Sieben und die Abgründe in uns

25.07.2011 - 08:50 Uhr
Aktion Lieblingsfilm: Sieben
New Line Cinema/ moviepilot
Aktion Lieblingsfilm: Sieben
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Aktion Lieblingsfilm inspiriert viele von euch dazu, mit uns zu teilen, welcher euer Lieblingsfilm ist und wie ihr euch in ihn verliebt habt – auch mit ein paar Spoilern. So, der Wunsch des Users, eine Warnung auszusprechen, wurde erfüllt, jetzt genießt den Text.

Neben objektiven Kriterien wie Story, Schauspiel oder Regie, die einen guten Film auszeichnen, zählen vor allem die subjektiven Eindrücke. Wenn die Gefühle des Zuschauers angesprochen, in manchen Fällen sogar strapaziert werden, hat er das Zeug zum Lieblingsfilm. Denn: “Liebe ist anstrengend, sie kostet Mühe und Arbeit”. Und am meisten beeindruckt hat mich David Fincher mit Sieben, besonders das Ende hat mich – wie John Doe es formulierte – mit dem Vorschlaghammer getroffen.

Zu Beginn finde ich mich in einem üblichen Thriller wieder, die beiden Hauptpersonen sind Hüter des Gesetzes. Spätestens nach dem zweiten Mord schlüpft man selbst in die Polizistenrolle, immer auf der Suche nach Hinweisen. Die Anzahl der Opfer nimmt stetig zu, die schockierenden Szenen ebenfalls. Zudem zerrt die düstere Atmosphäre an den Nerven: Es regnet ständig; alles wirkt eng, laut und hektisch. Schon bald ist klar, wer hier wirklich die Fäden zieht, nämlich der unbekannte Serienkiller. Er spielt mit der Polizei, lässt versteckte Hinweise zurück und gibt so stets die Richtung der Ermittlung vor. Zudem bleibt er trotz zweier Auftritte lange unerkannt, womit den Machern ein besonderer Kniff gelingt. Sogar vor dem Kinostart sowie auf DVD-Hüllen wurde darauf verzichtet, mit dem Namen eines Oscar-Preisträgers zu werben. So bleibt er ohne Gesicht, erst als die Ermittler seine Wohnung durchsuchen, bekomme ich Einblicke in seine Psyche. Trotzdem verfehlt er seine Wirkung als Bösewicht nicht, dabei kann man keine seiner Taten auf der Leinwand beobachten, die Brutalität spielt sich viel wirkungsvoller nur in den eigenen Gedanken ab. Wie sagt es Detective Somerset so treffend: “John Doe ist uns überlegen”.

Damit komme ich zu den Polizisten. William Somerset, dessen Rolle Morgan Freeman wie auf den Leib geschrieben ist, besitzt die nötige Erfahrung und Ruhe. Er kann zwar dessen Taten nicht gutheißen, doch er bemerkt Johns Intelligenz und Willensstärke, versteht dessen Absichten. Detective Mills dagegen kann den Fall nur begreifen, indem er den Mörder als totalen Irren abstempelt. Dies sind zwei sehr gegensätzliche Ansichten, ich als Zuschauer finde mich wohl irgendwo dazwischen wieder. Dennoch bilden sie ein gutes Team, mit Somerset als Mentor. Während Mills die Fakten der Morde durchgeht, sucht sein Partner in der Bibliothek nach Informationen zu den sieben Todsünden, um sein Täterprofil zu erstellen. Schließlich gelingt es Somerset, John Doe ausfindig zu machen, der überrascht ist und das einzige Mal in Bedrängnis gerät. Nach einer packenden Verfolgungsjagd schafft er es aber Mills zu stellen und ihm eine Pistole an den Kopf zu halten, doch er verschont ihn. Allerdings nicht aus Leichtsinn, wie man es von vielen Bösewichten aus anderen Filmen kennt, sondern weil er seinen Plan vollenden will. Und Mills hat er sich schon längst als Opfer ausgewählt, wie die Fotos in seiner Wohnung beweisen. Nach weiteren Morden stellt sich Doe sich freiwillig der Polizei, erst jetzt sieht man, wer sich hinter der Fassade verbirgt. Es ist ein glatzköpfiger Kevin Spacey, der wirklich alles aus seinem eher kurzen Auftritt herausholen kann, welcher das Highlight des Films darstellt.

Unter dem Vorwand, ihnen die letzten beiden Leichen zu präsentieren, fährt John Doe mit seinen Widersachern hinaus in die Wüste. Hier gibt es einen starken Bruch in der Atmosphäre: Zum ersten Mal scheint die Sonne, vom Trubel der Großstadt geht es hinaus in die einsame Ödnis, die durchzogen ist von Stromleitungen, unterhalb derer sogar der Funkkontakt zum Polizeihubschrauber abbricht. Auf der Fahrt dorthin erläutert Doe sein Vorhaben, die Sünden gegen ihre Sündiger zu kehren. Er provoziert Mills mit seinem Verhalten, auf den sich die Handlung zunehmend fokussiert. Während ich anfangs eher auf der Seite von Somerset stand, kann ich mich immer mehr mit Brad Pitt in seiner Rolle als Mills identifizieren. Er bezeichnet John Doe als größenwahnsinnig und geisteskrank und verurteilt ihn scharf für seine Taten. Somerset dagegen kann dem ganzen Treiben ab hier nur noch hilflos zusehen. Er entdeckt schließlich das sechste Opfer: Tracy Mills! Ihre gut ausgearbeitete Rolle ist in der sündenverseuchten Großstadt, wo sie sich nie wohlgefühlt hat, so etwas wie die gute Seele gewesen. Umso größer wächst in mir genau wie in David Mills der Zorn auf den Psychopathen, man wünscht Vergeltung für seine Taten. Dass Mills sich in dieser Situation am Mörder seiner Frau rächt und mit der 7. Sünde das Werk vollendet, ist unausweichlich.

In mir selbst machen sich dagegen gemischte Gefühle breit. Plötzlich gehöre ich selbst zu den Sündern, die man vorher noch verachtet hat. Gleichzeitig verstehe ich die Aussagen Does, der der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Ich bewundere ihn sogar ein wenig für seine Taten, schließlich ist sein eigener Tod Teil des Plans, er lässt sich selbst bestrafen. Alles, was er vorhergesagt hat, ist eingetreten. Ich fühle mich ähnlich schuldig und frustriert wie Mills, der gerade in einem Polizeiwagen abtransportiert wird. Doch nach dem grandiosen Schlusszitat bekomme ich wieder Mut und freue mich über den tollen Film, der mich so überwältigt hat.


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