Wir schauen Hannibal - Staffel 3, Folge 2

13.06.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Primavera
NBC
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Nachdem wir in Antipasto gesehen haben, wie Hannibal seine Zeit nach dem Massaker verbracht hat, wechseln wir jetzt auf Wills Seite. Dem geht es alles andere als gut aber in einer Sache ist er sich sicher: Er muss Hannibal finden.

Das jetzt schon beunruhigende an dieser 3. Staffel von Hannibal ist, dass sie sich so ungebremst anfühlt - sowohl im positiven, als auch im negativen Sinne. NBC hat Bryan Fuller wohl ein vergleichbar geringes Budget zur Verfügung gestellt und ihn dafür völlig freie Hand für die Serie gewährt, was grundsätzlich natürlich eine wundervolle Sache ist, doch nach Antipasto macht auch Primavera den Eindruck, als wäre es vielleicht nicht die allerschlechteste Idee gewesen, zumindest minimal gegen Fullers Wahnsinn gegenzusteuern. Primavera badet in surrealen Bildern, Zeitlupen, Close-Ups, schrägen Kompositionen und bedeutungsschwangeren Dialogen. Das ist alles schön und gut, schließlich haben wir Hannibal genau aus diesen Grund so zu schätzen gelernt, dennoch könnte diese sture Verweigerung klassischer Elemente der Plotstruktur Hannibal auf längere Sicht schaden. Natürlich stehen wir erst am Anfang der Staffel, deshalb ist das vielleicht noch unnötige Panikmache. Das ändert jedoch nichts daran, dass nach diesen beiden Episoden nur eine Sache fest steht: Alle Verantwortlichen dieser Serie haben den Verstand verloren.

Damit sind sie immerhin auf Augenhöhe mit ihrem Helden. Will (Hugh Dancy) hat das Massaker des Staffelfinales erwartungsgemäß überlebt, doch wer dachte, dass ihn das zurück in die Gesellschaft der klar Denkenden holt, irrt. Im Gegenteil: Will ist verrückter als je zuvor und fängt jetzt sogar schon damit an, mit imaginären Freunden nach Italien zu reisen, um Hannibal (Mads Mikkelsen) zu treffen. Dass Abigail (Kacey Rohl) gar nicht wirklich überlebt hat, sondern nur in Wills verzweifelter Vorstellung residierte, war in seiner Vorhersehbarkeit ein im Grunde billiger Trick, der in keiner anderen Serie so funktioniert hätte. Doch hier tut er das, aus mehreren Gründen. Zunächst einmal ist die Auflösung des Ganzen mehr als elegant: Auf dem "Twist" wird nicht lange herumgeritten, stattdessen taucht Abigails Wunde an der Kehle wieder auf, das Blut fließt und wir werden direkt in die Pathologie geworfen, wo Abigail vernäht und einbalsamiert wird. Brian Reitzell findet dafür wie gewohnt die richtigen Töne, sodass sich die Auflösung gar nicht so billig anfühlt, wie sie auf dem Papier aussieht.

Aber noch viel wichtiger ist ihre Rolle in Bezug auf Wills emotionalen Zustand. Die Rolle der imaginären Abigail funktioniert deshalb so gut, weil sie der Wurm in Wills Kopf ist, der ihn daran erinnert, dass er hätte mit Hannibal sein können, anstatt sich gegen ihn zu stellen. Ob er das wirklich wollte, weiß er selbst nicht so genau, allerdings liegt genau darin eine der größten Stärken dieser Serie, die viel mehr Horror-Romanze als Horror-Krimi ist. Wenn die zweite Staffel der hässliche Zusammenfall einer potentiell fruchtbaren Beziehung war, dann ist diese Staffel das obligatorische Durchspielen aller was-wäre-wenn-Szenarien und letzten Endes auch der Versuch, ein persönliches Ende für dieses Verhältnis zu finden. Wie dieses Ende aussehen soll, dass weiß wahrscheinlich niemand der Beteiligten so genau, am allerwenigsten Will. Seine Gefühle zu Hannibal könnten wechselhafter kaum sein, er weiß gar nicht, ob er ihn einsperren oder töten soll, oder ob er gar hätte sein Angebot annehmen und mit ihm und Abigail ein Leben im Exil führen sollte. Wahrscheinlich weiß er nicht einmal, was er als erstes tun würde, wenn er Hannibal treffen würde, doch das ändert alles überhaupt nichts daran, dass er genau das tun muss.

