Harry Potter and the Cursed Child - Traumhafte Fortsetzung für Fans

04.08.2016 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Harry Potter and the Cursed Child
Little, Brown Book Group
Harry Potter and the Cursed Child
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Nach der Vorpremiere vor ein paar Wochen feierte Harry Potter and the Cursed Child endlich seine Premiere im Palace Theatre in London. Parallel dazu wurde das Skript in Buchform veröffentlicht - und es ist ein Fest, nicht nur aus nostalgischen Gründen!

"All was well." - mit Sicherheit gehören diese drei unscheinbaren Worte zu den umstrittensten, die J.K. Rowling je zu Papier gebracht hat. Nach sieben nervenaufreibenden Abenteuern, in denen Harry Potter mit dem dunklen Lord konfrontiert wurde, schien der finale Schlussgedanke so endgültig, dass man ihn gar nicht glauben wollte oder konnte. Nach all dem Blutvergießen bei der Schlacht um Hogwarts, die wenige Seiten vorher noch tobte, war auf einmal alles gut. Und insgesamt glich der gesamte Epilog von Harry Potter und die Heiligtümer des Todes einem Siegel, das die Geschichte rund um den Jungen, der überlebte, für immer abschließen sollte. Knapp zwei Dekaden später stellt sich jedoch heraus, dass alles überhaupt nicht gut ist und die Erzählung vom berühmtesten Zauberlehrling aller Zeiten längst noch kein Ende gefunden hat.

Im Rahmen des zweiteiligen Theaterstücks Harry Potter and the Cursed Child schlägt J.K Rowling zusammen mit John Tiffany und Jack Thorne, der auch das Skript geschrieben hat, ein neues Kapitel im Potter-Universum auf. 19 Jahre sind vergangenen, seitdem Voldemort besiegt und seine Gefolgschaft zerschlagen wurde. Nun steht Harry zusammen mit Ginny und seinen Kindern am Gleis neundreiviertel und blickt einer ungewissen Zukunft entgegen, da äußert sein jüngerer Sohn, Albus, große Bedenken hinsichtlich der bevorstehenden Verteilung in die Häuser durch den sprechenden Hut. Während er von seinem älteren Bruder, James, damit aufgezogen wird, versucht Harry beruhigende wie zuversichtliche Worte zu finden. Doch so richtig zündet der Funke des zugesprochenen Mutes nicht. Wo Harry in Hogwarts nach der Dursley-Hölle ein richtiges Zuhause fand, erlebt Albus seinen schlimmsten Albtraum im Schatten seines Vaters - und landet nicht zuletzt in Slytherin.

Bereits an diesem Punkt kündigt sich ein später wiederkehrender Mechanismus in Harry Potter and the Cursed Child an: Das achte Abenteuer liebt es, altbekannte Elemente und Motive der Reihe zu verdrehen. Was auf den ersten Blick wie ein willkürlicher Austausch der festgefahrenen Rollen wirkt, entpuppt sich erst mit fortlaufender Länge als cleverer Schachzug, um Bewegung in die reflektierende Ebene des Theaterstücks zu bringen. Dadurch, dass Albus nicht nur dem Gryffindor-Gemeinschaftsraum fernbleiben muss, sondern sich zudem mit Scorpius Malfoy, Dracos Sohn, anfreundet, muss Harry viele seiner Erwartungen wie Erinnerungen in Frage stellen. 37 Jahre ist er mittlerweile alt und dennoch hat ihn das Erlebte nie losgelassen. Immer wieder schweifen seine Gedanken ab und verlieren sich in der Angst vor der brennenden Narbe, während Harry Potter and the Cursed Child vergangene Tage streift und im Zuge dessen ein unglaubliches Bewusstsein für die Potter-Mythologie entwickelt.

Gefördert durch die unberechenbare Konstante des Zeitumkehrers, der hier so prominent wie nie zuvor den Lauf der Dinge beeinflusst, passiert Harry Potter and the Cursed Child sprichwörtlich entscheidende Stationen der bisherigen Potter-Historie. Besonders das Trimagische Turnier aus Harry Potter und der Feuerkelch spielt dabei eine entscheidende Rolle: Sowohl die Rückkehr Voldemorts als auch Cedrics Tod (!) setzen die verheerenden Vorgänge der Fortsetzung in Gang - was, wenn Harry Potter gar nicht der Gute ist? Albus sieht in seinem Vater nicht den Held und Retter, als der dieser von allen Seiten verehrt und gefeiert wird. Was anfängt wie jeder konventionelle Vater-Sohn-Konflikt, entwickelt rasant seine eigene Dynamik und verleiht dem Ganzen dank der präzise erforschten Potter-DNA das notwendige Gewicht, um einen emotionalen Einschlag zu hinterlassen.

