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Der bleiche Mann, der die Show stiehlt

19.10.2016 - 09:00 Uhr
War nicht lange zu sehen, aber was für ein "Augen"blick das war!
Warner Bros./moviepilot
War nicht lange zu sehen, aber was für ein "Augen"blick das war!
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Ein kurzer Auftritt kann auch viel Eindruck hinterlassen. Für die Aktion Lieblingsmonster habe ich mir einen ganz speziellen Kandidaten ausgesucht. Die bleiche Kreatur aus "Pans Labyrinth", eines der großen Meisterwerke von Guillermo Del Toro.

Dass "Pans Labyrinth" nichts für sanfte Gemüter ist, war schon von Anfang an klar, als man das FSK16-Siegel auf der DVD/Blu-Ray gesehen hat. Obwohl wir es hier mit einem Fantasyfilm bzw. einem Märchen zu tun haben, hat der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro etwas ganz anderes erschaffen. Auch wenn es viel Magie und Fabelwesen zu bewundern gibt, ist der Ton des Films überraschend düster. Denn wie Alice entdeckt auch die Hauptfigur Ofelia ihr eigenes Wunderland, nur bleibt bis zum Ende unklar, ob das alles nur Einbildung oder Realität ist. Doch anstatt dass sie den ganzen Film über im Wunderland bleibt, muss sie auch immer wieder zu den hässlichen Seiten ihres echten Lebens zurückkehren, was durch ihren psychopathischen, faschistischen Stiefvater nach den Ereignissen des Spanischen Bürgerkriegs verursacht wird, der schon am Anfang des Films beweist, dass dieser Film nicht für Kinderaugen geschaffen ist. Es gibt viel Gewalt, es fließt Blut, alles was man von einem FSK16-Film erwarten würde und auch was man wie gesagt bei einem Märchen nie erwarten würde. Doch eine Szene des Films hat selbst die ganz Mutigen erschaudern lassen. Im Mittelteil begegnet die junge Ofelia bei ihrer zweiten Aufgabe vom Pan eine bleiche, augenlose, humanoide Kreatur, die reglos am Ende eines langen Tisches sitzt. Dessen Augen liegen auf einem Teller.

Ein immobiles Monster? Was soll schon schiefgehen?

Doch bevor die Kreatur zum Leben erweckt wird, würde ich gerne eine Frage stellen: Was macht diese fünf Minuten lange Szene so unheimlich und die Kreatur so furchteinflössend, obwohl sie nur harmlos an einem Tisch sitzt? Zuerst will ich gerne loswerden, dass das Wesen ein wahres Meisterwerk der Masken und Makeup-Arbeit ist. Das Jahr 2006 war der Anbruch der visuellen Kraft und der Computeranimationen, Del Toro selbst nutzt sie in diesem Film auch aus, doch es ist erfreulich zu sehen, dass man auch zu den älteren Mitteln greift, die meiner Meinung nach viel effektiver sind, da die Top 10 meiner Lieblingsmonster keine computeranimierten Wesen sind, sondern alle große handgemachte Kunstwerke sind und zudem wirken sie auf mich um einiges unheimlicher. Doch zurück zur Frage: Was diese Szene so besonders und unheimlich macht, ist die Art wie Del Toro die Spannung aufbaut. Hier könnt ihr euch die Szene anschauen, wenn ihr den Film aber noch nicht kennt, würde ich empfehlen das Video und vielleicht auch den Artikel zu überspringen, da man nicht nur diese Szene sondern auch den ganzen Film für sich selbst entdecken sollte.

Wenn der Gedanke, dass man sich in einem Raum mit einer eigenartigen und sehr unheimlich aussehenden Kreatur befindet, die in jedem Moment vielleicht aufwachen könnte, nicht schon beängstigend genug ist, sorgt der Film dafür, dass wir schon eine düstere Vorahnung haben was auf uns zukommen wird. Die Bilder auf denen man sieht, wie die Kreatur unzählige Kinder verputzt und Ofelia hinterher die vielen aufgestapelten Schuhe erblickt, sind viel unheimlicher als eine große Ansammlung von blutigen Körperteilen und Skeletten, da man sich selbst nicht ausdenken kann, wie die Kreatur ihre Opfer zerstückelt und gefressen hat. Die erste halbe Minute allein sorgt schon für eine beklemmende und spannende Atmosphäre, da es offensichtlich ist, dass irgendetwas Schlimmes geschehen wird. Obwohl man die Kreatur nicht in Aktion gesehen hat, bereitet sie uns jetzt schon ein Gefühl der Unbehaglichkeit.

