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Doug Liman - Hollywoods ungewöhnlichster Blockbusterlieferant

27.10.2014 - 13:26 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Hat Doug Liman immer den Durchblick? Irgendwie schon.
Twentieth Century Fox
Hat Doug Liman immer den Durchblick? Irgendwie schon.
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Doug Liman steht wie kein zweiter Regisseur für die Verbindung von kreativem Wahnwitz und den notwendigen Konventionen des Blockbusterkinos. Seine experimentellen Dreharbeiten treiben regelmäßig seine Produzenten in den Wahnsinn und doch erschafft er immer wieder einzigartige Werke, jenseits formelhafter Sommerblockbuster.

Im Vorfeld seines SciFi-Hits Edge of Tomorrow spielten sich seltsame Szenen in den Leavesden Studios nahe London ab. Der als perfektionistisches Arbeitstier bekannte Tom Cruise absolvierte ein spezielles körperliches Training, um sich an die gut 40 Kilo schweren Exoskelette aus dem Film zu gewöhnen. Angestachelt von so viel Engagement opferte auch der Rest des Cast, der die Kampfmonturen im Film tragen musste, einen großen Teil seiner Freizeit für entsprechende Workouts. Das steigerte die (An-)Spannung bis zum eigentlichen Drehstart ins schier Unermesslich, zumal der Regisseur Doug Liman, obwohl vor Ort in London, bis dahin noch nicht gesichtet wurde. Gerüchte machten die Runde über einen manischen Workaholic, der nächtelang wie besessen über den kleinsten Details seiner komplizierten Zeitschleifenstory brütet, bis die Crew ihn schließlich in einer Produktionshalle aufspürte. Tennisspielend mit seinem Personal Trainer und seinem Hund Jackson an der Seitenlinie. Ein fertiges Skript konnte Liman seiner Manschaft ebenfalls nicht präsentieren, aber das sei schon in Ordnung, wie er tiefenentspannt versicherte. Er habe schließlich schon häufiger mit unfertigen Büchern die Dreharbeiten begonnen.

"Limania"

Diese ziemlich unorthodoxe Herangehensweise an einen 170-Millionen-Dollar-Blockbuster sorgte auch während der eigentlichen Dreharbeiten für Stirnrunzeln. „Interessant“, „Eine neue Erfahrung“, sei die Zusammenarbeit mit Liman gewesen, formulierte es Co-Star Emily Blunt diplomatisch. „Limania“ wird das in Hollywoodkreisen weniger schmeichelhaft genannt. Gemeint sind seine verspielten Extravaganzen und sein vollkommen arthousiger Ansatz während eines Drehs, der oftmals eher einer Gruppe experimenteller Theaterleute gleicht, denn einer Multimillionen-Dollar-Produktion. So fordert er immer immer wieder kreative Freiräume und gibt kaum Regieanweisungen. Vielmehr animiert er die Schauspieler zur ständigen Improvisationen, da er sich hinsichtlich der exakten Ausrichtung und des Tons alle Optionen offen halten will. Vor dem Hintergrund der enormen logistischen Herausforderungen einer Blockbuster-Produktion sprengt diese Arbeitsweise regelmäßig Zeit- und Budgetpläne und nicht selten die Nerven der Produzenten. So ließ Liman während der Dreharbeiten zu Die Bourne Identität einen Wald nahe Prag von seiner Filmcrew komplett ausleuchten, nur um dort ungestört Paintball spielen zu können. Akiva Goldsman, der einen seiner Filme produzierte, beschrieb ihn als „Madman“ mit Tausend-Yards-Starren. Nach diversen Budgetüberschreitungen ließ Liman auf eigene Kosten ein Set in der Garage seiner Mutter bauen, das er anschließend mit einer Handgranate zerstörte. Sein Drehbuchautor Simon Kinberg musste für ihn 40-50 mögliche Enden für Mr. & Mrs. Smith schreiben – Liman inszenierte schlussendlich die Ursprungsversion aus dem Drehbuch. In Edge of Tomorrow ließ er das gesamte Material des ersten Drehtags vernichten, weil er mit dem Ergebnis unzufrieden war. Der Dreh der Strandszenen verschlang statt der angesetzten zwei Wochen ganze drei Monate Drehzeit. "Es ist kein Geheimnis, dass meine Arbeitsweise nicht wirklich stringent und linear ist und ich das Studio regelmäßig zum Verzweifeln bringt, weil sie nie genau wissen, was am Ende dabei herauskommt“, räumt Liman selbst ein. Auch optisch entspricht er mit seiner schlaksigen Figur, dem ziellosen Gang, den wilden Haaren und seinem latenten Kifferblick ganz dem Klischee des verplanten Künstlers. "Mich hat das in keinster Weise beunruhigt”, so Tom Cruise gegenüber der L.A. Times , der natürlich im Vorfeld von den Extravaganzen Limans wusste. „Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Typ mit unglaublichem Talent, Geschmack und Einsatz gesegnet ist."

