Blogger zerstören die Filmkritik!

15.08.2008 - 15:16 Uhr
Berliner Zeitung: Dieses Internetz wird sich nie durchsetzen
Berliner Zeitung: Dieses Internetz wird sich nie durchsetzen
Die Berliner Zeitung enthüllt, warum Blogs angeblich das Ende des seriösen Filmjournalismus einläuten.

“Die Internet-Blogs zersetzen das informierte und unabhängige Urteil”, beginnt ein Artikel von Josef Schnelle, der im weiteren ausführt, dass große US-Zeitungen angeblich massenhaft ihre Filmkritiker entlassen, weil sie der Meinung sind, dass man sich im Netz anderweitig besser und schneller informieren könne.

Die “Filmkritik als Warentest”, die US-Kritiker wie Roger Ebert mit ihren „Daumen hoch, Daumen runter“-Bewertungen begonnen haben, führe zu einer Flut an minderwertigen Filmseiten im Netz, die jetzt also drohen der Profi-Kritik den Garaus zu machen.

Schnelle betrauert diesen Verlust, weil letztlich nur Qualitätsjournalismus von erfahrenen festangestellten Filmkritikern die Filmkunst fördern könne und minderwertige Amateurkritiker und „Hass-Blogs“ verhindern, dass sich anspruchsvolle Filme durchsetzen können.

Dahinter steht, wie oftmals wenn deutsche Printjournalisten über das Internet schreiben, eine gesunde Portion Misstrauen, Unverständnis und fehlgeleitetes Selbstverständnis. Natürlich hat Schnelle nicht Unrecht, wenn er schreibt, dass es bei Kritiken große qualitative Unterschiede gibt. Natürlich macht es etwas aus, ob jemand ein fundiertes Filmwissen besitzt, das im besten Falle neben dem klassischen Filmkanon auch Grundlagen der Film- und Medienanalyse beinhaltet. Natürlich gibt es Fanboys-Reviews, die inhaltlich nicht über ein “Boah, geiler Film” hinausgehen. Natürlich gibt es die “Worst Movie ever!”-Blöker. Das Internet ist ein Abbild der Welt und dort finden sich auch viele grauenhaft schlechte Autoren und lausige Filmbesprechungen. Geschenkt.

Das zu betonen klingt so simpel, wie die Erkenntnis, dass in jedem Jahr hundertausende Bücher veröffentlicht werden, die jeden Tisch beleidigen würden, wenn man sie benutzte um ihn am Wackeln zu hindern. Dass jeden Tag Zeitungen erscheinen, in die kein Fisch eingewickelt werden wollen würde.

Schnelle verwechselt in seinem Artikel Medium und Qualität, wie dies gerne und häufig getan wird. Neben den indiskutablen Fanboy-Reviews, finden sich Dutzende ausgesprochen kenntnisreiche und oftmals auch ansprechend formulierte Filmkritiken von Bloggern, Forenschreibern und Online-Magazinen.

Und auf jede pointierte, witzige und treffende Filmkritik in der ZEIT, der Süddeutschen oder einem anderen klassischen Printmedium kommen ebenso Dutzende runtergetippte, banale, schlecht formulierte Besprechungen, die klingen als habe der Journalist mal eben eine Pressemitteilung notdürftig umformuliert. Da sind sachliche Fehler, fehlende Kenntnis der Materie und schlichtweg uninspirierte Schreibe genauso an der Tagesordnung, wie bei der häufig unkommerziellen Online-Konkurrenz.

Als Beispiel für den Untergang der Qualitätskritik führt Schnelle Roger Ebert an, der die TV-Filmkritik in den USA populär machte und erst mit seinem Kollegen Gene Siskel und nach dessen Tod mit Richard Roeper regelmässig alle Neustarts besprach und sie mit den legendären “Daumen hoch / Daumen runter”-Bewertungen beurteilte. Ebert habe seine Nachahmer im Internet kürzlich noch vehement verteidigt und kurz darauf sei seine Sendung auch abgesetzt worden. Auch auf Grund der Online-Konkurrenz. Was für eine Sauerei. Da wird der bekannteste Filmkritiker der Welt geschasst, weil die Amateurschreiber im Netz überhand nehmen und niemand mehr die seriöse Filmkritik lesen will.

Stimmt nur leider nicht, denn der Zusammenhang, den Schnelle suggeriert, kann zumindest als gewagt bezeichnet werden, wenn man es freundlich formulieren will. Ebert wird mitnichten entlassen: Er schreibt auch weiterhin für seine Hauszeitung Chicago Sun Times Filmkritiken und hat bei dieser seit Jahren eine eigene Website, die ein umfangreiches Archiv und auch – guck an – ein Blog beinhaltet.

Der Grund warum Ebert und Roeper sich vom Bildschirm verabschiedet haben ist ein anderer, viel tragischerer und hat so überhaupt nichts mit bösen Bloggern zu tun: Ebert kämpft seit Jahren gegen eine schwere Krebserkrankung, die ihn häufig zur längeren TV-Abstinenz zwang. Nach den letzten Operationen, hat er die Fähigkeit zu sprechen verloren, was letztlich auch das Ende der Fernsehsendung besiegelte. Sein Kollege Richard Roeper plant derzeit eine neue Show, nach dem Muster von „At the movies“.