Doch nachdem das Mädchen töricht entscheidet, sich etwas vom Festmahl zu gönnen, obwohl man hier ausdrücklich gesagt hat, dass sie das auf gar keinen Fall tun soll (was hast du dir dabei gedacht, Ofelia?), darf die Kreatur ihre unheimliche Seite zur Show stellen. Und schließlich kam der Moment, wo sich bei mir die Nackenhaare aufgerichtet haben. Abgesehen davon, dass die Idee sehr gut war, dass die Kreatur mithilfe ihrer Hände sehen kann, ist das Ergebnis wirklich beängstigend. Die Kreatur sieht weder menschlich noch unmenschlich aus. Wenn nicht nur die Musik allein oder das Wissen, dass der Sand aus der Sanduhr irgendwann alle sein wird und sich dadurch das Portal zu Ofelias Zuhause für immer verschließen wird, dafür sorgt, dass ihr denkt: "Lauf, du dummes Mädchen, lauf!", dann wird auf jeden Fall das aufgewachte Monster dafür sorgen. Ich kann mich nicht entscheiden, was genau ich an der Kreatur am schlimmsten fand. War es die Laute, die es von sich gibt? Dieser röchelnde Atem, als würde ein Mensch kurz vor seinem qualvollen Tod ein letztes Mal aufatmen und hinterher diese markerschütternden Schreie, die so unnatürlich wirken, als wäre die Kreatur bereit der kleinen Ofelia die Haut abzuziehen. Oder war es der Gang? Dieser zittrige, langsame Gang, der dem unseren ähnlich ist, aber sich dennoch so unglaublich unnatürlich auffühlt. Wie der langsame Tod mit einer Vorliebe für Menschenfleisch? Doch dagegen kann jeder Zombie einpacken. Was aber die Szene so beängstigend macht, ist das wir im Unklaren sind, zu was dieses Monster fähig ist und wenn wir genau darüber nachdenken, sind wir froh, dass wir es nicht wissen. Denn uns Zuschauern geht es wie Ofelia: wir wollen einfach nur weg von dieser Kreatur. Und dadurch dass das Tor zur anderen Welt wegen ihrer Trödelei versperrt ist und das Wesen Schritt für Schritt näher kommt, rundet das diese Filmstelle zu einer Verfolgungsjagd wie in einem Horrorfilm auf, wo uns das Herz bis zum Hals schlug und wir uns vor Anspannung nicht mehr trauten, zu atmen.

Fünf Minuten Filmzeit in einem fast zwei Stunden langen Film sind in der Tat nicht viel. Der sogenannte "Pale Man", was auf Deutsch der "Bleiche Mann" bedeutet ist nur in einem kleinen Abschnitt des Films zu sehen und ist auch nicht der Antagonist. Doch in den wenigen Momenten, wo er zu sehen war, hat er jeden die Show gestohlen. Es ist vergleichbar mit dem Alien aus Alien - Das unheimliche Wesen aus einer anderen Welt. Es war auch nur für wenige Momente zu sehen und dennoch jagte es uns immer wieder einen Schauer über den Rücken. Doch eine einzelne Szene ist trotzdem etwas anderes als mehrere kleine Auftritte. Wenn ich eines an diesem Monstrum liebe, so ist es das Design. Ich glaube, ich habe selten etwas gesehen, dass so unmenschlich und menschlich zugleich aussah. Es ist wie als wäre es eine Mischung aus Mensch und Tier. Was diese Kreatur so unheimlich macht, ist ihre Ähnlichkeit mit dem menschlichen Wesen, da sie so familiär und dadurch so lebendig wirkt. Eine groteske Kreatur, die keine menschlichen Attribute hat, kann zwar auch schockierend und auch abstoßend sein, doch es ist womöglich das uns bekannte Grauen, das uns mehr Angst macht als irgendein verrückt und widerlich aussehendes Unding. Egal wie abstoßend und gruselig diese Kreatur auch aussieht, sie ist auf eine bösartige Art und Weise wunderschön anzusehen. Dieses Wesen wirkt einfach Jahrhunderte alt, die Haut ist schlaff und das Skelett tritt hervor als hätte es schon lange nichts mehr etwas verschlungen. Und die Vorstellung, dass viele Kinder ihn besucht haben und nicht fliehen konnten und er brav auf die nächsten wartet, ist einfach nur verstörend. Obwohl es nur so kurz zu sehen war, hatte dieses Monster so viel Eindruck hinterlassen, dass ich diese Kreatur als das Symbol für den Film "Pans Labyrinth" sehe und nicht den Pan selbst. Da würde ich sogar gerne ein Spin-Off von diesem Wesen in einem anderen Silent Hill-Film sehen :)

Lange Rede, kurzer Sinn. Der bleiche Mann ist mein absolutes Lieblingsmonster in eine meiner vielen Lieblingsszenen der Kinogeschichte. Die Länge des Auftritts spielt keine Rolle für mich und das ist auch gut so, da der Pale Man meiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit als Filmmonster verdient. Wie sein unheimliches Aussehen, die unbehagliche Szenerie, die Musik, sein Gang und seine Laute sich zu einem vereint und uns eine nervenaufreibende Horrorszene geliefert haben in diesem düsteren Märchen werde ich für immer in Erinnerung behalten.

Großes Lob an Herrn Guillermo Del Toro und seine vielen Mitarbeiter, die uns dieses Meisterwerk geschaffen haben.

Hey, Kinder! Das Essen steht bereit!


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