Stefan Raabs ESC-Comeback hat sein ganzes TV-Erbe ruiniert – es ist einer der größten Fehler der jüngeren Fernsehgeschichte

Wenn ein TV-Star nach großer Ankündigung scheitert, ist es einfach, über ihn herzuziehen. Bei Stefan Raab sollten wir diesen Fehler jedoch nicht begehen. Seine Innovationskraft im deutschen Fernsehen sucht seinesgleichen – und das war nicht mal seine einzige Leidenschaft. In der Musikbranche förderte er unzählige Talente, die immer noch Erfolge feiern. Seine Misserfolge beim ESC und im Fernsehen sind daher kein Grund zur Schadenfreude – ganz im Gegenteil: Es macht mich unendlich traurig.

Stefan Raab modernisierte das deutsche Fernsehen

Stefan Raab wurde durch VIVA bekannt und berühmt. Er feierte in den 90er-Jahren seine ersten Charterfolge und etablierte sich beim ESC. Er bewies sein Gespür für Popkultur und lieferte den Deutschen das, was sie wollten: anspruchslose Unterhaltung. Dem setzte er mit TV total schließlich die Krone auf, als er mit seiner eigenen Interpretation von Late Night TV dem Publikum zeigte, wie – im besten Sinne – stumpfsinnig deutsches Fernsehen sein kann.

Bei Spiel- und Eventshows wie Schlag den Raab oder der Wok-WM bei ProSieben zeigte sich Raabs Innovationstalent. Er sorgte für stundenlange Abendunterhaltung und machte namhaften Shows wie Wetten, dass..? Konkurrenz. Bei Schlag den Raab wurde mir auch früh bewusst, wie ehrgeizig Stefan Raab sein kann. Wie verbissen er bei jeder Ausgabe um den Sieg spielte, gab ebenso Einblick in seine Persönlichkeit wie die pure, unverfälschte Wut, falls seine Niederlage mal äußeren Umständen geschuldet war. Für Raab zählte nur der Sieg.

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Raab stellte sein Ego hinten an und beendete plötzlich seine Karriere

Kein Wunder, dass Raab mit solch einem Ehrgeiz Deutschland 2010 zu seinem zweiten Sieg beim Eurovision Song Contest verhalf. Er förderte Gesangstalente in Deutschland – weit über den ESC hinaus. So entdeckte er bei SSDSDSSWEMUGABRTLAD, die als humorvolle Kampfansage an DSDS gedacht war, mit Stefanie Heinzmann ein Pop-Talent, das selbst heute noch Erfolg hat.

2015 geschah dann aus dem Nichts das Unvorstellbare: Der Titan, der sein TV-Erbe zementierte und sich beim ESC immer einen Platz in der Top 10 gesichert hatte, beendete seine Karriere. Er ging aber noch einen Schritt weiter: Er zog sich fast vollständig aus der Öffentlichkeit zurück – ein kaum vorstellbarer Schritt in einer Zeit, in der zahlreiche Promis ihr Privatleben bereitwillig in den sozialen Medien präsentieren.

Raabs Comeback war von Anfang an zum Scheitern verurteilt

Neun Jahre später kündigte Stefan Raab sein TV-Comeback auf RTL an. Mit den gleichen Showkonzepten und mit dem gleichen Stefan Raab wie vor 20 Jahren war seine Rückkehr ins deutsche Fernsehen eigentlich zum Scheitern verurteilt. Doch Raab sucht zumindest den Anschluss an die gegenwärtige Popkultur, wenn er auf Konzerten von Ski Aggu auftritt oder Fitness-Influencerinnen wie Pamela Reif einlädt.

Stefan Raab wirkt dabei wie geschaffen für RTL und hat durch Gastauftritte bei Exclusiv oder Let’s Dance gezeigt, dass er schon immer für den Sender hätte arbeiten können. Gleichzeitig steht er immer noch im Schatten seiner Vergangenheit bei ProSieben. Dort war er nicht nur das Aushängeschild des Senders, sondern führte ihn zu ungeahntem Erfolg. Bei RTL ist Stefan Raab nur einer von vielen.

Seinen Spielshows – selbst jener mit Bully Herbig – mangelt es am Eventcharakter. Dabei zeigt die Konkurrenz bei ProSieben mit Wer stiehlt mir die Show? oder Joko & Klaas gegen ProSieben, wie man das Show-Genre nicht nur originell gestaltet, sondern auch ikonische TV-Momente für die Ewigkeit zaubert. Und was macht Raab? Die von TV total kopierten "Nippel-Clips" wirken in seiner RTL-Show heutzutage eher unnötig, wenn es mittlerweile auch schon TikTok-Reactions gibt. Warum brauche ich dafür einen Stefan Raab?

Stefan Raabs TV-Erbe wird zum Trauerspiel

Es liegt daher nahe, dass Raab erneut am ESC teilnehmen wollte. Er plante damit, nicht nur an Deutschlands frühere Erfolge anzuknüpfen, sondern an seine eigenen. Die Wahl des umstrittenen Popsongs "Baller" von Abor & Tynna mochte Geschmackssache sein, allerdings beendete Deutschland den ESC auf dem 15. Platz. Damit erreichte Stefan Raab seinen persönlichen Tiefpunkt im Musikwettbewerb und schnitt sogar noch schlechter ab als der deutsche Beitrag des Vorjahres. Für Musikgenie und Gelegenheitsboxer Raab war das ein Schlag ins Gesicht.

Statt Häme spüre ich angesichts dieses Comebacks vor allem Mitleid. Stefan Raab wollte es, ähnlich einem Spitzensportler nach dem Höhepunkt seiner Karriere, noch einmal wissen. Er scheiterte aber an seinem eigenen Ehrgeiz. Anstatt seiner legendären TV- und Musikkarriere einen krönenden Abschluss zu verleihen, beginnt er nun, sein eigenes Denkmal einzureißen. Schlimmer noch: Er verwandelt das Bild des unantastbaren TV-Titans in eine traurige Figur des modernen deutschen Fernsehens.