Von J.K. Rowlings letztem Versprechen ist an dieser Stelle nichts mehr übrig geblieben. Einmal mehr befindet sich die Zauberwelt im Chaos und blickt beinahe ohnmächtig dem Abgrund entgegen. Anstatt den dunklen Lord einfach wieder auf die Bildfläche zu zaubern, nimmt dieses Mal jedoch niemand Geringeres als Harry Potter höchstpersönlich die Rolle des Antagonisten ein. In einem heftigen Streitgespräch mit Albus rutscht ihm ein wertender Satz heraus, den er unmittelbar darauf bereut, gleichzeitig jedoch nicht ignorieren kann, dass der Kern seiner Aussage ein ernstzunehmender ist, um den er sich Sorgen machen sollte. Plötzlich steht da nicht mehr der Junge, der überlebte, sondern der Junge, der aufgrund des unbeschreiblichen Opfers anderer überlebte. Je mehr Albus die Welt entdeckt, desto klarer wird ihm, in welch einer Verklärung er sich befindet. Schließlich hält er es nicht länger aus und beschließt, mit Scorpius die Vergangenheit zu korrigieren.

Nie wieder soll ein Unschuldiger durch die unerbittliche Beiläufigkeit der "Kill the spare"-Geste sterben. Und tatsächlich investiert Harry Potter and the Cursed Child viele Bemühungen, um das "Was wäre wenn?"-Gedankenspiel inklusive alternativer Geschichtsschreibung zu ergründen. Würde man das Geschehen auf seine Logik überprüfen, so würde das narrative Konstrukt mit Sicherheit binnen weniger Sekunden komplett in sich zusammenbrechen. Doch darum geht es in den vier Akten überhaupt nicht. Vielmehr offenbart das Spiel mit der Zeit die Möglichkeit, Harrys Schicksal mit dem von Albus kollidieren und ineinander übergehen zu lassen. So unterschiedlich Vater und Sohn sowie ihre jeweiligen Erfahrungen sind: Dieses Mal können die Erwachsenen ihre Probleme nicht auf die Kinder abwälzen und Unfassbares von ihnen verlangen. Nein, dieses Mal gehen beide Parteien nach anfänglichem Zögern direkt aufeinander zu.

Dass Harry Potter and the Cursed Child gelegentlich hart an der Grenze zur Fan-Fiction vorbeischlittert, fällt kaum ins Gewicht, denn das Theaterstück bringt so viel Verständnis für die Hintergründe der Figuren mit, dass jegliche Story-Wendung auf einem (emotional) unumstößlichen Fundament fußt. Es ist verblüffend, wie leichtfüßig die zentralen Leitmotive der Reihe neu aufgerollt und variiert werden. Harry Potter and the Cursed Child schließt nicht nur nahtlos an ein siebenteiliges Epos an, sondern übernimmt auch den Fluss der vorherigen Geschichte, ohne in seiner Begeisterung die abgründigen Facetten dieser zu vergessen. Womöglich sind diese sogar präsenter denn je, wenn Harry bei all seinen Ambitionen, eine bessere Welt für seinen Sohn zu schaffen, nicht merkt, dass er sie nur noch schlimmer macht. Diese Dekonstruktion ist durchaus mutig und führt die Figuren am Ende der 330 Seiten auf einer Ebene zusammen, auf der sie sich zuvor noch nie begegnet sind.

Dementsprechend ist Harry Potter and the Cursed Child wahrhaftig eine Fortsetzung und kein krampfhaft produziertes Franchise-Segment, das - wie es Harry im Theaterstück selbst vorgeworfen wird - verzweifelt versucht, noch einmal in den Schlagzeilen zu stehen. Natürlich lässt sich darüber streiten, wie notwendig die Rückkehr nach Hogwarts überhaupt war. Jetzt, da sie allerdings stattgefunden hat, wäre es verschwendete Mühe, sich darüber aufzuregen, denn was J.K Rowling, John Tiffany und Jack Thorne geschaffen haben, ist tatsächlich etwas Wundervolles wie Berührendes, das mit unerwarteten Perspektiven sowie feinen Nuancen überrascht - sei es eine aufregende Auseinandersetzung mit der Servierwagen-Dame auf dem Dach des Hogwarts-Express, die weit mehr Geheimnisse verbirgt, als Schokofrösche und Bertie Botts Bohnen durchblicken lassen, oder schlicht der aufrichtig, versöhnliche Schlussgedanke, dass vielleicht nicht alles gut ist, aber vielleicht dieser Tag ein guter wird.

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