Wunderschöner Weltuntergang von Lars von Trier

19.05.2011 - 09:40 Uhr
Kirsten Dunst in Melancholia
Zentropa
Kirsten Dunst in Melancholia
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Einen Konsens unter den Kritikern gibt es wohl nie bei einem Film von Lars von Trier. Das Weltuntergangsdrama Melancholia, sein neues Werk, das gestern in Cannes Premiere feierte, polarisierte wieder einmal die Zuschauer.

Entweder wir lieben ihn oder wir hassen ihn, aber eines ist immer sicher: Wenn Lars von Trier einen neuen Film vorstellt, sind Diskussionen vorprogrammiert. Abseits von seinen provokativen Aussagen bei Pressekonferenzen, bieten seine Filme nämlich genügend Zündstoff. Nachdem Antichrist die Besucher durch seine brutalen Szenen anwiderte, kommt Melancholia als im Vergleich fast schon entspanntes Drama daher, als ein Drama über Depressionen und den Weltuntergang allerdings.

Anke Westphal meint nach Ansicht von Melancholia: "Lars von Trier hat den Mund nicht zu voll genommen, als er seinen neuen Film mit dem Attribut “schön” versah. Schön sind die Kinobilder, die Ex- und Interieurs und die Kostüme. Berückend wehmütig ist das musikalische Leitmotiv aus Wagners “Tristan und Isolde”. Melancholia ist nicht allein der Name des Planeten, sondern auch die Grundtonlage des Films, dessen Darsteller exzellent sind. Kirsten Dunst und Charlotte Gainsbourg verkörpern zwei Arten des Umgangs mit einer aussichtslosen Situation. Am Ende geht es hier, wie immer bei von Trier, um Erlösung."

Die visuelle Pracht des Films hat auch Andreas Borcholte vom Spiegel wahrgenommen, “denn schönere, geradezu polierte Bilder und ein romantischeres Schwelgen in seinem Thema hat man bei dem Mann, der einst das streng unprätentiöse Dogma-Kino erfand und Brecht’sche Didaktik auf minimalistischen Filmsets inszenierte, noch nie gesehen. Wundern darüber muss man sich jedoch nicht, denn mit Melancholia zelebriert von Trier nichts weniger als sein Lebensmotiv, die Schwermut.” Doch wie viele seiner Kollegen, die von Melancholia beeindruckt waren, fügt auch Borcholte hinzu: “Hätte der Therapeut von Trier nicht auch beibringen können, selbst einen kühlen Kopf zu bewahren und auf billige Provokationen zu verzichten?”

Als eine Mischung aus Das Fest und Armageddon – Das jüngste Gericht beschreibt Todd McCarthy den Film für den Hollywood Reporter und auch Jan Schulz-Ojala verweist im Tagesspiegel auf die seltsame Mischung aus Bombast und Drama: “Melancholia erzählt zwar, indem ein gleichnamiger Riesenplanet auf die Erde zurast und sie verschlingt, von nichts Geringerem als dem Ende der Welt. Aber statt seine Filmfiguren wie damals [bei Antichrist] physisch und seine Zuschauer psychisch zu foltern, feiert Lars von Trier seinen Fatalismus und Nihilismus in einem Katastrophenfilm, wie man ihn in solcher Ruhe noch nie gesehen hat.”

Die wichtigste Frage stellt Schulz-Ojala ebenfalls: “Ein neues Meisterwerk von Lars von Trier? An Dancer in the Dark, womit er 2000 die Goldene Palme gewann, reicht Melancholia nicht heran. Doch auch wenn der Film nahezu in dem Maß zu schrumpfen scheint, wie das hellblau schimmernde Gestirn zu leinwandfüllender Größe anwächst, bleibt er ein suggestiv eindrückliches Erlebnis.”

Weniger positiv kam Melancholia bei Cristina Nord von der TAZ an: "Die Bilder füllen nicht, was der Regisseur uns zu glauben aufgibt; sie gewähren keine Grundlage für die supension of disbelief, die bei Dreyer so überzeugend funktioniert; sie sind entweder zu bombastisch oder zu banal, als dass man sich auf von Triers Weltuntergangsfantasie einlassen wollte. Das Präludium von “Melancholia” malt diese Fantasie in Zeitlupe aus: Ein prächtiger Rappe versinkt im sumpfig gewordenen Gras eines Golfplatzes, um Kirsten Dunsts Beine winden sich Schlingpflanzen, von der Tonspur dröhnen dazu Wagners Geigen. Als Modestrecke in der Vogue wäre das große Klasse."

Insgesamt verursachte Lars von Triers künstlerisch zur Schau getragene Auseinandersetzung mit der eigenen Depression weniger hitzige Reaktionen als Antichrist im Jahr 2009. Doch Peter Debruge fasst sein Urteil in der Variety mit einer geradezu versöhnenden Frage zusammen: "Für all die tyrannische Abscheu, die er gegenüber anderen Filmemachern über die Jahre gezeigt hat, demonstriert von Trier einmal mehr seine Meisterung der klassischen Technik, gewinnt unglaublich starke Leistungen von seinen Schauspielern, während er eine handfeste Mischung aus einem realistischen Naturalismus und atemberaubenden visuellen Effekten serviert. Angesichts der High Concept-Prämisse hätte der Film in den Händen eines Kollegen ganz anders ausfallen können, aber bei von Trier ist es genauso, wie Justine ihren Verlobten gegen Ende ihres gemeinsamen Kapitels fragt: ‘Was hast du erwartet?’

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