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Shut Up And Sing?

04.04.2019 - 13:39 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Promo Poster Shut Up And Sing
Dixie Chicks
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Der Pöbel hetzt und die Frauen arbeiten

Warum ist das heute ein wichtiger Film?

The Dixie Chicks: Shut Up & Sing ist relevant. Weil spätestens seit der Wahl von Donald Trump, nach dessen Twitter-Stürmen und nach dem Aufkommen des (meist rechten-) Populismus auch in Europa Politik und öffentlicher Meinungsaustausch zu einem hysterischen Gezerre geworden sind, das im Wesentlichen von "Meinungen" in den öffentlichen Medien bestimmt wird. Und der Film dokumentiert einen derartigen Vorgang und dessen Auswirkungen schon 2006 - genau 10 Jahre, bevor es damit im großen Stil los ging.

Was hat das mit Meinungsfreiheit ("Freedom Of Speech") zu tun?

Meinungsfreiheit nach amerikanischem Vorbild ist deutlich aggressiver als eine öffentliche Diskussion in europäischen Medien alter Schule. Da wird gehetzt, beleidigt, verleumdet - durchaus auch im Namen Gottes oder der USA. Man kann das sehr schön auf dem folgenden Bild sehen, dass ich im Herbst 2016 in New Orleans aufgenommen habe. Da demonstrieren ultrarechte Christen gegen eine homosexuelle Parade:

Fanatische Christen demonstrieren gegen Homosexuelle (New Orleans, USA - 2016

Ähnlich erging es Sängerin Natalie Maines mit ihrer Äußerung bei einem Londoner Konzert, die Band sei „beschämt, dass der Präsident der Vereinigten Staaten  aus Texas stamme“. Gemeint war George W. Bush, der gerade (wie wir heute wissen auf Grundlage erfundener Massenvernichtungswaffen) die US-Armee im Irak hatte einmarschieren lassen. Aus heutiger Sicht hatte sie Recht: Die Popularität von Bush sank dahin, tausende amerikanischer Soldaten starben in einem sinnlosen Krieg. Die Äußerung von Maines (unbedacht und impulsiv daher gesagt, aber letztlich nicht weltbewegend) wurde von der gut organisierten Masse rechtskonservativer Country-Fans und Populisten in den USA zum Anlass genommen, mit Anrufen bei Radiostationen, Demonstrationen bei Konzerten, Morddrohungen, und Boykottaufrufen gegen die Band vorzugehen. Ein mir bis dahin unbekannter Country-Barde namens Toby Keith zeigte mit einer Fotomontage Natalie Maines zusammen mit Saddam Hussein auf Tour . Freedom of Speech - aber auch furchterregend und brutal.

Was ist mit Country?

Die pikante Note dieses Skandals ist, dass die Dixie Chicks mit Ihren ersten zwei Major-Alben der außerhalb der reinen Tradition tot geglaubten Countrymusik nicht nur in Europa, sondern auch in den USA zu einem neuen Publikum verholfen hatten - Fans wie mir und vielen Freunden, die bis dahin mit moderner Countrymusik überhaupt nichts am Hut hatten. Diese (neuen) Fans blieben der Band treu. Aber ökonomisch hingerichtet wurde die Band von der Masse der (alten) Countryfans, die sich in ihren patriotischen Gefühlen verletzt sah. Heute wären ein solcher Skandal und dessen wirtschaftliche Folgen nicht an ein bestimmtes Publikum gebunden. Nach MeToo und Missbrauchsdiskussionen in allen Bereichen der Populärkultur ist Verdammung nicht mehr an eine Musikrichtung gebunden.

Und die Frauenfrage?

Die Dixie Chicks waren die erfolgreichste Frauenband aller Zeiten. Mehr verkaufte Alben als jede andere weibliche Band. Und darauf legt der von zwei Frauen gemachte Film Wert. Und zeigt, dass Frauen auch Männer beschäftigen, bezahlen und lieben können, ohne ihr Geschäft zu vernachlässigen. Und solidarisch sein können, wenn es Ärger gibt. Auch wenn zwischendurch Zwillinge geboren werden müssen oder man als Band das Risiko für eine große Tournee mit mehr als 50 Beschäftigten übernommen hat, bei der sich die Kosten auf einen ordentlichen zweistelligen Millionenbetrag summieren. Working girls - der Film ist ganz dicht dabei. Und das ist teilweise sehr anrührend, manchmal sogar intim.

Und die Musik?

Ist wunderbar. Der Film entstand auf dem damals vorläufigen Höhepunkt der Band, mit zwei exzellenten Alben im Gepäck, gespielt von Musikerinnen, die ein Studium am renommierten Berklee College of Music hinter sich haben (Maines) oder fast 20 Jahre Erfahrung als professionelle Musikerinnen (Robison und Maguire). Es gibt immer nur kurze Ausschnitte, Beobachtungen im Studio, auch Gespräche über die Musik - dies ist kein klassischer Musikfilm, wo jeder Hit ausgespielt wird. Macht aber trotzdem Spaß. Stefan Raab wusste schon, warum er die Dixie Chicks für zwei Termine seiner Show hintereinander einlud.

Was sagt uns das heute?

Genau das Gegenteil vom Titel: Mach das Maul auf (und sing trotzdem). Der Film zeigt aber auch ganz schön, wie Hetze mit Hilfe der Medien funktioniert. Und wie frau es schaffen kann, daran jedenfalls persönlich nicht zugrunde zu gehen.

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