Inwiefern er dabei Unterstützung bekommt (ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass das finale Treffen in dieser Episode nicht dazu führt, dass sie die restlichen elf Episoden miteinander verbringen), können wir nicht so genau sagen, weil wir immer noch nicht wissen, wer eigentlich überlebt hat. Bryan Fuller zufolge werden wir das auch erst in Folge 4 erfahren, weil er es lieber mag, wenn Serien einer "emotionalen Logik" und keiner "Plot Logik" folgen. Linearität im Handlungsverlauf werden wir also aller Wahrscheinlichkeit nach vorerst vergebens suchen. Solange vergnügen wir uns mit dem was wir haben, zum Beispiel der italienischen Version von Will Graham, Rinaldo Pazzi (Fortunato Cerlino), dessen Schicksal zwar noch in den Sternen steht, es allerdings keinen Experten braucht, um zu erahnen, dass es mit ihm tendenziell bergab geht. Bei seiner neugierigen Tour durch die Katakomben (der letzte Ort, der dieser Serie noch gefehlt hat), lag sein sofortiges Ableben eigentlich ziemlich nahe, allerdings darf er offenbar noch ein paar Episoden am Leben bleiben.

Wenn Hannibal mit der restlichen Staffel so weiter macht wie hier, dürfte das selbst für die treusten Fans ein sehr anstrengendes Unterfangen werden. Bryan Fuller und Vincenzo Natali haben sich von jeglicher Stringenz verabschiedet und lassen die ganze Serie an der Seite ihrer Figuren ins weite Tal der Albträume wandern, etwas, das an sich ja absolut nicht verkehrt ist. Ein ganz kleiner Kurswechsel in Richtung lineares Storytelling würde der Staffel jedoch gut, wobei genau das nach diesen beiden einführenden Episoden wahrscheinlich zu Erwarten ist.

"I do feel closer to Hannibal here... God, who knows where I would be without him?"

Notizen am Rande:

- Die von jeglicher Rationalität entbehrte Zensur-Politik des US-amerikanischen Fernsehens ist ja bekannt, aber diese Episode hat in der Hinsicht ja schon einen satirischen Wert: Nackte Männerhintern auf einem Gemälde (!) werden unkenntlich gemacht, aber eine verstümmelte Leiche, die sich vor unseren Augen in ein Halb-Hirsch-Halb-Torso-Geschöpf verwandelt, ist okay?

- Bryan Fuller im Interview  dazu, wie er es hinkriegt, dass die ganzen Episode trotz verschiedener Regisseure einheitlich aussehen: "Das erste, was ich jedem neuen Regisseur sage, ist "Du machst einen prätentiösen Kunstfilm." Das ist keine Episode einer TV-Serie. Das ist ein prätentiöser Kunstfilm.

- Falls sich jemand nochmal die junge Version von Mads Mikkelsen anschauen wollte: Gern geschehen. 

- Für alle die sich für das Sound Design der Serie interessieren, gibt es hier  einen interessanten Artikel, der ein paar Hintergrundinformationen bereit hält.

- Ich persönlich hätte es ja ehrlich gesagt vergessen, aber Bryan Fuller ist so nett, mich nochmal daran zu erinnern : Abigail und der Priester haben eindeutig Augenkontakt hergestellt. Da wird wohl noch was auf uns zukommen.

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