Ulrich Tukur hat sich zwischen Abstechern ins Kino und Nico Hofman -Produktionen mal wieder auf seine Tatort -Spielwiese begeben. Gemeinsam mit Regisseur Justus von Dohnányi taucht er in Tatort: Schwindelfrei ins Zirkusleben ab. Ganze zwei Jahre ist es her, dass die beiden mit der amüsanten Halluzination und Edgar Wallace-Hommage Tatort: Das Dorf die Zuschauer verstörten. Doch wer bei Schwindelfrei ein ähnlich abgefahrenes Krimistück erwartet, wird leider enttäuscht. Zwar ist die Liebe zu Dompteuren und Seiltänzern an allen Ecken und Enden zu spüren, doch der Ehrgeiz, der sowohl dem melancholischen Tatort: Wie einst Lilly als auch Das Dorf anzumerken war, geht dem netten Ausflug in die Manege ab. Hat der Verlust Lillys Murot domestiziert?
Lokalkolorit: Es muss aber gesagt werden, dass die Krimis um Murot besser aussehen als das Gros der Konkurrenz. Und mit “besser” ist eigentlich “anders” gemeint, denn im Einheitsbrei deutscher Sonntagabendunterhaltung stechen die saftigen Bilder, aber auch der gewitzte Einsatz von Split-Screens und räumlicher Tiefe nun einmal heraus. Der in Fulda spielende Tatort steckt voller Leidenschaft für den stets leicht verzaubert wirkenden Zirkus und vor allem seine Mitarbeiter, deren überlebensgroße Charaktervisagen einem düsteren Märchen entsprungen zu sein scheinen.
Plot: Nach einer Operation kann Murot endlich dem Tumor Lilly adé bzw. ahoi sagen, was wohl auch bedeutet, dass sich Ulrich Tukur mit seinem Dasein als gelegentlicher Tatort-Kommissar abgefunden hat. Ohne Lilly und mit einer verstärkten Präsenz der resoluten Magda Wächter (Barbara Philipp) genießt Murot die freie Zeit bei einem Zirkusbesuch. Als er sich gerade in der Manege zum Affen macht, schreit eine Frau im Publikum auf. Das Licht geht aus, die Frau ist verschwunden und schon bald infiltriert der sich im Urlaub befindliche Murot den Zirkus als Pianist, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Unterhaltung: Dass Murot nun ausgerechnet in die Tasten haut, ist ebenso wenig ein Zufall wie die Zusammensetzung der Zirkusband. Die tingelt in der Realität unter dem Namen Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys durch die Konzertsäle der Republik. Und wenn Murot im Kaffeehaus sitzt und die alten Damen sich über ihn mokieren, wähnt man zwei ihrer Fans hier klatschen, entspricht ihr Alter doch dem der Rhythmus Boys-Groupies. Glücklicherweise nimmt diese Selbstverliebtheit im Verlauf des Krimis nicht überhand. Murots Wortgefechte mit Wächter unterhalten wie eh und je und ihre vergrößerte Rolle ist deswegen zu begrüßen. Das zwischen skurril und bedrohlich wechselnde Zirkuspersonal (unter anderem Zazie De Paris, Uwe Bohm, Josef Ostendorf und Jevgenij Sitochin) hinterlässt ebenfalls Eindruck, wenn auch die Lösung des kurzweiligen Falls aus 30 Minuten Entfernung zu erahnen ist. Das aufmüpfige Abschalten des Vorspanns verspricht hingegen einen Tatort, der nie kommen wird.
Tiefgang: Es lässt sich der Eindruck nicht abschütteln, dass hier mehr drin gewesen wäre. Murot, dem Tode entronnen, hadert ein wenig mit dem Leben und flüchtet sich in einen Kindheitstraum. Die unterschwellige Melancholie, das damit zusammenhängende Außenseitertum Murots, der in Wie einst Lilly und Das Dorf mit einem Verfallsdatum zwischen den Lebenden spazierte, macht sich in Schwindelfrei kaum noch bemerkbar. Im Gegenteil, kommt diese Welt der Späße, Lieder und Verkleidungen Murot sowie seinem Schauspieler viel zu stark entgegen. Da sehnt man sich kurzzeitig Hanns von Meuffels herbei, ein anderer aktueller Krimi-Loner, über dessen Privatleben wir so wenig wissen, dass er in jedem Milieu wie ein Fremdkörper wirken muss. Murot aber, dessen Figur mit Tukurs Persona hier aufs engste verschmilzt, steht das Clownskostüm wie angegossen. Warum überhaupt ermitteln?
Mord des Sonntags: Gestern noch auf Langeoog schwimmen gewesen, heute im Wohnwagen abgemurkst.
Zitat des Sonntags: “Nicht jeder Tod ist beklagenswert.”
Mancher mag sich freuen, dass Tukurs neuer Einsatz so zahm geraten ist. Was denkt ihr?