Wir schauen Better Call Saul - Staffel 1, Folge 6

11.03.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Five-OAMC
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Wenn ein Spin-off ein Spin-off bekommt, heißt das Resultat Five-O. Fanliebling Mike Ehrmantraut bekommt eine eigene Folge spendiert und trumpft dementsprechend ganz groß auf.

Eine der größten Stärken von Better Call Saul ist die Unabhängigkeit von der Mutterserie, die während der ersten Hälfte dieser Staffel eindrucksvoll zur Schau gestellt wurde, soll heißen: Das Sehvergnügen sollte sich kaum zwischen Breaking Bad-Kennern und Neueinsteiger unterschieden haben. Zumindest bis zu dieser Episode, Five-O. Jimmy (Bob Odenkirk) wird für gute 40 Minuten gänzlich beiseite geschoben und das Scheinwerferlicht auf Mike Ehrmantraut (Jonathan Banks) hinübergeschwenkt, der auf diesen Moment sehnlichst gewartet hat und dementsprechend zur Höchstform aufläuft. Das Resultat ist ein Manifest der Melancholie, das den üblichen Humor weitestgehend ausblendet und stattdessen direkt in die Gefühle bombt - zumindest in die der Breaking Bad-Fans. Alle anderen sitzen noch immer verwirrt vor ihren Bildschirmen und fragen sich, warum Mike jetzt an dieser Stelle unbedingt eine ganze Episode für sich bekommen musste.

Das ist natürlich etwas, das Better Call Saul angekreidet werden sollte, wenn es um die Frage geht, ob es sich hier um mehr als eine Fan-freundliche Dienstleistung handelt. Und tatsächlich erhält Five-O aus genau diesem Grund einen faden Beigeschmack. Glücklicherweise ist jedoch der allergrößte Teil der Zuschauerschaft mit Breaking Bad vertraut, sodass da wohl ohne größere Probleme drüber hinweg gesehen werden kann.

Denn ansonsten haben wir hier 40 wunderschöne Minuten Fernsehen, die Mikes mysteriöse Vergangenheit ausleuchten. Wir erfahren, dass sein Sohn Matt getötet wurde, weil er kein korrupter Bulle sein wollte, Mike sich dafür an den verantwortlichen Polizisten gerächt hat und sich anschließend nach Albuquerque abgesetzt hat, wo Schwiegertochter Stacey (Kerry Condon) mit ihrer Tochter lebt. Nun sind die Beamten aus Philadelphia jedoch eingetroffen und möchten herausfinden, wer die beiden Polizisten erschossen hat.

Jimmy bekommt dementsprechend nur eine überschaubare Screentime, doch sie wird effektiv genutzt: Mike holt ihn ins Boot in seinem Plot, das Notizbuch des Ermittlers zu stehlen. Als die beiden nach der Aktion in seinem Auto sitzen, fragt Jimmy beinahe frustriert, "How did you know that I would spill that coffee?", worauf Mike bloß mit einem Schnaufen antwortet. Es ist ein tragischer Moment für Jimmy, der die Antwort auf seine Frage kennt und sie eigentlich gar nicht hören möchte. Doch der Verdacht, dass Betsy Kettleman Recht behalten würde ("You're that kind of lawyer guilty people hire") lässt ihn nicht mehr los, und nun sieht offenbar auch Mike in ihm bloß einen Anwalt, der für zwielichtige Machenschaften gut ist. Sein enttäuschter Blick dazu spricht Bände.

Der Rest dieser Better Call Saul-Folge gehört jedoch allein Jonathan Banks, der endlich sein Können unter Beweis stellen kann. Noch niemals zuvor durfte er so viel reden wie hier, und es ist genauso toll, wie es sich anhört. Seine Blicke strahlen nach wie vor eine konstant unerschütterliche, wenn auch von Trauer durchtränkte Ruhe aus und in den zahlreichen Flashbacks dürfen wir mit Vergnügen feststellen, dass Mike schon immer Mike war: Eine Schusswunde in der Schulter behandelt er lässig mit Damenbinden auf einer öffentlichen Toilette, die Mörder seines Sohnes lockt er mit einem kühl kalkulierten Plan in eine Falle und gleichzeitig schaukelt er seine Enkelin mit rührender Wärme - Attribute, die wir auch schon vorher kennengelernt haben, werden hier eindrucksvoll hervorgehoben.

Das mag ein wenig langweilig klingen, schließlich wird uns auf diese Weise nichts Neues über Mike erzählt, doch es verstärkt den Effekt des ohnehin gigantischen Finales, in dem er aufrichtig mit seiner Schwiegertochter über Matts Tod spricht. Hier sehen wir den Ausbruch des Vulkans, den wir seit Breaking Bad hinter Mikes müden Augenlidern haben brodeln sehen. "I broke my boy", stellt er voller Reue fest, bevor seine Stimme zusammenbricht und die von Tränen verwaschenen Augen nicht wissen, wohin mit ihnen. Es ist eine ungleich ergreifende Szene, die mit Hinblick auf Mikes Schicksal in Breaking Bad nur noch mehr an Tragik gewinnt. Wir wissen, dass sein Racheakt ihm nicht die Spur von Erlösung gebracht, sondern ihn endgültig in eine Abwärtsspirale aus Einsamkeit, Rache und Gewalt geschickt hat.

Jonathan Banks' Spiel ist dermaßen phänomenal, dass es die Klischees des Drehbuchs (fast) unsichtbar macht. In einem anderen Kontext wäre diese Storyline ein absoluter Reinfall gewesen - korrupte Cops, interne Machtspiele bei der Polizei, das "schwarze" Schaf, das für seine Ehrlichkeit bestraft wird, der Ex-Cop, der dem Alkoholismus verfällt. Jeder, der jemals einen halben Krimi gesehen hat, ist mit diesen Motiven vertraut. Better Call Saul-Autor Gordon Smith bedient sich hier munter an dem längst trocken gelegten Pool des Noir-Vokabulars; ein Betrunkener, der zu seinen korrupten Kollegen torkelt und geheimnisvoll "I know it was you" lallt, würde anno 2015 niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken, wenn dieser Betrunkene nicht Jonathan Banks wäre und seine Figur nicht bereits eine Vergangenheit mit einer der populärsten Serien aller Zeiten hätte.

Diese Einfallslosigkeit tut weh und verhindert, dass Five-O letzten Endes eine derart gute Better Call Saul-Episode ist, wie ein Charakter wie Mike Ehrmantraut sie verdient hätte. Das soll keineswegs heißen, dass es sich hier um eine schwache Folge handelt, ganz im Gegenteil ist sie sogar ziemlich stark. Ein 40-minütiger Jonathan Banks-Solo-Auftritt hat bloß deutlich mehr Potenzial, als hier genutzt wurde.

“I made him lesser. I made him like me. And the bastards killed him anyway.”

Notizen am Rande:

- Wie Mike das Auto mit einem Bindfaden geknackt hat, hab ich persönlich unter "Fantasy" abgespeichert. Geht das wirklich? Hat hier jemand Erfahrungen?

- Ich fürchte, wir müssen uns mit dem Gedanken anfreunden, dass Mike hier das erste und letzte Mal die Kontrolle über seine Emotionen verloren hat. War aber auch hart genug.

- Mikes Barkeeper warnt ihn vor den Vogelspinnen in New Mexico, doch offensichtlich hat er noch nie etwas von den Tarantula Hawks gehört. Diese Wespenart kümmert sich problemlos im Eins gegen Eins um die viel größere Spinne, beispielsweise hier  zu sehen.

- "You know what happened. The question is: Can you live with it?"

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