Warum Robert Ford kein Feigling ist

22.02.2014 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Jesse links. Robert rechts. Surprise?
moviepilot/Warner Bros.
Jesse links. Robert rechts. Surprise?
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Ein Film über die Entstehung und Demontage von Mythen ist Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford und laut unseres Kommentars der Woche der vielleicht beste in den USA produzierte Film der letzten zehn Jahre.

Im Kommentar der Woche versuchen wir jede Woche einen eurer zahlreichen Kommentare zu feiern, egal ob kurz oder ausführlich, alt oder neu, gut oder böse, zu einem Kassenschlager oder einem Geheimtipp – die Voraussetzungen für den Kommentar der Woche kann theoretisch jeder Kommentar erfüllen. Wenn ihr über einen gestolpert seid, der euch besonders gut gefallen hat, schlagt ihn uns vor, am besten per Nachricht – wie auch diese Woche.

Der Kommentar der Woche
Mit großer Bewunderung für Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford von Andrew Dominik erklärt uns filmfan90 warum Robert Ford eben nicht der Feigling ist, als welcher er im Titel bezeichnet wird:

Dieser Kommentar enthält Spoiler.

THE FALLEN IDOL,
oder: Warum Robert Ford kein Feigling ist

“[…] He had two incompletely healed bullet holes in his chest and another in his thigh. He was missing the nub of his left middle finger and was cautious, lest that mutilation be seen. He also had a condition that was referred to as granulated eyelids and it caused him to blink more often than usual as if he found creation slightly more than he could accept. Romms seemed hotter when he was in them. Rains fell straighter. Clocks slowed. Sounds were amplified. He considered himself a Southern loyalist and guerilla in a Civil War that never ended. He regreted neither the robberies, nor the 17 murders that he laid claim to. He has seen another summer under in Kansas City, Missouri and on September 5th in the year 1881 he was 34 years old.”

Mit diesen Worten, in einer undurchsichtigen Verstrickung von historischen Fakten und den Mythen, die über die Wildwest-Legende im Umlauf sind, introduziert der Erzähler, begleitet von dem Spieluhren-Motiv Nick Caves, Jesse James. Bebildert ist dieser Prolog mit einer Sequenz von Aufnahmen Jesse James’, die mit einer Lochkamera gefilmt wurden und aus dem Halbdunkel der Vergangenheit zu stammen scheinen.

Die darauf folgende Szene nivelliert dieses heroische Bild: der berüchtigte Outlaw, der weder häufiger als andere blinzelt, noch durch seine Anwesenheit den Lauf der Uhren verlangsamt – lediglich die zwei oberen Glieder seines linken Mittelfingers fehlen tatsächlich –, tritt als Possenreißer in Erscheinung, der inmitten einer Bande von “petty thieves and country rubes” sitzt, und mit diesen über das Privatleben von Präsidenten-Frauen witzelt, während sie die Vorbereitungen für einen Zugüberfall treffen.
Der ständige Wechsel zwischen dem extensiven, glorifizierenden Erzählerkommentar und der demontierenden Figurenzeichnung des Gesetzlosen ist bis zu dessen Erschießung das dramaturgische Konzept dieses Films.

Jesse James ist in diesem Film eine vielgesichtige und ambivalente Figur: er ist bei seinen Bandenmitgliedern auf Grund seines Humors beliebt und wird gleichsam von diesen wegen der Grausamkeiten, die er zu vollbringen fähig ist, gefürchtet; er ist ein treusorgender Familienvater und ein an Depressionen Erkrankter, der zunächst an seinen Weggefährten, schließlich an sich und seinen Taten zweifelt und Todessehnsucht empfindet – der letztere Charakterzug bemächtigt sich seiner im Verlauf des Films immer vehementer. Der Film verschleiert die Figur des Jesse James, indem er die Mythen, die sich um ihn ranken, benennt, und sie gleichzeitig in Frage stellt.

Eine symbolisch aufgeladene Einstellung zeigt Jesse James, in einem Garten sitzend, um dessen rechten Arm sich die Glieder zweier Schlangen, denen er wenige Sekunden zuvor mit einem Taschenmesser die Köpfe abgeschnitten hat, winden – dieses Sinnbild von barocker Emblematik zeigt, dass die ‹Legende› unlängst in der Mortifikation begriffen ist. So ist auch nur folgerichtig, dass sich die etwas bemüht wirkenden Versuche des Erzählers, Jesse James’ Biografie in Analogie zum Leben Jesu zu setzen, ins Leere verlaufen: er stellt die Flucht der Familie James vor den Pinkerton-Detektiven aus Kentucky in Verbindung zur Flucht der heiligen Familie nach Ägypten und betont, dass der Tag vor Jesses Tod ein Palmsonntag war. Auch die Assoziation Robert Fords mit Pontius Pilatus, wenn er sich vor der Erschießung seines einstigen Idols die Hände und das Gesicht wäscht, ist irreführend, denn Robert Ford ist weder der Richter noch der Henker von Jesse James – vielmehr begeht dieser durch die Hand Fords Suizid:

Sukzessive zerstört Jesse James Robert Fords – von allen schlicht ‹Bob› genannt – idealisierende Sicht, die er aus Groschenromanen gewonnen hat, auf seine Person, indem er ihn zunächst vor den Kopf stößt, desavouiert, demütigt und schließlich verstört. Er nutzt den träumerischen Jungen als Projektionsfläche seiner eigenen destruktiven Selbstwahrnehmung, weil er weiß, dass kein Hass tiefer wurzelt als der einer völligen Enttäuschung über ein einstiges Idol – und auf diese berechnende Weise weckt Jesse in Bob die Bereitschaft, ihn zu töten.

Dabei ist Bob keineswegs für Jesse nur ein Werkzeug, das ihm bei der Inszenierung seines Suizids als Mord behilflich ist; er erkennt in ihm einen überdurchschnittlich talentierten jungen Mann, für den es kein richtiges Leben im falschen gibt (vgl. Seeßlen, Adorno zitierend). Charly Ford empfiehlt Jesse seinen Bruder als einen geeigneten Komplizen für einen weiteren Überfall mit den Worten: “Bob isn’t much more than a boy to most appearances. But there’s about two tons of sand in him. And he’ll stand with a shooter when that’s what’s called for. And he’s smart too. He’s about as intricate as they come.” Jesse erwidert darauf, ohne zu zögern: “You forget I already met the Kid.”

Die hohe Achtung, die Jesse vor Bob empfindet, drückt sich eben darin aus, dass er ihn so tief wie keinen anderen in sein zerrüttetes Inneres blicken – oder vielmehr: daran teilhaben – lässt, indem er ihn all die Eigenschaften, die er an sich selbst verachtet, mit voller Gewalt spüren lässt. Das Motiv der Demontage des Mythos ‹Jesse James› vollzieht sich also auch in dem symbiotischen Verhältnis zwischen Jesse und Bob.

Einer der wichtigsten Beweggründe Jesses, in den Tod zu gehen, besteht darin, dass er um die Ausweglosigkeit seiner Situation weiß. Der Film deutet an, dass eine weitere Verschwörung gegen Jesse durch Dick Liddil und einem Mann namens Jim Cummins, von dem im Film mehrmals die Rede ist, der allerdings kein einziges Mal auftritt (ein Quasi-McGuffin, der die Undurchsichtigkeit des Films bestärkt), im Gange ist. Jesse ahnt diese Verschwörung und erschießt sogar ein Bandenmitglied, das sich ihm gegenüber verdächtig verhält.

Die Tragik Bobs besteht letztlich darin, dass er Teil eines Plans wurde, den er Zeit seines Lebens nicht begreift. In seiner infantilen Geltungssucht lässt er sich in der Öffentlichkeit als der Mann, der Jesse James erschossen hat, feiern. Als die allgemeine Wahrnehmung des ‹Verbrechers› in die des ‹Heiligen› Jesse James umschwenkt, wird Bob – bis zu seinem eigenen bitteren Ende – von dem falschen Dämon der ‹Legende› Jesse James verfolgt.

“The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford” ist ein überaus artifizieller Film, der in nachdenklichen Bildern den Mittleren Westen der USA als einen dämmernden Hades erscheinen lässt, in dem die Unterschiede zwischen Recht und Unrecht, Macht und Ohnmacht, Vertrauen und Misstrauen tatsächlich nur in einer Silbe liegen.

Der Score Nick Caves, der selbst einen kurzen Auftritt als Saloon-Sänger hat, unterstreicht die betörende Melancholie, die über jedem einzelnen Bild dieses Films liegt: Zum einen dominiert ein Spieluhren-Motiv, das auf die Schicksalshaftigkeit der Ereignisse hinweist, und zum anderen ein herbes folkloristisches Thema.

So ist “The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford” ein Film über die Entstehung und gleichzeitig die Demontage von Mythen. Andrew Dominik zeigt – in Kontrast zu dem mitunter heroisierenden Erzählerkommentar – das modernde Fleisch, das unter dem Deckmantel mythischer Verklärung versteckt liegt. Dabei nimmt der Film – alleine durch den Titel – nahezu alle wichtigen Plot Twists vorweg, ‹erzählt› nur wenig, sondern kreist kontemplativ um seine Hauptfiguren – und gewinnt gerade daraus seinen enormen Gehalt.

– Vielleicht der beste in den USA produzierte Film der letzten zehn Jahre.

Den Kommentar findet ihr übrigens hier.

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