Kickers ist ein Taktik-Shooter durch und durch.

Die Zukunft von Rainbow Six: Siege ist ungewiss, doch die Startbedingungen sind schlecht. Bis sich die hausgemachten Probleme gelöst haben, empfehle ich euch einen Blick auf Door Kickers, das derzeit für nur einen Bruchteil eines Vollpreistitels auf Steam  verfügbar ist. Eure Freizeit und eurer Geduldsfaden werden es euch danken.

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