Wir schauen Hannibal - Staffel 3, Folge 9

03.08.2015 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
...And the Woman Clothed with the Sun
NBC
...And the Woman Clothed with the Sun
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Die Transformation des Roten Drachen geht in die nächste Stufe über, dieses Mal aber auch mit einem kleinen Blick auf die Vergangenheit von Francis Dolarhyde und auf die Konzeption von Familien.

Im Laufe der ersten beiden Staffeln hat Hannibal uns Killer präsentiert, die leblose Menschenkörper nutzen, um eine Pilzfarm zu betreiben, ein Totem zu errichten oder sie als Violine umzufunktionieren. Nun, nach dieser langen, traditionsreichen Geschichte voller ebenso kreativen wie abartigen Psychopathen kommt also Francis Dolarhyde, hält sich für einen Drachen und erschießt (!) Familien. Banaler geht es eigentlich kaum. Die Aufgabe von Bryan Fuller, diesen Bösewicht für den versierten Hannibal-Zuschauer noch in irgendeiner Form interessant oder gar angsteinflößend zu gestalten, wirkt also wie ein kaum zu bewältigendes Mammutprojekt, doch ...And the Woman Clothed with the Sun beweist, dass für Fuller und sein Team nichts unmöglich ist.

Das liegt zu einem großen Teil natürlich an Richard Armitage, der als Francis Dolarhyde die ganz großen Qualen erleiden muss und diese auch entsprechend nach außen trägt. Jedem Satz gehen offensichtlich folternde Überlegungen voran, um nicht nur zumindest ansatzweise wie ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu klingen, sondern auch um den Sprachfehler aus Scham so gut es eben geht zu verbergen. Armitages verängstigte, unruhige Blicke, seine zaghaften und verunsicherten Bewegungen machen das Gefühl Dolarhydes, ein hoffnungsloser Fremdkörper zu sein, förmlich greifbar. Reba McClane (Rutina Wesley) sympathisiert mit diesem Verhalten offenbar, immerhin nimmt auch sie aufgrund ihrer Behinderung eine gesonderte Rolle in der Gesellschaft ein. Nicht nur deswegen macht ihre Blindheit die sich anbahnende Freundschaft zwischen ihr und Francis möglich, sondern auch, weil niemand, der sehen kann, was mit einem Mann zu tun haben möchte, der diesen Serienkiller-Van fährt und so ekelhaft Kuchen isst.

Richtig unheimlich wird es dann mit Dolarhydes verkrampften Schreien, während er sich die Aufnahmen von seinen Opfern anschaut: Er dreht und windet sich, weiß nicht wohin mit seinen Armen und Händen, scheint einfach durch und durch von Schmerz und Pein durchdrungen zu sein. Dem kommt dann auch noch eine schöne Inszenierung zu Gute, die Dolarhydes Qualen von psychischer Natur plötzlich in eine rein physische Sachen umkehren. Ein Drachenschwanz? Werden wir hier Teil der Gedankenwelt des Serienkillers? Ist der Schwanz wirklich da und einfach Teil eines Kostüms? Oder will uns Bryan Fuller hier gar tatsächlich weiß machen, dass dieser Mensch sich, wenn er sich genug anstrengt, in einen Drachen verwandeln kann?

Letzteres ist natürlich eher unwahrscheinlich, aber die Drachenschwanz-Szene ist dennoch ein schöner Moment in einer Episode, die noch mehr als gewohnt mit den Wahrnehmungen ihrer Charaktere jongliert und uns an diesem Spiel teilhaben lässt. Will (Hugh Dancy) besucht Hannibal (Mads Mikkelsen) in seiner Zelle und es läuft aus inszenatorischer Sicht alles genau so, wie wir es von dieser Serie erwarten: Die Reflexionen der beiden in der Glasscheibe verbildlichen, wie verschwommen ihre Charaktere miteinander sind, als Will die Akte in das Fach legt, bewegen sich die beiden sogar identisch, als würde Will vor einem Spiegel entlang gehen. Bei einem späteren Besuch werden die beiden wieder in der Praxis von Dr. Lecter gezeigt und wir wissen aus der vorangegangenen Episode, dass Hannibal sich seine Besuche im Kopf gerne so ausmalt. Doch später sehen wir aus Wills Perspektive, dass er sich während des Telefonats mit Molly (Nina Arianda) neben ihr im Bett liegen sieht. Die Szene könnte andeuten, dass auch Wills Verstand anfängt, Faxen zu machen und wirft damit ein anderes Licht auf seine vorangegangenen Besuche bei Hannibal. War das Gespräch mit Hannibal in der Praxis vielleicht nicht nur eine Fantasie von Hannibal, sondern auch eine von Will, obwohl er behauptet, ein rein professionelles Verhältnis zu Hannibal zu haben?