Kreative Vielfalt

Seinen Filmen sieht man dieses kreative Chaos freilich vor allem in positiver Hinsicht an. Kreatives Chaos bestimmt nicht nur seine Arbeit, sondern auch die eklektische Auswahl seiner Projekte, mit denen er gleichsam Trend bedient, als auch setzt. Seinen ersten Ausrufezeichen Swingers (1995) und Go! (1999) merkte man seine Verehrung für Quentin Tarantinos Arbeit überdeutlich an. Trotzdem waren sie eigenständig genug, um Publikum und Kritik gleichermaßen zu überzeugen. Bereits mit seinem dritten Spielfilm Die Bourne Identität (2002) stieg er in die Riege der absoluten Topregisseure Hollywoods auf und prägte mit seiner realistischen Actioninszenierung das Genre bis heute. Mit Mr. & Mrs. Smith (2004) konnte er mit Brad Pitt und Angelina Jolie gleich zwei der damals begehrtesten Hollywoodstars gewinnen. Auch dieser Film kam bei Publikum und Kritik gleichermaßen an und versetzte dem Genre der romantischen Komödie nebenbei seinen bislang letzten Kreativschub. Zeitgleich war er einer der ersten A-List-Regisseure Hollywoods, der im aufkeimenden Quality-TV-Zeitalter die Synergien zwischen Kino und Fernsehen erkannte. So produzierte er mit 2004 mit der Kult-Teenieserie O.C., California nicht nur einen weiteren Kritiker- und Publikumserfolg, sondern inszenierte auch deren Pilotfilm. Auch an der Miniserie Der Diamanten-Job (2006) war er als Regisseur und Produzent beteiligt. Seitdem engagiert er sich in wechselnden Genres immer wieder als Produzent für das amerikanische Fernsehen. Den ersten echten Dämpfer in seiner Karriere stellt Jumper (2008) dar, der mit seiner generischen Videospielästhetik, aber vor allem mit der Besetzung des in Fanboy-Kreisen verhassten Hayden Christensen zu kämpfen hatte - dafür aber zumindest der Karriere von Jamie Bell neuen Schwung verlieh. Mit dem niedrig budgetierten Fair Game (2010), mit Sean Penn und Naomi Watts, schuf Liman dann einen für seine Verhältnisse bemerkenswert klassisch inszenierten Agententhriller. Dieser Film ist nicht nur Limans persönlichstes Werk (sein Vater, zu dem er eine sehr enge Bindung hat, war einer der Chefankläger während der Iran-Contra-Affäre ), er trug auch dazu bei, verloren gegangenes Vertrauen bei den Studios zurückzugewinnen. Anschließend wurde es dann mit „The Edge of Tomorrow“ (2014) wieder drei, vier Nummern größer.

Live. Die. And never repeat.

Ich will mich niemals wiederholen", betont Liman gebetsmühlenartig, wenn er auf die Auswahl seiner Filmprojekte angesprochen wird (was angesichts seines aktuellen Films, der „Live.Die.Repeat.“ in der Tagline trägt, nicht einer gewissen Komik entbehrt). Wie ernst er diesen etwas floskelhaften Satz meint, verdeutlicht aber beispielsweise seine Entscheidung, nach dem bierernsten Bourne-Durchbruch, die Regie für die Nachfolger abzugeben und sich stattdessen einer romantischen Komödie zu widmen. Diese künstlerische Unberechenbarkeit, gepaart mit seinem Mut zum kreativen Chaos, hat seinen Weg innerhalb des von Sicherheitsdenken und Profitstreben getriebenen Studiosystems niemals leicht gemacht. "Meine Freunde warnen mich andauernd, dass ich nur ein oder zwei Schritte davon entfernt bin, unvermittelbar zu sein. Ich bin mir dieser Tatsache aber durchaus bewusst", so Liman. Diese Mischung aus Rationalität und Wahnsinn ist typisch für ihn. Und es zeigt, dass sich künstlerische Visionen und die notwendigen Konventionen der Blockbusterindustrie sich nicht zwangsläufig ausschließen müssen, sondern im Gegenteil, sich sogar befruchten können. So gab Liman jüngst zu Protokoll: „Bei Edge of Tomorrow bin ich ab einem gewissen Punkt richtiggehend nervös geworden, als sich kein Produzent blicken lassen und mir auf die Finger geklopft hat. Es ist leichter für mich zu wissen, dass es diesen Druck gibt.“ Auf der anderen Seite wissen auch die Produzenten, was sie an Liman haben. Erwin Stoff sagte dazu: "Wir arbeiten gerne mit Doug, weil er die Fähigkeit besitzt, in einem scheinbar auserzählten Genre etwas vollkommen Neues und Eigenständiges zu erschaffen." Und letztendlich geht es im Blockbusterkino genau darum: Gibt den Leuten, was sie kennen, nur eben ein bisschen anders.

Quellen:
"On the edge with Doug Liman" - BD-Special zum Film "Edge of tomorrow"
"Doug Liman hopes his wild loop means a hit with 'Edge of Tomorrow" - Artikel aus der L.A. Times

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