Berlinale 2018 - Die Retrospektive entführt ins Weimarer Kino

19.02.2018 - 10:05 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Heimkehr in der Retrospektive Weimarer Kino - neu gesehen
Deutsche Kinemathek
Heimkehr in der Retrospektive Weimarer Kino - neu gesehen
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Nachdem es im vergangenen Jahr um die fantastischen Welten des Science-Fiction-Films ging, widmet sich die Berlinale 2018 im Rahmen der Retrospektive dem Weimarer Kino, das in seiner gesamten Vielfalt neu aufleben soll.

Während die meisten Augen während der Berlinale auf den Wettbewerb gerichtet sind, gibt es in den anderen Sektionen ebenfalls spannende Programme zu entdecken. Allen voran die Retrospektive, die seit 1955 ein fester Bestandteil des Festivals ist. Rainer Rothar übernahm im Jahr 2006 die Leitung und präsentierte uns zuletzt die fantastischen Welten des Science-Fiction-Films. Für die 68. Ausgabe des Festivals rückt nun ein Stück deutsche Filmgeschichte in den Vordergrund, nämlich das Kino der Weimarer Republik. Von 1918 bis 1933 blühte die Filmlandschaft in Deutschland und sorgte auch international für Aufsehen. Womöglich gehört jene Phase bis heute nicht nur zu einer der produktivsten, sondern ebenfalls der einflussreichsten des deutschen Kinos. Um den nach wie vor relevanten Einfluss auf keinen Fall in Vergessenheit geraten zu lassen, hat sich die Retrospektive das Credo "Weimarer Kino - neu gesehen" zu eigen gemacht.

Nachdem sich bereits diverse Berlinale-Retrospektiven der vergangenen Jahre mit den großen Regisseure und Schauspielern des Weimarer Kinos beschäftigt haben, stehen dieses Mal vor allem die Werke jener Filmschaffenden im Vordergrund, deren Filme weniger häufig in den Geschichtsbüchern auftauchen und nicht zum erlesenen Kanon gehören, der regelmäßig zitiert wird. Stattdessen handelt es sich um Wiederentdeckungen, verborgene Schätze und restaurierte Fassungen, die der Vielfalt des Weimarer Kinos ihren Tribut zollen sollen. Eine thematische Einschränkung hat dennoch stattgefunden: Um die gezeigten Filme nicht willkürlich hintereinander zu programmieren, geht es insbesondere um die Themen Exotik, Alltag und Geschichte. Das Genre spielt allerdings keine Rolle, ebenso die Form: In der Retrospektive finden sich dieses Jahr neben Spielfilmen und Kurzfilmen ebenfalls dokumentarische Zeugnisse aller Couleur wieder.

Morgen beginnt das Leben

Wenn es um die exotischen Welten geht, fördert das Programm etwa Im Auto durch zwei Welten zutage, in dem die Rennfahrerin Clärenore Stinnes in Begleitung des schwedischen Kameramanns Carl-Axel Söderström ganze 47.758 Kilometer mit einer Ader-Limousine zurücklegt. Dabei führt sie ihre Reise rund um den Globus - vom Orient nach Sibirien und durch die Wüste Gobi, von China über Japan bis in die USA und wieder zurück ins heimische Europa. Finanziert wurde der Film von namhaften Marken jener Zeit wie Aral, Bosch, Continental und Varta. Die Retrospektive macht es sich an dieser Stelle ebenfalls zur Aufgabe, den Zeitgeist der Weimarer Republik einzufangen, während im Hintergrund soziale wie politische Fragen gestellt werden. Dazu gehören ebenfalls solche, die sich mit der Identität des Landes auseinandersetzen, das mit den verheerenden Folgen des Ersten Weltkriegs zu kämpfen hat und gleichzeitig nach vorne blicken muss.

Das alltägliche Treiben nimmt im Zuge dessen einen besonderen Platz in der Retrospektive ein. Ella Bergmann-Michel, Winfried Basse und Ernö Metzner sind beispielsweise mit Kurzfilmen vertreten, die ein Bild vom Leben der 1920er Jahre in deutschen Großstädten wie Frankfurt am Main und Berlin ermöglichen. Friedrich Dalsheim und Gulla Pfeffer widmen sich derweil mit Menschen im Busch einer togolesischen Familie und verzichten auf einen obligatorischen Off-Kommentar. Stattdessen kommen die Protagonisten ihres Dokumentarfilms selbst zu Wort und teilen ihre Erfahrungen und Eindrücke, die fließend in das Themenfeld Geschichte übergehen. Auch Regisseur Werner Hochbaum, von dem es gleich zwei Werke in der Retrospektive zu entdecken gibt, blickt auf die Probleme der Weimarer Republik, indem er mit Laiendarstellern proletarische Familien ins Zentrum rückt und - unterstützt von der SPD - die Angst vor materiellen Nöten anspricht.

Der Kampf ums Matterhorn

Heinz Paul lässt derweil einen vom Ersten Weltkrieg traumatisierten Hauptmann zu Wort kommen und zeigt in Die andere Seite in gleichermaßen nüchternen wie schonungslosen Bildern den Schrecken des Krieges. Dabei geht es um die Frage nach dem Sinn und Zweck des menschlichen Opfers in einer Auseinandersetzung, die von roher, unüberlegter Gewalt geprägt ist. Darüber hinaus haben sich auch ein paar bekanntere Namen in die Retrospektive geschlichen. Georg Wilhelm Pabst gehört zum Beispiel dazu, ebenfalls Leni Riefenstahl, die später im Dritten Reich unter Joseph Göbbels Propagandafilme wie Triumph des Willens und den Olympia-Zweiteiler gedreht hat. Auf der Berlinale wird ihr Regiedebüt Das blaue Licht präsentiert, bei dem es sich damals um eine durchaus ungewöhnliche Produktion handelte, da sie außerhalb der großen Studios entstanden ist und den traditionellen Bergfilm um neue Facetten erweiterte.

Während die Retrospektive beweist, wie vielfältig das Weimarer Kino auch aus ästhetischer Sicht war und seinem künstlerischen Ruf heute noch standhalten kann, spielt ebenfalls die musikalische Gestaltung und Vorführung der einzelnen Filme eine entscheidende Rolle. Die meisten Stummfilme werden live vor Ort von Musikern begleitet. Neben Maud Nelissen, Stephen Horne und Günter Buchwald, die im Kreis der Berlinale keine unbekannten Gesichter sind, gesellt sich dieses Mal auch Richard Siedhoff zu den Stummfilmpianisten, die einen entscheidenden Teil zur Filmerfahrung betragen. Mit Der Berg ruft, Opium sowie dem zweiteiligen Weltbrand, der lange Zeit als verschollen galt, feiern außerdem aufwendige Restaurationen im Rahmen der Retrospektive ihre Premiere. Falls ihr darüber hinaus wissen wollte, welche Filme aus der Weimarer Republik im Programm zu sehen sind, könnt ihr euch auf moviepilot im Filmarchiv umschauen.

Anlässlich Retrospektive finden im Zuge der Berlinale weitere Veranstaltungen in der Deutschen Kinemathek statt. Darüber hinaus ist wie jedes Jahr eine Begleitpublikation im Bertz + Fischer Verlag erschienen. Alle weiteren Texte zur Berlinale findet ihr auf unserer Themenseite.

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