Warum nimmt Schnelle also Ebert – der trotz seiner 66 Jahre noch immer überraschend frisch und aufgeschlossen schreibt und das Internet schon sehr früh als etwas Positives begriffen hat – warum nimmt er ausgerechnet ihn, als Beispiel für seine These, dass Blogger die Filmkritik zerstören?

Vermutlich, weil er davon ausgeht, dass seine Leser Ebert nicht kennen und weder von Blogs (oder Internet-Blogs wie Schnelle sie nennt – vermutlich im Gegensatz zu Paketblogs, Faxblogs oder Stille-Post-Blogs) noch von der US-Kritikerszene besonders viel Ahnung haben. Und weil es einfacher und griffiger klingt, als sich mit internen Gründen der Content-Misere auseinanderzusetzen, die ebenfalls zum Leserschwund führen. Denn mangelnde Qualität ist kein Vorrecht der Online-Welt.

Der von Schnelle kritisch beäugte “Daumen hoch, Daumen runter”, ignoriert zudem, dass „Siskel & Ebert“ sich nicht nur um viele sogenannte Arthausfilme verdient gemacht haben, die ohne ihr Mitwirkung wohl kaum großes öffentliches Interesse gefunden hätten, er ignoriert auch, dass die Sendung immer Streitkultur und argumentative Auseinandersetzung mit Film propagierte und Zuschauer einlud, sich ihre eigenen Gedanken zu machen.

Das ist natürlich weit weg vom Frontalunterricht, den einige deutsche Filmkritiker gewohnt sind, denen es anscheinend schon suspekt scheint, wenn ein Kritiker tatsächlich versucht viele Menschen zu erreichen. Ich würde es begrüßen, wenn es in Deutschland Kritiker gäbe, die auch nur annähernd so bekannt und populär sind wie Ebert, Roeper oder Leonard Maltin.

Ansprechpartner sind dafür aber die Entscheidungsträger der Medienhäuser. Es ist an ihnen, Kritiker aufzubauen und ihnen angemessenen Platz und Möglichkeit zu geben, sich zu profilieren und etwas zu bewegen. Das kostet natürlich Geld, aber jeder gute Content, der vermarktet werden soll, kostet Geld. Die Blogger und Online-Magazine sind nicht die wahre Bedrohung der professionellen Filmkritik. Blogger begreifen Filmkritiker nicht als Feinde, denn Filmblogger sind in erster Linie Filmfans, die gute Artikel zu schätzen wissen und gerne und oft auf die Printkollegen verweisen. Filmjournalisten, die sich wie Schnelle so vehement gegen Blogs, ja gegen jede Form von Online-Filmkritik abgrenzen, müssen aufpassen, dass sie durch mangelnde Differenzierung nicht genau die Leute verprellen, die auch ihre Leser sind. Sich den Herausforderungen der Online-Welt zu verweigern, sich schmollend in die Ecke zurückzuziehen, wird ihnen am Ende mehr schaden, als anzuerkennen dass es auch im Netz gute und lesenswerte Autoren gibt.

Die klassischen Medien werden sich nicht durch Grabenkämpfe mit denjenigen retten, die sie zu unrecht als Feinde begreifen. Bloggen ist in erster Linie eine Veröffentlichungsform. Was zählt ist, wer schreibt und wie talentiert er ist. Da gibt es geniale Autoren und Klippschüler, genau wie im Printbereich.

Je früher die klassischen Print-Journalisten das begreifen, desto eher kann man sich darauf konzentrieren, was Filmkritik sein sollte: Eine lustvolle, kenntnisreiche und spannende Auseinandersetzung mit Filmen, die vom Blockbuster bis zur Arthaus-Perle auf die Filme aufmerksam macht, die es verdient haben und vor denen warnt, die Bindehautentzündung verursacht. Eine Filmkritik, die vor allem eines macht: Lust auf Kino und Film in all seinen Erscheinungsformen.

Roger Ebert hat das schon lange verstanden. Vielleicht begreifen es andere ja auch noch.

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Anbei ein paar Surftipps, die sich auch für Herrn Schnelle lohnen könnten.

Critic.de: http://www.critic.de
Film-Zeit: http://www.film-zeit.de
Die Fünf Filmfreunde: http://www.fuenf-filmfreunde.de
From Beyond: http://psycho-rajko.blogspot.com/
Marcus Filmseite: http://marcus-filmseite.blogspot.com/
Filmstarts.de: http://www.filmstarts.de/
Kino-Zeit: http://www.kino-zeit.de/

/Film: http://www.slashfilm.com
Greencine: http://daily.greencine.com/
Flickfilosophers Reviews: http://www.flickfilosopher.com/
Roger Eberts Blog: http://blogs.suntimes.com/ebert/
Twitch: http://twitchfilm.net/site/index.php

Und das sind nur einige wenige von unzähligen Seiten, die sich ernsthaft mit Film auseinandersetzen.

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Hier geht es zum Kommentar von Ines zu dem Thema

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