Die Antwort ist: Gut möglich. Immerhin verhält sich Hannibal wie ein gekränkter Ex-Freund ("Are we no longer on the first-name basis?"), der einfach nicht loslassen will und damit natürlich eine vollständige Trennung von den Geschehnissen unmöglich macht. Er meckert über Wills Aftershave und über seine neugewonnene Familie, weist Wills Versuche, auf beruflicher Ebene zu reden, zickig ab ("You just came here to look at me"), sichtlich mit einem verletzten Unterton, dass er all das doch auch hätte mit Hannibal haben können. "I gave you a child, if you recall", sagt er ihm verbittert und meint damit die Geschichte mit Abigail (Kacey Rohl), die bekanntlich nicht so geklappt hat, wie er sich das vorgestellt hat, weil Hannibals Liebesbekundungen ("Every family loves differently. Every love is unique") sehr eigensinnig sind. Überhaupt beschäftigt sich diese Episode sehr ausgiebig mit dem Konzept von Familie, warum wir sie brauchen und was das überhaupt bedeutet. Francis tötet ganze Familien und laut Hannibal teilt er insofern mit Will eine Gemeinsamkeit, als dass sie beide diese Familie brauchen, um vor dem zu flüchten, was in ihnen steckt. Das mag für Will ganz genau so stimmen, immerhin musste er sich nach der Trennung von Hannibal direkt eine Familie suchen, um Halt zu finden. Das ist für Hannibal unheimlich verletzend, gleichzeitig erkennt er Will aber immer noch als Teil seiner eigenen Familie und so schnell wird sich das wohl auch nicht ändern.

Was genau Francis hingegen sucht, das wissen wir noch nicht so genau. Wir wissen aber zumindest, dass er einer Familie entflohen ist, die in ihrem kurzen Auftritt in dieser Folge bereits einen verstörenden Eindruck gemacht hat. Davon werden wir in den nächsten vier Episoden sicherlich noch mehr zu sehen bekommen. Wir wissen auch, dass er trotz, oder gerade wegen den offenbar nicht so positiven Erfahrungen mit seiner eigenen Familie, sich nach einer sehnt. "How they live is how he choses them" ist Hannibals Analyse bezüglich der Opferwahl und vergleicht Francis' Kriterien mit denen von Will, der sich eine "fertige" Familie gefunden hat, um nicht die biologische Pflicht haben zu müssen, seine Eigenschaften, vor denen er sich so sehr fürchtet, weitergeben zu müssen. Vielleicht fühlt sich Francis genau so, fremd im eigenen Körper und verängstigt von dem, was in ihm schlummert. Eine eigene Familie gründen kommt damit nicht in Frage und so will er sich zumindest in den Gesichtern von anderen, glücklichen Familien sehen.

"All psychopaths are narcissists. They love to read about themselves."

Notizen am Rande:

- Gott sei dank füllt Hannibal jetzt die Lücke der sexuellen Anspielungen, die Mason hinterlassen hat: "I love a good finger-wagging." - "Yes you do. How is Margot?"

- In einer besseren Welt hieße diese Serie "Murder Husbands ".

- Von all den unglaubwürdigen Dingen, die sich Hannibal so im Laufe der drei Staffeln so geleistet hat, ist wohl nichts so unglaubwürdig, wie eine Frau, die Bock hat, bei einem Typen nach dem Spruch einzusteigen: "Ride with me, for... for my pleasure."

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